07.07.2022

Autor*in

Lisa Bergmann
ist Bildende Künstlerin und Kuratorin. Sie war von 2018 bis 21 Vorsitzende des Karlsruher Künstlerhauses und hat dort wichtige Strukturmaßnahmen umgesetzt. Jetzt ist sie Teil des Karlsruher Social Start-Up ato. Steady Income erzielte sie vor der Pandemie vor allem als freie Veranstaltungsfotografin, seitdem als Lehrerin einer Berufsschule.
Christian Müller
ist Theaterregisseur und hat die Gründung des Bündnisses von Anfang an begleitet. Er ist Teil der Stuttgarter Performancegruppe 
Citizen.KANE.Kollektiv, die eine erste Förderung der Bündnisstruktur durch den Fonds Darstellende Künste beantragt hat.
Gerechte (Arbeits-)Bedingungen für den freischaffenden Kulturbetrieb

Strukturwandel im Kulturbetrieb dringend gewünscht

Die Mindestgage für Solobeschäftige und Bühnentechniker:innen im Theater steigt ab September 2022 in zwei Stufen und wird ab der Spielzeit 2023/24 dynamisiert. Die finanzielle Situation von Bühnenkünstler:innen wird sich damit künftig verbessern. Ein richtiger und wichtiger Schritt hin zu einem Strukturwandel, den auch andere Bereiche des Kulturbetriebs dringend brauchen, damit freischaffende Kulturarbeiter:innen auch in Zukunft ihren Beruf ausüben und vor allem davon leben können. Darauf machen unsere beiden Autor:innen (ganz unabhängig von den Entwicklungen der Tarifverhandlungen im Theater) aus den Perspektiven einer Freien Künstlerin und eines Freien Regisseurs aufmerksam.
Der Kulturbetrieb ist seit Jahrzehnten unterfinanziert. In Deutschland arbeiten rund 1,2 Millionen Menschen in diesem Sektor. Das sind 400.000 Personen mehr als in der Autoindustrie, inklusive deren Zuliefer:innen. Von den rund 1,8 Millionen Kulturarbeiter:innen sind ca. 30 Prozent Freiberufler:innen. Von ihnen verdienen nur ca. 14 Prozent mehr als 17.500 Euro jährlich.[1] 
 
Feste Stellen werden kontinuierlich abgebaut und durch oftmals schlecht bezahlte Freiberufler:innen ersetzt. Bei den Einkünften der freiberuflichen Bildenden Künstler:innen sieht es noch düsterer aus - 65 Prozent von ihnen erzielen unter 5.000 Euro brutto im Jahr mit ihrer Kunst, bei gleichzeitig regen Engagements.[2] Hier mangelt es noch immer an rechtlichen Verpflichtungen für Veranstalter:innen, erbrachte Leistungen als solche anzuerkennen und bezahlen zu müssen - auch im kommunalen Bereich.
 
‘Das Bündnis für gerechte Kunst- und Kulturarbeit Baden-Württemberg’ hat sich vor eineinhalb Jahren gegründet, um in spartenübergreifenden Gesprächen und im Austausch zwischen Freien und institutionell Arbeitenden zu gemeinsamen Forderungen an die Politik zu finden. Gründungsimpuls war die Absage des "Innovationsfonds Kunst" im Mai 2020. Ein Zusammenschluss von Einzelkünstler:innen und Institutionen konnte daraufhin in einen konstruktiven Dialog mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst treten. Nach Monaten intensiver Arbeit im Bündnis kristallisiert sich deutlich heraus, dass nicht weniger als ein umfassender Strukturwandel nötig ist. 
 
