15.03.2011

Autor*in

Dirk Heinze
Rückblick Kulturpolitisches Kolloquium 2011

Wo wachsen und wo schrumpfen wir?

Beim 56. Kulturpolitischen Kolloquium in Loccum ging es um die Zukunft unserer kulturellen Infrastruktur.
Es wird inzwischen von wenigen bestritten, dass das kulturelle Angebot hierzulande in den letzten 3-4 Jahrzehnten z.T. deutlich gewachsen und vielfältiger geworden ist. Hier mit die Tempel der sog. Hochkultur, dort die Häuser, in denen soziokulturelle Arbeit geleistet wird, und dann die zahllosen Projekte, Veranstaltungen und Festivals, hinter denen privates oder gemeinnütziges Engagement steht. Doch macht sich angesichts klammer Haushalte und vielerorts sinkenden Bevölkerungszahlen die Sorge breit, ob dieses Niveau gehalten werden kann. An der Evangelischen Akademie in Loccum kam man Ende Februar zusammen, um sich Gewissheit zu verschaffen.
 
Bernd Wagner vom Institut für Kulturpolitik verwies zu Beginn auf seine jüngste Umfrage unter 60 Städten, wonach es 2009/2010 keine oder allenfalls moderate Kürzungen in kommunalen Kulturhaushalten gegeben habe. Bei 43 % der Städte stieg diese sogar. Angesichts dieser Entwicklung vom flächendeckenden Kahlschlag zu reden, wie dies Joy Richard Fatoyinbo (Aus Politik und Zeitgeschichte 7-8/2011) jüngst tat, sei grob fahrlässig. Wagner sieht die Ursache auch in der Erkenntnis der Politik, dass mit Kürzungen in der Kultur keine Haushalte zu sanieren sind. Gleichzeitig steigt das Bewusstsein über den hohen ideellen Wert für Städte und Regionen, wonach Kultur gezielt für das Stadtmarketing und den Tourismus genutzt wird (mehr dazu im Schwerpunktthema des nächsten KM Magazins). Die Prognosen der Haushälter deuten allerdings auf eine verzögerte Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise hin: die Hälfte der Befragten gehen inzwischen von sinkenden Kulturetats aus.
 
Bricht der Kultur also die Sozialstruktur weg? Diese Frage versuchte Dr. Norbert Sievers, Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft, zu beantworten. Seiner Meinung nach sind die Weichen auf eine Schrumpfung unumkehrbar gestellt es vollziehe sich je nach Region lediglich in unterschiedlichem Tempo. Angst vor Rück- und Umbau, Durchhalteparolen oder Nothilfeprogramme helfen nicht weiter - es brauche Konzepte, auch wenn Sievers keine radikalen Lösungen befürworte.
 
Die Fürsprecherrolle für radikale Einschnitte nahm einmal mehr Pius Knüsel, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, ein und stieß gleich zu Beginn seines Vortrags keinen geringeren als Hilmar Hoffmann vom Sockel. Sein Leitspruch einer Kultur für alle war nicht selbstlos, sondern in Wahrheit autoritär: alle sollen so werden wie wir sind. Die dichte kulturelle Infrastruktur, die dieser Leitidee folgte, zeugte vom Anspruch einer Nation, Wachstum nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf kulturellen Gebiet zu erzielen. Kultur diente auch der Profilierung. Die Schaffung kultureller Leuchttürme sollte beweisen, dass die Landes- oder Kommunalpolitiker soziale Wertschöpfung produzierten. Für Knüsel war es erstaunlich, wie wenig hier Alternativen geprüft wurden. Fragte überhaupt einer, wie hoch die Rechnung ausfällt, die die nächste Generation begleichen muss, aber die vielleicht ganz andere Vorstellungen kultureller Nutzung hat? Manche Museen und Bühnen stünden inzwischen geradezu als Bollwerke gegen Veränderungen, verursachten steigende Kosten, ohne das der Nutzer davon etwas sieht oder das sich die Zahl der Kulturrezipienten erhöht. Wäre es das Ende, wenn wir künftig nur noch die Hälfte der jetzigen Kultureinrichtungen hätten? Pius Knüsel sieht die Lösung darin, künftig stärker in die kulturelle Bildung zu investieren und meint damit eher ein Kennenlernen anderer Kulturen: was ist türkische Kunst, was will die chinesische Kultur, was macht den Kulturmarkt Amerikas aus? Dies sieht er auch als Reaktion auf ein anderes Phänomen: Europa finanziert zwar die Präsenz seiner Eliten auf anderen Kontinenten, spielt aber auf den globalen Kulturmärkten selbst eine immer geringere Rolle. Der Stiftungsdirektor hofft hierzulande auf eine Offensive, die mehr Freiheit verleiht auch die Freiheit vom öffentlichen Geldgeber.
 
