09.11.2009

Themenreihe Führung

Autor*in

Birgitta Borghoff
ist Unternehmerin, Forscherin und integraler Coach. Sie liebt es, Brücken zu bauen zwischen Menschen, Unternehmen und Kulturen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW, wo sie in den Bereichen Organisationskommunikation, Entrepreneurship, Storytelling, Start-up und Business Modeling forscht und doziert. Darüber hinaus baut sie mit INNOVANTIQUA Brücken von der Alten Musik zur Neuen Musik, zu anderen Kultursparten und zur Wirtschaft. Sie war viele Jahre redaktionelle Mitarbeiterin von Kultur Management Network.
Toni Schönenberger
studierte Allgemeine Geschichte, Politologie und Englische Literatur an der Universität Zürich sowie in London und Singapur. Er war lange im Executive Development tätig, seit 1995 ist er CEO von UBS Wolfsberg The Platform for Executive & Business Development. Zudem hält er u.a. die Mandate als Präsident der Stiftung Think Tank Thurgau sowie der Stiftung "stars the Stein am Rhein Symposium" und engagiert sich als Vizepräsidenten im Stiftungsrat des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIKISEA).
Führung in Wirtschaft und Kultur

"Führen - Leadership, Management oder Entrepreneurship?"

Interview mit Dr. Toni Schönenberger, CEO, Wolfsberg - The Platform for Executive & Business Development. Er ist Leiter der UBS Arts Foren und suchen im interdisziplinären Dialog mit Kunst, Kultur und Wirtschaft das gegenseitige Verständnis weiterzuentwickeln.

Themenreihe Führung

Herr Schönenberger, Sie sind CEO des Wolfsberg Konferenzzentrum The Platform for Executive & Business Development. Wie kamen Sie zu dieser Tätigkeit ?

Toni Schönenberger: Ich bin damals bei der ehemaligen UBS/SBG in die Management-Ausbildung eingetreten, d.h. in die Ausbildung von Führungskräften.Damals wie übrigens auch heute ging man von einem ganzheitlichen im fachlichen Bereich ein Experte sein. Andererseits muss er Mitarbeiterinnen den Dienstleistungssektor - sollten Sie über ein breites Allgemeinwissen verfügen. Eine Führungskraft sollte also Kenntnisse über die Wirtschaft, die Gesellschaft und damit natürlich auch über die Kultur mitbringen. Sie können sich sicher vorstellen, dass Sie mit einem Kunden stundenlang über Performance sprechen können. Aber vielleicht möchte der Kunde auch einmal über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen und Fragen mit Ihnen diskutieren. Das war damals die Idee und der Grund, warum ich in dieses Unternehmen eingetreten bin, mit der Aufgabe, im allgemeinbildenden Bereich und im Führungsbereich tätig zu sein.
 
Ich habe einmal von Ihnen gelesen, man würde toleranter und sensibler, wenn man sich mit Kunst beschäftigt. Daneben seien Führen, Kommunizieren und Motivieren in der heutigen Wirtschaft sehr wichtig. Glauben Sie, dass man Führen lernen kann?

TS: Das ist eine wichtige Frage. Es gibt da verschiedene Denkschulen. Die einen glauben, man könne Leadership lehren und damit auch lernen. Und andere denken, das sei nicht möglich. Ich glaube schon, dass man einen grossen Teil lernen kann. Es muss allerdings eine Basis, quasi ein Talent vorhanden sein, wie für vieles andere auch, das weiterentwickelt werden kann.

Welches Talent ist Ihrer Ansicht nach wichtig?

TS: Ich glaube, dass neben der Fähigkeit zu kommunizieren, Offenheit und Freude am Dialog, d.h. am Gespräch und an der Diskussion, gerade heute sehr wichtig sind.

Zuhören können ist ein wichtiger Bestandteil des Dialogs. Glauben Sie, dass die heutigen Führungskräfte in Wirtschaft und Kultur das aktive Zuhören überhaupt (noch bzw. schon) praktizieren? Was sind Ihre Erfahrungen konkret hier auf dem Wolfsberg?

TS: In allen Unternehmen wird heute Kundenorientierung gefordert. Der Kunde steht im Fokus. Dies bedeutet allerdings, dass Sie auf den Kunden hören müssen, d.h. Sie müssen den Kunden verstehen und damit auch den Dialog mit ihm aufnehmen. Da gibt es gewaltige Defizite. Wenn Sie lieber Ihr Produkt verkaufen, als auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen, dann hören Sie nicht zu, sondern wollen dem Kunden das verkaufen, was sie zufälligerweise haben oder beschaffen können. Das gilt für jedes Unternehmen. Und ich denke, in Sachen Dialogfähigkeit und Zuhören ist grundsätzlich noch viel zu tun. Auch in unserem Unternehmen bilden wir unsere Mitarbeiter schon viele Jahre entsprechend aus. Wichtig ist, dass zuerst mit dem Kunden diskutiert wird, bevor der Kundenberater eine Offerte macht.
 
