07.12.2011

Buchdetails

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Autor*in

Simon Spiegel
ist Dozent für Filmwissenschaft und Journalist und schreibt regelmässig Filmrezensionen für verschiedene Schweizer Tageszeitungen. Er lebt mit Frau und Sohn in Zürich.
Buchrezension

Die Ambivalenz des Digitalen

Graber, Hedy/Landwehr, Dominik/Sellier, Veronika (Hgg.): Kultur digital. Begriffe. Hintergründe. Beispiele, 2011.
 
Manche mögen zwar noch heute naserümpfend fragen, ob es so etwas wie eine digitale Kultur überhaupt gibt; zumindest für das Migros-Kulturprozent ist diese Frage aber längst geklärt. Seit 1998 fördert die Institution individuelle Künstler, die sich mit digitalen Medien auseinandersetzen, und engagiert sich mit Veranstaltungsreihen wie digital:brainstorming, mit dem Jugendwettbewerb bungplay.ch und mit Tagungen in diesem Bereich. Der nun erschienene Band «Kultur digital» stellt ein Art Zwischenbilanz dar nicht der Aktivitäten des Migros-Kulturprozent, sondern vielmehr der digitalen Kultur insgesamt. Welchen Einfluss hat die fortschreitende Digitalisierung auf Produktion, Verbreitung und Rezeption von Kultur?

Es liegt ein gewisses Paradox darin, die schnelllebige Welt des Digitalen im langsamen Medium Buch festhalten zu wollen. Ebenso offensichtlich ist die Unmöglichkeit, dieses uferlose Thema auf knapp 400 Seiten umfassend darzustellen. Die Herausgeber von «Kultur digital» haben deshalb einen mehrstimmigen, bewusst fragmentarischen Ansatz gewählt. Die rund 30 Essays sind in drei Gruppen unterteilt: In allgemeiner ausgerichtete Überlegungen, die theoretische Grundlagen bereit stellen sollen, in Fallstudien und in Texte, die als Hilfestellungen respektive Antworten bei konkrete Fragen und Problemen gedacht sind etwa zu Fragen des Copyrights oder zum Einsatz sozialer Medien für das Marketing. Schliesslich ist ein kleines Glossar zentraler Begriffe wie Code, Kompression oder Web 2.0 über das ganze Buch hinweg verteilt.

Wenn sich über verschiedenen Autoren und Perspektiven hinweg ein Fazit ziehen lässt, dann ist es die grosse Ambivalenz, die zahlreiche Texte prägt. Die Digitalisierung gibt dem Einzelnen neue Werkzeuge in die Hand, verkürzt Distanzen und reduziert, wie Philipp Schnyder von Wartensee anhand des Übergangs von analoger zu digitaler Studiotechnik anschaulich zeigt, auch den körperlichen Einsatz, der nötig ist, um etwa einen Song zu produzieren. Sie ermöglicht Firmen wie Google, Apple oder Facebook aber auch die Bildung monopolartiger Strukturen; im Falle des Digitalisierungsprojekts Google Books ist die Folge nicht weniger als ein fundamentaler Wandel im Güterrecht, wie der Historiker und Mitherausgeber Peter Haber zeigt: In nicht allzu ferner Zukunft dürfte der Suchmaschinengigant die Nutzungsrechte für vergriffene Titel und nicht etwa die Bücher selbst zum Verkauf anbieten.

Nicht zuletzt führt die Digitalisierung zu einer Flut an Uninteressantem und Belanglosem. Die Angst, von der gigantischen Masse des nicht selten unnützen Wissens erdrückt zu werden, ist keineswegs neu, wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann in einem Interview ausführt. Bereits der Philosoph Friedrich Nietzsche warnte vor der Informationsflut; für ihn lag der Ausweg im Ausbilden von Kriterien, die darüber entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Die Crux liegt freilich darin, dass das Festlegen dieser Kriterien heute immer mehr zur Aufgabe des Einzelnen wird eine Aufgabe, die manchen überfordern dürfte. Vielleicht führt aber gerade diese Überforderung auch dazu, dass scheinbar überholte Institutionen, die diese Auswahl besorgen, neue Bedeutung erlangen. Wenn beispielsweise jeder Film als Download zur Verfügung steht, könnte dies die Funktion des Programmkinos als Filter wieder aufwerten.

Ein immer wieder angesprochenes Problem ist die Haltbarkeit und Archivierung: Dateiformate veralten und digitale Datenträger sind alles andere als beständig. Das dauerhafteste Speichermedium, das Zeit, Feuer und Wasser trotze, sei ohnehin die Tontafel, so Assmann. Und sie weist damit auf einen Punkt hin, den sowohl Hansmartin Sigrist in seinen Ausführungen zum Digitalen Kino als auch Mitherausgeber Dominik Landwehr bei seinem Selbstversuch mit einem Ebook-Reader betonen: Auf absehbare Zeit wird das Digitale das Analoge nicht verdrängen, sondern es vielmehr ergänzen und ihm neue Nischen zuweisen. Einen Krimi von Henning Mankell kann man in Landwehrs Augen getrost elektronisch lesen, als Buch physisch besitzen, muss man ihn dagegen nicht. Und was für die Welt der Literatur und des Films gilt, dürfte auch für die Kultur insgesamt stimmen: Sie wird auf absehbare Zeit eine hybride bleiben. Letztlich ist ja bereits die Tatsache, dass «Kultur digital» als Buch und nicht als Blog oder Wiki veröffentlicht wurde, bester Beleg dafür, dass das rein digitale Zeitalter noch nicht angebrochen ist.
 

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