Für viele waren Knüsels Thesen entweder schlichte Provokation oder politische Utopie. Überraschend war jedoch der matte Protest sowohl im Publikum als auch auf dem Podium, was auch daran gelegen haben dürfte, dass die geplante Gegenrede aufgrund einer Absage von Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat ausfiel. Hajo Cornel vom Brandenburger Kulturministerium gab sich vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrungen desillusioniert: aufgrund des defensiven Verhaltens von Politik werden jene Prozesse schlicht scheitern, die strukturelle Veränderungen wollen. Sein Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Peter Landmann, hinterfragte den Institutionenbegriff. Aus seiner Sicht seien sie weit weniger gefestigt, würde sich beispielsweise das Verhältnis von Theatern und freier Szene längst verändern. Elke Harjes-Ecker, Abteilungsleiterin beim Thüringer Kultusministerium, möchte indessen Kultur bewusst in einem verdichteten Raum gegen demografischen Wandel einsetzen. Für sie erwächst aus Tradition immer wieder auch Innovation.
 
Einen breiten Raum nahm in der Debatte folgerichtig die Suche nach den künftigen Nutzern kultureller Angebote ein. Was wissen wir schon vom Konzertpublikum, fragte DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens. 90% sei doch letztlich "Bauchmarketing" des Intendanten. Er wünsche sich umso mehr Besucherforscher, vor allem Analysen von Nichtnutzern. Patrick S. Föhl von der FH Potsdam machte darauf aufmerksam, dass immer mehr Geld darauf verwendet werde, einzelne Zielgruppen zu aktivieren. Ein interessantes Beispiel dafür, welchen Unterschied es allein macht, wo ein Konzert veranstaltet wird, nannte NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth. Im Zweifel zählt der Inhalt, und wenn der Spielort junge Leute abschreckt, muss man eben mit dem gleichen Programm in die Fabrik gehen. Demnach ist das Publikum beim Konzert seines Sinfonieorchesters auf Kampnagel 10 Jahre jünger als in der Laeiszhalle. Er glaube, dass sich dies mit der Elbphilharmonie ändere und fügte schmunzelnd hinzu, man sei ja in einer evangelischen Akademie da dürfe man glauben.
 
Der zweite Tag in Loccum widmete sich zunächst dem bürgerlichen Kampf um den Erhalt kommunaler Kultureinrichtungen. Hierzu hatte man sich Vertreter entsprechender Initiativen geladen. Petra Bewer berichtete von ihren leidvollen Erfahrungen in Stuttgart. Auch wenn die Proteste hier nicht die gleiche überregionale Aufmerksamkeit wie die um den Hauptbahnhof der Landeshauptstadt erzielten, wurde hart um die Rücknahme geplanter Kürzungen gerungen. Immerhin gibt Stuttgart 5,6 % oder 132 Mill. Euro für die Kultur aus. Überraschenderweise waren die Theater von den Kürzungsvorschlägen der zuständigen Dezernentin nicht betroffen. Umso deutlicher zog man gegen die Pläne der Politik zu Felde, wandte sich pauschal gegen jegliche Kürzungen im Bereich Kultur oder Soziales sowie gegen das Ausspielen der Akteure untereinander. Besonders ärgerte die Bürgerinitiative, dass ihre erarbeiteten Leitlinien seitens der Verwaltung völlig ignoriert wurden. Es zeigte sich, dass die größten Schwierigkeiten bei notwendigen Veränderungsprozessen im Kultursektor in der mangelnden Kommunikationskultur zwischen den Beteiligten liegen. Einig war man sich, dass nach jedem Protest ein Podium geschaffen werden müsse, wo diskutiert wird, was man selbst wolle.
 
