11.05.2007

Autor*in

Philipp Klaus
Unternehmensförderung

Kulturelle Innovation im städtischen Kontext

Stile, Trends und Moden als Ausdruck kultureller Innovation sind geladen mit Zeichen oder Codes, welche gesellschaftlich Auskunft geben über Zugehörigkeiten und Abgrenzung.
Raggaton, Techno, HipHop; neue Musikrichtungen entstehen im Umfeld von Szenen und Subkulturen, meist in bestimmten Stadtteilen, breiten sich aus und avancieren, falls die Musikindustrie zupackt, zum Mainstream, der von Radiostationen auf der ganzen Welt gespielt wird. Die Genese neuer Musikstile wird begleitet von neuen Tanzformen, Moden, manchmal auch spezifischer Sprache und Gestik. Die Produktion und Ausstrahlung von Musikvideos trägt ihr übriges dazu bei, die Innovationen in Musik, Tanz und Mode weltweit zu verbreiten, verbunden mit Werten und Normen, die in Texten der Musikstücke angelegt sind. Neuerungen in der Kulturproduktion sind eng verbunden mit gesellschaftlichem Wandel. Die Entwicklung neuer Formen und Ausdrucksweisen in Theater, Musik, Malerei, Mode, Design, Architektur, Film gehen einher mit dem Bruch traditioneller Darstellungsarten, Abläufe etc., aber auch mit der Möglichkeit der gesellschaftlichen Neuerung, des Wertewandels. Pioniere, Avantgarde, Bohemiens setzen neue Trends, definieren neue Stile, ecken mit ihren Ideen, Bildern, Tönen an, bilden Subkulturen. Manchmal werden sie umgewertet und werden zum Massengeschmack, manchmal bleiben sie ein Leben lang Avantgarde.
 
Stile, Trends und Moden als Ausdruck kultureller Innovation sind geladen mit Zeichen oder Codes, welche gesellschaftlich Auskunft geben über Zugehörigkeiten und Abgrenzung. Musik und Design sind zu wichtigen Transporteuren von Identitäten in Konsumgütern geworden und wie Helbrecht (2001, 215) schreibt: Mit der Wahl der Turnschuhmarken, Fahrradmodelle und Haarschnitte gibt der Kunde ein Statement ab über seine persönliche und soziale Identität. Deshalb wird Kultur eingesetzt, um für Produkte, Unternehmen usw. Images aufzubauen, was mittels Sponsoring, Events und Werbung geschieht. Es wird dabei auch von Kulturalisierung der Ökonomie oder symbolischer Ökonomie (Zukin 1995) gesprochen. Ein anderer Prozess, der in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, ist die Ökonomisierung der Kultur. Dabei haben sich Wirtschaftszweige der Kultur, eigentliche Kulturindustrien in Musik, Film, Medien etc. entwickelt. In vielen Städten hat die Kulturwirtschaft ansehnliche Wachstumsraten erlebt. In Zürich beispielsweise ist die Beschäftigung im Kultursektor von 1995 bis 2001 um über
10% gewachsen (Klaus 2006).
 
Die Entstehung kultureller Produkte ist in ein komplexes System von Netzwerken, Arbeits- und Wertschöpfungsketten eingebettet. Das Produktionssystem der Kulturwirtschaft ist von hochgradiger Arbeitsteilung und flexiblen Zusammenarbeitsformen gekennzeichnet. Im Kultursektor finden sich globale Unternehmen, zum Beispiel der Medienbranche, der Werbung, der Musikindustrie und vielfältigste Arten von meist lokalen Zulieferern. Bei diesen handelt es sich fast ausschliesslich um Kleinstunternehmen. Mit der Ökonomisierung der Kultur und der Kulturalisierung der Ökonomie sind immer mehr solche Kleinstunternehmen entstanden, die einen Weg zwischen Kunst und existentiellem Überleben suchen, die sogenannten Culturepreneurs (Lange und Steets 2002), Kulturdienstleister (Helbrecht 2001) oder kreativen innovativen Kleinstunternehmen - KIK- (Klaus 2006). Die Suche nach Selbstverwirklichung und kreativem Arbeiten hat sich verbreitet, genauso wie die Nachfrage nach kulturellen Produkten aller Art gestiegen ist. Die neuen kreativen UnternehmerInnen zeichnen sich durch gestalterische und künstlerische Innovationskraft aus, in der es um die Kreation von Zeichen und Codes geht und sich in neuen Trends, Moden und Lifestyles ausdrückt.
 
