26.02.2021

Themenreihe Corona

Autor*in

Irini Karamitrou
(Jahrgang 1981) ist in Athen geboren. Nach dem Magisterstudium der Kunstgeschichte, klassischen und christlichen Archäologie an den Universitäten in Köln, Rom und Bonn, hat sie berufsbegleitend Curatorial Studies an der Ruhruniversität Bochum, sowie einen Master in Management von Kultur - und Non-Profit-Organisationen an der TU Kaiserslautern absolviert. Einige der Stationen ihrer bisherigen zwanzigjährigen Berufslaubahn waren KölnTourismus, der Landschaftsverband Rheinland, AXA Art, documenta 14 und die Bundeskunsthalle. Aktuell leitet sie als Geschäftsführerin den Deutschen Chorverband PUERI CANTORES und ist als freie Autorin tätig. 
Chorlandschaft während der Coronakrise

Jede*r singt für sich allein

Ob als Senioren-, Universitäts-, Gewerkschafts-, Kammer-, Rundfunk-, Volks- oder Schulchor: Chöre sind nicht mehr aus der deutschen Kulturlandschaft wegzudenken. Seit dem Jahr 2014 wurde diese Musikform der Amateurchöre im Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission eingetragen. Umso bedauerlicher ist daher der aktuelle Stillstand des kompletten Chorlebens.

Themenreihe Corona

Virtuelle Chöre und andere experimentelle Formate

Die Chöre haben es seit März 2020 nicht leicht: Die Ansteckungsgefahr des Coronavirus durch den Ausstoß und Zirkulation der Aerosole während des Singens wurde von Beginn der Pandemie an als sehr hoch eingestuft. Um Ostern 2020 herum hat es einen regelrechten Boom der virtuellen Chöre gegeben, die zuerst mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Sie ermöglichten jedoch den einzelnen Chormitgliedern das Einsingen ihrer Passagen vorm heimischen Rechner, die dann von den Chorleiter*innen zu einer digitalen Collage zusammengeschnitten wurden.
Was als Experiment von technikaffinen Musiklehrern und Kantoren initiiert wurde, erwies sich vor allem bei den jungen Sänger*innen als willkommene Abwechslung vom Social-Distancing-Allltag, die vermehrt darunter gelitten haben. Gerade für Kinder- und Jugendliche ist der Chor für die Persönlichkeitsbildung essenziell, da das Singen die eigene Präsenz und Kommunikationsfähigkeit steigert. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Freundschaften, welche bei den Chören entstehen ziehen sich aber durch alle Altersstufen hindurch.

Zudem beteiligten sich im Frühjahr 2020 verschiedene Chöre an der digitalen "Klopapier-Challenge", die ihren Ursprung in Sportvereinen hatte und als eine Persiflage auf die Hamsterkäufe und Verknappung des Toilettenpapiers während des ersten Lockdowns gemeint war. Dabei bekam der*die einzelne sich filmende Protagonist*in eine Rolle Klopapier zugeworfen, die gefangen und weitergegeben werden musste. Jede*r Sänger*in wurde gefilmt und aus den vielen kreativen Beiträgen ein großes Video des gesamten Chors zusammengeschnitten. In den Videos wurden dann die Chöre nacheinander von dem teilnehmenden Chor nominiert, wodurch sie sich auch mit und untereinander vernetzten.

Während des ersten Lockdowns wurden darüber hinaus weitere experimentelle Formate des gemeinsamen Singens erprobt: Nach Vorbild der Autokino-Konzerte traf man sich beispielsweise gemeinsam auf einem Parkplatz oder einer Raststätte, um im PKW per Zoom, mit geöffneten Fenstern oder über das Autoradio (über einen dafür eigens eigestellten Kanal) mit den anderen Teilnehmer*innen zusammen zu singen.
Zusammenarbeit der Verbände bei der Erstellung von Hygienekonzepten

Unterdessen haben die Verbände und Musikmediziner*innen gemeinsam an verschiedenen Hygienekonzepte gearbeitet, sich in der Zeit gemeinsam stärker vernetzt, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zusammengetragen und an die Chöre kommuniziert (siehe Hygienekonzept vom Deutschen Chorverband von Pueri Cantores, Stand 21.01.21). Eine zusätzliche Schwierigkeit bestand darin, die verschiedenen Regularien der Bundesländer und der Bistümer zu berücksichtigen und die Informationen passgenau zu dem jeweiligen Chor und seinen Bedürfnissen zu bündeln. Hierzu gab es immer einen regen Austausch zwischen der jeweiligen Dommusik in den verschiedenen Bistümern und den verschiedenen Landesmusik- und Chorverbänden.

Im Sommer verlagerten sich die Chorproben nach draußen, um mit großem Abstand (bis zu 3 Meter) zueinander auf freien Flächen oder unter Zelten und Kreuzgängen an der Kirche mit Überdachung zu singen. Die ersten Proben verliefen wegen der neuen Akustik und aufgrund der neuen großzügigen Verteilung durch die vorgegebenen Abstände eher gewöhnungsbedürftig. Die Chorleiter*innen standen vor der neuen Herausforderung, mit der neuen Raumsituation und der Konstellation von weniger Sänger*innen die Klangqualität zu verbessern. Nach und nach haben sich die Mitglieder auf die neue Situation und Aufstellung in ihrem Chor gewöhnt und die Hygienekonzepte in ihren Proben integriert.