Dagmar von Kathen aus Osnabrück führte in der anschließenden Podiumsdiskussion an, dass Kulturentwicklungspläne bei Konsolidierungsmaßnahmen nicht zwingend helfen. Entscheidend sei vielmehr, ob es kulturelle Schwerpunktsetzungen gibt. Damit ließe sich dann leichter begründen, warum man das eine Projekt fördere und das andere nicht. Es kommt zudem darauf an, Zielvereinbarungen zwischen Verwaltung und Kultureinrichtungen zu treffen.
 
Dieter Rossmeissl, Kulturdezernent aus Erlangen und u.a. Vorsitzender des Kulturausschusses im Bayerischen Städtetag, unterstrich, dass über Wohl und Wehe einer Kultureinrichtung letztlich 5 Kriterien entscheiden:
 
1. ihre Akzeptanz hinsichtlich Erreichbarkeit und Auslastung
 
2. die erreichten Zielgruppen
 
3. die Profilbildung bzw. ihr Image
 
4. ihre historische Bedeutung und
 
5. ihre Finanzierbarkeit.
 
Er erinnerte daran, dass sich Bürgerproteste überwiegend gegen die Schließung vorhandener Einrichtungen und weitaus seltener für die Schaffung neuer einsetzen. Das sei verständlich, so Rossmeissl: Was nicht vorhanden ist, kann man auch nicht lieben. Für ihn ist Bürgerprotest strukturkonservativ, weil er aus dem Verlust von Vertrautem erwächst. Außerdem beginnt häufig der Protest erst, wenn die Schließung unmittelbar droht. Meist ist diesem Schritt bereits ein schleichender Prozess von Kürzungen und damit auch die Schwächung der Strukturen vorausgegangen.
 
Rossmeissl sieht sowohl im repräsentativen Politiksystem als auch in der direkten Bürgerbeteiligung eine Berechtigung. Der gewählte Stadtrat hat demzufolge auf den Gesamtkontext zu achten, der die Interessen sowohl der verschiedenen Kultureinrichtungen als auch der anderen Politikbereiche wie Soziales, Wirtschaft oder Sport zu berücksichtigen hat. Die Bürgerpartizipation steht für die Seite von Betroffenen und damit für Partikularinteressen, setzt Prioritäten und kann Prozesse einleiten, die den Entscheidungen der Politik vorangestellt sind. Als positives Beispiel dafür nannte er die jährlich in seiner Stadt stattfindenden Kulturdialoge der Verwaltung, wo einen Tag lang ein kulturelles Thema diskutiert wird. Dies trägt in jedem Fall zur Verständigung zwischen Gruppen bei. Die Frage ist, wie übertragbar diese neue Form demokratischer Mitbestimmung ist. Zu Recht erinnerte Dorothea Kolland aus Berlin-Neukölln daran, dass nicht alle gesellschaftlichen Gruppen die Formen der Partizipation beherrschen, obwohl ihr Anspruch auf Teilhabe am kulturellen Leben ebenso berechtigt ist. Wie hier diese neuen Formen der Mitsprache entwickelt werden können, blieb an dieser Stelle noch offen.
 
Dennoch hat es in diesem Jahr in Loccum eine neue Dimension in der kulturpolitischen Debatte gegeben. Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass sich die Kulturpolitische Gesellschaft selbst für eine Anpassung der kulturellen Infrastruktur aussprach. Es nimmt das Bewusstsein der Akteure zu, dass die vorhandenen Strukturen nicht zukunftsfest sind und teilweise sogar Innovationen blockieren. Gelingt es jedoch, verschiedene Akteure unter ein Dach zu bringen, kluge Konzepte aufzustellen und übergeordnete Perspektiven zu bieten, kann sich die Kultur von strukturellen Fesseln befreien und an gesellschaftlicher Relevanz gewinnen. Denken wir nicht nur an die Hüllen, wenn wir von kultureller Infrastruktur sprechen. Denken wir besser an die Inhalte und Ideen, die sich sowohl innerhalb wie außerhalb von Gebäuden entfalten wollen. Hat nicht Loccum etwas Befreiendes?
 
 
Lesen Sie auch den Beitrag von Deutschlandradio Kultur: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1399376/
 

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