Die UBS Health Foren thematisieren aktuelle Fragen der persönlichen Gesundheitsförderung sowie gesundheitsorientierter Unternehmensführung. Themen wie Selbstmanagement, Selbstführung, Work-Life-Balance gewinnen zunehmend an Bedeutung. Das Sprechen über Burnout, den Umgang mit Ängsten und Depressionen ist längst kein Tabu mehr. Wie wird Ihr Veranstaltungsangebot wahr- und angenommen und wie ist die Offenheit, über diese Themen wirklich auch ganz konkret zu sprechen?

TS: Die meisten Teilnehmenden der UBS Health Foren haben bereits einen Bezug zu diesem Thema. Sie sind entweder direkt betroffen oder haben den Eindruck, von dieser Problematik auch einmal tangiert werden zu können. Oder aber jemand aus ihrem Bekanntenkreis musste sich mit diesen Problemen bereits befassen. Die Leute, die zu uns auf den Wolfsberg kommen, wollen sich vertieft mit Themen auseinandersetzen und sind bereit, zu lernen, den Dialog zu führen, zu kommunizieren, zu diskutieren. Sie sind wissbegierig. Und dies sind die besten Voraussetzungen, um von einem solchen Veranstaltungsgebot profitieren zu können. Doch es gibt sehr oft das Problem, dass man eine andere Sprache spricht. Bei den sehr spezifischen Themen, welche an unseren UBS Health Foren und UBS Arts Foren diskutiert werden, werden oft Fachbegriffe benutzt resp. eine Expertensprache gesprochen. Die Termini eines Fachgebietes lassen sich kaum mehr kommunizieren mit der Außenwelt, und die Experten bilden einen "inner circle". Wer liest z.B. heute noch den Wirtschaftsteil der Neuen Zürcher Zeitung? Wer versteht diese Artikel noch? Das ist ein Expertenpublikum, und für einen Grossteil der Leser sind diese Artikel rein sprachlich zu kompliziert. Auf dem Wolfsberg versuchen wir, den Dialog zwischen den Experten und einem interessierten Publikum zu fördern. Dazu ist von beiden Seiten der Wille nötig, zu lernen und sich auszutauschen.
 
Wenn ich Sie richtig verstehe, scheint für das Thema Übersetzen und Verstehen von Sprache eine neue Art der Vermittlung vonnöten zu sein. Die Kernfrage könnte lauten: Wie vermittelt man Inhalte an ein Publikum, eine Leserschaft, aber auch im persönlichen Dialog?

TS: Dass wir die Kommunikationsfähigkeit und die Vermittlung generell optimieren müssen, ist keine Frage. Nun, was können Sie tun? Sie können die Diskussion provozieren, Sie können nachhaken. Auf dem Wolfsberg machen wir das, indem wir den Teilnehmenden nebst den Plenarveranstaltungen die Diskussion in Kleingruppen ermöglichen. Diese Workshops sind so strukturiert, dass der Input höchstens 50 % der Zeit umfasst und nachher die Diskussion darüber im Zentrum steht. Bei unseren zweitägigen Veranstaltungen gibt es zudem x Möglichkeiten, sich vom Frühstück bis Mitternacht auszutauschen. Und die offene Atmosphäre und angenehme Umgebung nehmen den Lernenden die Angst, mit dem Referenten zu interagieren und zu fragen: Was hast Du da genau gemeint? Wie sieht das aus, kannst Du mich da besser informieren? Wichtig ist also, dass wir eine Ambiance der Offenheit schaffen. Und da wir oft eine sehr heterogene Gruppierung haben, gibt es immer Leute, die provokative Fragen stellen.

In Anbetracht der globalen gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen, was verstehen Sie persönlich ganz spontan unter Führung?

TS: Es ist so, dass die Welt und damit auch die Führung immer komplexer werden. Vieles ist interdependent, d.h. alles hängt voneinander ab. Sie müssen also unter Umständen Entscheidungen treffen, ohne alle Facts & Figures zu kennen. Beim Führen unterscheide ich zwischen Leadership und Management. Leadership heißt, eine Vision zu haben, zu wissen wohin man geht, und das auch zu kommunizieren. Wichtig ist die Bereitschaft, Mitarbeiter zu befähigen, ihnen die Möglichkeiten, den Spiel- und Freiraum zu geben, sich im Rahmen der Vision zu entwickeln und einen Beitrag an die Umsetzung zu leisten. Der Manager auf der anderen Seite ist eher operativ tätig und setzt um, während der Leader visionär bzw. strategisch tätig ist.

