31.01.2022

Themenreihe Corona

Autor*in

Vera Allmanritter
ist Politikwissenschaftlerin und Kulturmanagerin. Sie leitet das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) Berlin und ist Honorarprofessorin für Kultur und Management an der Fachhochschule Potsdam. Zuvor war sie freiberuflich und als Mitarbeiterin an verschiedenen Hochschulen, Stiftungen und Kultureinrichtungen tätig. Sie ist Co-Sprecherin der Arbeitsgruppe "Methoden der empirischen (Kulturbesucher*innen-)Forschung". 
Oliver Tewes-Schünzel
ist Soziologe. Seit 2020 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturelle Teilhabeforschung und beschäftigt sich mit Fragen kultureller Teilhabe aus kultursoziologischer Perspektive. Seit 2015 promoviert er an der TU Berlin zum Thema "Milieus und Lebensstile in der postmigrantischen Gesellschaft". 2019 war er Initiator und Mitherausgeber des Sammelbandes "Der soziale Raum der postmigrantischen Gesellschaft".
Bevölkerungsbefragung zu Kulturbesuchsverhalten der Berliner*innen

Wie wirkt sich die COVID-19-Pandemie auf Kulturbesuche aus?

Die Kulturangebote haben es in den letzten Monaten vielerorts vermeldet, aber auch Befragungsergebnisse zeigen es auf: (Wieder-)geöffnete Häuser führen keinesfalls zu einem "Ansturm" von Besuchenden auf Kulturveranstaltungen. Woran das u. a. liegt, hat das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung anhand von Daten aus einer Bevölkerungsbefragung in Berlin ermittelt. Sie geben Einsicht in die Stimmungslage der Hauptstadtbewohner*innen rund um Kulturbesuche.

Themenreihe Corona

Zentrale Fragen, die sich in den letzten Monaten sicherlich viele Akteur*innen aus dem Kulturbereich gestellt haben werden, lauten: Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf das Kulturbesuchsverhalten der Menschen? Wie stehen sie zu Kulturbesuchen ganz generell in der aktuellen Situation? Was halten sie von den Hygienemaßnahmen, die mit Kulturbesuchen verbunden sind? Und, vielleicht noch viel wichtiger: Vermissen sie die Kulturangebote überhaupt und planen sie, diese (weiterhin) zu besuchen? 
 
Antworten auf diese Fragen sind gleichermaßen wichtig für Kulturpolitik und -verwaltung und natürlich die Kulturangebote selbst. Sie helfen, zu erfahren, welche Haltung (potentielle) Besucher*innen gegenüber Kulturbesuchen in der Pandemie in den letzten Monaten entwickelt haben. Zudem liefern sie wichtige Hinweise für die zukünftige strategische und operative Arbeit, vor allem vor dem Hintergrund einer voraussichtlich noch länger andauernden Pandemie. Im Sommer 2021 hhat das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zur Kulturellen Teilhabe durchgeführt, finanziert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Die postalische Befragung (mit Onlineoption) wurde zwischen dem 7. Juni und 29. Juli erhoben. Es handelt sich um eine repräsentative Zufallsstichprobe der Berliner Bevölkerung ab 15 Jahren. Die bereinigte Fallzahl liegt bei 3.614 Personen (für genauere Angaben vgl. Allmanritter/Tewes-Schünzel 2021). In diesem Beitrag werden die Kernergebnisse dargestellt.  
 
In Zeiten von COVID-19 gibt es deutliche Vorbehalte gegenüber Kulturbesuchen 
 
Ab Juni wurden schrittweise unter Hygieneauflagen wieder Kulturveranstaltungen ermöglicht (vgl. Senatsverwaltung für Kultur- und Europa 2021). Zügig öffneten zunächst vor allem Museen/Gedenkstätten, nach und nach folgten auch die Bühnen, sodass vorsichtig wieder Veranstaltungen in Innenräumen stattfanden. Ebenso wurden vermehrt auch Außenveranstaltungen durchgeführt. Doch viele Kultureinrichtungen klagten spartenübergreifend über niedrige Besuchs- bzw. Auslastungszahlen, was nicht nur an den vorgeschriebenen, begrenzten Personenzahlen der Hygienemaßnahmen lag (Vgl. bspw. Peitz 2021). Denn oft kamen weniger Menschen zu den Angeboten, als es diese Auflagen gestattet hätten. Erklären lässt sich diese Entwicklung einerseits durch geringe und auch weiterhin nur zögerlich steigende Tourismuszahlen, die sich deutlich unter dem Niveau von 2019 bewegten (Vgl. Restle 2021). Andererseits liegen diese Zahlen aber nicht unwesentlich in der kulturbezogenen Stimmungslage der Bevölkerung begründet, von der eine große Mehrheit im Sommer noch äußerste Vorsicht in Bezug auf Kulturbesuche walten ließ - und auch weiterhin walten lassen wollte. Im Sommer hatten diese "Vorsichtigen" noch verstärkt die Möglichkeit, auf Außenveranstaltungen auszuweichen. Für den aktuellen Winterzeitraum verhießen diese Ergebnisse nichts Gutes. So war absehbar, dass die Anzahl der Außenangebote bei kälteren Temperaturen deutlich abnehmen würde, bei gleichzeitig steigenden Inzidenzen. Auch erneute Schließungen der Einrichtungen waren und sind ein mögliches Szenario. Wohin sich die aktuelle pandemische Gesamtlage in den verbleibenden Wintermonaten weiterentwickelt, bleibt jedoch mehr oder weniger ungewiss, was Prognosen zu Besuchs- und Auslastungszahlen in diesem Zeitraum massiv erschwert.
 
