30.10.2014

Autor*in

Rebecca Baasch
Svenja Reiner
Rückblick ICCPR 2014

ICCPR 2014 - 8th International Conference on Cultural Policy Research

Für KM waren die Kulturmanagement-Studentinnen Rebecca Baasch und Svenja Reiner auf dem International Conference on Cultural Policy Research (ICCPR), der vom 9. bis 12. September in Hildesheim, Deutschland, stattfand, und schildern ihre Eindrücke als Nachwuchskulturmanagerinnen. Der Kongress findet seit 1999 alle zwei Jahre statt. Ziel ist es, ein internationales Netzwerk für Forscher aus dem Bereich Kulturpolitik zu etablieren.
Hildesheim ist ein beschauliches Fleckchen Norddeutschland mit rund 100.000 Einwohnern und zwei Sakralbauten, die es auf die UNESCO-Weltkulturerbeliste geschafft haben. Hier findet ICCPR 2014 statt. Für uns zwei es die erste Teilnahme an einem wissenschaftlichen Kongress. Wir sind unsicher, was uns erwartet und nutzen die Zugfahrt, um das 160 Seiten starke Konferenz-Heft durchzuarbeiten. Wir sind von der Vielfalt des Programms beeindruckt aber auch erschlagen. Schon am ersten Tag kann man kaum alle interessanten Themen besuchen.
 
An den drei Konferenztagen bekommen die Teilnehmer insgesamt rund 200 Vorträge geboten. Überwältigend ist die thematische Spannweite, welche sich unter dem Oberbegriff Kulturpolitik versammelt: Während in dem einen Raum noch über die Rolle von Kultur in Konflikten gesprochen wird, geht es nebenan schon um das afghanische Theater auf europäischen Bühnen. Die Effekte der Kulturhauptstadt stehen ebenso auf der Agenda der Konferenz wie die Bedingungen der künstlerischen Ausbildung oder die Frage danach, wer eigentlich die kulturelle Vergangenheit definiert.
 
Kulturpolitik taucht in jedem Lehrplan für irgendwas mit Kulturwissenschaft auf. Kulturpolitikforschung hat aber auch so viele Felder, dass die Weltkonferenz einen 160-Seiten starken Reader umfasst. 453 Menschen aus 55 Ländern präsentierten 193 Papers zu Kulturpolitik Damit ist die Chance, dass Kulturpolitik langweilig ist, eher gering.
 
Die Konferenz startet mit einer offiziellen Eröffnungsveranstaltung im Theater für Niedersachsen. Das Programm wurde von einem künstlerischen Leiter konzipiert und so gibt es neben den üblichen Reden eine kleine Lichtshow und schauspielerische Einlagen des Organisationsteams. Die Atmosphäre ist locker und bei Häppchen und Getränken kommen die über 400 Konferenzteilnehmer aus 60 Ländern leicht ins Gespräch.
 
Der Veranstaltungsort der Stiftung Universität Hildesheim, die Domäne Marienburg, ist eine 650 Jahre alte Burganlage, die heute für Lehre und Forschung genutzt wird. Für den ersten Programmpunkt stehen zehn Paper Sessions und drei Thematic Sessions zur Auswahl. Wir beginnen mit dem Thema Globalisierte Kulturpolitik
Die drei Themen dieser Session könnten unterschiedlicher nicht sein. Das Spektrum der Vorträge reicht vom Einfluss der Globalisierung und dem Handlungsspielraum der Kulturpolitik auf nationale Kulturen über länderübergreifende Kulturfinanzierung durch Spenden und die damit einhergehende Dringlichkeit von Steuererleichterungen bis zu den negativen Auswirkungen von Künstlermobilität auf das Leben und die Arbeit unabhängiger Künstler. Die Diskutanten stellen den Referenten passende Fragen, auch das Plenum hinterfragt die ein oder andere These. In der anschließenden Pause reden wir reden über die jüngsten Auswirkungen des Easy Jet Faktors (Reisen ist preiswerter denn je) und diskutieren die Frage, wie national Kunst sein kann.
 
Beim folgenden Programmpunkt besuchen wir die Session, bei der der Direktor des Instituts für Kulturpolitik Hildesheim Prof. Dr. Wolfgang Schneiderauf dem Podium sitzt. Beim Vergleich zwischen Deutschland, Afrika und der Arabischen Region wird deutlich, dass das deutsche Modell vom aktivierenden Kulturstaat nicht auf andere Länder übertragbar ist. In Afrika und in der Arabischen Region hat der Staat eine andere Rolle, es gibt andere politische Akteure. Und: hier steht die Forschung zum Thema Kulturpolitik noch ganz am Anfang.
 
Schneider forscht auf diesem Gebiet. Er ist Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und untersucht unter anderem die kulturpolitischen Rahmenbedingungen in Afrika sowie den Einfluss von Kulturpolitik und Künstlern auf Regierungen und politische Transformationsprozesse.
 
