30.03.2016

Themenreihe Soziokultur

Autor*in

Karen Roske
lebt und arbeitet als freie Journalistin in Hannover. Die Diplom-Kulturwissenschaftlerin hat in den 90er-Jahren zwei soziokulturelle Zentren in Stadt und Landkreis Hildesheim mitgegründet. Von 2002 bis 2011 war sie Mitglied im Theaterbeirat der Landeshauptstadt Hannover.
Kultur in der Welt von morgen

Neue Formate für die Soziokultur zwischen Wissenschaft und Kunst

Im März endet das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerufene Wissenschaftsjahr Zukunftsstadt. Es beschäftigte sich mit der Frage, wie Städte zu nachhaltigen Wohn- und Wirtschaftsorten werden können. Unzählige Projekte und Veranstaltungen wurden für diesen Anlass ins Leben gerufen. Der dritte Teil unserer Reihe wirft einen Rückblick auf das Symposium Kann Spuren von Kunst enthalten zu Soziokultur, Urbanität und Zivilgesellschaft in der Zukunftsstadt.

Themenreihe Soziokultur

Im ersten Beitrag haben wir uns angeschaut, bei welchen Aspekten des Themas Zukunftsstadt sich KulturmanagerInnen positionieren und aktiv einbringen sollten. Im zweiten Beitrag ging es um kulturpolitische Fragen und Anwendungsszenarien von Kulturmanagement in der Gesellschaft der Zukunftsstadt.
 
Vogelzwitschern empfängt die ExpeditionsteilnehmerInnen im Basiscamp, dazu füllen Diaprojektionen von fernen Landschaften die Wand. Auf duftenden Mooskissen klettern winzige Spielzeug-Wanderer herum. Eine leibhaftige Expeditionsleiterin mit Pudelmütze, Skibrille und Schneeschuhen schickt die rund 90 Abenteuerlustigen per Megaphon auf die Reise. So startete am 25. und 26. November im Foyer des hannoverschen Kulturzentrums Pavillon das Symposium Kann Spuren von Kunst enthalten Expedition zur künstlerischen Erforschung der Zukunft von Soziokultur, Urbanität und Zivilgesellschaft.
 
An zwei Tagen zeigen hier 13 KünstlerInnen und Künstlergruppen ihre Projektideen zur künstlerischen Erforschung der Zukunft der Soziokultur. Veranstalter sind die drei Landesverbände LAG Soziokultur Niedersachsen, LAG Soziokultur Thüringen und LAKS Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft. Das Projekt ist ein Beitrag der Soziokultur zum Wissenschaftsjahr 2015 Zukunftsstadt. Wenn sich in der städtischen Kultur wie im Brennglas die zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen zeigen wie kann ein fähiges Kulturmanagement dann zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen?

Fünf der nominierten Ideen sollen auf dem Symposium ausgewählt und anschließend gefördert und umgesetzt zu werden. Zudem geht es sowohl beim Symposium als auch bei dem darüber hinaus geplanten großen Forschungsprojekt Weiterdenken. Soziokultur 2030 um den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft. Dazu dienen auch vier Vorträge von Experten: Der Theater- und Politikwissenschaftler Stefan Horn, Leiter des Stadtkunstprojekts urban dialogues, berichtet Vom Erkenntnisgewinn durch künstlerische Forschung. Der Direktor des Center of World Music der Universität Hildesheim Prof. Dr. Raimund Vogels spricht über die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die (Stadt-)Kultur. Der Geschäftsführer des Zentrums Mensch und Technik in Karlsruhe Dr. phil. Dipl.-Ing. Oliver Parodi fragt: Welche Auswirkungen haben die gesellschaftlichen Herausforderungen auf das Zusammenleben in Städten, Bürgerbeteiligung und Veränderungen in Stadträumen? Und der Kulturwissenschaftler Tobias Knoblich, Kulturdirektor der Stadt Erfurt, betrachtet die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Kulturlandschaft und Kulturpolitik.

Inszenierter Aufstand und Irritation im Alltag


Das Symposium thematisiert und weckt durch sein Format als Expedition die Lust auf Entdeckungen. So erleben die Gäste im Gefolge ihrer Expeditionsleiterin, die sie für jeden Beitrag in einen anderen Raum geleitet, immer neue Perspektiven und SitznachbarInnen. Damit lenkt das Symposium das Augenmerkt auf die Vorträge wie auf die kreativen Formate in den präsentierten Projektideen. Die Bandbreite zeigt sich in den fünf ausgewählten Vorhaben:

Thomas Georg Blank, Kulturvermittler und Kunststudent, präsentiert mit Karlsruhe eine Stadt probt den Ernstfall eine offene Spielsituation, in der sich politische Bildung, Imagination und künstlerische Aktion verbinden. Der Clou ist ein faktischer Shift zwischen Realität und Fiktion: In einem offiziell wirkenden Brief an Bürger/innen behauptet er, dass unter Karlsruhe demnächst Erdöl gefördert würde wie es im nahen Speyer tatsächlich geschieht. Einem Rückbau der Wohnbebauung solle das einzigartige Zukunftsprojekt urban oiling folgen, das als gesellschaftliche Vision beworben wird, vergleichbar mit dem beliebten urban gardening. Mit den aufgebrachten Nachbarn gründet der Künstler eine Bürgerinitiative, die sich auf die Suche macht nach dem verloren geglaubten Willen der badischen Revolution von 1848. Er will über Eigentum und Macht diskutieren, Alternativen erdenken und erlebbar machen. Das Projekt gipfelt in künstlerischen Protestaktionen, Lesungen, Bürgertreffen und Filmwochen.

