15.05.2011

Buchdetails

Finanzkrise = Kulturkrise?
von Erna Lackner (Hrsg.)
Verlag: Studienverlag
Seiten: 148
 

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Autor*in

Thomas Mersich
studierte Musik- und Theaterwissenschaft sowie Kulturmanagement an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Er ist Gründer und Miteigentümer vom Musikverlag Mersich & Kiess Wien. Als Marketing Manager war er bei den Haydn Festspielen Eisenstadt tätig, beim Liszt Festival Raiding und für das Liszt-Jahr Lisztomania 2011.
Buchrezension

Finanzkrise = Kulturkrise?

"Den Pakt für den Euro können sich die Politiker sonst wohin stecken." Mit eher unfeinen aber drastischen Worten hat Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) und Honorarprofessor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien, bei seinem Vortrag Anfang Mai in Wien auf die akute Zerbrechlichkeit der Eurozone hingewiesen.
 
Der Schuldenberg Europas sei laut dem Ökonomen viel größer als allgemein bekannt und öffentlich zugegeben, Griechenland de facto bereits pleite, der Euro gefährdet und in der Krise. Zudem rette der Euro Rettungsschirm den Euro nicht und die Gefahr gehe weit über das hinaus, was die Öffentlichkeit weiß und die Medien berichten.
 
Alles nur böse Worte und Panikmacherei? Keineswegs. Die Weltwirtschaftskrise, die nach Griechenland und Irland nun auch Portugal so schwer zu schaffen macht, dass es unter dem Euro-Rettungsschirm Schutz suchen muss, befindet sich in höchster Blüte und Europa scheint dem unmittelbaren Finanzkollaps näher zu stehen als einer Besserung mit Hoffnung auf ein zukünftiges Wirtschaftswachstum. Und das alles, obwohl laut einer Studie des Wirtschaftsunternehmens Deloitte LLP die Anzahl der Dollar-Millionäre bis zum Jahr 2020 alleine in den Industriestaaten um zwei Drittel zunehmen wird.
 
Mögen die Gründe für dieses weltwirtschaftliche Phänomen für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar sein, so gibt es dennoch zahlreiche Erklärungsversuche für diese Entwicklung. Auch Band 9 der Reihe "Kultur und Wirtschaft" geht der Frage nach den Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise nach. Die in 6 Themenbereiche gegliederte Sammlung beinhaltet insgesamt 19 Vorträge der Tagung "Finanzkrise = Kulturkrise?", die im Rahmen der Vortragsserie "Kultur und Wirtschaft" des Europäischen Forum Alpbach im November 2009 in Innsbruck stattfand.
 
Die Vortragsreihe hat, so Dr. Erhard Busek, Gastgeber und Präsident des Europäischen Forum Alpbach, vor allem "die herausfordernde Aufgabe, die Beziehung zwischen Kunst und Kultur auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen Seite nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung zu sehen [...], sondern diese Programmlinie verfolgt den Grundgedanken, vielseitig klarzustellen, dass da eine sehr dichte, vor allem auch wechselseitige Beziehung besteht."
 
Am Podium fanden sich viele prominente Persönlichkeiten aus den Bereichen der Finanz, der Wirtschaft, der Politik, der Medien und des Kunstmanagements. So interessant, vielfältig und verschieden auch die Inhalte, Anschauungen und Meinungen sind, so sehr muss bedauert werden, dass diejenigen, die diese Finanzkrise im Zusammenhang mit der Kunst am meisten getroffen hat und immer noch trifft, nicht zu Wort gekommen sind. Aber zuvor ein Überblick über die Vorträge aus den verschiedenen Themenbereichen:

Kapitel 1: Kunstfiguren in der Finanz Virtuelles und Realität

Als Finanzfachmann äußert sich der Vizepräsident der Österreichischen Nationalbank Wien, Max Kothbauer, "dass man unter Experten heute weit davon entfernt ist, eine breit akzeptierte Erklärung für das Geschehene anbieten zu können, auch wenn man sicher ist, dass die koordinierte Vorgangsweise der Industrienationen gewirkt hat und die Stabilisierung des Finanzsystems und der Konjunktur wieder eingeleitet wurde. Es wurden also die richtigen Schritte gesetzt. Aber wir brauchen ein neues Regulierungssystem für die Finanzmärkte, die letztlich nicht selbstregulierend sind. Eine Rückkehr zum Status quo ante wäre fatal. Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft ist die Voraussetzung für Wohlstand und Sicherheit. Wer diesen absichtlich oder fahrlässig gefährdet, stellt alles in Frage." Marianne Gruber, Autorin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, sieht in der Finanzkrise vor allem "eine kulturelle Krise, die sich auf das ethische Wirkungsfeld der Gesellschaft auswirkt. Es mangelt vor allem am Gemeinwohl, an sozialer Verantwortung und an Einsicht." Sie stellt die zentrale Frage: "Bleibt die Forderung nach der Verantwortlichkeit ein Mythos?"