Spezifische Rahmenbedingungen für Produktion und Innovation der KIK können in sozialräumlichen Zusammenhängen nachgezeichnet werden. Im Vordergrund stehen Clusterbildungen von KIK in bestimmten Stadtteilen, insbesondere in den ehemaligen Arbeitervierteln und Industriearealen. Die von einkommensschwacher Bevölkerung und hohen Anteilen MigrantInnen geprägten Arbeiterviertel üben Anziehungskraft auf junge KünstlerInnen und StudentInnen aus, die hier tiefe Mietzinsen, ein Flair von Internationalität und Avantgarde, Gleichgesinnte, Subkulturen, Freiräume und Treffpunkte finden und neue kulturelle Entwicklungen auslösen. Allerdings besteht in diesen Quartieren die Gefahr, dass sie durch diese Entwicklungen für höhere Einkommensklassen attraktiv zum Wohnen und Sich-Vergnügen werden. Es entstehen coole und trendige Quartiere, die Mieten steigen und werden für die bisher Ansässigen unerschwinglich.
 
Für die kulturwirtschaftlichen Entwicklungen sind die brachgefallenen Industrieareale sehr wichtig. In den frühen 1990er Jahren begannen die Besitzer zunehmend Zwischennutzungen zuzulassen. Dadurch gab es nunmehr viel Raum für attraktive und günstige Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Schreibstuben, Partysites, Theater und Konzertlokale. In vielen Liegenschaften und Arealen entwickelte sich ein buntes Gemisch von KünstlerInnen, Kulturunternehmertum und Partyszene mit fließenden Grenzen und regem Austausch in die Subkulturen.
 
Trendige und innovative Produkte werden aus Szenen heraus auf den Markt gebracht: Taschen, Männerröcke, Snowboardbekleidung, Seifen mit Artefakten etc. Die Nachfrage nach dem Design von Unternehmen im ehemaligen Zürcher Arbeiterviertel Kreis 5 für Jahresberichte, Internetauftritte etc. hat bei Banken, Versicherungen und anderen globalen Akteuren zugenommen. Selbstverständlich besteht der Absatzmarkt für KIK nicht nur aus transnationalen Firmen, die sich mit den Kulturprodukten schmücken, oder globalen Medienunternehmen, die die neuesten Stile und Moden erwerben, sondern auch aus traditionellen Kulturunternehmen, die Innovationen bei KIK einkaufen. Zudem gibt es für viele Produkte wie Kleider und Accessoires private AbnehmerInnen. In Zürich hat sich der Absatzmarkt KIK gegenüber früher verbessert. Die Kundschaft ist designinteressiert, international orientiert, offen gegenüber avantgardistischen Entwicklungen, bereit spleenige Dinge auszuprobieren und sehr wichtig - zahlungskräftig. Die Produkte vieler KIK sind nicht nur exklusiv, sondern auch teuer. Denn trotz Optimierung der Rahmenbedingungen mit günstigen Mieten, gegenseitiger Hilfeleistung usw. sind die Lebenshaltungs- und Produktionskosten in den Städten hoch. Die Löhne in den Kleinstunternehmen sind im Durchschnitt sehr niedrig und mit jenen unqualifizierter Arbeiten vergleichbar. Viele kreative innovative Kleinstunternehmen haben es trotz Erfolgen schwer, sich zu konsolidieren. Selbst bekannte Labels stehen unter Konkurrenz-, Kosten- und Innovationsdruck. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind verbreitet.
 
