26.06.2020

Buchdetails

Kulturelle Teilhabe / Participation culturelle / Partecipazione culturale: Ein Handbuch / un manual / un manuale
von Nationaler Kulturdialog / Dialogue national culturel / Dialogo nazionale culturale
Verlag: Seismo Verlag
Seiten: 368
 

Buch kaufen (Affiliate Links)

Autor*in

Benjamin Hanke
ist Referent für Kulturentwicklung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein und promoviert im Bereich Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. Nach dem Studium der Politikwissenschaften, Medienwissenschaften und Neueren Geschichte war er zehn Jahre bei der Deutschen UNESCO-Kommission (Bonn/Berlin) beschäftigt, dabei von 2012 bis 2019 mit der Koordination der nationalen Umsetzung der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes betraut. 
 
Buchrezension

Kulturelle Teilhabe – ein Handbuch / Participation Culturelle – Un Manuel / Partzicipazione Culturale – Un Manuale

Das Konzept der kulturellen Teilhabe erlebt in den letzten Jahren einen zunehmenden Aufschwung. Doch ist diese "Karriere" nur eine Modeerscheinung der Kulturpolitik und des Kulturmanagements unserer Zeit oder wird sie auch die Zukunft prägen? Dieser Frage geht das Buch "Kulturelle Teilhabe - ein Handbuch" mit Beiträgen auf Deutsch, Französisch und Italienisch nach.
 
Das Handbuch "Kulturelle Teilhabe / Participation culturelle / Partecipazione culturale", herausgegeben vom Nationalen Kulturdialog der Schweiz und publiziert im Seismo Verlag 2019, besteht aus 33 Beiträgen, die zum Teil auf Deutsch, zum Teil auf Französisch, vereinzelt auch auf Italienisch, verfasst sind. Das Kompendium behandelt aus verschiedenen Perspektiven ein Thema, das eine der prägenden Leitideen zeitgenössischer Kulturpolitik darstellt. 
 
Kulturpolitische Handlungsachse "Kulturelle Teilhabe"
 
Der Nationale Kulturdialog - das Austauschgremium der Städte und Gemeinden, der Kantone und des Bundes der Schweiz im Bereich Kultur - hat 2014 eine Arbeitsgruppe zum Thema kulturelle Teilhabe einberufen. Diese hat im Folgejahr zunächst ein Positionspapier erarbeitet, das sich als Referenz im Anhang des Buchs findet. Diese konzeptionelle Beschäftigung mit kultureller Teilhabe erfolgte vor dem Hintergrund der Aufnahme einer entsprechenden kulturpolitischen Handlungsachse in das Förderkonzept der Schweiz auf Bundesebene, die sogenannte Kulturbotschaft 2016-2020. Das vorliegende Handbuch hat den Anspruch, diese Reflexion und informierte Debatte weiter zu vertiefen - dies gelingt auf überzeugende Weise.
 
Kulturelle Teilhabe steht in Deutschland in der Kontinuität demokratisierender Ansätze seit den 1970er Jahren sowie in Frankreich in jener der unter Kulturminister André Malraux (1959-1969) begonnenen Aktivitäten. Sie kann sich aber auch bereits auf die nach dem Zweiten Weltkrieg formulierten Menschenrechte beziehen. Kulturelle Teilhabe baut außerdem auf den in anderen Politikfeldern bereits etablierten Konzepten politischer, wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe auf. Gebräuchlich ist der Begriff "Kulturelle Teilhabe" allerdings erst seit etwa dem Beginn des 21. Jahrhunderts. 
 
Da Kulturpolitik stets eng mit Gesellschaftspolitik korreliert, beziehen sich Entwicklungen in einem Feld auf die Megatrends des anderen. Kultur gilt dabei vielen als geeignetes Mittel der Bewältigung von Herausforderungen und der Integration verschiedener Gruppen, um gesellschaftliche Kohäsion zu erreichen. Einige solche Ansätze werden im Buch präsentiert. Zugleich differenzieren sich kulturelle Ausdrucksformen und das Verständnis, was unter "Kultur" zu verstehen ist, aber zunehmend aus, was die gesellschaftliche Verständigung mittels Kultur erschwert. Das Handbuch thematisiert in diesem Kontext einige der positiven und negativen Begleiterscheinungen, die aufgrund von dessen uneinheitlich definierten Zielen mit kultureller Teilhabe verbunden werden. Multiperspektivisch ergründet es, wie das Ziel eines aktiven Zugangs zu Kultur für größere Teile der Bevölkerung Eingang in Theorie, Praxis und Förderstrukturen gefunden hat und welche Zukunftsaussichten bestehen.
 