Besonders diejenigen, die schon vorher wenig wahrscheinlich Kulturangebote besuchten, bleiben ihnen weiterhin fern
 
Es lassen sich über die vorliegenden Befragungsdaten in der Bevölkerung vier unterschiedliche Kulturbesuchstypen mit entsprechenden Einstellungs- und Verhaltensmustern identifizieren: "Besorgte", "Vorsichtige", "Zurückhaltende" und "Unbekümmerte". Dabei ist der Anteil derjenigen hoch, die Kulturbesuchen derzeit kritisch gegenüberstehen (aufgrund von Rundungen summieren sich die dargestellten Prozentwerte hier und im Folgenden in grafischen Abbildungen und Texten nicht immer auf exakt 100 %). Besorgte (29 %) und Vorsichtige (26 %) machen zusammen über die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie zeichnen sich durch eine hohe Befürwortung von COVID-19-eindämmenden Maßnahmen aus und sind gleichzeitig Kulturbesuchen gegenüber noch äußerst verhalten. Zögerlich agieren auch die Zurückhaltenden (34 %). Sie hingegen sind Kulturbesuchen gegenüber aufgeschlossener. Lediglich 12 % lassen sich dem Typus der Unbekümmerten zuordnen, die nicht nur weniger besorgt vor einer COVID-19-Infektion, sondern auch kritischer gegenüber Hygienemaßnahmen eingestellt sind.
 
Mit soziodemografischen Faktoren wie formaler Bildung oder Geschlecht lässt sich die Zugehörigkeit einer Person zu einem der vier Kulturbesuchs-Typen und damit deren Grundhaltung zu Kulturbesuchen in Pandemiezeiten nicht erklären. Dies trifft auch auf zwei weitere Merkmale zu, bei denen am ehesten ein Zusammenhang im Vorfeld vermutet werden konnte: dem Alter oder der Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe. Zwar steigt der Anteil der Besorgten und Vorsichtigen mit höherem Alter und der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe grundsätzlich an, dies jedoch nur moderat. 
 
Deutlich interessanter ist hierbei ein Blick auf die Lebensstile der Befragten. Der Lebensstil einer Person oder Personengruppe beschreibt deren Geschmack, Vorlieben sowie typische Einstellungen und Verhaltensweisen (Vgl. Hradil 2005). Hierzu gehört auch, welche Produkte gekauft werden, wie die Freizeit gestaltet wird und entsprechend auch, ob und wenn ja, welche Kulturangebote besucht werden (Vgl. bspw. Allmanritter et al. 2021). Legt man die Befragungsergebnisse aus 2021 neben die Ergebnisse einer Vorgängerbefragung aus 2019 mit Blick auf die Lebensstile, zeigt sich hinsichtlich der Kulturellen Teilhabe in Zeiten von COVID-19 Beunruhigendes: Zwar finden sich die Kulturbesuchs-Typen ganz generell quer verteilt über die gesamte Bevölkerung und bei Menschen mit unterschiedlichsten Lebensstilen wieder. In der Tendenz reagierten aber vor allem jene stärker mit Rückzug von Kulturangeboten, deren Kulturelle Teilhabe bereits 2019 - und damit vor der Pandemie - eher gering ausfiel (Vgl. Allmanritter et al. (2021); auch eine Sichtung von Befragungsergebnissen aus dem Besucher*innenforschungssystem Kulturmonitoring (KulMon) zeigte bereits Anfang 2020 eine besonders hohe Besuchswahrscheinlichkeit bei denjenigen, die die Angebote ohnehin bereits oft besuchen, vgl. Allmanritter/Renz 2020; Renz/Allmanritter 2021). Ist eine möglichst große und breite Kulturellen Teilhabe auch in Zukunft ein wichtiges Ziel im Kulturbereich, müssen gezielte Bemühungen spezifisch um diese Personen und Personengruppen eine noch größere Bedeutung erlangen, als dies bislang bereits der Fall ist.
 
