29.06.2011

Autor*in

Dirk Heinze
Erhaltung der Theatervielfalt

Keine notdürftige Exzellenzförderung weniger Theater

Im Gespräch mit Kulturmanagement Network wünscht sich Weimars Noch-Theaterintendant Stephan Märki eine bedarfsgerechte, egalitäre Finanzierung für alle Thüringer Theater, gekoppelt mit einzelnen Risikofinanzierungen. Außerdem blickt er voraus auf seine bevorstehende Aufgabe als Leiter des Konzert Theater Bern.
Dirk Heinze: Herr Märki, Sie haben mit dem Weimarer Modell ein eigenes Umfeld geschaffen und das Haus vor der Fusion mit Erfurt gerettet. Wie sehen Sie die Perspektiven des Deutschen Nationaltheaters (DNT) vor dem Hinblick der bevorstehenden Verhandlungen mit dem Land Thüringen?
 
Stephan Märki: Dass das DNT Staatstheater geworden ist, verspricht eine größere Zukunftssicherheit als vorher, das ist klar. Aber es entlässt uns leider auch nicht aus den Ängsten vor den laufenden Kostensteigerungen. Zwar stehen wir nach dem aktuellen Strukturplan von Kultusminister Matschie neben Erfurt und Meiningen noch am besten da von allen Theatern in Thüringen. Aber auch wir haben das vergangene Jahr finanziell nur knapp überlebt, und jede bislang geplante Förderung deckt nur die laufenden Tarifsteigerungen, von allen anderen steigenden Kosten, die wir seit Jahren aus Strukturgeldern bezahlen, ganz zu schweigen.
 
Klar, die viel zitierte Freiwilligkeit der kulturellen Leistungen der Länder und Kommunen kann nur so weit gehen, wie Geld im Sack ist. Da stellt sich irgendwann die Frage danach, wieviel dem Land die Aufrechterhaltung kultureller Vielfalt wert ist - und was andere Pfunde sind, mit denen Thüringen wuchern und überregional glänzen kann. Eine bedarfsgerechte, egalitäre Finanzierung für alle Thüringer Theater, gekoppelt mit einzelfallartig zugesetzten Risikofinanzierungen, wäre vielleicht ein dritter Weg zwischen dem kontinuierlichen Absinken aller und einer notdürftigen Exzellenzförderung weniger Theater.
 
Heinze: Was meinen Sie mit "einzelfallartig zugesetzten Risikofinanzierungen"? Würde dies in der Praxis Rückzahlungen des jeweiligen Theaters an den Zuwendungsgeber bedeuten, wenn sich ein Theaterstück überraschend als Erfolg herausstellt?
 
Märki: Ob Zuwendungen bei "einzelfallartig zugesetzten Risikofinanzierungen" zurückfließen würden, ist eigentlich die nachgeordnete Frage: Die egalitäre Sicherung der Theater muss gewährleistet werden, und zwar so, dass 'riskantere' Projekte und Produktionen, die ggf. eine über die Sollfinanzierung hinausgehende Leistung benötigten, nicht ausgeschlossen, sondern in - zu regelnden - Bedarfsfällen umsetzbar werden. Das erforderte dann zwar andere Bewertungskriterien, entspräche aber nicht der Tendenz einer die universitäre Leuchtturmpolitik flankierenden künstlerischen 'Exzellenzförderung'. Es wäre sozusagen die Umkehrung dieses Exzellenzprinzips, um Exzellenz zu ermöglichen.
 
Heinze: Nun ist das DNT wieder in die Tarife des öffentlichen Dienstes zurückgekehrt. Ist es richtig, dass man das Weimarer Modell(1) immer nur für eine gewisse Zeit einsetzen sollte?
 
Märki: Man sollte das Weimarer Modell überhaupt nicht einsetzen müssen. Und ich bin auch nicht sicher, ob es eine zukunftsträchtige Lösung für strukturelle Finanzierungsdefizite ist. Das Weimarer Modell diente in erster Linie der Rettung einer Sparte des Hauses, nämlich der Oper und damit auch der Rettung der Eigenständigkeit des Hauses. Es hat aber gerade durch seinen temporären Erfolg gezeigt, dass es keine dauerhafte Möglichkeit darstellt, ein Haus auf einem adäquaten künstlerischen Niveau, das berechtigterweise eingefordert wird, zu führen.
 
So einfach es klingt, diese Forderung zu stellen: Kunst, Theater, ist ein unheimlich wichtiger Faktor für eine gesunde Zivilgesellschaft und bedarf einer grundlegenden Finanzierungsgarantie, wenn sie einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können soll. Wir machen es uns ja nicht leicht und ringen mit den Subventionsgebern um Möglichkeiten. Aber eine funktionierende Gesellschaft braucht das Theater und die Kunst. Das kann man überall dort sehen, wo Stadtteile spätestens dann veröden, wenn die künstlerischen Institutionen dort schließen, dann ist das Leben raus.
 