Das Handbuch gliedert sich in die drei thematischen Teile "Kulturelle Teilhabe denken", "Kulturelle Teilhabe ausloten" und "Kulturelle Teilhabe stärken". Jedem Beitrag sind kurze inhaltliche Zusammenfassungen in den drei Sprachen des Handbuchs vorangestellt, die es auch eiligen Lesenden ermöglichen, die jeweiligen Inhalte schnell zu erfassen.
 
Denken, ausloten und stärken
 
Im ersten Teil ("Kulturelle Teilhabe denken") werden Konzepte eingehend beleuchtet, die eng mit dem Kontext der kulturellen Teilhabe verbunden sind, wie Demokratisierung von Kultur, Partizipation, Inklusion, Kulturvermittlung und Kollaboration. Auch ein Bezug zu den Menschenrechten und einigen gesellschaftlichen Megatrends - namentlich Globalisierung, Migration, potenzierte Mobilität, Superdiversität der Bevölkerung, ideologisch motivierte Gewalt und politische Polarisierungen, Individualisierung und Digitalisierung - wird in den acht Beiträgen hergestellt. Dabei ergeben sich zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse, aber ein breiter Blick auf das Bezugsfeld kultureller Teilhabe. Insbesondere werden immer wieder die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse betont, auf denen kulturelle Teilhabe fußt. 
 
Im zweiten Teil ("Kulturelle Teilhabe ausloten") werden verschiedene Zielgruppen und Sparten im Hinblick auf kulturelle Teilhabe behandelt. Dies reicht von Denkmalpflege über Gemeinschaftsaktivitäten bei Formen immateriellen Kulturerbes bis hin zu Projekten in Museen, im Kino-, Literatur-, Theater- und Musikbereich. Auch Bezüge zur sozialen Teilhabe und zur Stärkung der Selbstwirksamkeit der Menschen im demokratischen Prozess mittels kultureller Teilhabe finden Beachtung. Der Praxisbezug ist hier deutlich größer als im ersten Teil: In den 14 Beiträgen kommen eine ganze Reihe von illustrativen Beispielen zur Sprache, etwa Vorhaben zur Vermittlung von Kultur an Kindern ab dem Kleinkindalter oder an Senioren. Dabei werden verschiedene Grundüberzeugungen bezüglich kultureller Teilhabe, unterschiedliche Maßnahmen, ferner Potenziale ebenso wie Schwierigkeiten in der Umsetzung präsentiert. 
 
Im dritten Teil ("Kulturelle Teilhabe stärken") geht es um Maßnahmen der Unterstützung kultureller Teilhabe, insbesondere von politischer Seite auf den Ebenen des Bundes, der Kantone und der Städte der Schweiz. Dass kulturelle Teilhabe eng mit Partizipationsfragen verknüpft ist, führt zu der Herausforderung, dass Erfolg oder Misserfolg von Projekten und Programmen nicht (mehr) nach rein künstlerischen Gesichtspunkten bewertet werden können. Deshalb werden auch einige Ansätze dazu, wie die Bewertung des Erfolgs der Partizipationsprozesse erfolgen kann, in den elf Beiträgen skizziert. Zudem finden hier die zivilgesellschaftliche Unterstützung der Bemühungen um kulturelle Teilhabe durch Stiftungen, Impulse aus dem wissenschaftlichen Kulturmanagement und aus in der Praxis von Projekten und Kultureinrichtungen entwickelten Rahmenkonzepten Raum.
 
