03.05.2012

Autor*in

Armin Klein
war bis 2017 Professor für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der PH Ludwigsburg. Er ist Autor zahlreicher Standardwerke zum Kulturmanagement und Mitherausgeber des International Journal of Arts Management. Seit seiner Emeritierung 2017 ist er Berater für Kulturbetriebe und gibt Seminare und Workshops im Fortbildungsbereich. 
Stephan Opitz
Dieter Haselbach
ist habilitierter Soziologe und arbeitet seit über 20 Jahren als Kulturberater und -forscher. Er unterrichtet regelmäßig an deutschen und internationalen Hochschulen. Seit 2014 ist er Direktor des Zentrums für Kulturforschung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von Planungsprozessen und Strategien für Institutionen, Change Management in der öffentlichen Verwaltung sowie Führungs- und Konfliktcoaching. 
Pius Knüsel
studierte Germanistik, Philosophie und Literaturkritik. Anschließend war er unter anderem als Journalist und Kulturredakteur tätig, bevor er Leiter Kultursponsoring der Credit Suisse Bank und Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia wurde. Heute ist er Direktor der Volkshochschule Zürich, Publizist und Kulturvermittler und lehrt Kulturmanagement, Kulturpolitik und Kulturkritik an Schweizer Hochschulen.
Kulturförderung

Der Kulturinfarkt - Interview mit den Autoren (Teil III)

Das Buch »Der Kulturinfarkt« löste eine lautstarke Debatte über die Zukunft der Kulturförderung aus. Wir trafen die Autoren zum Exklusivinterview und veröffentlichen dies als Serie hier auf unserem Portal.
Das Interview führte Dirk Heinze.
 
KMN: Sie schreiben davon, dass der Aufbau der Kulturlandschaft, so wie wir sie heute kennen, planlos stattgefunden hat. Was meinen Sie damit? Kann man denn überhaupt die Entstehung von Kunst, kann man Kulturentwicklung planen?
 
Autorenteam: Wie sich Kunst entwickelt, kann natürlich niemand planen. Wenn es um den Kulturbetrieb geht, ist eins sicher: der Auf- und Ausbau seit 1970 geschah auf Zuruf und politisch im Huckepack-Verfahren mit der Bildungsdebatte. Diese Debatte begann Mitte der 60er Jahre, wurde parlamentarisch abgesichert, also legislativ bearbeitet. Die Kultur fuhr im Rucksack mit. Bis zur Enquete-Kommission gab es keine einzige parlamentarische Debatte über die Kultur auf Bundesebene. Es gab verschiedene Ansätze in den Kommunen, mit den Haushaltsschwierigkeiten von 1990ff. fertigzuwerden. Es gab dann 2008 bei der Lehman-Pleite eine gewisse Panik auf Länder- und kommunaler Ebene. Mehr gab es nicht. Der schlechte Trainingszustand, den wir gerade in der Argumentation bei den Zimmermännern & Co. beklagen, der rührt genau daher.
 
Der Aufbauprozess geschah auf Zuruf. Wenn Hilmar Hoffmann ein Museum in Frankfurt nicht mehr gefallen hatte, hat er nicht etwa mit den Leuten dort über mögliche Veränderungen geredet, sondern er hat einfach ein neues Museum gegründet. Auf diese Weise ist der unkoordinierte Aufwuchs entstanden.
 
Lassen Sie uns einige Beispiele geben: Wir hatten bis weit in die 90er Jahre im Musikschulbereich im wesentlich über die kommunalen Musikschulen berichtet, die im VDM zusammengeschlossen sind. Interessanterweise wird dieser Markt inzwischen zunehmend auch von privaten Trägern erschlossen. Es gibt mittlerweile fast so viele private wie öffentliche Musikschulen, mit dem wesentlichen Unterschied, dass die öffentlichen Musikschulen vom Staat finanziert werden und die privaten nichts bekommen. Angesichts der Finanznot könnten sich die Gemeinden jetzt überlegen, den Auftrag für Musikunterricht öffentlich auszuschreiben. Der, der es qualitativen Standards zufolge am besten und günstigsten macht, der kriegt den Zuschlag.
 
Zweites Beispiel Vereinigung. Die alte Bundesrepublik hatte 80 Theater und 60 Mill. Einwohner. Die DDR hatte 13 Millionen Einwohner, aber auch 80 Theater. Dass da eine gewisse Konsolidierung stattfinden musste, war klar aber diese Diskussion ist nicht offen, sondern immer defensiv geführt worden. Weimars ehemaliger Kulturreferent Lutz Vogel sagte mir einmal, wenn wir Suhl noch das Sinfonieorchester wegnehmen, haben die gar nichts mehr. Aber er wusste, dass man in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern fast kein Publikum hatte. Gleichzeitig konnte das Orchester schlecht auf Tournee gehen, denn in fast allen anderen Thüringischen Städten gab es ebenfalls eigene Ensembles. Man hat also nicht überlegt, was noch sinnvoll ist und welche neuen Formen möglich wären. Ähnlich die Situation beim Südwestrundfunk. Das fusionieren zwei Sender mit insgesamt drei Orchestern, und die Orchester sagen, ihr könnt alle Abteilungen des Rundfunks zusammenlegen, aber die Orchester müssen als eigenständige Klangkörper erhalten bleiben, weil so die Argumentation man nicht einen Burgunder mit einem Bordeaux zusammenschütten könne.
 
