30.01.2006

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Buchrezension

Le nouvel âge des musées: Les institutions culturelles au défi de la gestion

Autor: Jean-Michel Tobelem, Pierre Rosenberg, Bernard Deloche; Armand Colin Verlag; 2005
 
Jenseits wie diesseits des Rheins: auch die französische Museen müssen längst vielmehr als sammeln, forschen und bewahren. Das zeigt das neue Buch von Jean-Michel Tobelem "Das neue Museumszeitalter - Herausforderung Kulturmanagement"

Es gibt wahrscheinlich keinen Politikbereich in Frankreich, wo der Staat mehr eingreift, reguliert und gleichzeitig unter- oder überfinanziert. Die Gesetze mit denen der Staat im Kulturbereich interveniert, finden ihren Ursprung schon unter der napoleonischen Regentschaft und das Vichy Regime ergänzte, was an Rechtsmitteln noch zu fehlen schien. Gerade diese historische Herkunft erklärt wahrscheinlich auch den außerordentlich protektionistischen Charakter französischer Kulturpolitik - ein Charakterzug, der neben Vorteilen auch große Nachteile birgt.

Das jüngst von Jean-Michel Tobelem erschienene Buch "Das neue Museumszeitalter - Herausforderung Kulturmanagement" zeigt, anhand des Museumssektors, die enormen Veränderungen im französischen Kulturbereich.

Der Autor eröffnet dem Leser einen als Panorama angelegten Blick auf die reiche Museumslandschaft Frankreichs. Dabei widmet er sich zunächst den Finanzierungsstrukturen und damit auch der Rolle von Sponsoren, Mäzenen und Stiftungen. Wer die Diskussionen über das für und wider von "Doppelspitzen" in den Führungsetagen des deutschen Kultursektors kennt, wird sich auch in dem darauf folgenden Kapitel gleich heimisch fühlen, das sich mit den Protagonisten der Szene auseinandersetzt. Diese Diskussion hat in Frankreich - über die uns in Deutschland wohl bekannte Grundsatzdebatte hinausgehend - noch eine weitere Dimension. So gründete das Kulturministerium im Jahr 2002 das Label "Musées de France". Jedes Museum das diesen Titel, durch einen eigens dafür gegründeten Rat, verliehen bekommt, muss einen "conservateur" an der Spitze haben.
In diesem Kontext betrachtet erscheint Tobelem besonders mutig, wenn er die Frage aufwirft, ob ein Direktor denn "automatisch" conservateur sein müsste und dabei ebenso die Konzepte von "entrepreneurship" und "leadership" anhand angelsächsischer Vergleiche anspricht.

Die Frage eines "good governance", die der Autor anschließend thematisiert, wird im zentralisierten Frankreich unter vollkommen anderen Voraussetzungen diskutiert als in Deutschland. So lassen sich Frankreichs Verwaltungsstrukturen - auch nach unzähligen Wellen der Dezentralisierung und "Déconcentration" - im Grunde nach wie vor auf ein Wort reduzieren: Paris. Diese Spannung aufgreifend geht der Autor unter anderem auf die Beziehung zwischen den lokalen Museen und der "Direction des Musées de France" ein, die im Kulturministerium angesiedelt ist. Er verweist in diesem Kontext ebenso auf den mangelnden Spielraum für die großen Häuser, durch die nach wie vor zu hohen rechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse.
Die französische Hauptstadt bietet in ihrer Museumsdichte eine beispiellose Konkurrenzsituation. Seit der "Grand Louvre" nach seiner 20 Jahre dauernden Renovierungs- und Reorganisationphase, die mehr als eine Billion Euro gekostet hat, zusammen mit dem 1986 eröffneten "musée d'Orsay" in die nationale und internationale Museumslandschaft eingetreten ist, hat sich die Wettbewerbssituation um Besucher und Zuwendungen radikal verschärft. Doch ein Ende dieser, bereits auf Napoleon zurückgehenden, Politik der (Pariser) "grands projets", wovon das "musée du Quai Branly" nur eines ist, ist nicht abzusehen - selbst wenn bei vielen der bestehenden "Mammuteinrichtungen" schon heute die Finanzierung des laufenden Betriebs nicht mehr gewährleistet ist.