Perspektivenvielfalt
 
Eine der Stärken des Buches - und eine Besonderheit aus deutscher Sicht - ist, dass es sowohl die deutsch- als auch die französisch- und, mit Abstrichen, die italienischsprachige Perspektive auf das Thema "Kulturelle Teilhabe" zeigt. Dabei werden durchaus unterschiedliche Begriffsverständnisse und Denktraditionen deutlich. Beispielhaft kann dies am Buchtitel und damit der Bezeichnung des Themas veranschaulicht werden: Das deutsche Wort "Teilhabe" kann mit teilnehmen und Teil von etwas werden bzw. sein assoziiert werden, aber auch mit teilen und einen Teil (von sich ab )geben - was im Englischen am ehesten mit "sharing" übersetzt werden würde. Hingegen ist die beste französische Übertragung "participation". Diese kann man, wie das deutsche Pendant, zwar ebenfalls als Teilnahme, aber weniger als Teilen übersetzen. Es entspricht eher dem englischen "participate". Die französischsprachigen Autor*innen des Bandes befassen sich entsprechend stärker mit den Fragen nach "citoyenneté", d.h. Beteiligungsfragen der Bürger*innenschaft. Die deutschsprachigen Autor*innen widmen sich dagegen tendenziell stärker den Aspekten des Teilens von Erfahrungen in Gemeinschaften. Die verschiedenen Begriffs- und dahinter stehenden Denktraditionen, die trotzdem gemeinsame Ziele zum Ausdruck bringen, machen demnach offensichtlich, dass es sich um ein Nationalstaats-, Sprach- und Kulturgrenzen überschreitendes kulturpolitisches Konzept und Ziel handelt. 
 
Auch die verschiedenen Disziplinen, denen die mehr als 30 Autor*innen entstammen (u.a. Erziehungs-, Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften, Anthropologie, Philosophie, Philologien, Kunst und praktische Kulturvermittlung), sorgen für ein vielschichtiges Gesamtbild. Fast alle können auf relevante Praxiserfahrungen verweisen und belegen dies in ihren jeweiligen Beiträgen sehr überzeugend. Dass einige Erkenntnisse mehrfach zu finden sind, schadet ganz und gar nicht - im Gegenteil: Durch Querverweise zwischen den Beiträgen gewinnt der/die Leser*in einen guten Überblick über das Feld. Deutlich wird dabei zudem das aufmerksame Lektorat aller Beiträge in der Gesamtschau und die Bereitschaft der Herausgeber*innen, vertreten durch Stefan Koslowski vom Bundesamt für Kultur, bewusst verschiedene Ansätze zuzulassen und auf allzu große Harmonisierungen der Formate zu verzichten.
 
Fazit
 
Kritik könnte an der Gliederung des Handbuchs geübt werden: Die Titel der drei Teile erscheinen nicht als klare Abgrenzungen voneinander. Viele Beiträge beziehen sich naturgemäß sowohl auf das "Denken", das "Ausloten" und das "Stärken" von kultureller Teilhabe oder zumindest auf zwei dieser Aspekte. Wäre die Gliederung zum Beispiel der klassischen der Logik 1.) Theorie, 2.) Praxis und 3.) Förderstrukturen kultureller Teilhabe gefolgt, hätte dies für manche*n Leser*in möglicherweise eine klarere Lenkungswirkung gehabt. Ein bilanzierender Abschlussbeitrag und/oder Ausblick hätte dem Handbuch zudem gutgetan. 
 
Insgesamt handelt es sich jedoch um ein verdienstvolles Werk, das nicht nur den Diskurs über kulturelle Teilhabe in der Schweiz und den Nachbarländern noch einmal fundiert, sondern auch dazu beiträgt, dass das Konzept - bei aller, zum Teil gewollten, Unschärfe - klarere Konturen und Zukunftsperspektiven im Kontext sich diversifizierender Gesellschaften bekommt. Zur Lektüre empfohlen sei es allen praktisch und theoretisch in der Kulturvermittlung und im Kulturmanagement Tätigen sowie den daran Interessierten.

Bücher rezensieren

 
Möchten auch Sie Bücher für Kultur Management Network rezensieren? In unserer Liste finden Sie alle Bücher, die wir aktuell zur Rezension anbieten:
 
Schreiben Sie uns einfach eine Mail mit Ihrem Wunschbuch an
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB