08.06.2007
Schnittstelle Kultur, Medien, Politik und Wirtschaft

Grenzen niederzureißen wird immer wichtiger

Dirk Heinze sprach am Rande der 4. Jahrestagung Kulturwirtschaft am 4. Mai 2007 in Berlin mit Prof. Dieter Gorny, der als einer der vier künstlerischen Leiter für die Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet mehr denn je an den Schnittstellen zwischen Kultur, Medien, Politik und Wirtschaft agiert. Im Interview zeigte er sich einerseits optimistisch, was die Konjunktur der Musikwirtschaft hierzulande betrifft, stellte aber auch fest, dass die Entwicklungen der Kreativwirtschaft bereits viel weiter sind, als dies die Debatten auf dem Kongress zeigten.
KM: Herr Gorny, Sie sind in den letzten Jahren in immer neue Rollen geschlüpft und sind nun gleichzeitig in so verschiedenen Bereichen wie Medien, Wirtschaft, Politik oder Kultur tätig. Haben Sie überhaupt noch Gelegenheit, auch noch selbst künstlerisch aktiv zu sein?
 
Dieter Gorny: Privat ja, offiziell nein. Natürlich habe ich meine Musikinstrumente zuhause und nutze diese. Aber es ist eher eine Form des Ausgleichs und nicht mehr Primärbeschäftigung.
 
KM: Teilen Sie unsere Einschätzung, dass es noch zu wenige gibt, die wie Sie diese wichtige Mittlerposition zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik einnehmen?
 
DG: Das ist ja das Interessante und Herausfordernde an der neuen Stellenbeschreibung. Ich habe in früheren Zeiten immer nur jeweils eindeutig auf einer Seite gearbeitet ob es nun in den 90er Jahren der kulturelle Bereich oder bis 2004 die internationale, wirtschaftliche Arbeit war. Ich habe 12 Jahre im öffentlichen Dienst und 15 Jahre in der freien Wirtschaft gearbeitet. Jetzt unter dem Obertitel Kreativwirtschaft oder Gesellschaft der Zukunft neue kulturelle wie ökonomische Strukturen miteinander verbinden zu können und dafür die Erfahrung zu haben - ist das eigentlich Spannende. Es ist ein nicht zu unterschätzender Wert, wenn man einerseits Verbindungen zu einer Industrieorganisation hat und in Bundesverbänden der phonografischen Industrie sitzt. Hier geht es ja in den Diskussionen um die Rahmenbedingungen einer Industrie. Gleichzeitig bin ich als Aufsichtsratsvorsitzender der Filmstiftung NRW in einem Bereich wie dem Film tätig, der ein wichtiger Teil der Kreativwirtschaft ist. Die nordrhein-westfälische Filmstiftung ist pekuniär eine der größten Stiftungen in der Bundesrepublik und somit auch prägend für den Begriff Filmmarkt.
 
Wiederum befinden wir uns mit der Kreativwirtschaft in der Kulturhauptstadt Essen 2010 in einem Schmelztiegel, einem spannenden Biotop im Sinne einer Umgestaltung von der Industriestadt in eine Kulturmetropole. Hier ist eine Vielzahl von Akteuren involviert, und es nicht nur ein ungeheures Glück, sondern eine wichtige Kompetenz, wenn man in einem Gespräch die unterschiedlichen Seiten verbinden kann. Ich glaube, dass dieses Grenzüberschreitende für die Zukunft sehr, sehr wichtig sein wird. Ziel ist es, Grenzen niederzureißen und beide Seiten in der täglichen Praxis näher zusammenzubringen.
 
KM: Sind Sie in dieser Rolle eher Einzelkämpfer oder Teamplayer? Welche Verbündete haben Sie?
 
DG: Die Entwicklung in Deutschland ist doch schon weiter, viel frischer, als dieser Kongress es zu zeigen scheint. Es geht primär darum, aus der europäischen Erfahrung heraus zu werben und Verbündete zu bekommen. Dass wir mit dem Thema in der Kulturhauptstadt beginnen, ist ja schon etwas sehr Verbindendes. Der Bundesverband der Phonografischen Wirtschaft als wichtiger Bereich der Musikwirtschaft ist Teil der Creative Industries - und von dieser Perspektive aus hat Bundesfinanzminister Peer Steinbrück einen ganzen Tag diesem Thema gewidmet und wird hier weitermachen. Auch der Wirtschaftsminister richtet eine Arbeitsgruppe ein. Es entstehen langsam ressortübergreifende Verbindungen. Es wird sicher noch dauern, aber es kommt in Bewegung.
 
KM: Die Märkte der Kreativwirtschaft sind anderswo, also z.B. in Städten wie London und Sydney längst etabliert. Wie viel Terrain haben wir an diese Hochburgen möglicherweise schon verloren? Welche Chancen hat Deutschland in diesem Wettbewerb, zum Beispiel im Musikbereich?
 
DG: Wir haben allein in einem Binnenmarkt, der aktuell mit mehr als die Hälfte von nationalen Produkten beherrscht wird, natürlich Chancen. Die Diskussion über Kulturwirtschaft in Deutschland ist tatsächlich von Nordrhein-Westfalen ausgegangen. Der erste Kulturwirtschaftsbericht kam aus NRW und hat sich aus der POPKOMM heraus entwickelt. Eine spannende Frage ist natürlich, warum daraus nicht mehr geworden ist? War es zu früh? Waren es die falschen Konstellationen? Wir haben durchaus eine positive Tradition, sie wurde aber nicht Bestandteil einer strategischen Debatte. Europa widmet sich wesentlich stärker dieser Diskussion um die Wechselbeziehung von Kultur und Ökonomie und hat hier Grenzen niedergerissen. Bei uns in Deutschland existiert noch immer die vorherrschende Meinung, Kultur und Ökonomie hätten nichts miteinander zu tun. Das macht die Diskussion immer noch so grundsätzlich, aber spannend.
 
KM: Aktuell geht es dem Musikhandel und der Tonträgerindustrie nicht so gut. Können Sie dieser Branche Hoffnungen machen, dass es besser werden wird? Wann profitiert er auch von der guten wirtschaftlichen Konjunktur?
 
DG: Ich habe die äußerst erfolgreiche Frankfurter Musikmesse erlebt und bin daher frohen Mutes. Es hat mich wieder einmal beeindruckt, wie sehr Musik nicht nur ein Teilsegment, sondern eine gesellschaftliche Bewegung ist. Alle gesellschaftlichen Gruppen war in Frankfurt vorhanden: von den Kindern bis zu ganzen Familien, vom Amateur bis zum Profi. Daher glaube ich, dass der Handel mit Kulturgütern im weitesten Sinne nicht unbedingt Probleme haben wird. Er muss sich natürlich an Umgestaltungsprozesse anpassen, sprich Visualisierung der Kundenwünsche.
 
KM: Sie haben eine Professur für Kultur- und Medienwissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf inne. Was vermitteln Sie dort ihren Studenten, und was geben Sie ihnen mit auf den Weg in den Musik- oder Medienberuf?
 
DG: Im Grunde den Aspekt des Kommunikationsdesigns mit kulturellen Entwicklungen auf der einen Seite und Medien- sowie historischen Entwicklungen auf der anderen Seite zusammen zu bringen. Es wird ihnen beigebracht, wie weit der Begriff Kommunikationsdesign geht. Die Studenten lernen, wie Medien entstehen, wie sie im gesellschaftlichen Wechselspiel kulturell gesehen werden, warum sie reguliert oder weniger reguliert werden, wie sie sich entwickeln und inwieweit die Entwicklung der Medienlandschaft als Ganzes auch ihre Arbeit als Designer beeinflussen wird. Dieser Wert dieser Verbindungen hat damit zu tun, dass wir am Studiengang der Meinung sind, dass wir den Begriff Kommunikationsdesign, der ja traditionell sehr printlastig ist, sehr breit auslegen müssen. Es ist eine der USPs der Hochschule, die sich ja in einem engen Kontext mit der Düsseldorfer Werbeindustrie befindet.
 