Besonders interessant ist der kurze Einblick in die Rolle der "Reunion des musées nationaux" (RMN) (Vereinigung der nationalen Museen). So hat sich die Funktion der RMN durch die jüngsten Reformen vollständig verändert hat. War sie früher zentrale staatliche Ankaufsstelle für alle Ihre Mitglieder, so haben die großen "Beitragszahler" wie Versailles, Louvre usw. die Chance Ihrer neuen Rechtsform des "établissement public administratif" (EPA) ergriffen, sich von der RMN losgesagt und betreiben jetzt Ihre eigene Akquisepolitik. Heute fließen Ankaufsbudget und große Teile der Eigeneinnahmen "der Großen" nicht mehr in den zentralen Topf der RMN, was den großen Häusern zwar wesentlich mehr "Spielraum" gibt, aber gleichzeitig verhindert, dass die "kleinen Mitglieder" von den gemeinsamen Ankäufen profitieren. Damit erfüllt die RMN nicht mehr Ihre Hauptfunktion, die man ihr bei Ihrer Gründung vor über einem Jahrhundert zudachte.
Außerdem übernimmt die RMN für die großen Häuser, die in der Regel EPA's sind, keine Publikationstätigkeit mehr, da das in die Zuständigkeit der Häuser zurück verlagert wurde, die nun die erwirtschafteten Eigeneinnahmen auch direkt in ihre Publikationserstellung (u.a.) investieren können.
Leider widmet der Autor erst das letzte Kapitel dem Strategiebereich, was der Dringlichkeit der hierin angesprochenen Themen nicht ganz gerecht zu werden scheint. So werden hier regionale Netzwerke und Kooperationen, als auch kulturtouristische Entwicklungen leider nur kurz diskutiert.

Von Kooperationen auf regionaler Ebene ausgehend erläutert er dann im gleichen Kapitel strategische Allianzen und joint-ventures internationalen Charakters. Ein Thema das an den deutschen Häusern gegenwärtig fast unbemerkt vorbei zu ziehen scheint - auch wenn die Sammlungen deutscher Häuser es sicherlich erlauben würden, das Thema weitergehender internationaler Kooperationen einmal aufzugreifen. Dies bleibt also aus deutscher Sicht anzumerken, wenn der Autor - anhand einer sehr fundierten internationalen Presserecherche - vorführt, wie sehr sich angelsächsische Häuser schon seit langem um Vernetzung und Kooperationen rund um den Globus bemühen. Ein Markt, der nun auch die großen französischen Museen das "Guggenheimprinzip" entdecken lässt. So wird das Centre Pompidou mit dem Guggenheim im "Doppelpack" plötzlich zum "Global player" in Hongkong und das Louvre verschickt Sammlungsteile in die Vereinigten Staaten.

Tobelem eröffnet einen sehr breit gefächerten Überblick über die französische Museumslandschaft. Damit bietet er eine hohe Themenvielfalt, die zugleich auf die Vertiefung von Einzelaspekten verzichtet. Bereichernd sind die Vergleiche mit dem angelsächsischen Museumssektor. Gleichzeitig reicht sein Blick innerhalb der Europäischen Union nur bis in die Niederlande. Das ist bedauernswert und erstaunt zugleich nicht, denn betrachtet man nur einmal die Intensität der deutsch-französischen Beziehungen in vielen Bereichen, erstaunt es, dass es im Kulturmanagement (noch) fast keinen Austausch gibt. Gerade vor diesem Hintergrund stellt das Buch einen guten Einstieg dar, der elementare Unterschiede sowie gemeinsame Zwänge und Lösungsstrategien deutlich werden lässt - jenseits wie diesseits des Rheins.

Nach einem Studium am renommierten Pariser Institut d'études politiques promovierte der Autor in Betriebswirtschaftslehre. Er leitet heute das Forschungsinstitut Option Culture in Paris.
 

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