14.03.2014

Autor*in

Andreas Rüfenacht
Rückblick Podiumsgespräch über Praktika an kulturellen Institutionen

Das Prekariat

In der Schweiz sind Praktika im Gegensatz zu den Gegebenheiten in Deutschland feste Arbeitsverhältnisse, man erhält einen Arbeitsvertrag und je nach Kanton werden sie mehr oder weniger entlohnt. Volontariate wiederum sind überhaupt nicht institutionalisiert, entsprechen eher Assistenzen und es gibt zu wenige Stellen. Insgesamt ist die Situation der Berufseinsteiger im Kulturbereich ebenso schwierig wie in Deutschland. Dies nahmen articulations Schweizer Verein für den kunsthistorischen Nachwuchs, das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) Zürich und die Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in der Schweiz (VKKS) zum Anlass, ein Podiumsgespräch zum Thema Prekariat zu veranstalten. Es fand am 27. November 2013 im SIK-ISEA statt.
Volontariat, Praktikum, Anstellung
 
Während die Unterscheidung zwischen Praktika und Volontariaten in Deutschland recht klar ist, ist dies in der Schweiz nicht der Fall. Jeder Kanton, manchmal gar jede Institution macht es anders. Das Volontariat am Historischen Museum Basel ist beispielsweise faktisch eine Assistenz entsprechend erfahrene Mitarbeitende werden zu Volontärsbedingungen angestellt, von einer institutionalisierten Ausbildung kann nicht die Rede sein. In der gleichen Stadt beschäftigt das Kunstmuseum gar keine Volontäre, sondern nur Assistenten zu fairen Bedingungen. Es scheint, als begännen einige Institutionen die deutschen Prinzipien nachzuahmen - was auch damit zu tun haben kann, dass viele deutsche KollegInnen ihre Erfahrungen importieren. Dies kann aber in der Schweiz durch andere gesetzliche Rahmenbedingungen zu höchst problematischen Gebilden führen.

Die Grundsatzfrage ist in beiden Ländern aber die gleiche: warum werden höchstqualifizierte Absolventen nicht fair entlohnt und warum wird Einarbeitungszeit in eine Institution mit Ausbildungszeit ersetzt und somit die Bringschuld, sich in die Institution einzuarbeiten, auf die Arbeitenden übertragen? Angesichts dieser Bedingungen des Arbeitsmarktes Kultur war die Fragestellung des Podiumsgesprächs klar. Während in den meisten Berufszweigen die Suche nach Spezialisten gute Löhne und Anstellungsverhältnisse bewirken, scheint es im Kulturbereich so zu sein, dass es selbst von den Besten zu viele gibt. Man kann sie also zu prekären Bedingungen einstellen.

Die Teilnehmer
 
Zu dem Podiumsgespräch waren aus diesem Grund Fachleute eingeladen, die sie sich dieser Situation bewusst sind, beispielsweise Roger Fayet, Direktor des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) in Zürich. Er zahlt seinen Praktikanten einen Lohn, von dem es sich leben lässt auch im teuren Zürich. Zudem sind sie 50% angestellt und können somit während des Studiums die Arbeit in der Praxis kennenlernen. Fayet ist gleichzeitig Präsident von ICOM Schweiz.
Das Kunstmuseum Olten, vertreten durch dessen Direktorin Dorothee Messmer, und das Kunsthaus Aargau durch den Kuratoren und Vizedirektoren Thomas Schmutz sind bekannt dafür, regelmässig Praktika auszuschreiben, die auf Absolventen ausgerichtet sind so wie es viele Museen in der Schweiz tun. Messmer stand vormals dem Verband der Museen der Schweiz (VMS) vor, Schmutz ist Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in der Schweiz (VKKS). Letztere veröffentlichte im September 2012 ein Positionspapier zur fairen Entlohnung von Praktika (http://www.vkks.ch/Dienstleistungen/Arbeit-Beruf/).
Aus dem Bereich der privaten Institutionen vertrat Markus Rischgasser, Direktor der Zürcher Galerie Eva Presenhuber, diejenige Gilde, die ihre Praktikanten oft zu prekären Bedingungen einstellt. Andreas Rüfenacht, Organisator dieses Podiums, Präsident von articulations und selbst vormals Volontär am Historischen Museum Basel übernahm die Rolle des Gewerkschafters. Matthias Daum, Journalist der Wochenzeitung Die Zeit moderierte die Runde.

