19.09.2019

Buchdetails

Museum und Inklusion: Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe (Edition Museum)
von Bärbel Maul, Cornelia Röhlke
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 168
 

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Autor*in

Claudia Meißner
arbeitet seit mehreren Jahren als Museumspädagogin in verschiedenen Museen in Thüringen und Bayern und hat u.a. 2016 eine Tagung zum Thema "Barrierefreiheit und Inklusion" in der Vermittlungsarbeit ausgerichtet.
Buchrezension

Museum und Inklusion. Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe

Museen in Deutschland sind spätestens seit Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Februar 2009 zur Förderung von Teilhabe für Menschen mit Behinderungen verpflichtet. Daraus folgt die Notwendigkeit einer inklusiven Kulturvermittlung, die auf den Abbau von Barrieren jeglicher Art und ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander ausgerichtet sein muss. Wie das in der konkreten täglichen Museumspraxis umgesetzt werden kann, zeigt das Buch "Museum und Inklusion".
 
Interdisziplinarität als Grundvoraussetzung inklusiver Bildungsarbeit
 
"Museum und Inklusion" ist ein praxisorientierter Erfahrungsbericht des Projekts "Stadtmuseum inklusive" mit bemerkenswerter Interdisziplinarität zwischen Museumsarbeit und Sozialpädagogik. Die Publikation, herausgegeben von Bärbel Maul und Cornelia Röhlke und erschienen bei Transcript 2018, ist einerseits eine Dokumentation des zweijährigen Projektes, initiiert durch das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim und die Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. (WfB). Andererseits verschriftlicht sie die Beiträge der interdisziplinären Abschluss-Tagung des Projekts vom April 2018. 
 
Das Projekt verstand sich von Beginn an als Beitrag zu mehr kultureller Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, hier mit dem Schwerpunkt auf geistige Beeinträchtigungen. Die Kulturvermittlung am Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim profitierte dabei von den Einrichtungen der WfB und deren Fachkompetenz im Bereich der Sozialpädagogik. Der Inhalt des Buches als Dokumentation dieser Tagung gliedert sich in vier Teile.
 
Partizipation und Inklusion in Erwachsenenbildung und Kulturarbeit
 
Im ersten Teil von "Museum und Inklusion" werden wissenschaftliche Grundbetrachtungen der beiden kooperierenden Disziplinen Museumswissenschaft und Sozialpädagogik als Impulse vorgestellt. Werner Schlummer, Forscher und Referent zu Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger Behinderung, gibt beginnend eine Einführung in die verwendeten Begrifflichkeiten. Er skizziert die historische Entwicklung hin zur Bezeichnung der Fokusgruppe als "Menschen mit geistiger Behinderung" mit dem Hinweis, dass eine Begriffszuschreibung immer auch die Sichtweise auf die bezeichnete Personengruppe bestimmt. Er zeigt zudem grundlegende Methoden der Erwachsenenbildung (für Menschen mit geistiger Behinderung) auf, die auch in der Kulturvermittlung anwendbar sind. Allen voran steht dabei das Grundprinzip der Elementarisierung von Vermittlungsinhalten, die keine bloße Banalisierung, sondern eine klare und einfache Darstellung der Sachverhalte und eine Reduktion auf die wichtigsten Aspekte meint.
 
Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, betont die zunehmende Bedeutung von Museen als soziale Orte, die sie nur im Dialog mit der Gesellschaft umsetzen können. Er stützt sich dabei auf verschiedene Modelle für Partizipation und Diversity, die die Heterogenität der Gesellschaft und deren Sichtbarmachung im Kulturbereich betonen. Dieser können Museen nur durch die Einbeziehung verschiedener Perspektiven auf ihre Inhalte gerecht werden. Solche Modelle müssen als Grundlage für Inklusion in der Kulturarbeit gelten, denn nur durch die kontinuierliche und respektvolle Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen kann kulturelle Teilhabe ermöglicht werden. 
 
Den im Grundsatz "nicht ohne uns über uns" ausgedrückten Haltungswandel der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen von Fürsorge hin zu Teilhabe skizziert Andreas Grünewald-Steiger, Leiter des Bereichs Museum der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel.
 