Die Agentur für Weltverbesserungspläne dagegen schickt einen pinkfarbenen Bauwagen als Wortfindungsamt auf zentrale Plätze in Stadt und Land. Darin sitzt eine freundliche Kunstbeamtin am Schreibtisch und nimmt zu öffentlichen Sprechzeiten von Menschen jeden Alters und jeglicher Herkunft deren liebstes Wort entgegen gern auch ein erfundenes. Auf ein Schild gedruckt holt man sein Wort anderntags wieder ab und bringt es an einem selbst gewählten Wortort an. Diese Inszenierungen des öffentlichen Raums verändern die Alltagswahrnehmung, zudem füllen Fotos davon ein digitales Archiv. Es geht um die sinnliche Erforschung des Themas meine Heimat, mein Glück, meine Zukunft, sagen die drei Veranstalterinnen, die bildende Künstlerin Sigrid Sandmann aus Hamburg, die Regisseurin Ulrike Willberg aus Hannover und die Theaterwissenschaftlerin Geesche Wartemann aus Hildesheim.

Raumzeitsprünge, mobile Werkstatt und weltumspannende Innensichten


Die Designer und Produktentwickler Philipp Eibach und Josua Putzke haben als Künstlergruppe A flower along the road eine bekritzelte Parkbank mit nach Hannover gebracht, die sonst vor ihrem Studio in Berlin steht. So veranschaulichen sie, wie ihr Projekt Migration der Orte an der utopischen Idee der kulturellen Wurmlöcher ansetzt, um mit künstlerischen Raumzeitsprüngen die Wechselwirkung zwischen Identität und Ort zu erforschen: In Bussen oder U-Bahnen wollen sie im öffentlichen Nahverkehr einer Stadt reale Dinge von einem anderen Ort ausstellen, die ihre Geschichte mitbringen. Zufallsbesucher treffen so auf irritierende Objekte, die sie zu einer gedanklichen Reise einladen. Durch einen neuen Umgang mit der Gegenwart wollen wir neue Ideen von Zukunft schaffen.

Die Real-Life-Game-Theaterkompanie machina eX aus Hildesheim geht dagegen selbst mit einer mobilen Werkstatt als theatrum machinarium auf Reisen: In einem Lastwagen bietet sie Werkzeuge von Computer über Lötkolben und Strickmaschine bis 3D-Drucker, dazu geteiltes Wissen von Bau- und Reparaturanleitungen bis Verschlüsselungstechnik. In der interaktiven Verbindung von Heimwerker-, Künstler- und Hackerszene wollen Philip Steimel und Robin Krause in ihrem Feldversuch neue Möglichkeitsräume zur Selbstermächtigung erforschen.

Und schließlich rundet das weltumspannende Projekt Tell me Personal Stories die Auswahl ab. Der Tänzer und Choreograf André Jolles und die Ethnologin und Pädagogin Lucia Lehmann bieten in Europa und Afrika Workshops an, in denen die Menschen Innensichten ihrer Lebenswelt filmen: Eine Kölnerin sinniert beispielsweise in der U-Bahn über Anonymität, ein Slumbewohner aus Nairobi bekennt sich trotz der Müllberge vor seiner Haustür zu seiner Heimat. Hier wie dort werden die Videos präsentiert, Live-Performances mit Musik und Tanz erarbeitet, Dialoge angeregt. Die InitiatorInnen erstellen eine digitale Bibliothek, bilden MultiplikatorInnen aus und knüpfen nachhaltige Netzwerke.

Orte prägen Menschen und Menschen prägen Orte.
 
Dieser Grundgedanke zieht sich durch alle Beiträge auf diesem Symposium. Die beteiligten WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen erforschen mit teils erprobten und teils experimentellen Mitteln, wie diese Wechselwirkung verläuft. Und die nominierten Projektideen zeigen anschaulich, wie sie erlebbar und nutzbar gemacht werden kann für eine nachhaltige Stadtentwicklung mit kreativer Bürgerbeteiligung. Die Teilnehmenden werden dabei von KonsumentInnen zu GestalterInnen in offenen Kulturformaten, die Begegnung und Austausch fördern. Sie nehmen ihre Umwelt aus neuen Perspektiven wahr, machen vielfältige Lebensstile sichtbar, entwerfen fantasievolle Zukunftsmusik, verändern und bereichern ihre Alltagswelt. Die freie Soziokultur bietet dafür eine bewegliche Infrastruktur und das nötige Know-how.
 

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