Die damit verbundenen Forderungen lassen sich zusammenfassen unter dem Gesichtspunkt nachhaltiger Transformation: 
 
  • gerechte Bezahlung und gerechte Arbeitsbedingungen; 
  • ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit; 
  • Anti-Diskriminierungs- sowie Anti-Rassismus-Maßnahmen; 
  • Quotenregelungen; 
  • Mitsprache an politischen Entscheidungsprozessen. 
Spartenübergreifender Erfahrungsaustausch notwendig
 
Es fällt auf, dass in Öffentlichkeit und Politik einerseits große Missverständnisse herrschen über die Bedingungen der Arbeit im kulturellen Feld. Beispielsweise ist kaum bekannt, dass Bildende Künstler:innen für Ausstellungsbeteiligungen keine Vergütung erhalten. Andererseits gibt es durch eine historisch gewachsene Kategorisierung in künstlerische Sparten wenig Austausch der Professionellen untereinander. Gerade dieser Erfahrungsaustausch erweist sich im ‘Bündnis’ als besonders wertvoll. 
 
Es zeichnen sich deutliche Unterschiede in der Durchsetzungsfähigkeit eigener Interessen ab. Hier kann viel von den gut organisierten Berufsverbänden der Darstellenden Künste abgeschaut werden. So wird im Dialog deutlich, dass die Forderungen der einzelnen Sparten vor unterschiedlichen Hürden und an unterschiedlichen Markierungen stehen. Selbstverständliche Standards in der einen Sparte - beispielsweise die Honoraruntergrenzen-Empfehlung des Bundesverbands Freie Darstellende Künste als Argumentationshilfe - sind in anderen noch lange nicht in Umsetzung. Zum Teil ist einigen Künstler:innen noch nicht bewusst, wie statthaft die eigenen Forderungen sind. Aufklärung und Empowerment sowohl bei Erfahrenen, aber vor allem auch als Teil der Ausbildung im Studium, sind nötig für eine starke Allianz der Berufstätigen. So könnten sie diese Hürde abbauen und einheitlich auf arbeitsrechtlichen Minimalvorgaben bestehen. Auf lange Sicht stärkt die Umsetzung von Mindestforderungen jede:n Einzelne:n in der Branche, und das sollte erklärtes solidarisches Ziel sein.
 
Künstlerische Akademien und Ausbildende müssen sich das Thema zu eigen zu machen, um einem missverstandenen Individualismus in Form längst überholter Genie- und Einzelkämpfer-Fantasien nicht länger nachzuhängen. Denn kein:e Künstler:in wird bekannt, die nicht in gut funktionierenden Netzwerken eingebunden ist, für die sich nicht andere stark machen. Die Bildende Kunst steht genau wie andere kulturelle Sparten in sozialen Zusammenhängen. Diesen Umstand zu verschweigen bedeutet, ein proto-neoliberales Phantasma künstlerischer Arbeit lebendig zu halten, in dem es keine Abhängigkeiten von gesellschaftlichen Gefügen gibt, und in denen Künstler:innen keine täglichen Ausgaben für Lebensunterhalt, Miete und Material haben.
 
Freiheit braucht lebenswerte Bezahlung
 
Das Schlagwort "Freiheit" wird in politischen Diskussionen nur zu oft zweckentfremdet und gegen die Bedürfnisse von Künstler:innen instrumentalisiert: Für Künstler:innen besteht Freiheit in einer lebenswerten Bezahlung ihrer Leistungen. Nur so gewinnen Menschen Zeit, ihrer Kunst nachzugehen, statt in einem ungelernten und prekären zweiten Erwerb nach Feierabend einzubringen, was im ersten nicht verdient wurde. Solche ausbeuterischen Ausgangssituationen aber perpetuiert die deutsche Kulturpolitik nach wie vor, indem sie in dieser Hinsicht seit 2005 stillsteht. Immer noch kämpfen freiberufliche Bildende Künstler:innen für eine bundesweite Festschreibung ihrer Arbeitsrechte. Konkret geht es darum, ihren Anspruch auf Vergütung erbrachter Leistungen zu implementieren; so, wie es in anderen europäischen Ländern seit Jahrzehnten gang und gäbe ist. 
 