Das Problem des Nachwuchses und mögliche Lösungen
 
Good cops und bad cops die Rollen waren scheinbar verteilt. Doch die Diskussion verlief erstaunlich ausgeglichen. Alle wussten zwar um das Problem, doch war es an den Institutionen der Mitdiskutierenden scheinbar gerade nicht so, dass dort prekäre Lebenssituationen hervorgerufen würden. Rischgasser mutmasste, dass es wohl junge und kleine Galerien seien, die noch kein Geld und wenig Personal hätten und daher Praktikanten zu schlechten Bedingungen die Arbeit machen liessen. Die Vertreter der Museen sahen bei sich im Haus ebenfalls keine Probleme. Diese Stellen seien zur Ausbildung junger Akademiker gedacht, so Dorothee Messmer. Sie würden die jungen Praktikanten, die noch nicht so erfahren seien, stark unterstützen und fördern und diese könnten ihr Netzwerk aufbauen. Schmutz meinte, unter den doch relativ vielen Angestellten am Kunsthaus Aargau würde der Praktikant keine spezifische Stelle ersetzen, sondern im Sinn der Ausbildung überall hineinsehen und mitwirken arbeitstechnisch könne man theoretisch auf ihn verzichten. In Deutschland ist dies bei entsprechenden Volontariatsstellen häufig nicht der Fall.
Auf den Hinweis, dass es in der Schweiz nicht wenige Kantone gebe, die ihren Praktikanten oder Volontären mit abgeschlossener Ausbildung und Berufserfahrung Löhne zwischen 1000 und 2000 CHF zahlen, folgte die Vermutung, dies müssten die ländlichen Kantone ohne grosse kulturelle Zentren sein. Falsch: auch Basel, Stadt mit langer humanistischer Tradition, gehört dazu. Von diesen prekären Löhnen von ca. 800 bis 1600 EUR müssen noch Steuern, Krankenversicherung und Sozialabzüge subtrahiert werden; es bleibt damit nicht mehr zum Leben, als ein Volontär in Deutschland erhält.

Doch um die Löhne allein sollte es auf dem Podium nicht gehen, sondern auch um das Grundproblem. Roger Fayet als Präsident der ICOM betonte, auch die institutionellen Umstände seien zu beachten: zu wenig Geld, immer weniger Stellenprozente, der Druck, Ausstellungen zu produzieren, etc. Er nannte das Beispiel eines Museums, wo man sich überlege, eine Kuratorenstelle durch zwei Praktikantinnen zu ersetzen. Fayet sprach sich dagegen aus. Der Moderator fragte daraufhin kritisch, ob sich zu viele Museen und kulturelle Institutionen die gleichen Geldtöpfe teilten und dies möglicherweise ein Grund für die Prekarisierung sei. Gesundsparen müssten sich einige Museen durchaus, orakelte der ICOM-Präsident.
Insgesamt diskutierte man konsensorientiert, ortete die Probleme aber vor allem anderswo als im eigenen Umfeld. Zwar war man sich durchaus einig, dass Praktika nicht zu prekären Situationen führen sollten, doch solange sie der Ausbildung dienten und wenn nur die Jungen davon betroffen seien, sei dies nicht weiter schlimm, vielmehr sogar gut. Dabei könnten sie sich engagieren und zeigen, worin sie gut seien.
 
Das Problem aus Sicht der Studierenden

Viele weitere Fragen blieben offen, wie die Publikumsdiskussion zeigte. Vorwiegend Studierende sassen unter den zirka 60 Besuchern. Sie fragten, wie man im Studium zu Praktika kommt, wenn hierfür oft Absolventen gesucht werden, die schon Erfahrungen gesammelt haben? Warum muss man nach dem Studium weiterhin Praktika oder Volontariate machen, bevor man eine richtige Stelle bekommt? Warum arbeitet man junge Berufswillige nicht auf einer fair entlohnten Stelle ein und investiert auch zum Wohle der Institution, in der sie arbeiten? Führt fehlender politischer Wille zur Prekarisierung, weil die Kultur anderen Bereichen nicht gleichgestellt ist und oft als erste kleingespart wird? Und als berufsethische Frage: Warum werden hochqualifizierte Absolventinnen und Absolventen, die bereits mehrere Praktika gemacht haben, nicht ordentlich entlohnt?

Das Podiumsgespräch diente in erster Linie der Sensibilisierung für ein Problem, dessen sich viele im Kulturbereich Tätige trotz des Positionspapieres der VKKS nicht richtig bekannt sind im Gegensatz zu Deutschland, wo beispielsweise die Initiative Faires Volontariat des Deutschen Museumsbundes auf zum Teil katastrophale Bedingungen reagiert, über die man sich zwar vielfach bewusst ist, die aber auch von äußeren Faktoren abhängig ist. Vielmehr ist es in der Schweiz notwendig, ausreichend Stellen für den Mittelbau im Kulturbereich zu schaffen und die Absolventen in diesen entsprechend zu integrieren. Die positiven Rückmeldungen lassen für die Zukunft hoffen. Und vielleicht werden einige Institutionen beginnen, aktiv Gegensteuer zu geben.

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