27.11.2020

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Julia Merz (Kirn)
ist Professorin für Unternehmens- und Kulturkommunikation an der Hochschule Fresenius München. Sie ist studierte Kommunikationswissenschaftlerin und Violinistin. Nach Stationen beim Münchner Rundfunkorchester und der Bayerischen Staatsoper als Musikerin war sie bis September 2017 Pressesprecherin der Tonhalle Düsseldorf. 
(Darstellende) Kunst online

Mit Netzwerken und sozialen Medien junge Zielgruppen erreichen

Sind Jugendliche die "Horrorzielgruppe" für klassische Musik, Theater oder Bildender Kunst? Und welche innovativen Ansätze können fruchtbar gemacht werden, um insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene in Konzert, Oper und Co. zu locken und von klassischer Musik zu begeistern?

Themenreihe Digitale Formate

Dieser Beitrag beschreibt die Genese des Vereins "Kultur-Netzwerker" und die Ergebnisse einer Studie zur Pilotphase des Projekts, das musikalische und mediale Ansatzpunkte der Sozialisation Jugendlicher und junger Erwachsener in Einklang bringt (Kirn 2016). Denn Lebenswelten Jugendlicher sind heutzutage auch Medienwelten, die sinnvoll in die musikalische Sozialisation eingebunden werden können. 
 
Ausgangspunkt der Forschung 
 
In einer qualitativ angelegten Grundlagenstudie wurde zunächst anhand von problemzentrierten Leitfadeninterviews zwölf Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 24 Jahren befragt. Mithilfe eines theoretischen Samplings wurden dafür Probanden ausgewählt, die ein unterschiedlich starkes Interesse an klassischer Musik mitbrachten und sich auch hinsichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale unterschieden (Kirn 2016, S. 118 ff.). Ziel war die Analyse und Systematisierung zentraler Schlüsselfaktoren für ein gesteigertes, nachhaltiges Interesse an klassischer Musik. 
 
Die Auswertung der Interviews machte deutlich, dass insbesondere Schlüsselfiguren - innerhalb wie außerhalb der Familie - die relevanteste Bezugsgröße sind. Schlüsselfiguren zeichnen sich dabei durch zwei wesentliche Eigenschaften aus: Sie besitzen (1) eine hohe Glaubwürdigkeit für das Thema klassische Musik und (2) geben ihre Begeisterung für das Thema auf Augenhöhe gerne weiter. In der Realität sind Schlüsselpersonen - so zentral ihre Rolle auch ist - in der Regel zufällige Begegnungen im familiären oder schulischen Umfeld, teilweise auch im Freundeskreis. Was aber, wenn sich im Umfeld keine potenzielle Schlüsselfigur befindet, man aber prinzipiell offen und interessiert an einem Kulturbesuch wäre und nur nicht weiß, welche Angebote sich eignen, welcher Dresscode angemessen ist oder wie z.B. Studierende an ermäßigte Tickets kommen? 
 
Aus dieser Überlegung heraus und aus der Tatsache, dass durchweg alle Befragten ihre eigene Begeisterung an klassischer Musik gerne weitergeben, entstand die Idee, potenzielle Schlüsselfiguren systematisch über eine möglichst reichweitenstarke Plattform zu vermitteln. Und zwar auf Wegen, die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen als besonders natürlich und einfach wahrgenommen werden: online über Soziale Medien. Der kommunikative und soziale Austausch findet häufig in diesem Rahmen statt. Auch kulturelle Bildung verlagert sich in diesen Kontext, der von Kultureinrichtungen identifiziert und genutzt werden kann. 
 
Aus dieser Erkenntnis entstand das Konzept des gemeinnützigen Vereins "Kultur-Netzwerker" in den drei Sparten Musik, Theater und Bildende Kunst. Ziel des Vereins ist die systematische Vermittlung von kulturaffinen Schlüsselpersonen in Form von "Kultur-Scouts" an sogenannte Kultur-Newcomer über Soziale Medien. Im Anschluss an die Pilotphase des Projekts zwischen Oktober 2013 und März 2015 wurden die teilnehmenden Scouts und Newcomer (n=61) zu ihren Erfahrungen mit dem Verein befragt.
 
Konzept des Vereins "Kultur-Netzwerker" und zentrale Ergebnisse 
 
Seit 2012 als gemeinnütziger Verein aktiv, bringen die "Kultur-Netzwerker" Kultur-Scouts mit Newcomern zusammen, die einen Einstieg in kulturelle Themen suchen (Kultur-Netzwerker 2018). In kleinen Gruppen finden Kulturbesuche statt, wofür die Kultur-Scouts den Newcomern im Vorfeld und während der Veranstaltung für Fragen zur Verfügung stehen. Von "Was ziehe ich an?" bis hin zu "Wie funktioniert ein Symphonieorchester?" können sich Newcomer über alle Fragen informieren, die vor und während einer Kulturveranstaltung aufkommen. 
 