Gerade hier warten Künstler:innen ungeduldig auf unmissverständliche Signale der neuen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth. Es ist höchste Zeit, länder- und im besten Fall bundesweit ein absolutes Minimum an Arbeitsrecht für Bildende Künstler:innen unumgänglich festzuschreiben. Seit 50 Jahren erstellen Künstler:innen Modelle und Leitlinien. Anstatt weiterhin auszuweichen oder zu blockieren, müssen Institutionen und Politik endlich auf sie eingehen oder wenigstens eigene umsetzbare und kontrollierbare Vorschläge erarbeiten. Nur mit einer lebenswerten Mindestvergütung kann den ubiquitären Folgeproblemen wie fehlender sozialer Absicherung und bitterer Altersarmut annähernd begegnet werden. 
 
Über diese noch immer fehlende Verpflichtung sind Expert:innen regelmäßig erstaunt - seien es Kolleg:innen aus anderen Sparten, kulturpolitische Sprecher:innen der Parteien, Projektpartner:innen in den Institutionen oder Journalist:innen. Es ist auch logisch nicht nachvollziehbar: Nach einer Studie des BBK Bundesverbandes von 2020 erhielten Künstler:innen nur in 20 Prozent ihrer Ausstellungen eine Vergütung, darunter in 15 Prozent der Fälle erst nach eigenem Insistieren.[3] Durchschnittlich blieben diese jedoch unter einem einmaligen Betrag von 400 Euro - keine Summe, die einer:m ein Auskommen, geschweige denn die zukunftsfähige Entwicklung der eigenen Kunst erlaubt. Warum schreibt man sich die Förderung der Kultur auf die Webseiten, wenn man dann den existentiellen Schutz von Künstler:innen nicht umsetzen möchte?
 
Selbstbewusstere kulturpolitische Lobbyarbeit
 
Dringend müssen Künstler:innenverbände sehr viel selbstbewusster auftreten und sich kulturpolitisch zu Wort zu melden - so, wie das die Kolleg:innen der Darstellenden Künste selbstverständlich tun. Niemand anderes verkörpert die Lobby der Künstler:innen als ihre eigenen Berufs- und Interessenverbände. Sie sollten ihre Rolle als notwendiges demokratisches Sprachrohr für alle Berufstätigen erkennen. Das Tabu, über Bezahlung zu sprechen, hat der Kunst lange geschadet. Jetzt braucht es darüber eine öffentliche und konstruktive Diskussion und anschließende Taten.
 
Für eine wirklich freie Kultur braucht es eine ernstzunehmende Unterstützung ihrer freiberuflichen Selbstständigen. Künstler:innen, Tänzer:innen, Musiker:innen, freie Kurator:innen, Dramaturg:innen, Schriftsteller:innen, Theatermacher:innen, Kulturvermittler:innen, die vor Ort neue Ansätze entwickeln, sind auf die Einsicht der Kommunen angewiesen, diese Leistungen zu ermöglichen: und zwar in Form einer substanziellen finanziellen Ausstattung der Freien Szene in allen Städten und Regionen. Denn dort sind die Freiberuflichen tätig - in Off Spaces, Produzent:innengalerien, Künstler:innenhäusern, Freien Theatern, Tanzkollektiven, Probenhäusern und Clubs.
 
Kommunale Haushalte mit hinderlichen Strukturen
 
Das offensichtlichste Hindernis stellen dabei historisch gewachsene Strukturen in vielen kommunalen Haushalten dar. Bedeutende Teile der Kulturetats sind gebunden an einige wenige große Institutionen. Es bleibt kein Spielraum für eine ernstzunehmende Unterstützung der Freien Szene - sei es in Tanz, Bildender Kunst, Literatur, Musik, Theater. Dabei entsteht vor allem dort Innovation, die niederschwellig, zugänglich, ohne Bildungsschranken und mit großer inhaltlicher Reaktionsfähigkeit auf aktuelle und regionale Themen ist, jenseits überlieferter Spielpläne und Kanons. Sie schafft neue Impulse, hält den öffentlichen Diskurs lebendig, und hat dadurch eine große integrative Kraft.
 