Dass an solchen Rechnungen keine cash-out-Bilanzen erstellt werden können, ist zwar richtig. Aber erstens soll Kunst- und Kulturproduktion nicht der Geldproduktion dienen, und zweitens erweist sich verantwortungsvolles (Kultur-)Wirtschaften in der Langfristigkeit. Das Modellhafte am Weimarer Modell war denn auch, dass sich interne Strukturen langfristig verbessert haben und die Sparten nun miteinander und nicht in Konkurrenz zueinander arbeiten.
 
Heinze: Was geben Sie an ihren Nachfolger weiter, was wünschen Sie sich von ihm?
 
Märki: Ich möchte meinem Nachfolger keine Ratschläge geben, falls Sie das meinen. Ich gebe an ihn jedoch ein Haus weiter, das leidenschaftlich für sein Theater arbeitet. Und ich wünsche mir von ihm, dass er das zu schätzen weiß, es fördert und sich bemüht, das Haus weiter nach vorne zu tragen - im Kontakt mit der Stadt und darüber hinaus.
 
Heinze: Wenn Sie vorausblicken: wie sieht die Zukunft der Thüringer Theaterlandschaft aus, um sie nachhaltig zu sichern, gibt es Chancen dafür, oder sind sie eher skeptisch?
 
Märki: Die Finanzierungsvorschläge, die das Kultusministerium vor einigen Tagen hat verlautbaren lassen, zeigen nicht in die Richtung immer gelöster Probleme; wie auch.
 
Momentan kann man nur hoffen, dass, insbesondere was die Situation der Thüringer Orchester angeht, eine Lösung gefunden wird, die nicht dazu führt, dass wir in Thüringen über kurz oder lang nur noch eine Staatskapelle und ein anderes Landesorchester haben, die durch die Städte tingeln müssen. (2) Es ist zwar ehrenwert, die Wiedereinsetzung des Flächentarifvertrages anzustreben. Aber wenn dies letztendlich auf Stellenstreichungen hinausläuft, weil die Mehrkosten nicht finanziert werden, handelt es sich wirtschaftlich um eine Milchmädchenrechnung und künstlerisch um einen Kurzgriff. Es ist eine Aufgabe für das gesamte Regierungskabinett und nicht allein für den Kultusminister. Solange das Land also nicht bereit ist, die dadurch entstehenden Mehrkosten zu übernehmen, oder mit den Kommunen eine Lösung findet, bleibt Skepsis die realistische Blickhaltung.(3)
 
Heinze: Sie verlassen ein schwieriges Umfeld, gehen aber auch in ein nicht minder schwieriges Umfeld nach Bern (4). Soweit wir wissen, wurde für die Intendanz zumindest ursprünglich eher ein Manager als ein Künstler für die Intendanz gesucht. Wie konnten Sie die Beteiligten vor Ort überzeugen, dass Sie der Richtige sind?
 
Märki: Mir fällt es schwer, das eine vom anderen zu trennen. Als Theaterleiter ist man immer beides und das Manageriale ist immer Mittel zum Zweck, im Theater also Mittel zur Kunst. Das Wichtigste am Managersein in Bern ist vielleicht, ein Gleichgewicht zwischen der künstlerischen Autonomie der einzelnen Sparten zu gewährleisten, gerade jetzt mit der Fusion des Orchesters. Darin habe ich als Direktor natürlich eine ausgewiesen künstlerische Funktion, denn ohne künstlerische Kompetenz sind auch manageriale Ansprüche in einem Theater nicht zu erfüllen. Darin sind Parallelen zu Weimar erkennbar, sowohl was den strukturellen Aufbau des Hauses als auch was die Bindung des Hauses an Stadt und Region angeht. Darin, denke ich, stellt Bern eine vergleichbare Herausforderung dar.
 
Heinze: Was sind Ihre Pläne für Bern - wie wollen Sie das Haus positionieren - eher regional oder international? Welche Schwerpunkte möchten Sie inhaltlicher Art setzen?
 
Märki: Wie Sie wissen, bin ich in der nächsten Spielzeit zu "25%" Direktor in Bern und meine inhaltlichen Schwerpunkte liegen noch auf Weimar. Deshalb wäre es nicht seriös, jetzt Pläne zu veröffentlichen, die für die übernächste Spielzeit gerade mit den entsprechenden Teammitgliedern diskutiert werden. Aber die Reihenfolge ist klar: Das Gewicht liegt auf der Wiedergewinnung des städtischen und regionalen Publikums und der Wiederherstellung der künstlerischen Sichtbarkeit des Theaters in der Stadt. Das ist die erste und die Pflichtaufgabe. Es geht nicht darum, groß zu tönen und zu behaupten, Basel, Zürich oder Hamburg Konkurrenz zu machen. Wenn wir die Herzen der Stadt erobert haben, werden wir ja sehen, wie es weitergeht.
 
