25.07.2022

Buchdetails

Museen des Imaginären: Zeigen. Erscheinen lassen. Literarisieren. (Edition Museum)
von Anna Quednau
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 340
 

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Autor*in

Bernd Holtwick
geboren 1968, studierte Geschichte, Soziologie und Germanistik an der Universität Bielefeld. 1999 promovierte er am dortigen Graduiertenkolleg "Sozialgeschichte von Gruppen, Klassen, Schichten und Eliten". Er arbeitete von 2000 bis 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Haus der Geschichte Baden-Württemberg" in Stuttgart, danach bis 2010 als Leiter des Kultur- und Archivamts beim Landkreis Biberach. Seit 2011 ist er Ausstellungsleiter der DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund, die zur Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gehört.
Buchrezension

Museen des Imaginären

Das Museum als Raum der Imagination, das kann eine Verheißung sein oder eine Provokation. In jedem Fall lässt es auf eine produktive Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Grenzen von Museen hoffen.
 
Die Dissertation Anna Quednaus bedient eine solche Erwartung nur teilweise, denn sie schaut als Germanistin auf das Thema. Das ist doppelt ungewöhnlich. Zum einen beschäftigt sich die Germanistik nur selten mit Museen im Allgemeinen und dem Ausstellen im Besonderen. Zum anderen ist "das Imaginäre" nur selten Gegenstand eines Museums. Die Autorin unternimmt also einen echten Grenzgang, wenn sie einerseits auf Museen blickt, die sich der Literatur annähern, weil sie nicht versuchen, die Realität auszustellen, sondern konsequent eine Fiktion erschaffen. Andererseits schaut sie auf literarische Werke, die Museen erfinden und so gewissermaßen erschaffen.
 
Anna Quednau geht davon aus, dass Museen in aller Regel Wahres, Echtes, Authentisches zu zeigen behaupten (S. 9) und das geradezu als ihre Daseinsberechtigung definieren. Vor diesem Hintergrund nimmt es sich geradezu widersinnig aus, dass Museen trotzdem "gegen jede museale Regel auf Strategien der Fiktion setzen" (S. 10) Und doch gibt es Museen, die etwa reale Objekte mit erdachten Geschichten verbinden und Literatur, die mit dem Wahrheitsanspruch von Museen spielt. Genau solchen Beispielen wendet sich die Autorin zu: "Diese Zwischenformen machen es möglich, dass sowohl die Institution Museum bzw. das Ausstellen selbst mit neuen Augen gesehen werden kann als auch, dass die Literatur eine Materialität bekommt, die ihr in der Regel fremd ist" (S. 10).
 
Fast die Hälfte der Dissertation befasst sich mit dem Museum of Jurassic Technology in Culver City (CA). Die weitere Analyse widmet sich dem Berliner Museum der Unerhörten Dinge, das von Roland Albrecht initiiert und betrieben wird. Es folgt eine Analyse von Leanne Shaptons Buch "Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Leonore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck" (im Original englisch, erschienen 2009). Den Abschluss bildet die Auseinandersetzung mit Orhan Pamuks "Das Museum der Unschuld", als Roman erschienen 2008, ergänzt durch eine Ausstellung in Istanbul 2012, zu der wiederum ein Katalog herausgebracht wurde.

Es stellt sich die Frage, was diese vier Analysegegenstände verbindet. Weder handelt es sich immer um Ausstellungen noch durchgängig um Literatur. Die Autorin führt an, dass jeweils das Ausstellen, die Institution Museum und damit auch die eigene Gestaltung mitreflektiert würden (S. 12). Trotzdem bleibt unklar, ob es sich um Beispiele, um Einzelfälle, um Elemente eines Spektrums oder etwas Anderes handelt. Wichtig für die Auswahl dürfte auch die "Literatur-Nähe" des jeweiligen Gegenstandes sein. Das könnte den Ausschluss von Daniel Spoerris, Musée sentimentale ( Paris 1977; Köln 1979) oder Harald Szeemanns, documenta 5 ( Kassel 1975) mit begründen, bleibt jedoch letztlich unscharf. Damit einher geht die Unschärfe der leitenden Fragestellungen: Geht es um das Erzählen oder um das Ausstellen?
 