Als CEO des Wolfsberg sind Sie unternehmerisch tätig. Sie haben einmal gesagt, dass Künstler und Unternehmer kreativ bzw. innovativ sein müssen und insofern beide Entrepreneure seien. Um auf Ihre Unterscheidung von Leader und Manager von vorhin zurück zu kommen, was verstehen Sie unter dem Entrepreneur?

TS: Der Entrepreneur ist der Unternehmer, der eine Vision für sein Geschäft haben muss. Von daher ist er dem Leader sehr ähnlich. Es kommt natürlich darauf an, wie die ganze Unternehmung organisiert ist. Wenn der Unter- nehmer quasi Präsident ist und er hat noch einen CEO oder COO, dann sind dies die so genannten Manager. Oft gibt es jedoch die Konstellation, dass der Unternehmer gleichzeitig auch CEO ist. Im Prinzip ist der Unternehmer derjenige, der die Vision hat, was er mit seinem Geschäft, seinen Produkten oder mit seinem Know-how machen will. Er weiß, wohin er will, er hat diese Vision, er hat eine Strategie, er muss im Markt bestehen, er ist prinzipiell auch im Aussenbereich tätig, er kommuniziert gegen außen, er bearbeitet wahrscheinlich auch die Märkte. Oft ist er jedoch auch CEO und muss zudem seine Vision operativ umsetzen. Daneben muss der Unternehmer innovationsfähig sein. Er muss Themen dauernd neu denken können, weiterentwickeln, und in diesem Sinne innovativ sein. Wo gibt es neue Nischen, neue Märkte, neue Produkte? Er muss immer vorne an der Spitze der Entwicklung sein und das Unternehmen weitertreiben. Wenn er das nicht mehr macht, ist dann irgendwann mal Stillstand bzw. Rückschritt. Und das ist der Kern der unternehmerischen Tätigkeit: immer neu, immer innovativ, immer cutting edge sein.

Welchen Einfluss haben Ihrer Meinung nach Entrepreneurship-Aspekte wie Innovation und Kreativität auf die Qualität der Führung von Wirtschaftsunternehmen einerseits und Kulturinstitutionen bzw. creative industries andererseits? Besteht hier nicht auch die Gefahr der Verzettelung?

TS: Man kann sich natürlich verzetteln. Die ganze Innovation bzw. Weiterentwicklungsstrategien müssen fokussiert sein. In allen Bereichen, ob in Wirtschaft oder Kultur, müssen Führungskräfte an der Entwicklung teilnehmen, Stakeholder sein, innovativ und kreativ sein, Nischen und Marktlücken sehen. Und das gilt für jedes Unternehmen, egal ob es sich in den Bereichen Wirtschaft, Kultur oder den creative industries bewegt.
 
In der Wirtschaft entwickelt man ein neues Produkt aufgrund einer konkreten Marktnachfrage. In den Bereichen Kunst und Kultur ist das tendenziell eher entgegengesetzt: Zuerst kommt das Produkt bzw. die Dienstleistung. Erst dann sucht man einen Markt bzw. man bildet sich einen solchen heran. Sehen Sie hier nicht einen Widerspruch?

TS: Oft wird in der Wirtschaft etwas am Markt vorbei entwickelt, wofür es an und für sich kein Bedürfnis gibt. Dies ist auch in der Kultur bzw. creative industries oft der Fall. Der Künstler oder Kulturschaffende arbeitet aus sich heraus und dann hat er entweder Erfolg oder nicht. Wenn er für ein Werk keinen Käufer findet, kann er das als Einzelner schon überleben, doch ein Unternehmen als komplexes Gebilde kann das nicht. Wenn Sie die Bedürfnisse des Marktes oder der Kunden nicht mit einbeziehen, dann sind Sie früher oder später weg vom Fenster. In dem Sinne sind das also zwei getrennte Paar Schuhe.

Wobei die Frage ist, ob der Künstler wenn für ihn Kunst weiterhin Selbstzweck bleibt überhaupt überleben kann. Ich denke, dass sich heute auch die Künstler, ebenso wie die Führungskräfte in der Wirtschaft weiter öffnen, den Dialog suchen, führen und kommunizieren müssen, um etwas im Markt zu bewegen.

