22.05.2018

Themenreihe Führung

Autor*in

Martin Zierold
studierte Kultur, Kommunikation & Management. Er war im Bereich Kommunikation in verschiedenen Kultureinrichtungen und als wissenschaftlicher Geschäftsführer des International Graduate Centre for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig und Professor für Kulturmanagement an der Karlshochschule University. Seit 2017 hat er die Zajadacz-Stiftungsprofessur für Innovation durch Digitalisierung am Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) der Hochschule für Musik und Theater Hamburg inne.
Führungsstile in Kultureinrichtungen

Eine Frage der Haltung und der Stimmigkeit

Führungsstile und -modelle gibt es viele. Doch Lehrbücher, Handlungsleitfäden und Best Practice-Beispiele allein helfen nur selten dabei, den richtigen Ansatz zu finden. Professionelle Führung ist eine Frage der Haltung und der Passung zur jeweiligen Organisationskultur.

Themenreihe Führung

"Wir arbeiten mit einer der teuersten Weiterbildungsfirmen für Leadership weltweit zusammen, aber ich glaube einfach nicht an das, was sie uns beibringen", klagte neulich ein hochrangiger Manager eines großen deutschen Industrieunternehmens bei einem privaten Glas Wein. "Sie geben uns jede Menge Tools und Leitlinien, damit wir je nach Situation unterschiedlich immer entsprechend dem standardisierten Lehrbuchwissen führen. Aber wenn ich nicht so führe, wie es meiner Persönlichkeit entspricht, nimmt mir das mein Team keine drei Minuten ab." 
 
Wenngleich im Kulturmanagement selten global tätige Weiterbildungsfirmen Schulungen für Führungskräfte anbieten, stellt sich doch auch dort die Frage, wie individuell oder standardisiert Führung sein sollte. Dem Ruf nach mehr Raum für persönlichen Stil mag mancher im Kulturmanagement mit Skepsis begegnen: Wo Intendanten oder künstlerische Leiter mancherorts vermeintlich romantischen Bildern des heroischen, autodidaktischen Alleinherrschers nachhängen, liegt der Ruf nach Führung jenseits von persönlichen Vorlieben nahe. Doch was heißt eigentlich professionelle Führung? 
 
In der Aus- und Weiterbildung im Kulturbetrieb wird hier häufig wie so oft noch an Modellen festgehalten, die andernorts längst als überholt gelten. So rühmt sich wohl manch alter Haudegen des Kulturmanagements noch der Meinung, Führungserfolg sei allein eine Frage der Persönlichkeit, mithin praktisch von angeborenem Talent, das eben vorhanden sei oder auch nicht. Diese Ansicht ist inzwischen wissenschaftlich praktisch vollständig zu Grabe getragen worden, denn sie würde in letzter Konsequenz Weiterbildungen für Führungskräfte sinnlos erscheinen lassen. 
 
Sehr viel häufiger werden noch verschiedenste Modelle propagiert, die nicht (allein) auf Persönlichkeit abheben, sondern Führungsstile unterscheiden und auf ihre Erfolgschancen hin untersuchen. Prominent sind bis heute die Ansätze Max Webers oder auch Kurt Lewins, der zwischen autoritärer, demokratischer und laissez-faire-Führung unterschied. Ein häufig verwendetes Differenzierungsmuster ist auch der Unterschied von Aufgaben- vs. Personenorientierung, also wie stark in Zielkonflikten entweder die Erfüllung der Aufgabe oder die Pflege der Beziehung zu den Mitarbeitenden und ihren Bedürfnissen in den Vordergrund gerückt wird. Bis heute scheitern praktisch alle Modelle daran, Führungsstile mit Blick auf ihre Erfolgschancen zu bewerten: Zwar erleben wir täglich, dass unterschiedliche Menschen (wenig überraschend!) unterschiedlich führen. Allerdings lässt sich nicht unabhängig vom konkreten Kontext prognostizieren, welche Stile grundsätzlich erfolgsversprechend oder gar richtig sind. Das gilt auch für das Konzept der situativen Führung, das in Weiterbildungen seit mehreren Jahren en vogue ist: Der Hinweis, dass unterschiedliche Konstellationen jeweils ein anderes Führungsverhalten erfordern, ist zwar sinnvoll. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, in welcher Situation welcher Ansatz erfolgsversprechend ist. Und wenn dies dennoch versucht wird etwa, indem Tools, Regeln, Checklisten usw. für richtiges Handeln als Führungskraft vermittelt werden sollen, wird auch dies problematisch, weil es den spezifischen Kontext ausblendet.
 
