09.05.2008

Autor*in

Dagmar Ellen Fischer
Menschenschutz im Tanz

Zu den Anforderungen an eine moderne Tanzpädagogik

Einige tausend Ballettschulen leisten in Deutschland Basisarbeit, in Groß- und Kleinstädten sowie in der so genannten Provinz. Hinzu kommen unzählige frei arbeitende Tanzpädagogen, die in Vereinen, Freizeiteinrichtungen, Kulturzentren und inzwischen auch an allgemein bildenden Schulen Tanz unterrichten.
Nicht nur zukünftige professionelle Tänzer machen dort ihre ersten Schritte, die meisten Kinder und Jugendlichen tanzen aus purem Vergnügen und haben keine Ambitionen, den Tanz zu ihrem Beruf zu machen. Sie bewegen sich einfach gern und suchen nach einem individuellen Angebot zwischen HipHop und kreativem Kindertanz, zeitgenössischem Tanz, Ballett oder historischen Tänzen. Die unterschiedlichen Stilrichtungen sind kaum noch mit Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen, aber: Je breiter das Angebot, desto größer die Chance, interessierte Schüler für eine der Bewegungs-Arten zu gewinnen. Denn sobald klar ist, das es Tanzen (und eben nicht Sport sein soll, da wird zwar der Körper angesprochen, die Gefühlswelt indes blieben weitgehend unberührt), geht es eigentlich nur noch darum, den passenden Stil zu finden.

Seelenloses Tanzen ist unmöglich, insofern ist tänzerische Basisarbeit immer auch Menschenbildung. Entsprechend groß ist die Verantwortung jener Heranwachsende unterrichtenden Lehrer, die niemals ohne Kenntnisse bestimmter physischer und psychischer Entwicklungsprozesse bei Kindern und Jugendlichen auf Schüler losgelassen werden dürfen. Ulrich Roehm, Erster Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik (DBfT), zieht einen plakativen Vergleich heran, nicht neu, aber immer wieder einleuchtend: Selbst ein miserabler Autofahrer hat die Führerschein-Prüfung abgelegt und damit eine Minimal-Qualifikation bewiesen. Auf den Tanzpädagogen übertragen hieße dies: Wie jemand unterrichte, könne man letztlich nicht kontrollieren, aber auf eine minimale Qualifikation müsse man sich hier auf jeden Fall auch einigen. Denn es könne nicht sein, so Roehm weiter, dass sich an den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft, den Kindern und Jugendlichen, im Prinzip jeder ausprobieren dürfe.
 
Die Gesetzeslage indes erlaubt es: In Deutschland darf JEDER eine Tanz- oder Ballettschule eröffnen, ein Metzger zum Beispiel, weil er sich ohnehin mit Knochen und Muskeln beschäftigt, oder eine Hausfrau mit Tanz als Hobby, die Zeit übrig und einen großen Raum zur Verfügung hat. Ob man sich auch von einem Hobby-Chirurgen operieren lassen möchte? Unter diesem Aspekt sei es beunruhigend, dass es sogar Kreise innerhalb der Tanzszene gibt, konstatiert Ulrich Roehm, die einen Berufsschutz geradezu fürchteten, weil keinerlei Qualifikation vorhanden sei.
Wie aber kann eine solche Mindest-Qualifikation aussehen? Mit dieser Fragestellung und dem sich daraus ergebenden Problem des Berufsschutzes hat sich der 1975 gegründete DBfT bereits in den 80er Jahren befasst und musste seinerzeit feststellen: Tanz ist Kunst, und die Vermittlung von Kunst ist nach Artikel 5 des Grundgesetzes frei! Das heißt konkret: Es gibt keinerlei gesetzliche Grundlage, den Beruf des Tanzpädagogen auf bestimmte Inhalte festzulegen, um dadurch zu gewährleisten, dass sich nur pädagogisch geprüfte und tänzerisch qualifizierte Menschen der Ausübung dieses Berufes widmen; somit ist auch die Berufsbezeichnung "Tanzpädagoge" nicht zu schützen. Einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes wollte der DBfT nicht anstrengen er hätte wohl wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Dennoch: Selbst wenn die gesetzliche Grundlage für den Berufsschutz so nicht gegeben ist, kann man im Berufsverband bestimmte Verbindlichkeiten festlegen. Martin Puttke, Zweiter Vorsitzender des DBfT, zieht eine Institution wie die Architektenkammer als Vergleich heran, sie schützt den Beruf und wertet ihn durch regelmäßige Fortbildungen zusätzlich auf.