Die Darstellenden Künste konnten hier noch am ehesten Unterstützung erreichen. Dort herrscht am meisten Verständnis für die Ernsthaftigkeit dieser Arbeit in den Gemeinderäten und Kulturämtern. Doch auch andere Sparten können überzeugende Besucher:innenzahlen vorweisen. Off Spaces, Tanz- und Musikensembles müssen als professionelle und wertvolle Kulturorte und -kollektive anerkannt werden. Damit gerechte Entlohnung nicht mit dem Hinweis auf fehlendes Geld im Haushalt schulterzuckend abgetan werden kann, ohne nach besseren Lösungen zu suchen. Kunst ist kein Hobby. Die Freie Szene ist ein ernstzunehmendes Arbeitsfeld - würde sie denn ernstzunehmend bezahlt. 
 
Man scheut sich jedoch, vorhandene Mittel grundlegend umzuverteilen, um zeitgemäße Strukturen zu ermöglichen. Gleichzeitig werden Erhöhungen der Kulturetats als ebenso aussichtslos verkündet. Geben sich Kulturämter und Politik einfach zufrieden mit diesem deprimierenden Blick in die Zukunft einer gesellschaftlich wichtigen Branche? Oder kann kommunale Kulturpolitik einen Ausweg aus der Sackgasse finden, sozial nachhaltiger werden oder sogar gestärkt aus den letzten zwei Jahren hervortreten? 
 
Gerade im Kulturbereich ist die Diskrepanz zwischen zeitgemäßen Erkenntnissen über faire Arbeitsbedingungen und der Trägheit ihrer Umsetzung im eigenen Feld besonders schmerzlich. Nachhaltigkeit, wie die Beteiligten im Bündnis sie verstehen, bezieht sich nicht nur auf eine gerechtere Verteilung finanzieller Mittel oder auf eine gerechte Bezahlung der Freiberufler:innen allein. Die Angestellten in den Institutionen erhalten oft einen Lohn am untersten Ende des gesetzlich Möglichen. Der umfassende strukturelle Wandel zielt auf alle Ebenen der Arbeit im kulturellen Feld ab. Wenn wir anerkennen, dass Kultur einen wichtigen Beitrag für die Transformation der Gesellschaft leistet, kann sie auch umfänglich auf die siebzehn Nachhaltigkeitsziele eingehen: die "Sustainable Development Goals SDG", die in der "Agenda 2030" formuliert sind. Doch dazu müssen zuallererst innerhalb der Branche nachhaltige, also menschen- und ressourcenschonende Arbeitsbedingungen umgesetzt werden. 
 
Strukturelle Diskriminierung überall
 
Der Bildenden und der Darstellenden Kunst sind strukturelle Diskriminierungen so eingeschrieben wie der gesamten Gesellschaft. Das betrifft sowohl Institutionen als auch Freie Theater, wobei in letzteren Änderungsprozesse leichter in Gang zu bringen sind. Sicherlich haben Stadt- und Staatstheater mittlerweile Methoden der Projektarbeit und Stückentwicklung aus der Freien Szene implementiert und auch begonnen, klassische Stücke zu überschreiben. Dennoch wird an Hochschulen und Universitäten - insbesondere in den Bereichen Schauspiel, Regie, Dramaturgie - vorwiegend auf das überlieferte Literaturtheater hin ausgebildet. In diesem dominieren männliche weiße Autoren und männliche, weiße Rollen. Das führt intrinsisch und systemisch zu ungleicher Bezahlung aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit, zu klassistischen Ausschlüssen und zu nach wie vor fehlender Diversität.
 