Haltung kommt vor Tools und Schemata
 
Am Beispiel des Themas "Feedback geben" lässt sich leicht zeigen, wie begrenzt der Nutzen von schematischen Tools und Handlungsleitfäden ist. Zwei Regeln (vermeintlich) guten Feedbacks sind beinahe zu einem kommunikativen Grundgesetz geworden, das teilweise schon in Schulen gelehrt wird und auf der Agenda von kaum einem Kommunikationsseminar für Führungskräfte fehlen darf:
1. Kommuniziere Feedback als "Ich"-Botschaft.
2. Balanciere negatives und positives Feedback aus, am besten, indem die negative zwischen zwei positiven Rückmeldungen eingebettet wird.
 
Diese beiden Regeln sind keineswegs falsch. Problematisch werden sie jedoch, wenn sie wie ein formalistischer Algorithmus behandelt werden. Wer konstruktiv Feedback geben möchte, braucht dafür nicht zwingend schematische Regeln, so hilfreich diese zur Orientierung auch sein können. Er braucht zunächst Haltung. Daraus ergibt sich (beinahe) automatisch ein konstruktives Feedback: Wenn ich der Überzeugung bin, dass meine Mitarbeiter grundsätzlich nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, ihre Rolle konstruktiv auszufüllen, und dazu auch prinzipiell befähigt sind, wenn ich sie darüber hinaus für lernfähig und lernwillig halte und ihnen das Recht zugestehe, mit Respekt behandelt zu werden, dann folgt aus dieser Haltung eine Feedbackkultur, die sich der genannten Regeln bedienen kann (aber nicht schematisch bedienen muss). Wenn ich jedoch die Überzeugung habe, dass meine Mitarbeiter faul und lernunwillig sind, ihren persönlichen Nutzen auf Kosten der Organisation maximieren möchten und mehrheitlich für ihre komplexen Aufgaben nicht qualifiziert sind, dann kann ich noch so sehr diese Feedbackregeln befolgen, meine Haltung wird sich dennoch mindestens nonverbal ausdrücken. Die Ich-Botschaft wirkt dann wie auswendig gelernt, hölzern, bemüht. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Die Tools guten Feedbacks können dann mittel- und langfristig sogar die Basis für gelingendes Feedback zerstören. In einem Projekt zur Organisationsentwicklung, in dem auch über die Feedbackkultur reflektiert wurde, sagte ein Mitarbeiter zu mir: "Sie kommen jetzt bestimmt auch mit dem Bullshit-Sandwich". Wenn ein Team erst einmal durchschaut hat, dass einer Führungsperson positives Feedback primär dazu dient, die (kritische) Kernbotschaft lediglich lehrbuchgemäß zu verpacken, entwertet das langfristig die Feedbackkommunikation insgesamt. 
 
Fast immer wurden Führungstools ursprünglich aus einer konkreten Haltung heraus entwickelt. Das Konzept der Ich-Botschaft beispielsweise stammt aus Marshall B. Rosenbergs Buch "Gewaltfreie Kommunikation". Wer daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen jedoch aus dem Entstehungskontext löst und zu mechanistischen Tools degradiert, die nur noch möglichst effizient Mitarbeiter "optimieren" helfen sollen, der pervertiert ein sinnvolles Konzept und entwertet es nicht nur moralisch, sondern auch pragmatisch. Aus diesen Beispielen folgt: Haltung kommt vor Tools. 
 
Das macht Tools nicht überflüssig, bedeutet aber, dass ich Werkzeuge guter Führung nicht verwechseln darf mit Professionalität und guter Führung selbst. Nur weil ich einen Koffer voller Pinsel habe, bin ich noch kein Malermeister.
 
Was heißt "Haltung"?
 