Die verpflichtenden Hygienemaßnahmen bei Kulturveranstaltungen finden große Akzeptanz
 
Wichtig für Kulturangebote ist und wird es auch bleiben, für ihre potentiellen Besucher*innen vor Ort eine möglichst sichere Besuchssituation zu schaffen. Die große Mehrheit der Befragten schätzt viele Hygienemaßnahmen bei öffentlichen Veranstaltungen als wichtig ein. Die Anzahl der als wichtig bewerteten Hygienemaßnahmen steht dabei wenig überraschend in einem engen Zusammenhang mit den Kulturbesuchs-Typen: Bei stärkerer Beunruhigung durch COVID-19 werden mehr Maßnahmen als wichtig empfunden. Die von Kulturangeboten bereits ergriffenen, vielfältigen Hygienemaßnahmen finden dabei auch im Einzelnen große Akzeptanz. Dies gilt sowohl für eine Begrenzung der Besucher*innenanzahl, für Tests oder Impfnachweise vor Besuchen, für Abstandsregeln und Maskenpflicht in Innenräumen als auch für die Durchsetzung von Regelungen über das Personal der Kulturangebote. Diese finden zwischen 74 und 83 % der Befragten mindestens wichtig. Die Erfassung der Kontaktdaten fällt demgegenüber in der Bedeutung etwas ab, wird aber ebenfalls von einer Mehrheit der Befragten als wichtig bewertet (64 %). Hingegen wird eine Maskenpflicht bei Freiluftveranstaltungen als nicht so elementar gesehen (23 %). Dabei gilt offenbar: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist (noch) besser. Auch eine behördliche Überprüfung der von den Kulturangeboten ergriffenen Hygienekonzepte trägt zur Beruhigung bei (79 %).
 
 
Die Befragungsergebnisse bestätigen den Weg, den Einrichtungen bereits flächendeckend und mit teils großem Aufwand eingeschlagen haben, um ihre Angebote überhaupt zugänglich machen zu können. Auch wenn damit zahlreiche Maßnahmen verbunden sind. Herausfordernd für potentielle Besucher*innen dürfte aber weiterhin sein, den Überblick über Hygienemaßnahmen zu behalten und zu wissen, was einen vor Ort erwartet. Denn die Art und Weise der Umsetzung der Hygienemaßnahmen unterscheidet sich pro Einrichtung und hat sich auch im Zeitverlauf durch eine veränderte Pandemiesituation ständig geändert. 
 
Die Prognose zur Besucher*innenlage von Kulturangeboten sieht nicht gut aus
 
Auch in Zukunft dürfte die COVID-19-Pandemie einen spürbaren Einfluss auf die Zahl der Kulturbesuche haben. Zwar sagen 85 % der Befragten, sie haben das Kulturangebot sehr vermisst und auch die Wiederbesuchsabsicht ist äußerst hoch ausgeprägt. Ganze 93 % stimmen der Aussage mindestens eher zu, dass sie - wenn die COVID-19-Krise einmal überwunden ist - voraussichtlich wieder genauso häufig Kulturangebote besuchen werden wie zuvor (Allmanritter/Tewes-Schünzel 2021, S. 19). Dies ist zunächst ein positives Signal für den Kulturbereich - die Menschen haben grundsätzlich Lust auf Kultur. Leider ist dies aber nicht als eindeutiger Hinweis für eine sofortige Erholung der Auslastungszahlen der Angebote zu werten. Es ist derzeit weiterhin nicht absehbar, wann die Pandemie wirklich als überwunden gilt. Zudem lassen die Befragungsergebnisse befürchten, dass sehr wahrscheinlich nicht alle bisherigen Besucher*innen in gleichem Maße wiederkommen werden. Somit sind langfristige Veränderungen in der Publikumsstruktur nicht auszuschließen. 
 
Die vorliegenden Ergebnisse stimmen daher auf der einen Seite positiv, spiegeln sie zumindest für Berlin eine sehr hohe Bedeutung des Kulturbereichs für die Bevölkerung wider. Auf der anderen Seite sind sie aber auch als Warnzeichen zu verstehen, was die Kulturellen Teilhabe betrifft. Dies gilt umso mehr, weil die vorgestellten Ergebnisse die Situation im Sommer 2021 abbilden - ein Zeitpunkt, der in Bezug auf die Pandemiebekämpfung recht erfolgreich war. So kam die Impfkampagne deutlich in Fahrt und auch die COVID-19-Inzidenzkurve hatte in den Sommermonaten eine Talsenke mit teils einstelligen Werten erreicht, von denen wir aktuell so weit wie nie in der bisherigen Pandemie entfernt sind (Vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021; der Regierende Bürgermeister von Berlin 2021). Die Inzidenzen sind hoch, Kulturangebote können unter starken Auflagen besucht werden, einige sind bereits wieder für unbestimmte Zeit geschlossen. Wiederholte man die Befragung zum jetzigen Zeitpunkt, würde die Prognose für die Kulturelle Teilhabe höchstwahrscheinlich noch kritischer ausfallen.
 
Dieser Artikel basiert (teils wortwörtlich) auf dem ausführlicheren Bericht "Kulturelle Teilhabe in Berlin - Einstellungen zu Kulturbesuchen und Hygienemaßnahmen während der COVID-19-Pandemie und Wiederbesuchsabsicht" derselben Autor*innen (Allmanritter/Tewes-Schünzel 2021).
 
Literatur
 

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