Unsere kulturellen Narrative schreiben die Dominanzgesellschaft fort. In der Bildenden Kunst werden die Zahlen zum Gender Pay Gap und Gender Show Gap nicht öffentlich erfasst. Dabei wäre es ein Leichtes, sie in öffentlichen Verwendungsnachweisen abzufragen. Journalist:innen haben in kleinteiliger Arbeit ermittelt, dass in Museen und auf Messen zeitgenössischer (!) Kunst noch immer ungeschriebene Männerquoten von 80 Prozent und mehr bedient werden [4] - obwohl seit Generationen mehr Frauen als Männer künstlerische Fächer studieren. Es braucht eine Quote - sowohl für Ausstellungen als auch für das gezielte Ausrichten der Sammlungen auf Erreichen eines ausgewogenen Verhältnisses von mindestens 50/50 in den nächsten 10 Jahren. Denn "von selbst" wird sich keine Besserung einstellen. Das zeigt sich deutlich an anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik und Wirtschaft, die auf Basis von Freiwilligkeit aktuell sogar Rückschritte machen. Wenn wir es ernst meinen mit dem demokratischen Ideal der Gleichberechtigung, werden wir verbindlicher arbeiten müssen, um Veränderung in die Wege zu leiten. 
 
Das betrifft auch schulische Lehrpläne, die die Errungenschaften von BiPoC, LGBTQA+ und Frauen auf gleiche Weise erwähnen und hochhalten müssen wie die Errungenschaften weißer männlicher Künstler. Hier besteht die größte Aussicht, Diskriminierung nachhaltig entgegenzuwirken. Es ist eine Plattitüde, "dass es ja damals keine Frauen gab". Aussagen dieser Art sind immer unfreiwillig komisch. Es ist nicht nachvollziehbar, warum seit Jahrzehnten eine informierte, bias-sensible Erforschung und Darstellung der Leistung dieser Künstler:innen auf sich warten lässt. Die Qualität ihrer Kunst wird so lange nicht erkannt werden, solange die dominante Gesellschaft ihre Relevanz verleugnet. Und das allein, weil sie abweicht von bekannten, dominanten Normen. Ein Zirkelschluss, der mancher:m schwierig zu verdeutlichen ist. Diese möglicherweise unbewussten Vorbehalte sind ausgesprochen wirkmächtig, aber werden zu gerne unter dem Deckmantel einer angeblich "objektiven" Qualitätsdebatte verschleiert. Es wird nicht eingestanden und nicht zugegeben, dass sich Vorstellungen von "Qualität" in der Kultur auch immer an den Gerüsten zwangsläufig ideologischer Wertvorstellungen ausrichten. 
 
Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und Machtmissbrauch sind im Kunstbetrieb sowohl in den Institutionen als auch in den Freien ein großes Problem. Die vielen öffentlichen Skandale in der Darstellenden Kunst in den letzten Jahren - die zum Teil mit Entlassungen der Leitungspersonen endeten, zum anderen aber kleingeredet wurden und keinerlei Konsequenzen für die Verantwortlichen hatten - zeigen, wie tief eine patriarchale und rassistische Struktur den Kunstbetrieben eingeschrieben ist. Zwar gibt es mit "Themis" eine unabhängige und überbetriebliche Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, die immer mehr Anfragen erhält. Auch kommt die von Julia Wissert und Sonja Laaser entworfene "Anti-Rassismus/ Anti-Diskriminierungsklausel" in immer mehr Verträgen zur Anwendung. Trotzdem müssen die Theater in ihren Besetzungen auf und hinter der Bühne, genauso wie in der Wahl ihrer Themen endlich diverser werden, um gesellschaftlich relevant zu bleiben und Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen.
 
Für die Bildende Kunst sind aktuell weder eine Vertrauensstelle wie Themis noch ausgearbeitete Verhaltenskodizes zu diskriminierungsfreier Ausstellungs- und Arbeitspraxis im Gespräch. Hier werden unabhängige Stellen zur Hilfe und Beratung bei rassistischen, sexistischen oder ableistischen Diskriminierungserfahrungen, gegen Ausbeutung oder Mobbing aber genauso benötigt. 
 
Nachhaltige Veränderungsprozesse anstoßen
 
Nachhaltigkeit und Klimaneutralität werden in den kommenden Jahren in der Darstellenden Kunst eine immer größere Rolle spielen. Für die Freien Theater werden Förderungen stärker an Nachhaltigkeitsanforderungen geknüpft sein. Bisher war das Klima eher ein Thema, das auf der Bühne verhandelt wurde. Nun muss es auch hinter der Bühne umgesetzt werden. Angesichts steigender Kosten für Energie ist es eine Investition in die Zukunft, wenn sich Theater schon jetzt auf klimaneutrales Arbeiten einstellen. Schließlich werden bei einer staatlichen CO2-Abgabe in Zukunft wieder Gelder eingespart werden können.
 
