04.02.2022

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Stephanie Buchholz
ist wissenschaftliche Referentin im Kulturdezernat des Landschaftsverbandes Rheinland. Zuvor war sie für das MiQua - LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln, für das Verbundprojekt "1914 - Mitten in Europa" und das LVR-Industriemuseum Oberhausen tätig. Sie studierte Museum und Ausstellung sowie Pädagogik/Angewandte Kulturwissenschaften an den Universitäten Oldenburg und Karlsruhe.
Carolin Muser
studierte Kunstgeschichte an der Universität zu Köln und war u. a. im Max Ernst Museum Brühl des LVR oder dem Kunstverein Wolfsburg tätig. Seit Juli 2020 ist sie wissenschaftliche Volontärin im LVR-Dezernat Kultur und Landschaftliche Kulturpflege und war Mitorganisatorin der Kulturkonferenzen 2020 zum Schwerpunkt Kulturtourismus und 2021 zum Themenfeld Inklusion und Digitalität. Zudem ist sie Social Media-Managerin des dezernatsübergreifenden Instagram-Accounts @lvrkultur.
Erfahrungsbericht LVR-Kulturkonferenz 2021

Digital, aber bitte inklusiv!

Digitalität und Inklusion sind beides Themen, die den Kulturbetrieb verstärkt beschäftigen. Wie etwa eine Online-Konferenz barrierefrei sein kann, hat das Team der LVR-Kulturkonferenz 2021 für sich herausgefunden. An seinen Erfahrungen lässt es uns in diesem Rückblick teilhaben.

Themenreihe Digitale Formate

Inklusion von Anfang an mitgedacht 
 
"Erst, wenn sowohl auf der Bühne, als auch im restlichen Team Menschen mit Behinderungen mitarbeiten, können wir von einer inklusiven Darstellung, von kultureller Inklusion sprechen." (Ninia La Grande, Inklusionsaktivistin)
 
Mit diesen Worten setzte die Moderatorin Ninia LaGrande einen Schlusspunkt unter die LVR-Kulturkonferenz 2021, in der es um das Thema "digital & inklusiv: Eine Chance für die Kultur!" ging. Ihr Votum und das vieler anderer Akteur*innen war eindeutig: Inklusion muss von Anfang an mitgedacht werden! Diese Leitplanke setzte sich auch das Organisationsteam der Konferenz, wobei es damit rechnete, dass die Expert*innen auf der Bühne und im Publikum in punkto digitaler Barrierefreiheit sicherlich genau hinschauen würden. 
 
Bereits in der Konzeption wirkten Expert*innen mit Behinderung mit: Das war zum einen die Kollegin Marion Nistor, selbst gehörlos und in beratender Funktion für die Kultureinrichtungen des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) tätig. Weiterhin erfolgte eine Zusammenarbeit mit dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben (ZsL) Köln. Empfehlungen zur barrierefreien Ausrichtung der Konferenz erhielt das Team somit aus erster Hand und stellte schnell fest: Den einzig richtigen Weg gibt es nicht, denn die einzelnen Bedürfnisse sind höchst individuell. Ein Beispiel: Im Zuge der Konferenzplanung stellte sich die Frage, welche Form des Genderns für die akustische Ausgabe des Screenreaders geeigneter wäre. Der Doppelpunkt wird im Screenreader durch eine Sprechpause wiedergegeben. Der Genderstern hingegen, nehmen wir mal das Wort Expert*innen, wird im Screenreader wortwörtlich ausgesprochen ("ExpertSterninnen"). Die Nutzenden, mit denen wir sprachen, konnten mit dem Hinweis auf unterschiedliche Ausprägungen der Sehbehinderung und individuelle Vorlieben kein eindeutiges Votum abgeben. Demnach wird auch die Wahrnehmung des Textes und der Einfluss auf den Lesefluss unterschiedlich bewertet. Schließlich entschieden wir uns auf Anraten einer Nutzenden für den Genderstern, da er durch den sprachlichen Einschub die Sensibilität für geschlechtergerechte Sprache stärker zum Ausdruck bringt. Unabhängig davon lassen sich die Screenreader aber auch konfigurieren. Die Länge der Sprechpause beim Doppelpunkt kann beispielsweise individuell eingestellt werden. Auch ist eine Festlegung möglich, welches Zeichen gesprochen werden soll. 
 
Der Name ist Programm
 
Digitalität und Inklusion prägten auch die Programmplanung. Aus der eigenen Nutzungserfahrung und aus Evaluationsergebnissen vergangener Veranstaltungen war sich das Team einig: Eine Präsenzveranstaltung lässt sich konzeptionell nicht 1:1 ins Internet übertragen. Im Ergebnis wurde der Programmablauf anhand kurzweiliger Formate, möglichst abwechslungsreich gestaltet. Auch waren mehr Pausenzeiten vorgesehen, um die anderen Rahmenbedingungen einer digitalen Konferenzteilnahme zu berücksichtigen: Da das Publikum vor dem eigenen Bildschirm saß, war es aus der gewohnten Arbeitssituation nicht herausgenommen. Ablenkungen durch Telefonanrufe oder eingehende Mails waren also zu erwarten. Ebenso fanden die Kaffeepausen und das Mittagessen nicht im Kreis der Teilnehmenden statt, wodurch ein Austausch untereinander erschwert werden könnte - so die Annahme des Teams. 
 
Damit alle folgen können
 
Bereits im Vorfeld bildete sich die Plattform Zoom als geeignetes Tool heraus, da sie von blinden oder sehbehinderten Teilnehmenden per Screenreader eigenständig genutzt werden kann. Zudem bietet die Plattform die Option, Untertitel einzubinden. Diese Möglichkeit nutzten wir und engagierten Schriftdolmetscher*innen, die das Gesprochene simultan übersetzten. Dieser Service richtete sich insbesondere an Personen, die erst im Laufe ihres Lebens eine Hörbehinderung erhalten und daher nicht muttersprachlich mit der Deutschen Gebärdensprache (DGS) kommunizieren. Zudem erleichterte die Live-Untertitelung die Teilnahme auch bei Tonproblemen aller Art. Für Teilnehmende wiederum, deren Muttersprache die Deutsche Gebärdensprache ist, boten wir in einem separaten Zoom-Raum eine entsprechende Übersetzung an. Dies örtlich auszulagern war notwendig, da das Übertragungsfenster der Gebärdenden im Hauptraum zu klein gewesen wäre, um die Inhalte in Mimik und Gestik adäquat rezipieren zu können. 
 
Auf technischer Seite waren damit alle Vorkehrungen getroffen, um möglichst viele Barrieren abzubauen. Um auch die einzelnen Beiträge möglichst barrierearm zu halten, sensibilisierten wir die Vortragenden dahingehend, die Präsentationsfolien nur mit einzelnen aussagekräftigen Bildern oder kurzen Sätzen zu gestalten, die sie jeweils beschreiben oder vorlesen sollten. Eine schöne Kettenreaktion entstand, als einer der ersten Vortragenden sein Erscheinungsbild zu Beginn seines Beitrages kurz beschrieb und die nachfolgenden Personen es ihm gleichtaten. So wurde gleichwohl der zoombedingten Distanz eine persönlichere Verbindung hergestellt.
Marketing für alle 
 
Insbesondere Menschen mit Behinderung bevorzugen klare Informationen darüber, ob und wie sie an entsprechenden Programmen und Angeboten partizipieren können. Insofern haben wir auf der Homepage und im Newsletter proaktiv kommuniziert, welche inklusiven Maßnahmen die LVR-Kulturkonferenz bietet. Insbesondere auf der Homepage haben wir eine eigene Unterseite mit Informationen für Menschen mit Behinderung bereitgestellt. Dort hinterlegt war auch ein barrierefreies PDF, bei dem etwa Überschriften und Absätze entsprechend formatiert und Bilder mit Alternativtexten versehen sind und so schließlich vom Screenreader vorgelesen werden kann. Auf der Homepage stellten wir zudem eine Veranstaltungsankündigung im Videoformat ein, übersetzt in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertitel versehen. 
 
Eine wichtige Stütze in diesem Prozess war auch unser diesjähriger Kooperationspartner kubia - Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion. Neben der inhaltlichen Expertise unterstützen sie uns auch bei der Vermarktung der Konferenz. Schließlich sind sie als großer Player im Rheinland schon längst mit den entsprechenden Personen und Institutionen vernetzt, die das Konferenzthema als Zielgruppe ansprechen möchte.
 
Die Beiträge der LVR-Kulturkonferenz stehen auch nach Abschluss allen Interessierten auf YouTube zur Verfügung. Mit professioneller Untertitelung können die Beiträge dann in einem individuellen Tempo angeschaut werden.
 
Von Bildschirm zu Bildschirm: Im digitalen Raum ins Gespräch kommen
 
Gerade die Vernetzung und den persönlichen Austausch unter den Teilnehmenden zu fördern, ist eine wichtige Intention der jährlich stattfinden LVR-Kulturkonferenz. Im digitalen Raum ist das jedoch gar nicht so einfach umsetzbar: So erlauben Conferencing-Tools nur bedingt ein natürliches Gespräch in einer Gruppe, wobei die wenigsten barrierefrei bedienbar sind. Insbesondere Personen, die Screenreader nutzen, werden bei Wonder und Co. oft außer Acht gelassen. Zum Zeitpunkt unserer Testung im Frühjahr 2021 waren viele Bedienelemente nicht benannt und daher nicht mit dem Screenreader nutzbar. Neben der Möglichkeit sich über den Chat auszutauschen, führten wir daher über den Konferenztag verteilt mehrere Break-Out-Sessions durch, bei denen die Teilnehmenden sich zu bestimmten Fragestellungen in Kleingruppen austauschen und kennenlernen konnten. Je nach Bedarf und Teilnahme wurde auch eine Übersetzung in DGS angeboten. Erwartungsgemäß wurden die Break-Out-Sessions hinsichtlich des Austauschs unterschiedlich bewertet. Während manche den zufälligen Austausch als erfrischend empfanden, bewerteten andere die Gesprächssituation als zu künstlich. Aber allein in den letzten Jahren haben sich so viele spannende Kommunikationskanäle entwickelt - wir schauen daher mit Spannung auf zukünftige Innovationen. 
 
