05.05.2021

Buchdetails

Safari: Projekte und Reflexionen zur Kulturvermittlung in der Schule
von Gunhild Hamer
Verlag: Hier und Jetzt
Seiten: 120
 

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Autor*in

Marion Kolbeck
hat Anglistik, Romanistik und Geschichte studiert und sich später zum Information Specialist an der FH Potsdam weitergebildet. In dieser Funktion war sie mehrere Jahre in der Medienbranche tätig. Zur Zeit arbeitet sie als Redakteurin für Webseiten und Blogs und schreibt Beiträge, vor allem zu kulturellen Themen.
Buchrezension

Safari. Projekte und Reflexionen zur Kulturvermittlung in der Schule

Kunst- und Kulturvermittlung findet an Schulen meist lehrplangebunden im Unterricht statt. Wie bereichernd solche Projekte für Schüler*innen und, welche Hindernisse auftreten können, zeigt die Dokumentation "SAFARI. Projekte und Reflexionen zur Kulturvermittlung in der Schule".
 
Seit 2014 gibt es im Schweizer Kanton Aargau das Kulturförderinstrument SAFARI, angesiedelt an der Fachstelle Kulturvermittlung des Departments Bildung, Kultur und Sport. Innerhalb des Netzwerks "Kultur macht Schule" und mit Unterstützung der Schweizer Mercator-Stiftung werden dabei modellhafte Kulturvermittlungsprojekte an Schulen entwickelt und etabliert.
 
2021 startet, nach den ersten beiden, jeweils dreijährigen Phasen, die dritte Phase, nun unter dem neuen Namen "Prozessor". Die vorliegende Publikation gibt einen Überblick über die Zielsetzungen von SAFARI und beleuchtet die einzelnen Projekte der zweiten Phase von 2017 bis 2019. Die Ergebnisse der Evaluation fließen in eine Reihe von Fachbeiträgen ein, die einzelne Aspekte des Förderinstruments an Beispielen herausstellen.
 
Die Publikation wurde herausgegeben von Gunhild Hamer, Leiterin der Fachstelle Kulturvermittlung, und erschien 2019 im Hier und Jetzt Verlag. Sie veranschaulicht kurz und knapp, welche Arten von Projekten, welche Themenbereiche und künstlerischen Sparten für welche Klassenstufen und Schularten realisiert wurden. Jeder Bericht hebt außerdem hervor, welchen Mehrwert die Projekte hinsichtlich, aber auch jenseits des Erwerbs praktischer künstlerischer Fähigkeiten und kunsthistorischen Wissens für die Lernenden hatten, sei es die Stärkung des Selbstbewusstseins, das Erleben von Teamwork, das Gemeinschaftsgefühl, oder das gute Gefühl praktischen Tuns.
 
Vor allem diese Stellen des Buches verdeutlichen, wie bereichernd und unerlässlich derartige Vorhaben für Heranwachsende sind. Im Schulalltag sind Projekte zur Kulturvermittlung immer noch verhältnismäßig selten, trotz besseren Wissens der politisch Verantwortlichen. Denn inzwischen gibt es zahlreiche Studien und Expertisen (beispielsweise der Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V., die die Bedeutung kultureller Bildung an Schulen als gewinnbringende Ergänzung und Kontrast zum Schulalltag hervorheben. Sie betonen auch die Bedeutung von Kooperationen in diesem Bereich, von Netzwerken. Denn nicht nur die schulische Seite profitiert, auch die Kulturschaffenden, die Künstler, Theater und Museen. Sie erhalten einen Einblick in das System Schule, in die Gedankenwelt und kreativen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, und können so ihre Programme anpassen und weiterentwickeln.
 
Die Dokumentation der Projekte wird durch Fachbeiträge aus den Bereichen der beteiligten Akteur*innen und Institutionen, der Schule, dem Museum, dem Theater, den Künstler*innen und der beteiligten Mercator-Stiftung ergänzt. Sie bieten einen weiteren Mehrwert des Buches, beleuchten aus ihrem jeweiligen Blickwinkel die Herausforderungen, Eigenheiten, Effekte, Vorteile, aber auch die Schwächen von SAFARI.
Mehr Kommunikation
 
Dass Projekte im Bereich Theater vor allem bei jungen Leuten eine aktivierende Wirkung haben, besonders, wenn sie aktiv zu Autor*innen, Darsteller*innen oder Gestalter*innen werden, mag ein Allgemeinplatz sein. Im Bildungsbereich hat das Theater neben der künstlerischen jedoch auch eine soziale und gesellschaftliche Aufgabe inne, die die Beobachtungen während der Projektlaufzeiten untermauern: Es ermöglicht den Zugang zueinander, fördert den Zusammenhalt der Klasse und verbessert die Kommunikation. Dies kommt auch dem schulischen Anspruch entgegen, sogenannte "Cross-Kompetenzen" oder "soft-skills" vermitteln zu wollen, also die Fähigkeit, unter beliebigen Umständen vernetzt, agil und selbstreflexiv zu denken, zu kommunizieren und zu handeln. Im entsprechenden Beitrag von Peter-Jakob Kelting wird betont, dass besonders längerfristige Kulturprojekte an Schulen dies ermöglichen.
 