TS: In diesem Sinne tickt ein Kulturschaffender oder Künstler sehr ähnlich wie ein Unternehmer. Der wirtschaftliche Unternehmer muss innovativ sein, aber auch der Künstler muss sein Produkt wie ein Kleinunternehmer zu Markte tragen. Gerade in diesen Gemeinsamkeiten liegt ein grosses, bisher zu wenig genutztes Potenzial. Künstler sehen Produkte, Prozesse und Dienstleistungen oft mit anderen Augen und können Ideen ins Unternehmen einbringen, die dann spezifisch umgesetzt werden können. Andererseits ist der Künstler oft so verstrickt in seine Gedanken und überzeugt von seiner Arbeit, dass er überhaupt nicht sieht, ob und wie die Umwelt reagiert.

Künstler sind bedingt durch ihre kreative Arbeit auf vielen Ebenen damit konfrontiert, sich konsequent mit sich selbst zu beschäftigen und in die Tiefe zu gehen. Man könnte vermuten, dass es ihnen vielleicht leichter fallen müsste, sich selbst erfolgreich und effizient zu führen. Könnte diese Eigenheit nicht auch eine Fähigkeit sein, die Führungskräfte aus der Wirtschaft von Künstlern lernen könnten?

TS: Ich glaube, da gibt es natürlich eine Verbindung. Sie müssen sich selbst führen können. In der Managementliteratur heißt es Lead yourself und erst dann Lead others. Sich selbst führen, sich selber kennen, sich seiner selbst bewusst und selbstsicher sein, und dadurch ein Beispiel für andere sein. Dann können sie den nächsten Schritt machen, andere zu führen. Da kann man von Künstlern lernen, wie die arbeiten, wie sie versessen sind, sich konzentrieren und fokussieren

...vielleicht auch durch Krisen gehen?

TS: Ja, das auch. Ich glaube, je länger man darüber spricht, umso mehr gibt es große Ähnlichkeiten zwischen einem Unternehmer und einem Kulturschaffenden bzw. Künstler. Was man von einem Künstler auch lernen kann, ist die Disziplin. In Biografien von Künstlern lese ich, wie sie knallhart arbeiten und jeden Morgen schreiben von 8.00 11.00 Uhr. Das muss ein Unternehmer oder Manager auch. Disziplin, Kreativität, Innovation, da gibt es sehr viele Berührungspunkte zwischen Unternehmer und Künstler. Wenn Sie das auf die Spitze treiben, könnte man fast sagen, dass Künstler und Unternehmer dasselbe sind. Schweizer Autoren wollen z.B. eine Auflage ihres Werkes in der Schweiz von 100.000 Stück erreichen. Sie wollen an und für sich dasselbe wie der Unternehmer. Sie wollen, dass ihr Produkt das Beste ist, dass sie einen Markt haben - übrigens mit dem gleichen Risiko eines Unternehmers, vielleicht keinen Erfolg zu haben.

Kulturmanagement erlebt gerade einen neuen Boom. Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky, Leiter vom Think Tank forward2business, hat einmal gesagt, dass die Welt zwangsläufig neue Berufe braucht und es immer mehr Freelancer geben wird. Er würde, wenn er noch einmal 20 wäre, vermutlich Kulturmanagement studieren, da wir gesellschaftlich im Moment dort stehen, wo sich Kultur und Wirtschaft treffen. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation?

