17.01.2014

Autor*in

Frank Jebe
Best Practice

Alles immer gut. Mythen Kultureller Bildung

Unter dem Titel Alles immer gut. Mythen Kultureller Bildung stellte der Rat für Kulturelle Bildung Ende 2013 seine erste Bestandsanalyse vor. Er untersuchte dabei herrschende Grundannahmen zur Kulturellen Bildung, die häufig als gültig unterstellt, aber selten hinterfragt werden. Die 14 Experten prüften diese Mythen mit Blick auf die Praxis und möchten so den Qualitätsdiskurs in der Kulturellen Bildung anregen. Ab 2014 veröffentlicht der Rat ein jährliches Gutachten, versucht darüber hinaus zu wesentlichen Themen Stellung zu nehmen und seine fachliche Kompetenz auch kritisch in die Debatte einzubringen.
Inhalt der Publikation

1 Alles immer gut ein trügerischer Konsens
In der Kulturellen Bildung geht es immer dringlicher um die Frage der Qualität. Diese bleibt bei Tagungen, Veranstaltungen und in der praktischen Arbeit dennoch häufig unbeantwortet. Das nährt die Vermutung, dass sich die Projekte und Akteure in einem Dilemma von Qualitätsanspruch, Finanzierungsabhängigkeit und Erfolgszwang befinden. Der trügerische Konsens, dass schon alles immer gut sei, blendet den tatsächlichen Abstand zwischen Anspruch und Realität aus. Ziel des Rats für Kulturelle Bildung ist es, zu einem klareren Blick auf die Realitäten und Herausforderungen beizutragen. In der Publikation Alles immer gut. Mythen Kultureller Bildung geben absichtsvoll unausgewogene Spots der einzelnen Ratsmitglieder Eindrücke von verbreiteten Mythen aus dem weiten Feld kultureller Bildungspraxis wieder. Diese werden im analytischen Teil des Textes mit Blick auf den Wahrheitsgehalt und ihre systemische Bedeutung hinterfragt.

2 Der ganze Mensch Versprechen und Zumutung
Obwohl ganz individuelle und einzelne Handlungen in den unterschiedlichen Kunstsparten von Bedeutung sind, wird in der Kulturellen Bildung häufig ein ganzheitlicher Ansatz postuliert. Diese Generalisierung betrifft auch die Grunderfordernisse, die Menschen zum künstlerischen Handeln befähigen. Es ist eine trügerische Annahme, dass künstlerische Tätigkeit voraussetzungslos sei. Künstlerische Fähigkeiten und Fertigkeiten werden in der Regel sowohl in aufwändigen Bildungsprozessen grundlegend erlernt als auch in der Familie in regelmäßiger Tätigkeit angeeignet. Zwar gibt es mittlerweile die Möglichkeit, über verschiedenste Programme an Kultur teilzuhaben, jedoch ermöglicht es nur die intensive Übung in und mit den Künsten, die eigenen Ideen entsprechend umzusetzen. Eine Alphabetisierung in den Künsten ist dafür unabdingbare Voraussetzung und zugleich eine Herausforderung für das Bildungssystem.

3 Wirkungen sind planbar - zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Kulturelle Bildungsmaßnahmen machen schlauer, reifer, umsichtiger, kreativer, ausgeglichener und innovativer das sind nur einige der erwünschten Verhaltensweisen und erwarteten Ergebnisse von Kultureller Bildung. Dabei bekommen diese Nebenwirkungen (, die sich auf individuelle, soziale, gesellschaftliche, institutionelle sowie ökonomische Bereiche beziehen) oftmals eine zu große Bedeutung und werden zur notwendigen Begründung, wenn kulturelle Bildungsangebote unterstützt und finanziert werden sollen - gleich ob es wissenschaftliche Belege dazu gibt oder nicht.

4 Mehr bringt mehr immer etwas Neues
Kulturelle Bildung ist ein unübersichtliches und reichhaltiges Feld. Das entbindet sie allerdings nicht von durchdachten Konzepten. Für die Entwicklung von Qualitätsstandards müssen die Akteure vernetzt und die einzelnen Projekte und Ansätze genauer betrachtet werden. Eine Vielzahl an separaten Einzelprojekten, die immer wieder aufs Neue erfunden werden und bei denen trägerbezogene Interessen im Vordergrund stehen, lassen keineswegs automatisch einen Mehrwert entstehen. Eine professionelle qualitätsorientierte Evaluations- und Entwicklungsstrategie würde nicht nur zur Anhebung der Qualität führen, sondern auch für die sinnvolle Verteilung der Gelder wichtige Anhaltspunkte liefern.

5 Jeder ist ein Künstler Urbegabungen und Alleskönner
Eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung von kulturellen Bildungsmöglichkeiten bilden fachliche und künstlerische Kompetenzen. Weder Künstler noch Lehrer sind automatisch Urbegabte oder Alleskönner. Diese generelle Unterstellung führt letztlich nur dazu, dass über erzieherisches Handeln und künstlerische Qualifikationen nicht weiter nachgedacht wird. Aus diesem Grund bedarf es großer Anstrengungen und ressortübergreifender Zusammenarbeit, um die Qualifizierung der verantwortlichen Akteure voranzutreiben.