Das Imaginäre ausstellen

David Wilsons 1988 in Californien gegründetes Museum of Jurassic Technology (MJT) legt den Blick auf das Ausstellen nahe. Anne Quednau bezeichnet es im Anschluss an eine Reihe von Untersuchungen verschiedener Autor*innen als "Metamuseum", "Museum über Museologie" und als "Gesamtkunstwerk" (S. 36). Sehr eindrucksvoll beschreibt und analysiert die Autorin das vielschichtige "Spiel mit einer Reihe von Diskursen, die fast alle Funktionen des Museums reflektieren, sein Potenzial testen und es zugleich feiern" (S. 34). Dazu gehört auch die Auflösung der Grenzen zwischen Wahrheit und gezielter Irreführung, wobei ganz wesentlich das Erzählen von Geschichten eingesetzt wird. Als Referenzpunkt des MJT erscheint trotzdem nicht das Erzählen, sondern die Museumsarbeit. Wilson erfindet etwa die Geschichte der Sammlung, auf der (angeblich) die Ausstellung beruht. Er präsentiert banale Objekte, die mit einer fiktiven Geschichte plötzlich eine geradezu weltbewegende Bedeutung gewinnen. Oder er illustriert bekannte literarische Geschichten mit realen Objekten, so dass sowohl die literarische Fiktion als auch die museale Realität plötzlich brüchig erscheinen.
 
Ganz ähnlich orientiert sich auch das Museum der Unerhörten Dinge, das Roland Albrecht seit dem Jahr 2000 in Berlin Schöneberg betreibt. Es versammelt Alltagsgegenstände, zu denen Geschichten erzählt werden bzw. die selber zu sprechen vorgeben. Auch hier wird mit Museumstheorien gespielt, wie etwa der von auratischen Objekten, das Ganze scheint aber weniger komplex und ausgearbeitet als das MJT, dafür werden deutlicher "Prozesse des Literarisierens in den Museumsraum" gebracht. (S. 213).
 
Ausstellungen imaginieren

Während bisher reale Ausstellungen den Gegenstand bildeten, wechselt die Autorin jetzt ins Feld der Literatur und wendet sich Leanne Shaptons, "Bedeutende Dinge und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Leonore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck" zu. Shapton erzählt die fiktive Geschichte einer Mann-Frau-Beziehung in der formalen Gestalt eines Katalogs und entlang der dort abgebildeten Objekte. Inspiriert wurde dieser literarische Ansatz wohl von Katalogen, die den Nachlass berühmter Persönlichkeiten für eine Versteigerung auflisten. 
 
Die Herausforderung besteht darin, aus Einzelobjekten eine Geschichte entstehen zu lassen. Damit müssen auch Ausstellungen umgehen, allerdings - und diese Differenz hätte gern noch stärker herausgearbeitet werden können - können Museen nicht einmal darauf vertrauen, dass die Exponate in einer bestimmten Reihenfolge betrachtet werden. Dort fehlt die Ordnung der gedruckten Seiten, die ein Katalog bietet. Über einen weiteren Unterschied würde das Nachdenken lohnen: Shapton nimmt in ihren ‚Katalog-Roman‘ auch Notizzettel, E-Mails und andere Gegenstände auf, die im Regelfall nicht den Eingang in eine Museumssammlung finden würden. Vermutlich hätte eine Beschränkung auf ‚Sammlungswürdiges‘ oder kommerziell Verwertbares es nicht erlaubt, die Imagination beim Lesen hinreichend anzuregen. Das allerdings wäre ein sehr grundsätzliches Argument gegen das ‚Erzählen mit Objekten‘. In jedem Fall ist Shaptons Buch ein literarisches Werk, das einen Katalog aus dem Museumkontext nutzt, um über das Erzählen und die Imagination zu reflektieren. Ausstellungen sind bestenfalls ein sehr randständiger Aspekt, dabei wäre es durchaus eine für Museumsleute spannende Frage, wie sich aus den Einzelobjekten in den Köpfen des Publikums eine Erzählung formt.
Auch der letzte Teil der Dissertation dürfte sich eher dem literarischen Feld zurechnen lassen. Orhan Pamuks Roman "Das Museum der Unschuld" erschien 2008. Er erzählt eine Liebesgeschichte, wobei der Protagonist exzessiv Dinge sammelt, die ihn an seine (verstorbene) Geliebte erinnern und die im Roman immer wieder besonders hervorgehoben werden. Der Roman nimmt insofern eine außergewöhnliche Wendung als der Protagonist mit den Objekten eine Ausstellung, einrichtet. Und tatsächlich wurde eine solche Ausstellung von Orhan Pamuk 2012 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und enthielt die Objekte, die der Roman benennt. Die Ausstellung ist zwar auch ohne Lektüre des Romans zu besuchen, sie gewinnt aber ihre Relevanz aus dem Bezug zum fiktionalen Text. Zwar gibt es in diesem Museum sogar ein "Museumsmanifest", das für "kleine Museen" plädiert, "die exemplarisch und individuell das Leben einzelner Menschen nachvollziehen sollen, anstelle großer Historie" (S. 283). Das erscheint aber als eher schwacher Beitrag Pamuks zur Museumstheorie. Im Kern geht es um die Auseinandersetzung mit Fiktionalität und Realitätsgehalt der Literatur. Der Roman geriert sich zwar als ‚Buch zur Ausstellung‘, die Gewichte sind aber gerade andersherum verteilt, denn die reale Ausstellung folgt nicht nur zeitlich dem Roman, sondern sie bezieht sich auch ganz deutlich auf die literarische Vorlage.
 
