19.08.2014

Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Erfolgskonzept des Unperfekthauses

Freiheit ist das wichtigste

Reinhard Wiesemann, Gründer und Geschäftsführer des Unperfekthauses in Essen, ist ein Mäzen der Kunst. Vielmehr sieht er sich aber als Advokat der Gäste, der die Kultur zu den Menschen bringt. Wiesemann ist kein ausgebildeter Kulturmanager, beruflich nie im Kulturbetrieb tätig gewesen und gerade deswegen dort erfolgreich, künstlerisch, finanziell und unternehmerisch. KM im Interview mit einem bescheidenen Visionär und sein kreativwirtschaftliches Erfolgskonzept.
Das Interview führte Kristin Oswald.

KM: Herr Wiesemann, wie ist das Unperfekthaus entstanden?
Reinhard Wiesemann: Die Idee für das Haus entstammt meiner eigenen Geschichte. Ich hatte als Jugendlicher bei meinen Eltern einen Hobbykeller und konnte da machen, was ich wollte. Nachdem ich einige Firmen gegründet hatte, wollte ich anderen dasselbe ermöglichen kreativ zu sein, Träume umzusetzen, zu tun, was sie schon immer wollten, ohne Bewerbung, ohne Auswahlverfahren und Qualitätskriterien. Wir sind für die Künstler also ein Werkzeug und das ist gut so. Dafür sind sie verpflichtet, ihre Ideen öffentlich zu umzusetzen, damit ein interessantes Haus entsteht. Das ist das Businesskonzept, deshalb kommen die zahlenden Gäste.

KM: Hat dieses Konzept von Anfang funktioniert, auch finanziell?
RW: Ich habe immer das Ziel Dinge zu machen, die sich selbst tragen. Ich finde es nicht gut, sich darauf zu verlassen, dass das Geld von woanders kommt. Aber man muss an den Besucher denken. Am Anfang dachte ich, wenn man die Leute einfach machen lässt, wird es von allein interessant. Aber das klappt nicht. Ich war enttäuscht, dass zu unseren Ausstellungen und Konzerten so wenig Besucher kamen. Aber bei anderen Orten, wie Kleinkunstbühnen, ist es auch so. Also machen wir es umgekehrt, die Künstler kommen zum Publikum. Wenn Menschen für Hochzeiten, Schulungen oder Firmenfeiern ins Haus kommen, treffen sie hier immer auch die Künstler. Das läuft hervorragend, seit ich uns 2008 zu den Advokaten der Gäste gemacht habe.

KM: Gibt es weitere Visionen oder sind Sie mit dem Erfolg des Unperfekthauses zufrieden?
RW: Ich investierte ständig in neue Projekte. Meist entstehen die aus spontanen Ideen. Das Unperfekthaus ist ein Zentrum für fast alles Kreative im Umkreis von 70 km. Da bekommt man auch oft Projekte vorgeschlagen. Zum Beispiel gibt es zwar Atelierhäuser in jeder Stadt, aber die sind vor allem auf die Kunst und wenig nach außen gerichtet. Das ist einer der Hauptnutzen des Unperfekthauses. Dafür haben wir nun in der Nähe ein Hotel gebaut, ein Luxushotel. Der Sinn ist, dass die Kreativszene mit Leuten zusammen kommen soll, die Geld haben. Das ist für beide wichtig. Die mit Geld kommen auf neue Ideen und finden Leute, mit denen sie zusammenarbeiten können. Und die Kreativszene kann auch nicht nur von Luft und Liebe leben.

KM: Würden Sie sagen, dass Ihre Ideen und Konzepte wie das Unperfekthaus an Sie gebunden sind? Oder könnte man sie auch übertragen und an anderen Orten etablieren?
RW: Wir haben viele Besucher von Verwaltungen oder Immobiliengesellschaften, die die Idee gern für eine andere Stadt adaptieren würden. Ich führe sie herum und erkläre alles oder biete mich als Berater an. Aber es scheitert eigentlich immer daran, dass Leute so einem Haus nicht so viele Freiheiten geben wollen. Die meisten haben bestimmte Vorstellungen, einen Stil im Kopf, und das ist tödlich. Die Freiheit macht es aus.

KM: Wie sieht Ihre Vision aus? Wohin soll das Haus sich mal entwickeln?

RW: Ich lasse mich überraschen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Wir machen viel, aber das folgt keinem größeren Plan. Wir haben mit dem Unperfekthaus angefangen. Dann haben wir kürzlich das Ge-Ku-Haus eröffnet. Das ist das gleiche Prinzip wie das Unperfekthaus auf die Seniorenszene bezogen: die Besucher dorthin locken, wo die tollen Sachen sind; kostenlos für die Aktiven, Finanzierung durch die Besucher. Schließlich haben wir gerade noch ein großes Projekt in Kooperation mit der evangelischen Kirche. Dabei geht es darum, diese als Veranstaltungsort zu nutzen. Es finden weiterhin Gottesdienste statt, aber auf gleicher Ebene, wie alle anderen Veranstaltungen. Wir dürfen atheistische oder muslimische Veranstaltungen dort machen, Barcamps, Betriebsfeiern, Geburtstage. Dabei geht es darum, dass die Kirche sich öffnet, aber auch die Leute. Die Idee kam von mir, aber dass sie so etwas macht, finde ich ein starkes Zeichen.