6 Über Nutzen und Nutzlosigkeit neue Qualitäten aus den Künsten
Die Diskussion um die Aufgabe Kultureller Bildung läuft leer in der Polarisierung zwischen Eigenwert und Mehrwert. Im Rahmen der Ausdruck- und Gestaltungsmöglichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen können die Künste über den deklarierten Kompetenzgewinn hinaus jedoch ganz eigene Qualitäten und Erfahrungen vermitteln, die untrennbar zum Menschenleben gehören und zu wenig Beachtung finden: Erfahrungen der Kontingenz, vom Wert des Prozesses, vom Wahrnehmen der Wahrnehmung und Erleben von Ganzheit.

7 Was folgt von Mythen zu Realitäten
Wie es ist: Im aktuellen Diskurs zur Kulturellen Bildung gilt es, den trügerischen Konsens, dass alles immer gut sei, hinter sich zu lassen und mit einer schärferen Reflexion über die Realitäten zu beginnen. Es geht darum, zum einen die systemischen Zwänge in den Blick zu nehmen und zum anderen einen offenen und ehrlichen Blick auf sich und andere zu kultivieren lernen, der keine Scheu vor der Wahrnehmung von Fehlern und Problemen hat.

Was fehlt: Der Rat für Kulturelle Bildung setzt sich für eine regelmäßige Berichterstattung zur Lage der Kulturellen Bildung in Deutschland ein. Nur auf Basis empirischer Erkenntnisse kann Kulturelle Bildung nachhaltig im Bildungssystem verankert werden.
Im Bereich des Personals fehlen qualitative und quantitative Daten zu den Arbeitsverhältnissen der künstlerischen Honorarkräfte, zu Umfang und Qualität der Aus- und Fortbildung von Pädagogen und Künstlern, den spezifischen Vermittlungsweisen von Künstlern sowie den strukturellen Gelingensbedingungen Kultureller Bildung.
Im Bereich der Forschung zur Kulturellen Bildung fehlen Untersuchungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von bestehenden Qualitätskriterien in der Praxis, Ansätze zur Erforschung und Herleitung weiterer Qualitäten aus den Künsten heraus, Forschungen zu den domänenspezifischen Wahrnehmungs- und Gestaltungsvoraussetzungen sowie den Vermittlungsweisen der unterschiedlichen Kultursparten und belastbare Ergebnisse zu den Effekten Kultureller Bildung.

Was folgt: Eine zentrale Entwicklungsaufgabe für die Akteure der Kulturellen Bildung auf den unterschiedlichen Ebenen liegt in der Überwindung des Ressortdenkens. Wo immer möglich, sollte eine strategische Zusammenarbeit der Institutionen und Fachbereiche verwirklicht werden. Der Rat regt die Einrichtung von Steuerungsgruppen an, wie z. B. zwischen Jugend-, Kultur- und Schulämtern oder zwischen den für Kulturelle Bildung zuständigen Ministerien. Anders als bisher müssen in diesem Prozess auch die den Künsten eigenen Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen als besondere Qualitäten auf allen Ebenen mitgedacht werden. Die Leitfrage für all diese Diskurse lautet: Welche Bedingungen, Vorgehensweisen und Entscheidungen braucht es, damit qualitativ hochwertige Kulturelle Bildung gelingt?

Über den Rat für Kulturelle Bildung
Der Rat für Kulturelle Bildung ist ein unabhängiges Beratungsgremium, das die Lage und Qualität Kultureller Bildung in Deutschland analysiert und auf der Basis von Gutachten und Studien Empfehlungen an Politik, Wissenschaft und Praxis ausspricht. Ihm gehören 14 Mitglieder an, die in verschiedenen Bereichen der Kulturellen Bildung verankert sind: Tanz- und Theaterpädagogik, Musik- und Literaturvermittlung, Bildungsforschung, Erziehungswissenschaften, Pädagogik, Kulturwissenschaften, Neurowissenschaften, Medien, Kulturpolitik, Kulturelle Bildung, bildende Kunst und Theater.
Der Rat für Kulturelle Bildung ist eine Initiative von Stiftung Mercator, ALTANA Kulturstiftung, Bertelsmann Stiftung, Deutsche Bank Stiftung, PwC-Stiftung, Siemens Stiftung und der Vodafone Stiftung Deutschland.

Die ausführliche Ausgabe der Publikation Alles immer gut. Mythen kultureller Bildung steht auf der Homepage des Rates für Kulturelle Bildung zum kostenlosen Download bereit.
Das erste Jahresgutachten des Rates, das 2014 erscheinen wird, wird der Frage nach den Qualitäten in der Kulturellen Bildung vertieft nachgehen.

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