In diesen Beiträgen werden zur Veranschaulichung immer wieder Praxisbeispiele und Vorzeigeprojekte (beispielsweise das Ausstellungsprojekt "TOUCHDOWN" der Bundeskunsthalle Bonn) genannt und beschrieben. Die theoretischen Grundlagen der inklusiven Kulturvermittlung werden so in praktischen Anwendungsmöglichkeiten beschrieben. Insgesamt wird deutlich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und das pädagogische Methodenrepertoire für Inklusion im Museum seit Langem bestehen. Die Umsetzung muss aber als Prozess und Aushandlung aller Mitarbeiter*innen geschehen. Strukturelle Hürden in Organisation und Arbeitsweisen können nur durch Versuche und kreative Lösungsansätze dialogisch und auf Augenhöhe abgebaut werden. 
 
"StadtMuseum Inklusive" - ein Erfahrungsbericht
 
Im zweiten Teil folgt eine ausführliche Dokumentation des Projekts "StadtMuseum Inklusive" der beteiligten Akteur*innen des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim (Bärbel Maul, Cornelia Röhlke) und det WfB (Steffen Walther). Sehr anschaulich werden hier die Idee und Zielsetzung des Projekts skizziert: die Entwicklung von Möglichkeiten zur Teilhabe an kulturellen Angeboten für Menschen mit Behinderungen und die langfristige Gewinnung dieser Zielgruppe als Museumsbesucher*innen. Neben der detaillierten Beschreibung der einzelnen Projektschritte, die sich je nach Thema an Menschen mit geistigen Behinderungen unterschiedlichen Alters richteten (im Detail nachzulesen auf https://www.museum-ruesselsheim.de/152-0-Urban-Sketching-2018.html), werden vor allem die angewandten Zugänge (partizipativ, inklusiv, Teambildung und kreativ-selbsttätig, bspw. über Theaterarbeit) vorgestellt. 
 
Vor allem die Projektergebnisse und Reflexion der Initiator*innen geben dabei wertvolle Erkenntnisse für inklusive Projekte. Grundlegend sind demnach eine langfristig angelegte und enge Kooperation auf Augenhöhe zwischen Museum und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Vernetzung und gezielte Öffentlichkeitsarbeit mit Multiplikator*innen der Sozialpädagogik spielen dabei eine ebenso große Rolle wie der persönliche Kontakt zur Zielgruppe, Vertrauen und der Abbau von Barrieren bei Organisation und Rahmenbedingungen (bspw. Anfahrt, Kosten, Dauer der Veranstaltung). Im Ausblick wird deutlich, dass das Projekt zwar abgeschlossen ist, die inklusive Kulturarbeit damit aber keinesfalls als beendet gilt. Ziel ist die Einrichtung einer Service-Schnittstelle für Teilhabe an kulturellen Angeboten für Menschen mit Behinderungen.
 
Zugänge zur Kulturvermittlung mit Menschen mit geistigen Behinderungen
 
Im dritten Teil werden Methoden und Best-Practice-Beispiele für inklusive Kulturvermittlung vorgestellt. Diese sind divers in ihren zugrunde liegenden Ansätzen und Zielgruppen: 
 
  • Barbara Fornefeld (Universität Köln) stellt das Konzept "mehr Sinn® Geschichten" vor, bei dem durch Storytelling und sinnliche Zugänge Ausstellungsinhalte teilhabeorientiert erschlossen werden können. 
  • Ines Bader, Psychologin und Pädagogin, erläutert Biografiearbeit für Menschen mit geistigen Behinderungen, die durch narrative und sinnliche Formate deren Selbstwertgefühl, individuelle Fähigkeiten und Emotionen stärken kann. 
  • Matthias Gräßlin, Leiter der Theaterwerkstatt Bethel, führt in die Grundlagen der Volxtheater-Arbeit ein. Diese erarbeitet mit heterogenen Gruppen basisdemokratisch Zugänge zu verschiedensten Themen und betont dabei die Wichtigkeit kreativer Ausdrucksarten, besonders in der Arbeit mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. 
Die ausgewählten Beiträge zeigen damit das breite Spektrum bereits initiierter inklusiver Kulturprojekte.
 