Kapitel 2: Praktische Auswirkungen der Finanzkrise auf den Kulturbetrieb

Michael Haefliger, der Intendant des Lucerne Festivals, und Dr. Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele, sprachen vor allem über die Auswirkungen der Finanzkrise auf das Sponsoring und die Kulturfinanzierung von internationalen Festivalveranstaltern. Kann Haefliger bei einer Eigenwirtschaftlichkeit von 97% keinerlei Auswirkungen feststellen, so betont Rabl-Stadler die Finanzkrise doch zu spüren. Sie will am europäischen Modell festhalten, und den Staat und die Kulturpolitik somit nicht aus der Verantwortung lassen. Die General Managerin vom Hotel Méridien Wien, Gabriela Benz, sieht jedoch auch Positives für die Zukunft des Kultursponsoring: Die Spreu werde sich vom Weizen trennen, die guten Konzepte werden überleben, schlechte nicht. Für den Kunstmarkt war Andrea Jungmann, Geschäftsführerin von Sothebys Österreich und Ungarn, vertreten, wobei es von ihrer Seite mehr Anlass zur Besorgnis gab: "Die Wirtschaftskrise hat den Kunstmarkt sofort erwischt: Bereits zwei Tage nach dem Konkurs von Lehman Brothers im September 2008 waren am Auktionsmarkt radikale Einbrüche zu beobachten. Bei Sothebys gab es Mitarbeiterabbau und drastische Budgetkürzungen. Das Vertrauen in Bank- und Aktienmärkte war vollkommen weg. Mittlerweile aber wächst es wieder langsam und dem Kunstmarkt geht es einigermaßen gut."

Kapitel 3: Bildung, Forschung Leere

Starke Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Bereich der Ausbildung, verbunden vor allem mit einem Rückgang der öffentlichen Förderungen, kritisieren Dr. Erhard Busek und der Abgeordnete zum Bayerischen Landtag, Dr. Thomas Goppel, sowie die Berliner Publizistin und Kuratorin Adienne Goehler, die auch bereits gesellschaftliche Fehlentwicklungen beobachten konnte: "Die Finanzkrise zeigt auch in der Bildung ihre Auswirkungen: Standardisierung und Gleichmacherei. Wir brauchen einen radikalen Umbau der Schule und mehr Anreize für Kreativität."

Kapitel 4: Mittler ohne Mittel

Dieser Argumentation schließen sich auch die Referenten zum Thema Kulturvermittlung an: Jutta Adler, Mitinhaberin der Konzertdirektion Adler in Berlin, und Hans Knoll, Galerie Knoll Budapest und Wien, sowie Markus Hatzer vom Haymon Verlag Innsbruck beanstanden neben der Wettbewerbsverzerrung bei der Konkurrenz von privaten Konzertveranstaltern und staatlich subventionierten Unternehmen besonders die sehr ernste ökonomische Situation der Buchbranche, in der in den letzten Jahren zwar Zuwächse zu erkennen waren, die jedoch aufgrund der drastischen Kürzungen der Kulturbudgets keinen rosigen Zeiten entgegenblickt.

Kapitel 5: Special Lecture Medien

Einen Niedergang der Kulturkritik und der Qualität der Feuilletons aufgrund der Finanzkrise stellt der Literaturkritiker Cornelius Hell fest. Die Ursachen dafür sieht er in den Vorstandsetagen der Medienkonzerne, die den negativen Trend einer immer öfter ins Schwimmen geratenen klaren Trennung von Redaktion und Geschäftsführung befürworten. Seine düsteren Prognosen teilt Reinhold Gmeinbauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wiener Tageszeitung "Die Presse", wenngleich er diese vor allem auf die finanzielle Situation der Medienkonzerne bezieht: "Die Weltwirtschaftskrise hat einen riesigen Verstärkereffekt für die bereits sehr lange existierende strukturelle Medienkrise. Es ist die schärfste und härteste, die es international je gegeben hat: sinkende Auflagen, sinkende Reichweiten, sinkende Nutzungsdauer von Tagenszeitungen. Die Relevanz geht in Richtung digitale Medien, aber das Geschäftsmodell, Informationen digital kostenlos zur Verfügung zu stellen, funktioniert nicht. Wir alle müssen jetzt langsam ankündigen, dass wir unsere digitalen, kostenlosen Plattformen schließen müssen oder nur mehr jenen zugänglich machen können, die für den Content bereit sind zu bezahlen."