KM: Kann man sagen, dass hier so etwas wie ein Unperfektviertel entsteht?
RW: Es gibt einen Artikel, der das als Überschrift hat. Aber das finde ich nicht gut. Man darf nicht alles unter einem Dach vereinen. Wir machen eine Menge, aber die anderen, die Stadt Essen oder das Kulturbüro, sollen ruhig etwas anderes machen. Ich glaube nicht, dass ein Prinzip für alle gut ist.

KM: Ist denn Tourismus auch eine Zielgruppe des Hauses?

RW: Ja und zwar mehrere Arten von Tourismus. Es gibt natürlich die Essen-Touristen, die zu uns kommen. Wir stehen unter den Top 10 der Sehenswürdigkeiten und waren auch bei der Ruhr 2010 integriert. Das war ein kleiner Turbo-Effekt für uns. Das neue Hotel soll speziell Business-Leute ansprechen auch eine Art von Tourismus. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Daneben wird es glaube ich neue Arten von Tourismus geben. Ich plane zum Beispiel ein Hotel für Coworking-Touristen. Diese selbstständigen Spezialisten reisen, weil sie überall arbeiten können. Sie haben zwar keine Kollegen, möchten aber auch von Zeit zu Zeit ein fachliches Umfeld haben und sich austauschen. Dafür können Sie hierher kommen.

KM: Das heißt Sie haben keine Angst vorm Ausprobieren, vorm Scheitern oder davor, dass Sachen nicht funktionieren könnten? Ist das das Geheimnis?
RW: Nein, das Geheimnis besteht darin, den Schaden des Scheiterns zu begrenzen. Die Angst kommt daher, dass man Scheitern für etwas Schlimmes hält. Ein Grund, warum das Unperfekthaus so gut funktioniert, ist, dass die Kreativen sich hier ausprobieren können ohne Risiko und wenn etwas nicht funktioniert, wird etwas Neues probiert. Ich habe ständig Ideen und verliebe mich in diese. Das ist auch die Motivation. Aber oft klappt es dann nicht. Deswegen sollte man nicht alles auf eine Karte setzen, sondern vorsichtig testen und sicherstellen, dass das nicht der Untergang ist. Vielleicht ist die nächste Idee die erfolgreiche. Es muss immer eine Basis zum Überleben bleiben und eine Grenze geben, in deren Rahmen man ausprobieren kann, innerhalb derer man keine Sponsoren braucht, keine Verantwortung gegenüber hat. Sie zu achten, ist für mich ein Geheimnis. Man muss die Ideen klein beginnen und individuell Sachen probieren. Aber man will lieber Zusammenarbeiten, Teamfähigkeit wird verherrlicht. Der Gedanke, dass man gemeinsam stark ist, ist immer noch heilig. Dabei kann man sich auch gegenseitig beobachten, jeder probiert eigene Dinge aus und man kann von dem lernen, was der andere macht. Damit hat man mehr Ideen und Blickwinkel, als wenn man sich einigt.

KM: Nun fehlt gerade in der Kultur die Lobby, die Aufmerksamkeit oder das Relevanzverständnis. Ist es dafür nicht trotzdem notwendig, zusammen zu arbeiten?
RW: Zur Relevanz von Kultur gehören ganz andere Themen. Wichtig fände ich zum Beispiel, den spill-over-Effekt von Kultur in andere Bereiche der Gesellschaft zu betonen, zum Beispiel die Besonderheit der Ergebnisse, wenn Künstler in kommerzielle Unternehmen kommen. So etwas sollte die Kultur mehr für sich nutzen. Anstatt also zu sagen, sie sei ein Luxus für die Freizeit, etwas Wertvolles, sollte man sagen: Man verdient mit Kultur auch Geld.

KM: Hat die Kunst im Unperfekthaus auch solche spill-over-Effekte?
RW: Bevor ich das Haus eröffnet habe, hatte ich zu kulturellen und künstlerischen Sachen keine Berührung, sondern eher Angst davor. Da habe ich in den letzten zehn Jahren sehr viel gelernt und nur gute Erfahrungen gemacht. Hier definieren sich die Leute über ihr Tun, nicht über Geld, Herkunft, Geschlecht oder Alter. Das hat einen interessanten Effekt, denn dann sind die Grenzen weg, alles was separiert, spielt keine Rolle. Insofern ist das Haus auch ein soziales Projekt, denn es ist gut für das Leben und das Umfeld. Aber es gibt keine Gemeinschaftsprojekte unter unserem Decknamen, die kommen von den Künstlern selbst. Jeder kann natürlich das, was man hier lernt, in Projekten vermitteln. Aber wichtiger ist die Freiheit. Ich hätte ein Problem damit, dass man dem Unperfekthaus etwas überstülpt.

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