Gleichzeitig fördert das Projekt den interdisziplinären Austausch zwischen unterschiedlichen kulturellen Sparten wie Musik, Theater, Tanz, Literatur und Kunst. Musik profitiert auf diese Weise von Kunst, Theater von Oper. Kooperationen mit Kultureinrichtungen ermöglichen zudem günstige Preise für Veranstaltungsbesuche, die Schülern, Studierenden und Berufsanfängern gleichermaßen die Teilhabe an einem Kulturbesuch ermöglichen. Institutionen wie die Münchner Philharmoniker, die Kammerspiele und zahlreiche Münchner Galerien stellen dafür günstige Tickets bereit, die sich an Kosten für einen Kinobesuch orientieren. 
 
Die Vermittlung der Veranstaltungen fand über Facebook statt, das trotz sinkender aktiver Nutzerzahlen bis vor wenigen Jahren nach wie vor das größte "Massenmedium" auch in jüngeren Zielgruppen bis 29 Jahren darstellte (Statista 2017). Diese Herangehensweise an die Vermittlung von Tickets für Veranstaltungen entspricht auch hier einer allgemeinen Richtung der kommunikativen Auseinandersetzung Jugendlicher und junger Erwachsener.
 
Grundlage der Studie ist eine Befragung der Teilnehmenden am Pilotprojekt der interdisziplinären digitalen Vermittlung von Kulturveranstaltungen durch "Kultur-Netzwerker" im Münchner Raum. Betrachtet man die Teilnehmenden hinsichtlich ihres Geschlechts, sind die "Kultur-Netzwerker" eindeutig weiblich: Frauen sind mit mehr als zwei Dritteln der Teilnehmenden (69 Prozent) gegenüber Männern deutlich überrepräsentiert (Kirn, 2016, S. 191). 
 
Hinsichtlich der konkreten Besuche von Veranstaltungen zeigt sich, dass ein positiver Effekt auf die Motivation für Kulturbesuche messbar ist. Zwar beurteilten die Teilnehmenden ambivalent, einen tatsächlichen Einstieg in kulturelle Themen durch einen Kulturscout zu bekommen zu haben. Diese Erwartung erfüllte sich für knapp die Hälfte der befragten Newcomer (46 %), für ein Fünftel (20 %) der Befragten trat dies nicht ein (ebd., S. 160). Zwei Drittel der Befragten gaben aber hinsichtlich einer Initialzündung an, entweder "sehr zufrieden" oder "zufrieden" mit neu gewonnener Motivation durch den begleiteten Besuch einer Kulturveranstaltung gekommen zu sein. Mit 84 Prozent gab darüber hinaus eine große Mehrheit der Befragten Newcomer an, weitere Angebote des Vereins nutzen zu wollen (ebd., S. 195). 
 
Die Untersuchung hat ebenso eindeutige Belege zum Stellenwert persönlicher Empfehlungen aufgezeigt. Ob in der persönlichen Begegnung oder im Social Web - persönliche Empfehlungen bleiben der treibende Faktor, um überhaupt mit dem Verein "Kultur-Netzwerker" in Berührung zu kommen und letztendlich auch eine Veranstaltung zu besuchen. Nahezu die Hälfte der Befragten (47 Prozent), sowohl Scouts als auch Newcomer, wurden über einen "realen" persönlichen Kontakt auf die Initiative aufmerksam, gut 40 Prozent über Facebook. Dennoch ist auch der Weg über Facebook von persönlichen Kontakten geprägt. Diese starke Tendenz spiegelt auch die Nielsen Global Trust in Advertising Survey wider, nach der 83 Prozent der Konsumenten Empfehlungen persönlicher Kontakte vertrauen (The Nielsen Company 2015, S. 4). 
 
Ausblick 
 
Die digitale Transformation bietet der Kulturvermittlung große Chancen für neue, interdisziplinär angelegte Wege. Gleichzeitig bleibt aber nach wie vor der persönliche Kontakt - online wie offline - entscheidend. Auch wenn in gewissen Bereichen ein Umdenken gefordert ist, begünstigen digitale Plattformen die Bündelung von personellen und finanziellen Ressourcen, die eine spartenübergreifende, einfache und effiziente Zusammenarbeit für digitale Kulturvermittlung ermöglicht. 
 
Viel mehr noch: Durch die Vermittlung von Ansprechpartnern auf Augenhöhe wird Anschlusskommunikation über das Erlebte in der digitalen und realen Welt möglich. Dies bildet eine Möglichkeit ab, die Stigmatisierung zum Beispiel des Themas "klassische Musik" in den Lebens- und damit Kommunikationswelten Jugendlicher und junger Erwachsener zu überwinden. 
 
Literatur 
 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Das Buch". 

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