Zudem müssen in der Bildenden Kunst Änderungsprozesse stärker in Hinsicht auf Schonung menschlicher und ökologischer Ressourcen gesteuert und abgefragt werden. Das Bündnis erkennt hier das Potential für die Einrichtung eines "Nachhaltigkeitsfonds für Kunst und Kultur", der unter vielen anderen Punkten auch die Professionalisierung von Kulturarbeiter:innen im Bereich des Transformations- und Nachhaltigkeitsmanagement ermöglicht. Ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit erfordert darüber hinaus einen weitreichenden Abbau von Bildungsungleichheit. 
 
Förderprogramme sollten sich auf CO2-neutrale Reisen und Transporte im Inland konzentrieren. Ein nachhaltiger Material-Kodex für den Kulturbetrieb mit Fokus auf transparenter, sozial gerechter und umweltfreundlicher Produktion wird entwickelt, unter Berücksichtigung von Lieferketten, in denen Umwelt- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Die Einrichtung überregionaler Plattformen kann praktischen Erfahrungs- oder Materialaustausch, etwa von Veranstaltungstechnik, gewährleisten. 
 
Ausblick
 
In diesem strukturellen "Wandlungsprozess"[5] muss das berufliche Wissen von selbständigen Künstler:innen stärker in die Planungsprozesse der Kulturpolitik integriert werden. Kulturarbeiter:innen in- und außerhalb der Institutionen wünschen sich einen Dialog auf Augenhöhe, sie wünschen sich, in ihrer Expertise ernstgenommen zu werden. 
 
Freiberufliche Künstler:innen müssen auch ohne Institution für Förderungen antragsberechtigt sein. Als ernstzunehmende Solo-Selbständige müssen sie in allen Ausschreibungen auf lokaler, Landes- und Bundesebene angemessene Vergütungen für sich wirksam machen können. Schließlich kann als positives Beispiel für Baden-Württemberg die Stadt Stuttgart erwähnt werden - nicht nur für die bemerkenswerte Unterstützung Solo-Selbständiger Künstler:innen während der Pandemie. Ab dem Jahr 2023 wird auch Stuttgart Ausstellungsvergütungen zahlen. Sie ist damit die erste Stadt im Süden Deutschlands, die diesen überfälligen und im Jahr 2022 leider noch immer progressiven Schritt geht.
 
Wir bleiben gespannt auf das bundespolitische Kulturprogramm, das momentan vor allem die Absicht stärkerer Evaluierung betont, und hoffen auf Strukturen, die die starre Einteilung der Kultur in Sparten aufheben. Mehr Fluidität, bessere Finanzierung und der vollständige Abbau der Hierarchie zwischen Freien und Institutionen können die dringend gewünschte Gerechtigkeit innerhalb der Kunst- und Kulturarbeit wirklich machen.
 
Fußnoten
 
[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020: https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2020/monitoring-wirtschaftliche-eckdaten-kuk.pdf?__blob=publicationFile&v=11.
[2] Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, "Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler 2016". Expertise von Dr. sc. Eckhard Priller zur Umfrage des BBK (Hrsg.).
[3] Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, "Von der Kunst zu leben. Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler 2020". Expertise von Dr. sc. Eckhard Priller zur Umfrage des BBK (Hrsg.).
[4] Warum sind Kunstwerke von Frauen weniger wert? STRG_F, 16.06.2020, https://www.youtube.com/watch?v=BwNY7YwWDqA.
[5] Dieser kann hier nur in Ansätzen skizziert werden und konzentriert sich vor allem auf die Situation der freiberuflichen Kulturarbeitenden.
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 164: "Freischaffender Kulturbetrieb". Die Autor:innen Lisa Bergmann und Christian Müller sind Teil des Interessenverbands "Das Bündnis".

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