Unter "Professioneller Haltung" verstehe ich ein Set an Grundannahmen und Wertvorstellungen, die sich im Laufe des (Berufs-)Lebens teils bewusst (etwa durch Reflexions- und Lernprozesse), teils unbewusst herausbilden. Besonders prägend sind dafür häufig Phasen der professionellen Sozialisation wie Ausbildung, Studium, Weiterbildung und Wechsel in neue Organisationen oder Berufsfelder. Besonders in komplexen Situationen hat die professionelle Haltung eine leitende Funktion, indem sie Orientierung und intuitive Handlungsimpulse gibt. Haltung ist nicht rein kognitiv-rational, sondern auch affektiv-emotional verankert. Professionelle Haltung kann kommunikativ in "Maximen", "Glaubenssätzen" oder Faustregeln (sogenannten "Heuristiken") zum Ausdruck kommen, ist jedoch nicht auf solche sprachlichen Kondensate zu reduzieren. Der Bildungs- und Risikoforscher Gerd Gigerenzer hat in zahlreichen Studien gezeigt, dass Intuitionen in Situationen von hoher Unsicherheit häufig hilfreicher sind als komplexe Analyse- und Steuerungsmodelle (wie sie beispielsweise in Führungsworkshops oder MBA-Programmen zum Thema Entscheidungsfindung und Strategie gelehrt werden). 
 
Stimmigkeit als Erfolgskriterium
 
Eine Haltung zu haben, ist noch kein Kennzeichen guter Führungskräfte, sondern welche Haltung ein Mensch entwickelt: Ich kann die Überzeugung haben, dass Erfolg sich eher durch Kooperation oder durch Konkurrenz erreichen lässt, davon ausgehend, dass Druck und Unsicherheit Menschen zu Leistung motivieren oder genau dafür hinderlich sind. Eine Voraussetzung für gelingende Führungspraxis ist dabei eine Konstellation doppelter Stimmigkeit, die einerseits zwischen dem Führungshandeln und der Haltung der Führungspersonen bestehen sollte, andererseits zwischen der Haltung der Person und der Kultur der Organisation (statt Stimmigkeit könnte man auch im Sinne von dem Soziologen Hartmut Rosa von "Resonanz" oder mit dem Kinderarzt Remo Largo von "Passung" sprechen). Wenn dies nicht der Fall ist, besteht die Gefahr, dass Ihr Tun nicht langfristig wirksam bleibt, weil es von anderen Kräften in der Organisation konterkariert wird (und Sie innerlich ausbrennen). 
 
Mehr Haltung in der Führungspraxis
 
Was folgt aus diesen Überlegungen für die Führungspraxis im Kulturmanagement? Zunächst, dass es nicht primär um richtig oder falsch, sondern um stimmig oder unstimmig/verquer geht. Das setzt voraus , dass ich schon bei der Wahl meines Arbeitgebers die Passung zwischen meiner Haltung und der Organisationskultur zu einem entscheidenden Kriterium mache. Für die Entwicklung von Führungsrollen ist zudem nicht allein eine Erweiterung des Werkzeugkastens wichtig, sondern mindestens genau so sehr die Fähigkeit, die eigene Praxis und zugrundeliegende Haltung zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Dies ist noch zu selten ein zentraler Gegenstand von Führungsweiterbildungen. Das Ergebnis einer solchen Reflexion wäre dann weder eine Vereinheitlichung von Führungspraxis noch ein Freibrief für das Ausleben von purem Individualismus, denn die Grenze persönlichen Stils ist stets die Organisationskultur und die Werte der Organisation. Mitarbeiter, die in Kulturorganisationen unter autokratischen Despoten leiden, sollten sich deshalb keine Illusionen machen: Wenn die Organisationskultur eine derartige Führungspraxis zulässt, ist wenig damit gewonnen, den Chef auf einen Führungs- oder Kommunikationsworkshop zu schicken. Bevor hier zwischen dem  Wunsch, auf Augenhöhe wertschätzend behandelt zu werden, und der Führungspraxis Stimmigkeit herrscht, ist zunächst lange Kulturentwicklung angezeigt oder der Wechsel in eine andere Organisation, die individuell mehr Passung verspricht.
 
Literatur
  • Gigerenzer, Gerd. Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. München: Bertelsmann, 2013. 
  • Rosa, Hartmut. Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2016. 
  • Rosenberg, Marshall B. Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. 10. ed: Junfermann, 2012.

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