Kapitel 6: Werte ohne Wert

Völlige Übereinstimmung zwischen den Vortragenden herrscht beim Thema Ethik, Werte und Normen: "Der Begriff des Shareholder Value hat ausgedient, eine neue Balance von Wertschätzung des Menschen einerseits und Erfolgs- und Gewinnorientierung andererseits muss geschaffen werden", wie Theologe Anselm Bilgri feststellt. Dr. Bernhard Braun, Assistenzprofessor am Institut für Christliche Philosophie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, bringt auch die Politik mit ins Spiel: "Die Krise zeigt für mich zum ersten Mal drastisch flächendeckend die Abkopplung politisch-ökonomischer Prozesse vom Zugriff nationaler Politiken. Nationale Politiker mit ihrem Blick auf ihr Wählerklientel und das schnelle Ablaufdatum der Legislaturperiode gerichtet liefern sich ihrerseits einen Wettbewerb der moralischem Entrüstung und des steuergeldfinanzierten Aktionismus, und man fragt sich, ob sie überhaupt mitbekommen haben, dass die Party längst woanders läuft." Die Philosophin Dr. Isolde Charim bringt schließlich auch das zu Wort, was in der den Vorträgen nachfolgenden Wertediskussion immer wieder durchdringt: "Es braucht politisches Leadership! Es muss Spielregeln geben. Und es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag, dessen Konturen noch nicht ganz klar sind, aber dessen Prämisse schon feststeht, sie lautet: Verteilungsgerechtigkeit."

Resümee und Kritik

Mag vieles von dem Gesagten annehmbar, plausibel und vernünftig erscheinen, so bleiben folgende Fragen offen: Warum wurde bei der Tagung des Europäischen Forum Alpbach "Kultur und Wirtschaft" kein einziger Künstler eingeladen? Warum durften nur Menschen zum Thema "Finanzkrise = Kulturkrise?" sprechen, die Kunst managen, Kunst vermarkten, mit Kunst handeln, oder auf sonstige Weise mit Kunst und Kultur zu tun haben, nicht jedoch Kunst ausüben? Was spielt sich bei jenen ab, für die die Situation nach dem Crash von Lehman Brothers einen reinen Existenzkampf darstellt und die nur mehr ums nackte Überleben kämpfen? Die Vermutung liegt nahe, dass Künstler härtere und schärfere Auswirkungen der Finanzkrise auf die direkte Lebenssituation spüren und dass sie jene Berufsgruppe darstellen, die wohl die meisten und stärksten Folgeschäden davontragen muss. Ein gutes Beispiel dafür wäre etwa die Auflösung des Vienna Art Orchestras (VAO) im Juli 2010, das nach dem Wegfall eines Sponsors und begleitet von Nichtreaktionen der öffentlichen Hand auf etliche Förderansuchen plötzlich "verschwunden" ist. Bandleader und Komponist Mathias Rüegg hat den Vorgang des Sterbens nach 33-jähriger Erfolgsgeschichte kommentiert:
 
"Es gab einen massiven Nachfragerückgang bei den Veranstaltern in Österreich, der Schweiz und Deutschland, einen Totalausfall in Italien, Spanien und Frankreich. Für mich ist das auch die Konsequenz aus 60 Jahren europäischer Schuldenpolitik, deren Folgen durch die Krise zum Vorschein kommen. Das trifft die untere bis mittlere Kulturebene besonders. Es gibt eine Hochkultur, die ist wichtig und abgesichert. Daneben gibt es aber den Unter- und Mittelbau, der u.a. auch die Hochkultur speist. Kulturelle Nischen, also Freiräume, werden immer mehr von Eventkultur überlagert; die Bereitschaft, sich mit Inhalten auseinander zusetzen, die nicht plakativ sind, nimmt ab. All das hat mich dazu bewogen aufzuhören. [] Ich habe mir schon länger geschworen, weder verbittert noch paranoid zu werden, und das habe ich geschafft. Wenn man jedoch merkt, wie das Schiff langsam untergeht, ist das schwer bis gar nicht auszuhalten. Es gab keine hoffnungsvollen Signale mehr. Und am Schluss dabei zu sein, wie das VAO komplett verkümmert, das wollte ich nicht. Das wäre wie ein Spitzensportler, der nicht aufhören kann und sich jedes Jahr schlechter platziert." ("Kein Spitzensportler, der nicht aufhören kann", Interview von Andreas Felber und Ljubisa Tosic mit Mathias Rüegg, in: Der Standard, Sa./So. 24./25. Juli 2010)
 
Solche Beiträge, welche die katastrophalen Auswirkungen der Finanzkrise auf die betroffenen Künstler verdeutlichen, wurden bei der Tagung des Europäischen Forum Alpbach im November 2009 in Innsbruck leider kläglich vermisst und hätten die Vortragsreihe um einen wesentlichen Beitrag bereichert.

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