Heinze: Schränkt Sie das von der Politik vorgegebene Modell eher ein oder birgt es eher Chancen für einen langfristigen Erfolg?
 
Märki: Ich bin dem Stiftungsratspräsidenten Hans Lauri und auch dem operativen Geschäftsführer Marcel Brülhart sehr dankbar, wie sie diese nicht ganz einfache Übergangsphase mitgestalten und mir viele Dinge erleichtern. Und wenn man sich das Modell genau ansieht, unterscheidet es sich kaum von dem Modell eines deutschen Stadttheaters oder das eines Staatstheaters. Jedes öffentlich subventionierte Haus hat sinnvoller Weise Kontrollgremien, die auch in Teilen politisch sind, jedoch keine künstlerische Entscheidungsgewalt haben. So ist es auch in Bern: Was dort der Stiftungsrat ist, ist beispielsweise in Weimar der Aufsichtsrat. Der intensive Austausch, den wir miteinander haben und der bislang nur konstruktiv und produktiv war, verspricht also Chancen für einen langfristigen Erfolg.
 
Heinze: Wir wünschen Ihnen diesen Erfolg und bedanken uns für das Gespräch.
 

Anmerkungen

1) Das Weimarer Modell (20032008) beinhaltete (Quelle: Wikipedia.de):
 
  • die wirtschaftliche Autonomisierung des Theaters durch die Umwandlung des städtischen Eigenbetriebes in eine selbständige GmbH und damit einhergehend die Stärkung der Verantwortung der Theaterleitung
  • die Einsetzung eines Geschäftsführers, der gemeinsam mit dem Generalintendanten das Theater leitet sowie nach außen und innen vertritt.
  • den Austritt aus dem Kreislauf steigender Tarife bei gleich bleibenden oder abgesenkten Subventionen und mithin sinkenden künstlerischen und Personalbudgets
  • die damit verbundene auch materielle Stärkung der künstlerischen Prozesse
  • die Flexibilisierung der Strukturen am Theater als Resultat der Suche nach den künstlerisch und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreichsten Prozessen
  • die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit des Theaters als Unternehmen und darin jedes einzelnen Mitarbeiters
  • den Erhalt aller Ensembles und Sparten.
2) Siehe dazu auch die Beiträge von Dirk Heinze zum Theater- und Orchesterstreit in Thüringen (http://www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__110/cs__11/index.html), Antje Klahn über die Ernennung des Nationaltheaters Weimar zum Staatstheater (http://www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__607/cs__11/index.html) sowie das Interview mit DNT-Geschäftsführer Thomas Schmidt unter dem Titel "Die Ansprüche sind gewachsen" (http://www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__1762/cs__11/index.html)
 
3) Kurz nach dem Gespräch mit Stephan Märki hat Kultusminister Christoph Matschie laut Pressemeldungen eine Erhöhung des Landeszuschusses von knapp 17 auf 18,1 Millionen Euro angeboten, wenn die Stadt Weimar ebenfalls ihren Finanzierungsanteil erhöht (http://www.radio-lotte.de/nachrichten?date=2011-06-29)
 
4) Siehe dazu den Beitrag von Walter Boris Fischer: http://www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__1702/index.html
 

Zum Gesprächspartner

Stephan Märki ist in Bern geboren und in Basel aufgewachsen. Als Fotograf und Werbeleiter war er in einer Werbe- und Presseagentur tätig, bevor er in München eine Schauspielausbildung absolvierte. Es folgten verschiedene Engagements bei Theater, Film und Fernsehen, bis er 1985 das Teamtheater München gründete, dem er sowohl als Geschäftsführer wie auch als künstlerischer Leiter vorstand. Von 1993 bis 1997 war Stephan Märki Intendant des Hans-Otto-Theaters Potsdam. Anschließend arbeitete er als freier Regisseur und erhielt 1999 eine Gastprofessur am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Weitere Gastdozenturen führten ihn 2007 im Rahmen der Seminarreihe "Verflüssigung: Ästhetik & Management" an die Universität St. Gallen und zum Thema "Weltkulturerbe oder Erblast? Über die Zukunft des Stadttheaters" an die Universität Zürich.
 
Seit September 2000 ist Stephan Märki Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Hier führte er Regie bei den Comedian Harmonists von Gottfried Greiffenhagen (1998), Lulu von Frank Wedekind (2001), Werther. Sprache der Liebe (2003) von Kristo Sagor nach Goethe und Maria Stuart von Friedrich Schiller. Auf dem Rütli in der Schweiz inszenierte er 2004 Schillers Wilhelm Tell anlässlich des 200. Jahrestages der Uraufführung. In der Spielzeit 2007/08 kam mit Giacomo Puccinis Tosca seine erste Musiktheaterinszenierung auf die Bühne des Deutschen Nationaltheaters Weimar. In der aktuellen Saison wird er Elektra von Richard Strauss inszenieren.
 

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