Drittes Beispiel: Eine Studie zu den Theater in Ostdeutschland nach der Wende brachte das Ergebnis, dass man die Spielstätten verdoppelt hat. Man nutzte vielleicht leerstehende Immobilien, um sie mit Kultur bespielen. Das macht es wiederum schwierig, eine Debatte über das richtige Maß zu führen. Es gibt auch Gegenbeispiele. Das Land Brandenburg hat frühzeitig im Zuge des demographischen Wandels und der finanziellen Leistungskraft eine "Kulturpolitik auf Sicht" gemacht, in dem es das Landesengagement reduziert auf eine bestimmte Zahl von Institutionen. Was die Kommunen darüber hinaus fördern, ist ihre Sache. Es gibt durchaus gute Beispiele von Kommunen mit gelungenen Abwicklungen, aber grundsätzlich herrschte die Verteidigungshaltung, wo sich etwas verändern sollte, könne man nicht heran.
 
Es gibt einen interessanten Artikel aus "Theater heute" von 1993 von Michael Merschmeier, wo er Peter Stein zitiert, der sagte, man sollte doch überlegen, eine ganze Reihe von Bühnen zu schließen und nur die qualitätsvollen erhalten. Im Gegenzitat sagte Heiner Müller für die ehemalige DDR das gleiche. Es sei viel geschickter, man würde Busse zu den Theatern hinfahren und denen richtig viel Geld geben, damit sie etwas Vernünftiges anbieten, anstatt dass jede Provinzstadt ihr eigenes Theater unterhält. Auch damals hat das einen riesigen Aufschrei gegeben ähnlich wie jetzt bei uns, aber diese Forderung unter dem Prinzip "Klasse statt Masse" kam von den Künstlern selbst!
 
Im Handelsblatt steht heute (30.3.), wenn sie in Frankfurt a.M. wohnen, dann haben sie im Umkreis von 100 km 6 Opernhäuser: Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, Gießen, Darmstadt und Heidelberg. Und davon machen 3 das gleiche Wagner-Programm in einer Spielzeit. Das ist doch Wahnsinn!
 
Hinzu kommt noch ein anderes Ungleichgewicht. Die großen Museen Deutschlands, aber auch Bibliotheken und Archive, haben so gut wie keine Ankaufsetats sowie keine konservatorische oder wissenschaftliche Betreuung ihrer Sammlungen mehr. Sie haben kein ausreichendes Personal mehr, um ausreichend Öffnungszeiten zu gewähren, wie man es im Grunde genommen von einer Bibliothek erwartet. Siegfried Ehrmann wird im Handelsblatt zitiert, dass er zwar stolz darauf ist, dass in Moers er zwar die Öffnungszeiten reduziert hat, die Bibliothek aber nicht schließen musste. Wir sagen, eine Bibliothek, die nicht mindestens 10 Stunden am Tag offen halten kann, ist keine - dann kann man sie auch schließen. Es gibt von Gerhard Polt einen wunderbaren Sketch, wo er ein Heimatmuseum beschreibt, das donnerstags von 12.30 Uhr bis 13.00 Uhr geöffnet hat und dort kann man einen alten Schuh betrachten. Dies wäre die Karikatur, aber dort genau ist der Punkt. Wir begnügen uns an allen Ecken und Enden damit, einen halblebendigen Zustand erträglich zu gestalten.
 
Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Volker Rodekamp, äußerte in ruhigen Zeiten - vor dem Erscheinen des Kulturinfarkts - Bedenken darüber, wenn die Gründungsrate bei Museen so weiterginge, wir 2050 einen Zustand erreichen, wo auf 2500 Einwohner ein Museum kommt. Er meinte, das sei nicht vertretbar. Kaum erschien unser Buch, hatte er diese Äußerung vergessen und sagte, der Bestand an Museen wäre nicht zu diskutieren. Ergo: das, was wir haben, können wir nicht mehr bezahlen, wir sehen keine zusätzlichen Mittel, also muss man ein robustes Denkmodell finden, wie man mit diesem Problem umgeht. Genau hier setzen wir mit unserem Denkmodell an: "Was wäre, wenn ". Wir haben nicht gefordert, es müsse überall die Hälfte gestrichen werden.
 
Wir können andererseits ruhig ein wenig fordern. Bleiben wir also ruhig bei der Hälfte der Kultureinrichtungen. Damit wären wir bei einer Infrastruktur, wie wir sie etwa Anfang der 80er Jahre gehabt haben. War es damals wirklich so schlimm? Herrschte etwa ein kultureller Versorgungsnotstand? Gab es keine Bücher, kein Theater, keine Museen? Der Aufbruch war aus ganz anderen Gründen motiviert. Es ging um die Segmentierung der Gesellschaft in soziale Gruppen und intellektuelle Nischen voranzutreiben. Mit der Hälfte kehrten wir quasi wieder zur kulturellen Grundversorgung zurück.
 
Autorenteam: Das Wort Grundversorung klingt nun wirklich dermaßen nach AOK oder Stadtwerken. Kulturelle Grundversorgung muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
 
KMN: Auch die Zeitschrift "Das Orchester" titelte im März "Regionaltheater - kulturelle Nahversorger" - das klingt auch nicht schöner.
 
Autorenteam: Im Zuge dessen, dass öffentliches Geld weniger wird, werden die großen Einrichtungen einschließlich Stadttheater oder Universalmuseen von der Kulturpolitik getrimmt, so genannte Leuchttürme zu werden. Für die Leuchtturm-Metapher in der Kultur bekommt man viel Zustimmung. Wenn aber alle Leuchttürme sind, kann niemand mehr etwas sehen. Wenn alle strahlen, ist es für alle dunkel. Wenn alle Städte miteinander über die Kultur konkurrieren, um Profil zu gewinnen, steigen nur die öffentlichen Schulden.
 
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Teil 4 der Interviewserie veröffentlichen wir am Donnerstag, den 10.5.
 
 
 

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