Eine Förderung dieser Unternehmen durch die öffentliche Hand gibt es in der Schweiz nicht. Für kulturelle Veranstaltungen und Produktionen werden die Mittel aus den öffentlichen und privaten Fonds oder Stiftungen beansprucht. Das heisst, die traditionellen Institutionen der Kulturförderung spielen für die Kulturwirtschaft eine wichtige Rolle. Für Unternehmen, die nicht als Kulturproduzenten betrachtet werden, etwa in der angewandten Kunst, ist es noch schwieriger Finanzierungen zu finden. Die Banken sind extrem zurückhaltend mit der Vergabe von Krediten. Wer keinen Namen hat, hat keine Chance an Risikokapital heranzukommen. Für die kreativen innovativen Kleinstunternehmen ist das soziale Kapital essentiell. Ohne gegenseitige Hilfe, Vernetzung und Freundeskreis sind Start-ups fast unmöglich. Obwohl die Sparten des Kultursektors zu den Wachstumsbranchen der letzten zehn und mehr Jahre gehören, erfahren Innovationen im Bereich der Kulturwirtschaft nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie solche im High-Tech-Bereich, wo Milliarden öffentliche Gelder in Forschung und Entwicklung gesteckt werden.
 
In vielen Städten Europas entwickelte sich die Kulturwirtschaft aus einem neuen Selbstverständnis und einem grossen Bedürfnis verschiedenster Akteure, kulturelle Entwicklungen voranzutreiben, seien dies die Veranstalter von Raves, Off-spaces für Ausstellungen und Performances, Openair-Kinos, neuen Theatern usw. Daraus ist eine unternehmerische Kultur hervorgegangen, die dreissig Jahre früher kaum vorstellbar war. Es entstand ein Gemisch von Trend- und Lifestylekultur, etablierter oder fast etablierter Kultur und Subkultur, die alle ihre Rolle im kulturwirtschaftlichen Produktionssystem einnehmen. Die Förderung oder Pflege der kreativen Potenziale in den Städten ist eine Gratwanderung von Veränderung und Bewahrung. Die Entwicklung der Kulturwirtschaft wird wesentlich vom Umgang mit den Räumen abhängen. Gentrificationprozesse und kapitalintensivere Nutzungen sind für die kulturellen Aktivitäten in den genannten Räumen bedrohlich, da sie Verdrängungen mit sich bringen, insbesondere des sozialräumlichen Kapitals. Nicht nur im High-Tech Bereich braucht es immer wieder Innovationen, sondern auch in der Kultur. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Brutstätten der kulturellen Innovation. Freiräume und Zwischennutzungen sind elementar zur Entfaltung von Potenzialen und kultureller Innovation. Diese können jedoch nur beschränkt einer direkten Verwertungslogik unterworfen werden und müssen sich auch eigenständig entwickeln können. Das heisst, unabhängig von der Frage, mit welcher Kultur- oder Wirtschaftspolitik das Wachstum der Kulturwirtschaft gefördert werden kann, zeigt sich, dass der Kultursektor und die Kultur generell eine Basis brauchen, die nicht direkt steuerbar ist und sich selber entwickeln muss.
 
Literatur
Helbrecht, Ilse (2001): Postmetropolis: Die Stadt als Sphynx. In: Geographica Helvetica 3/2001. S. 214-222
 
Klaus, Philipp (2006): Stadt, Kultur, Innovation. Kulturwirtschaft und kreative innovative Kleinstunternehmen in der Stadt Zürich. Zürich, Seismo-Verlag.
 
Lange, Bastian und Silke Steets (2002): Verortungen von Szenen sowie Raumkonstitutionsprozesse durch Culturepreneurs in Frankfurt am Main. In: Hasse, Jürgen (Hg.): Subjektivität in der Stadtforschung, Frankfurt am Main
 
Zukin, Sharon: (1995): The cultures of cities. Blackwell. Cambridge (MA)
 

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