Fazit

Grenzgänge eröffnen die Chance, ein Feld von den Rändern her neu zu betrachten. Allerdings bergen sie das Risiko, dass die Ergebnisse ‚randständig‘ bleiben und nur wenig zu den relevanten Diskussionen der berührten Fachgebiete beitragen. Die literaturwissenschaftliche Kompetenz des Rezensenten reicht nicht aus, um den Ertrag von Quednaus Arbeit in diesem Fach zu beurteilen. Dass Literatur sich mit dem Verhältnis von Fiktion und Realität auseinandersetzt, ist sicher nicht neu. Dass sie dazu auf Museen rekurriert ist zumindest ungewöhnlich, es bleibt aber bei Anne Quednau unklar, welche spezifische Qualität im Literarisieren des Museums liegt.

Lesenswert und inspirierend scheint mir Quednaus Dissertation für das Nachdenken über Ausstellungen und die Suche nach neuen Ansätzen dafür. Einer ihrer Verdienste liegt sicher darin, den Blick auf das Verhältnis von Fiktionalität, Imagination und (physischer) Realität von Museumsobjekten zu richten. Das ist im Kern  ein museologisches Thema. Um sich dem zu nähern, wäre aber die apodiktische Setzung, dass Museen das Reale oder Authentische zeigen (wollen), aufzulösen. Was, wenn ihre größte Leistung darin besteht, Bilder in den Köpfen der Besucher*innen erzeugen? Wenn es mehr um Inspiration als um Information geht?
 
Fruchtbar erscheint die Frage danach, wieviel Imagination Ausstellungen erfordern, um aus den ausgestellten Einzelstücken Geschichten entstehen zu lassen. Die Ausstellung ist ein Medium, das ohne die Imagination der Betrachtenden nicht auskommt. Wenn die These zutrifft, ist, das Imaginäre  im Realen womöglich immer mit präsent und die realen Objekte gewinnen ihre Bedeutung erst aus dem, was das Publikum imaginiert. Museen können aber verschiedene Ansätze verfolgen, um die Imagination zu unterstützen und zu beeinflussen. Literatur könnte zu einem solchen Forschungsansatz einen interessanten Beitrag leisten, wo sie beispielsweise bewusst fragmentarisch erzählt, auf Kohärenz und Linearität verzichtet. Allerdings würde ein solcher Ansatz voraussetzen, sich zu entscheiden, worüber Aussagen getroffen werden sollen - in diesem Fall über Ausstellungen und nicht (in erster Linie) über Literatur. Wahrscheinlich wäre auch andersherum ein im Kern literaturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse denkbar und fruchtbar. So bleiben die vier Analysegegenstände zwar je für sich interessant und inspirierend, im Ergebnis doch recht unverbunden und additiv aneinandergefügt.

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