KM: Sie haben vor einiger Zeit bei einer Gesprächsrunde des Bayerischen Rundfunks betont, das Fundament der Kreativwirtschaft sei das Urheberrecht. Warum?
 
DG: Die sogenannten Creative Industries erzeugen und vermitteln kreative Inhalte, und ein Produkt ist immer eine schützbare geistige Leistung. Durch die Verwertung dieses geistigen Eigentums entstehen Mehrwerte, Arbeitsplätze etc. Wenn dieses Produkt, die geistige Leistung, nicht schützbar ist, entsteht auch kein Mehrwert. All diese Industrien, so unterschiedlich sie auch sein mögen Mode, Architektur, Film, Werbung, Games, Design verbindet dieses Schützbare. Also ohne Copyright keine creative industries, da sonst keine Wertschöpfung entsteht. In Deutschland haben wir bisher noch eine andere Tradition in der Bewertung des Urheberrechts: Es wird eigentlich immer diskutiert unter dem Aspekt Je weniger Urheberrecht, desto mehr Kundenfreundlichkeit. Deswegen habe ich appelliert, dass wir eine grundsätzlich neue Bewertung dieses Faktors Urheberrecht brauchen. Dieser Faktor muss eingepasst werden in die Gesellschaft, in das Wechselspiel zwischen dem Bedürfnis des Bürgers nach Information und dem Schützen der Idee. Wenn wir das nicht tun, dann können wir diesen neuen Leitmarkt ökonomisch nicht entwickeln.
 
KM: Sie sind nun vor kurzem als einer der 4 künstlerischen Leiter des Teams der Ruhr 2010 GmbH um Dr. Oliver Scheytt nach Essen berufen worden. Wie sieht dieses Team konkret aus?
 
DG: Wir haben eine künstlerische Leiterin, die das Thema Migration abdecken wird. Dann gibt es noch einen künstlerischen Leiter Stadtentwicklung und urbane Entwicklung der Zukunft, also u.a. für den Bereich Architektur, und einen mit dem Arbeitstitel Die Stadt der Künste also der traditionellen Kulturbegriff, gleichzeitig der Bereich, der mit der Freien Szene zusammen arbeiten wird. Wir haben gesehen, dass man kaum Projekte machen kann, die nicht auch gleichzeitig die Bereiche des anderen berühren. Und das ist die Schlagkraft des ganzen Konstrukts, dass man ganz unterschiedliche Psychologien miteinander vereinbart hat, die aber zusammen eine sehr starke Kraft entwickeln.
 
KM: Können Sie schon verraten, was 2010 in Ihrem Bereich, also der Kreativwirtschaft, passieren wird?
 
DG: Ich habe sicher schon konkrete Pläne, möchte sie aber an dieser Stelle noch nicht verraten. Wenn wir eine Metropole bauen, müssen wir sicher dafür sorgen, dass wir 2010 ein sichtbares Richtfest feiern, andererseits aber auch dafür, dass danach auch die Künstler und Kreativen auch in die Räume einziehen. Mir ist es wichtig, dass man über die Region hinaus Netzwerke spannen muss. Solche Netzwerke brauchen Knotenpunkte, die aber gleichzeitig architektonische Hochpunkte sein sollen. Diese müssen wir finden und dementsprechend ausbauen, damit sie ausstrahlen.
 
KM: Herr Prof. Gorny, vielen Dank für das Gespräch.
 
Prof. Dieter Gorny, Musiker, Musik- und Medienmanager; derzeit stellv. Vorsitzender des Vorstandes Bundesverband der phonographischen Wirtschaft e. V. und bei der Ruhr.2010 GmbH Direktor für das Themenfeld Kreativwirtschaft.
 
Foto: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V.

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