Über den Tellerrand: inklusive Vermittlungsprojekte
 
Im letzten Teil werden die praktischen Workshop-Angebote der Tagung dokumentiert:
 
  • Henriette Pleiger stellt das Projekt "TOUCHDOWN" der Bundeskunsthalle Bonn vor, bei dem Ausstellung, Begleitveranstaltungen und Publikation zum Thema Down-Syndrom gemeinsam mit Autor*innen und Künstler*innen mit Down-Syndrom konzipiert, gestaltet und durchgeführt wurden. Das Ausstellungsprojekt gilt als einer der Vorreiter der inklusiven partizipativen Kulturarbeit. 
  • Birgit Baumgart und Maik Penning präsentieren die Zertifizierung von Menschen mit geistiger Behinderung als Museumsführer*innen am Staatlichen Museum Schwerin. Das Angebot ist inzwischen fester Bestandteil des dortigen Museumsprogramms. 
  • Der Workshop "Mit allen Sinnen" zeigte mehrsinnliche Zugänge, die Birgit Tellmann im Projekt "Pilot Inklusion" anwendet.
  • Über "Biografische Zugänge" sprach Börje Nolte, der mit dem Projekt "Kohle weckt Erinnerung" am LWL-Museum für Industriekultur narrative Zugänge und biografische Erinnerungen für Menschen mit Demenz anbietet. 
  • Eine Einführung in Wesen und Regelwerk der Leichten Sprache gab Anne-Kathrin Berg von der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz. Dank entsprechend aufbereiteter Informationen in Ausstellungstexte, Audioguides, Homepage und Werbematerialien kann Menschen mit geistigen Behinderungen der Zugang erheblich erleichtert werden.
Die Dokumentation der Workshops gibt anschauliche und praktische Handlungshilfen und Zugangsmöglichkeiten für Kulturvermittlung mit Menschen mit geistigen Behinderungen. Gleichzeitig zeigt sie die Heterogenität dieser Zielgruppe und ihrer Bedürfnisse auf.
 
Fazit - Ermutigung zur inklusiven Vermittlungsarbeit
 
Insgesamt gibt der Tagungsband einen guten Einblick in Grundlagen, Methoden und Praxisbeispiele der kulturellen Bildungsarbeit mit Menschen mit geistigen Behinderungen. Bemerkenswert ist vor allem der interdisziplinäre Ansatz, der diese inklusive Arbeit immer gemeinsam mit den Museumswissenschaften und der Sozialpädagogik denkt. Insgesamt bieten damit sowohl das Projekt als auch die Tagungsdokumentation eine umfassende und anwendungsorientierte Handreichung. Schwerpunkt ist die Ermutigung zur Planung und Durchführung eigener inklusiv angelegter Projekte, es werden Methoden und grundlegende Voraussetzungen dargestellt. 
 
Besonders für Akteur*innen der Kulturvermittlung und Multiplikator*innen der Sozialpädagogik bietet dieses Buch eine sehr gute Grundlage, da es praxisnah und von Grund auf die Herangehensweisen an inklusive Projekte vorstellt und durch die vielfältigen Beispiele Ansprechpartner*innen, weiterführende Literatur und Erfahrungsberichte aufzeigt. 
 
Da inklusive Kulturprojekte besonders in Bezug auf die Planungszeiträume und das Personal zudem viele Ressourcen brauchen, ist ein Haltungswandel in der jeweiligen Institution und im Kulturmanagement zentral, um ein Mit-Denken von Inklusion zu ermöglichen. Das Buch zeigt auf, dass es dafür kein Patentrezept gibt, da Inklusion immer im Einzelfall mit den kooperierenden Akteur*innen ausgehandelt werden muss. Der Abbau von diesbezüglichen Berührungsängsten kann nur über die Bereitschaft entstehen, inklusive Projekte gemeinsam "fachlich fundiert auszuprobieren" (Werner Schlummer). Greift man den Inklusionsgedanken weiter, können die Grundsätze mehrsinnlich - multiperspektivisch - besucherzentriert auf die Kulturarbeit allgemein angewandt werden und zu einer breiteren kulturellen Teilhabe in der Gesellschaft beitragen.

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