Auch im Ballett geht es um sehr viel mehr als nur die Übereinkunft, Spitzentanz niemals vor dem zehnten Lebensjahr zu unterrichten (und selbst das hat sich noch nicht einmal unter den nicht-pädagogisch Qualifizierten herum gesprochen). Der enorme Erfolg des Films Rhythm is it!, in dem Royston Maldoom so eindrucksvoll die möglicherweise lebensverändernden Folgen der Teilnahme an einer Tanzklasse vor Augen führt, rückte Tanz mit einem Schlag ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Menschen jeden Alters, aber vor allem deutlich mehr Jugendliche kamen plötzlich auf die Idee zu tanzen. Der Film trat eine Lawine los, allerorten wurden Tanzprogramme eingerichtet und Projekte nach seinem Vorbild kreiert wenn auch längst nicht immer mit Sinn, Verstand und einem gutwilligen Blick für die jeweilige Zielgruppe. Denn plötzlich waren viele Künstler- Choreografen- Pädagogen gefragt, um die inflationär aus dem Boden schießenden Tanzvorhaben anzuleiten. Royston Maldoom ist Choreograf eine weitere Berufsbezeichnung, die sich jeder anheften kann, ohne irgendeine Konsequenz.
Den Schutz bestimmter Berufsbezeichnungen (da gäbe es jenen des Tänzers, des Tanzpädagogen und des Choreografen zu schützen) haben sich nun auch die SK Tanz (Ständige Konferenz Tanz, gegründet im März 2006) und der im Jahr 2007 einberufene Beirat der Sektion Darstellende Künste und Tanz innerhalb des Kulturrats vorgenommen. Michael Freundt (SK Tanz und ITI) sieht die geschützten Berufsbezeichnungen und die Anerkennung von Ausbildungen als einen ganzen Komplex von Themen: "Man muss hier unterscheiden: Wer darf an Hochschulen unterrichten? Wer kann eine Schule eröffnen und wer sollte Tanz an allgemeinbildenden Schulen vermitteln? Das sollte geregelt werden, der große Bereich sogenannter Kurse hingegen kann weiterhin der künstlerischen Freiheit unterliegen."

Hans Herdlein, Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, warnt indes vor allzu großen Hoffnungen auf eine baldige Veränderung der Situation. Nicht nur die im Grundgesetz verankerte Freiheit in der Vermittlung der Künste macht einen Erfolg weiterhin schwierig, auch die heute ständig steigende Vielfalt an tänzerischen Stilen sorgt dafür, dass kein klar erfassbares Berufsbild erstellt werden könnte, "fast jeder Lehrer hat doch inzwischen seinen eigenen Stil, den er natürlich für den besten hält und den er sich nicht reglementieren lassen will," kommentiert Hans Herdlein. Andererseits: Auch von Ski- und Gymnastiklehrern wird eine Abschlussprüfung verlangt, also warum sollte es nicht möglich sein, Grundlinien eines Ausbildungssystems auch im Tanz festzulegen und so zu einem gewissen Grad die nötige Anerkennung zu erreichen. Helfen würde dies vor allem im Hinblick auf die Einstufung durch die Bundesagentur für Arbeit: Dort gelten Arbeitslose aus künstlerischen Berufen als Ungelernte, sobald sie in ihrem Beruf nicht mehr vermittelbar sind und auf keinen anderen (gelernten) Beruf ausweichen können. Fälschlicherweise geht man in dieser Behörde immer noch einem "Menschen in Dauerbeschäftigung" aus, treu nach dem Sozialgesetzbuch; zeitlich befristete Verträge, eine enorme Flexibilität und ständig wechselnde Arbeitsplätze Alltag für Künstler heute sind in der Verwaltung dort noch nicht vorgesehen. Das wirkt sich letzten Endes auch in Benachteiligungen bei der Anwendung von Hartz IV-Gesetzen auf Menschen in künstlerischen Berufen aus. Wenn es hingegen eine verbindliche Festlegung gäbe, ein Diplom nach einer Tanzfachausbildung, so spekuliert der erfahrene Herdlein, dann würde diese auch von Behörden anerkannt und könnte Möglichkeiten der Umschulung liefern. Wenn dann noch hinzu käme, dass in vielleicht einigen Städten Deutschlands in der Bundesagentur für Arbeit ein paar Menschen säßen, die sich im Bereich der künstlerischen Berufe tatsächlich auskennen, dann sähe es schon sehr viel besser aus.