Die Offenheit, also der Projektcharakter der meisten vorgestellten Projekte ohne Leistungsdruck macht das Ausprobieren einfacher. Somit können neue Strategien erarbeitet werden, und zwar sowohl von den Lernenden als auch von den Lehrenden. Dass die Projekte oft auch in andere Fächer hineinwirken, hat positive Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung. Ebenso profitieren beide Seiten davon, wenn durch die Öffnung des Schulalltags die Routine gemindert, das "bipolare Verhältnis" zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen aufgebrochen wird.
 
Förderung von Partizipation
 
Im Mittelpunkt der Bewertung von Seiten der Künstler*innen und der Museen steht die Partizipation im Sinne von Mitgestaltung als vornehmliche Aufgabe von Kunstvermittlungsprojekten. Der aktive Input der Schüler*innen bewirkt zunächst bei ihnen selbst eine Veränderung. Im Zustand höchster Konzentration ist das Bewusstsein für die eigenen inneren Vorgänge intensiver als sonst. "Wenn wir Material verändern, ändern wir auch etwas in unserem Kopf und Denken" (S. 59). Indem die Schüler*innen sich das Material, in diesem Fall Lehm, aneignen, so oder so damit umgehen, auf seine Veränderung eingehen und sich darüber austauschen, partizipieren sie an der Kunstproduktion.
 
Mit einer weiter gefassten Bedeutung des Begriffs Partizipation jongliert der Aufsatz aus Sicht des Museums von Christian Rohner, nämlich als "erstrebenswertes Ziel politischer Bildung" (S. 70). Die Partizipation von Schüler*innen oder Besucher*innen im Museum hat zudem nicht nur für sie selbst einen Lerneffekt, sondern auch für die Institution, die auf diese Weise die Wünsche und Interessen der Besucher*innen kennenlernt und sie als Grundlage für die Gestaltung des Angebots verwenden kann.
 
Ein interessanter Ansatz ist in diesem Zusammenhang, die Kunstvermittlung wie ein Spiel zu sehen. Demnach offenbart sich ein Kunstwerk erst, wenn eine Spielsituation möglich ist, die uns als Mittätige einschließt. Dazu müssen wir uns auf die Spielregeln einlassen, wir können nur über Kunst reden, wenn wir uns auf die Auseinandersetzung einlassen. "Kunstwerke können zu Orten des Andersseins und der Fiktionen führen" (S. 77). Diese Übergänge bieten Potential für Bildungsprogramme, denn in einem solchen geschützten Raum können Themen wie Mehrdeutigkeit und Gewissheit behandelt werden.
 
Die Lehrkräfte erhalten bei dieser Gelegenheit ebenfalls die Möglichkeit, neue Sichtweisen anzunehmen, in Bezug auf die Schüler*innen und auf den "Schulraum". "Eine Lehrperson, die etwas 'Verrückendes' wagt, kann auch einen Beitrag leisten, mit jungen Menschen über ein Handeln in einer sich bewegenden Umwelt nachzudenken" (S. 83).
 
Die Schwachstellen
 
Insgesamt wird das Programm als schweizweit herausragend und gewinnbringend für alle Beteiligten dargestellt, doch es gibt an manchen Stellen Schwierigkeiten. Sie lassen sich, und das ist wenig erstaunlich, auf Budgetprobleme zurückführen. Zum einen sind es zeitliche Beschränkungen, in erster Linie bei den Lehrer*innen, aber auch bei den Künstler*innen. Hier müssen die starren Strukturen aufgebrochen werden. Eine sorgfältige Planung der Projekte ist außerdem unerlässlich.
 
Weitere Probleme ergeben sich aus fehlenden Voraussetzungen der beteiligten Institutionen. Auf Bewerber*innen-, also Künstler*innenseite bestehen häufig Wissensdefizite hinsichtlich schulischer Strukturen. Zudem hat die Kulturvermittlung einen niedrigeren Stellenwert als die "eigentliche" Arbeit der Künstler*innen. 
 
Wegen der hohen Ansprüche des Programms ist der Aufwand sehr hoch, was dazu führen kann, dass sie zur zusätzlichen Belastung werden. Ähnlich sieht es auf schulischer Seite aus: Die Lehrer*innenschaft hat wenig Kenntnis über die Möglichkeiten, die Schulstrukturen zu verändern, und erkennt oft die Potenziale des Programms nicht. Abschließend wird gefordert, das Programm als Instrument zur Weiterbildung für alle Beteiligten auszubauen, somit zur Weiterentwicklung und Professionalisierung beizutragen. Diese Forderung wurde für die kommende Phase bereits umgesetzt.
 
Fazit
 
Die Publikation bietet auf nur ca. 100 Seiten einen guten Überblick über die Möglichkeiten schulischer Kulturvermittlung anhand konkreter Beispiele. Sie kann für Akteure im kulturellen Sektor als Handreichung dienen, allerdings vor dem Hintergrund des Wissens um die Unterschiede zwischen den Schulsystemen. 
 
Es wäre schön gewesen, wenn bei den Projekten das Alter der Schüler*innen genannt worden wäre, um sie leichter einordnen zu können. Ansonsten sprechen die Autor*innen der Aufsatzsammlung sicher vielen aus der Seele, denn die Notwendigkeit solcher Kulturvermittlungsprojekte ist spätestens seit dem Pisa-Schock bekannt. Gerade aufgrund des ständig steigenden Leistungsdrucks in der Schule werden Freiräume ohne Notendruck, rein zur kreativen Entfaltung für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit immer wichtiger.

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