Kulturpolitik hat viele Felder, ein großes ist die Künstlerausbildung und -förderung. Fragen, die diskutiert werden, sind unter anderem: Wer wird Künstler? Wie werden Künstler ausgebildet und welche impliziten Prämissen werden in ihrer Ausbildung gesetzt? Was passiert nach dem Abschluss? Und vor allem: Wer wird nicht Künstler?
Die Soziologie-Doktorandin Kaori Takahashi beschäftigte sich mit Amateur-Schauspielerinnen in Tokyo und suchte Gründe dafür, dass es sie meist Amateurschauspieler ohne entsprechende Ausbildung sind. Sie stellte in Hildesheim am Beispiel zweier Biografien von jungen Schauspielerinnen grundsätzliche Probleme der Künstlerförderung fest: Beide hatten ihre aussichtsvoll erscheinende Karriere nach dem Schulabschluss aufgegeben, weil sie befürchteten, sich von dem Gehalt allein nicht finanzieren zu können. Gerade in einer ehrgeizigen Gesellschaft wie der Japans hat diese Form der Einkommensgenerierung einen besonders schlechten Ruf. Takahashis Studien zeigen weiterhin auf, dass weibliche Schauspielerinnen noch geringer bezahlt werden als ihre männlichen Konterparts. Dazu kommt, dass die meisten öffentlichen Bezuschussungen Produktionskosten unterstützen aber keine Lebenshaltungskosten. Insgesamt sind die Arbeitsbedingungen für Schauspieler in Japan sehr prekär. Es ist konkrete Feldforschung wie diese, die untersucht, warum möglicherweise jemand trotz Talent niemals professioneller Künstler wurde. Offensichtlich wird nur eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe Schauspieler: Die, die es sich leisten können. Kulturpolitik muss sich fragen, ob Künstlerdasein ein Oberschichtenprivileg sein sollte oder ob nicht vielmehr am Abbau dieser finanziellen Hemmschwelle gearbeitet werden muss.
 
Wie verändern soziale und politische Veränderungen die Gesellschaft und ihre Künstler? Simone Wesner präsentierte ihre Erkenntnisse zum Einfluss von kultureller Identität und Werten auf Kulturpolitik, vor allem in Bezug auf künstlerische Professionalisierung. Die Leiterin des Arts Policy und Management-Masterprogrammes in Birkbeck (Universität London) untersucht Identität, Motivationen und Karriereentwicklungen von ostdeutschen Künstlern, die die Deutsche Einheit miterlebt haben: Im Vergleich mit jüngeren Künstlern stehen sie dem Kunstmarkt oft kritisch gegenüber und sehen sich primär ihrer eigenen künstlerischen Qualität verpflichtet. Als erfolgreich gilt, wer eine lange Karriere und Durchhaltevermögen hat. Erst nach dem Tod von der Kunstwelt Beachtung zu finden, ist eine valide Option, sodass viele Künstler während ihrer Lebzeit aktiv ihr Archiv zusammenstellen, Werke zurückkaufen und manchmal solche, die in der DDR entstanden, zerstören.
 
Aus ihren Identitätsforschungen will Wesner einen Arbeitsrahmen für kulturpolitische Arbeit gewinnen: Sie zeigt auf, dass die Instrumente der Kulturpolitik bisher nicht die Entwicklung einer Künstlerkarriere fördern und regt an, die unterschiedlichen künstlerischen Identitäten bei der Entwicklung von Fördermitteln zu bedenken.
 
Dass Künstler nicht ausschließlich gepäppelt und gefördert werden müssen, sondern dass man auch von ihnen lernen kann, zeigte Mark Gibson mit seinem Vortrag Fringe to Famous Contemporary Australian Culture as an Innovation System. Gibson ist Koordinator des Masterstudiengangs Kommunikations- und Medienwissenschaften der Monash University in Melbourne und leitet das Film-, Medien- und Kommunikationsprogramm. Zusammen mit seinen Partnern Tony Moore und Chris McAuliffe untersucht er wie fringe Projekte, also avantgardistische Kunst, Indie- und Alternativkultur, Teil der Australischen Mainstream Kultur wurden.
 
Gibson und sein Team sagen über sich selbst, dass sie kommerzieller Kultur sympathisch gegenüberstehen und nicht davon ausgehen, dass finanzieller Erfolg mit Werteausverkauf gleichzusetzen ist. Dennoch stellen sich die Forscher die Aufgabe, kulturelle Qualität nicht immer implizit anzunehmen sondern kritisch zu überprüfen.
 
Wir haben eine inhaltlich und organisatorisch perfekt gestaltete Konferenz erlebt und sind von der lockeren Atmosphäre, den vielen jungen Wissenschaftlern und der Themenvielfalt begeistert. Am Ende von ICCPR 2014 stand fest, dass vor allem der internationale Dialog entscheidend ist, um Perspektiven zu erweitern und neue Ansätze zu finden. Der nächste kulturpolitische Weltkongress wird 2016 zum ersten Mal in Asien stattfinden, an der Sookumyung Women's University in Seoul, Südkorea.

Der ausführliche Rückblick erschien in der Oktoberausgabe des KM Magazin.
 

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