Der zweite Lockdown seit November 2020

In den Herbstmonaten hat sich so mancher Chor mit größeren Räumlichkeiten und Lufterneuerungsgeräten (und manch einer sogar mit sogenannten Singmasken) über die kälter werdende Zeitperiode hinweggeholfen. So lief der Chorbetrieb nach dem Sommer einige Wochen bis zum Lockdown Light ab dem 2. November, mit dem das komplette kulturelle Leben erneut heruntergefahren werden musste. Diese Entscheidung hat die gesamte Chorlandschaft zutiefst enttäuscht, die in den letzten Monaten bewiesen hat, dass das Singen in (Klein-)Gruppen unter Einhaltung strenger Hygienekonzepte sicher durchgeführt werden konnte, wie Studien von Phoniatrien beweisen (Stand: 15.10.20). Bei hunderten von Chorproben und kleineren Konzerten, die seit dem ersten Lockdown stattgefunden haben, sind keine Infektionsherde bekannt geworden, wenn die Schutzkonzepte eingehalten wurden. Für das aktuelle Chorverbot fehlte die statistische Rechtfertigung. Zudem wurde das Gefühl der Unverhältnismäßigkeit dieses Beschlusses bei den Betroffenen intensiver, da die Geschäfte der Innenstadt zumindest vorerst geöffnet blieben und überfüllt waren.
 
Gerade in der Weihnachtszeit wurde das Singen in der Liturgie schmerzlich vermisst. Aber angesichts der hohen Infektionszahlen haben sich die meisten Kirchengemeinden dazu entschieden, um kein gesundheitliches Risiko einzugehen, das Singen vorerst während des Gottesdienstes eingestellt wird und sogar keine Weihnachtsmessen in den Kirchen anzubieten. Keine Adventslieder, keine Weihnachtsoratorien und auch keine Sternensinger mehr. Es gab jedoch virtuelle Mitmachaktionen, wie z. B. #zusammenSINGENzurWEIHNACHT, welche von der Deutschen Chorjugend initiiert worden ist und viele online-Messen während der Feiertage.

Der Status Quo und Ausblick

Nun sind die zentralen Fragen der Chöre, die um ihre Existenzen fürchten, in Hinblick auf die Zukunft folgende: Wie lange wird man in dem Lockdown bleiben und was wird die Politik bezüglich des Chorsingens Weiteres entscheiden? Wie kann wieder gesungen werden und inwieweit wird die Pandemie das Chorleben verändern? Können gerade kleinere Chöre in dieser Zeit noch bestehen bleiben und wird es Nachwuchs geben, um den Erhalt der Chöre künftig zu sichern? Noch kann dies alles nicht beantwortet werden, dennoch ist der Deutsche Chorverband Pueri Cantores seit letztem Jahr im Kompetenznetzwerk des BMCO (Bundesmusikverband für Chor- und Orchester), der mit Bundesmittel eine neue Projektleitung für "Kreative Lösungen für den NEUSTART AMATEURMUSIK" veranlasst hat mit oberster Prämisse diesbezüglich Hilfestellung zu geben und Konzepte für die Zukunft zu entwickeln.

Leider wird zusätzlich erschwerend in der schon prekären Situation das Singen in den Medien stigmatisiert. Anstatt zu berichten, dass das Singen mit den erarbeiten Hygienekonzepten nicht gefährlich ist, sondern deren Nichtbeachtung das eigentliche Problem ist, wird das Singen im Chor pauschal denunziert. Wie bei allen Kulturveranstaltungen geht es in den Regelungen aber nicht nur um die Proben oder Veranstaltungen selbst, sondern beispielsweise auch darum, die Personenzahl im öffentlichen Nahverkehr zu reduzieren. Deshalb sind diese Bedenken berechtigt, aber durchaus von den Chören mitbeachtet, wenn z. B. die einzelnen Chorsänger*innen mit dem Fahrrad zur Chorprobe kommen und nach der Chorprobe direkt wieder nach Hause fahren, anstatt am gleichen Ort länger zu verweilen.

Das Ministerium für Kunst und Kultur fördert zwar wie oben beschrieben im Rahmen von NEUSTART KULTUR die Kulturlandschaft, wovon mit NEUSTART AMATEURMUSIK mit 1,5 Mio. Euro ab diesem Jahr auch Ensembles und Chören geholfen werden soll (Stand: 30.12.2020). Aber je länger der Lockdown dauert, desto länger werden die irreparablen Schäden in der Chorlandschaft sein, da wesentliche Strukturen zerstört werden und auch mit den Hilfen sich nicht wieder wiederherstellen lassen können. Hierbei ist es wichtig innerhalb des Chores den Kontakt zu den Mitgliedern zu halten und sich virtuell zu begegnen.

Nun bleibt den Chormitgliedern aktuell nichts anderes übrig, als sich in den eigenen vier Wänden allein dazu zu motivieren, weiter zu singen und die mentale Gesundheit und die Stimmbildung nicht außer Acht zu lassen. Dabei sind auch die digitalen Proben eher ein Überbrückungsmittel und kein vollwertiges Substitut für die physische Präsenz. Man kann dies durchaus mit der Sehnsucht einer Fernbeziehung vergleichen, die sich mit Telefonaten und Videoschaltungen über die Distanz behilft, doch eigentlich nur auf das physische Wiedersehen hin fiebert.

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