Diskussionen im Netz stieß zudem Tanja Kollodzieyski aka. @RolliFraeulein an. Auf Twitter begleitete die Inkluencerin (Zusammengesetztes Wort aus Inklusion und Influencerin; Aktivistin für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, die v.a. in den Sozialen Medien aktiv ist) die LVR-Kulturkonferenz aus ihrer Sicht, griff Thesen heraus, hinterfragte Ansätze und lud die Community zum gemeinsamen Fachsimpeln ein. Neben der Tatsache, dass so auch Personen auf die Konferenz aufmerksam wurden, die bislang nicht angemeldet waren, verlagerte sie den Austausch auf eine Plattform, die als Mikrobloggingdienst bereits etabliert ist.
 
Eine Blaupause? 
 
Zusammengefasst wurden mit der digitalen Konferenz und den inklusiven Ansätzen eine Vielzahl an Personen adressiert, wie es mit einer analogen Konferenz kaum möglich gewesen wäre. Sei es aufgrund einer mobilen Einschränkung, einer geografischen Verortung oder aufgrund eines vollen Terminkalenders. Die LVR-Kulturkonferenz 2021 bot daher vielen Menschen die Möglichkeit, sich zu informieren, auszutauschen und zu lernen und war aus vielen Aspekten ein voller Erfolg. 
 
Aus konzeptioneller Sicht und unter den vorhandenen Ressourcen erschien die beschriebene Umsetzung auch in der Nachlese folgerichtig. Eine Blaupause für weitere LVR-Kulturkonferenzen kann sie aber nicht abbilden. Neben der technischen Weiterentwicklung können sich auch die Publikumserwartungen durch eine zunehmende Professionalisierung in der Durchführung digitaler Konferenzen verändern. 
 
Die Online-Konferenz stand zudem unter dem Eindruck der Covid19-Pandemie. Möglicherweise haben sich die Bedürfnisse des Publikums an das ursprünglich in Präsenz ausgerichtete Konferenzformat gewandelt. Eine Rückkehr zum Gewohnten würde den Publikumswünschen dann nicht mehr entsprechen. Genauso denkbar ist aber auch, dass sich die Nachfrage nach einer digitalen Teilnahme mit Ende der Pandemie vermindern wird. Dies ist aktuell schwer vorherzusagen und kann durch eine Offenheit zum Ausprobieren und Evaluationen in Erfahrung gebracht werden. Bei zukünftigen Entscheidungen für oder gegen ein digitales Angebot sollten jedoch nicht nur die reinen Teilnahmezahlen gewichtet werden, sondern auch der qualitative Beitrag zu Inklusion und Teilhabe.
 
Jetzt wird’s persönlich: Die Learnings
 
Auch wenn die nächste Kulturkonferenz sicherlich wieder anders aussehen wird, so hat das Organisationsteam doch einige Leitplanken für die Zukunft festgeschrieben, die es mit den Leser*innen dieses Beitrags teilen möchte: 
 
  • Barrierefreiheit als Selbstverständlichkeit: Konzipiert all eure Angebote von vorneherein barrierefrei.
  • Kooperationen ausschöpfen: Holt euch gleich zu Beginn Expert*innen für Inklusion und Barrierefreiheit ins Boot und nutzt deren Potenzial.
  • Perspektiven einbinden: Bindet Außenstehende in die Konzeptphase ein, erweitert das Kernteam projektbezogen um weitere Kolleg*innen und stellt Akteur*innen auf der Bühne so zusammen, dass sie eine diverse Gesellschaft abbilden.
  • Nachfragen wird belohnt: Fragt euer Publikum, was es braucht und wie ihr euch verbessern könnt.
  • Gespräche ermöglichen: Macht euch Gedanken darüber, wie sich euer Publikum untereinander und mit den Expert*innen austauschen und vernetzen kann.
  • Gesehen werden: Steigert eure Sichtbarkeit im Digitalen, baut euer digitales Angebot für das digitale Publikum aus.
  • Transparent handeln: Begründet eure Entscheidungen und stellt eure Erfahrungen anderen zur Verfügung.
  • Auf Nachhaltigkeit setzen: Überlegt euch, was ihr selbst tun und an welcher Stelle ihr gezielt mit denjenigen zusammenarbeiten könnt, die sich ökologischer, sozialer und/oder wirtschaftlicher Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen.
Impressionen
 

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