Nicht allein unter dem Aspekt, die Heranwachsenden vor dem Zugriff der Ahnungslosen zu schützen, wäre ein gemeinsamer Nenner wünschenswert. Auch im Hinblick auf eine solide tänzerische Basis, auf der sich eine Berufsausbildung bei Begabten aufbauen ließe, ist der Berufsschutz mit Qualifikationsnachweis erstrebenswert. Lutz Förster von der Tanzabteilung der Folkwang Hochschule in Essen, beklagt, dass "falsch ausgebildete oder regelrecht verbildete Schüler" immer wieder als Bewerber der Essener Studiengänge auftauchten. So wurde der Berufsschutz auch zum Thema in der Ausbildungskonferenz Tanz, einem Zusammenschluss der professionellen Ausbildungsinstitutionen Deutschlands. Ferner konstatiert der Tänzer und Pädagoge ein eher geringes Interesse am Studiengang Tanzpädagogik: Da es keine Verpflichtung gibt, ein Examen nachzuweisen, kann man wegen des fehlenden Berufsschutzes auch ohne Examen unterrichten, ausbilden oder eine Schule leiten.

Im Bericht der Enquete-Kommission zur Kultur in Deutschland, der nach vierjähriger Recherche Ende vergangenen Jahres dem Deutschen Bundestag übergeben wurde, sind auf rund 1000 Seiten 465 Handlungsempfehlungen formuliert. Im Bereich Tanz wurden die drei folgenden Handlungsempfehlungen aufgenommen:

1. Die Enquete-Kommission empfiehlt Bund und Ländern, Tänzer während und nach der Tanzkarriere durch die Einrichtung einer entsprechenden Stiftung "Transition" auf der Grundlage der Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Transition und soziale Aspekte" zu unterstützen.
2. Die Enquete-Kommission empfiehlt Bund und Ländern, Tanz als nachweisbaren Ausbildungsberuf anzuerkennen und das Berufsbild "Tanz- und Ballettpädagoge" durch Regelungen zur Ausbildung und Zertifizierung zu definieren.
3. Die Enquete-Kommission empfiehlt der Bundesagentur für Arbeit, neben einer zentralen Anlaufstelle für Tänzer spezielle Beratungsangebote zu erarbeiten, die zu einer weiteren beruflichen Qualifizierung führen.

Punkt Nummer 2 beträfe alle 16 Bundesländer, und hier konkret die jeweiligen Finanz- und Kultusminister der Länder, also insgesamt 32 Minister, die an einer Einigung beteiligt wären. Leichter macht es die Sache nicht Handlungsbedarf auf politischer Ebene ist angezeigt.

DAGMAR ELLEN FISCHER geboren in Toronto/Kanada, tanzpädagogische Ausbildung an der Lola Rogge- Schule Hamburg, Lehrtätigkeit im Ausbildungsbereich Moderner Tanz und Tanzgeschichte; Studium der Philosophie an der Universität Hamburg; freie Journalistin seit 1990, Publikationen für Fachzeitschriften im In- und Ausland; Redakteurin der Zeitschrift Ballett Intern seit 2003; Übersetzungen (englisch-deutsch), Projekte und Vorträge zu tanzhistorischen Themen.
 

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