TS: Bedingt dadurch, dass viele Leute heute keinen Job mehr finden, wird die Chance genutzt, sich in losen Netzwerken zu organisieren. Es gibt sicher Tausende von so genannten Consultants, die ad hoc in einem Projekt zusammenarbeiten, quasi ein Team bilden. Daneben haben sie noch drei bis vier andere Projekte, andere Mandate. Man nennt sie auch Portfolio Workers. Ich denke, das ist eine riesige Bereicherung für diese Leute: Sie haben verschiedene Projekte und Teams, verschiedene Fachbereiche und Netzwerke, mit denen sie arbeiten, gerade auch im kreativen Bereich. Bedingt durch die wirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Situation werden Kulturmanager zukünftig zu einem größeren Teil nicht mehr angestellt werden, sondern verstärkt projektspezifisch etwas umsetzen. Ich glaube, dass v.a. die öffentlichen Kulturinstitutionen Festanstellungen vermeiden und vermehrt Mandatemz.B. für eine Ausstellungsorganisation vergeben werden. Damit müssen sich die Kulturinstitutionen neu organisieren. Sie können nicht alles selbst machen, sie müssen ein Netzwerk haben, sie müssen ad hoc eine Gruppe bilden, die das Projekt plant und realisiert. In der Wirtschaft ist das z.T. auch so. Wobei sich hier immer wieder auch die Frage nach Outsourcing bzw. Insourcing stellt. Es gibt mittlerweile so viele Möglichkeiten mit der Globalisierung, Digitalisierung und dem Internet. Da sind oft kleine Teams oder einzelne Personen, die etwas erfinden. Nehmen Sie beispielsweise Google oder seiner Zeit Amazon. Einer hat eine "verrückte" Idee und entwickelt diese weiter. Oder diese vielen kleinen IT-Boutiquen, die immer wieder von den Großen übernommen werden, weil offensichtlich die ganz kreativen Geschichten nicht in Grossunternehmen geschehen. Das ist ein Problem, und es stellt sich die Frage für Großunternehmen, wie viel Freiraum sie den Mitarbeitern zur Verfügung stellen. Vielleicht kennen Sie die Firma Bühler AG in Uzwil. Die geben den Mitarbeitern viel Freiraum, vielleicht sogar 20 % ihrer Arbeitszeit, um neue, eigene Ideen zu entwickeln. Viele sind so begeistert und enthusiastisch, dass es zahlreiche hervorragende Innovationen und Ideen gibt, die in das Unternehmen einfliessen. Wenn das nicht möglich ist, wird aus der Idee ein Spin- Off, ein Start-up gemacht. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können selbst Entrepreneure werden. Andererseits wollen sie vielleicht z.B. in der Verwaltung nicht unbedingt zu viel Kreativität.

Schade eigentlich, dabei böte sich ja gerade hier eine sehr interessante Herausforderung für eine Führungskraft nämlich das Erlernen der Kunst, einen solchen kreativen Haufen von Freelancern zu führen. Im Hinblick auf die vielen freien nicht formal geführten Projekt-Netzwerke, was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Herausforderungen des Themas Führung von morgen?

TS: Ich glaube, dass die Leader noch sensibler sein müssen, einen noch grösseren Spürsinn haben müssen, wohin die Entwicklung geht. Noch mehr kommunizieren, noch mehr den Dialog aufnehmen!
 
Wie lernt man das?

TS: Sie müssen die Freude haben, Fragen und Herausforderungen anzunehmen. Sie müssen eingehen auf neue Entwicklungen. Sie müssen mit den Kreativen sprechen können, neugierig, offen, sensibel und sensitiv sein. Sie müssen vergessen, was die traditionelle Führung in einem Unternehmen ist, wo Sie Budgets und die normalen Abläufe und Prozesse haben. Sie sollten quer denken, mal alles auf den Kopf stellen und anders anschauen. Dazu müssen Sie als Führungskraft stark genug sein, denn Sie werden hinterfragt werden. Sie werden konfrontiert werden mit Aussagen wie Ist das richtig, was Sie da machen, ist das nicht die falsche Strategie, die falsche Vision?" Und vielleicht ist jemand, der auch ein künstlerisch-kulturelles Flair hat oder offen ist für solche Entwicklungen, dafür besser gewappnet, als ein traditioneller Entrepreneur.

Das könnte einen auf den Gedanken bringen, dass Unternehmer im künstlerischen Bereich zukünftig die erfolgreicheren Entrepreneure sein werden, da sie es als ihre Aufgabe sehen, das Neue in die Welt zu bringen im Gegensatz zu den traditionellen Unternehmern, deren Ziel es ist, ständig neue Bedürfnisse aus den Konsumenten herauszukitzeln.

TS: Ja, das mag vielleicht zutreffen. Vielleicht ein Beispiel hierzu. Ich war viele Jahre zuständig für die Art Collection in der UBS. Wenn Sie beispielsweise ein Projekt in einer Niederlassung realisieren möchten, kommt man als normaler kulturinteressierter Mensch vielleicht auf den Gedanken, dass ein Bild an die Wand müsste. Doch als Projektverantwortlicher laden Sie dann Künstler ein und geben denen quasi plein pouvoir. Dann kann es sein, dass nicht die Wand, sondern die Decke und der Boden bespielt werden. Oder es gibt eine Skulptur anstelle eines Bildes, vielleicht etwas Monochromes anstatt Figürliches. Es ist also immer anders. Als Verantwortlicher dieser Niederlassung oder eines Geschäftsbereichs müssen sie die Offenheit haben, das zu akzeptieren, und am Schluss vielleicht erkennen, dass das Endergebnis ihre Erwartungen übersteigt. Ich glaube, wenn man oft mit Kulturschaffenden zu tun hat, kann man dieses Denken auch entwickeln. Ein normales Unternehmen ist in der Regel sehr hierarchisch. Das ist natürlich auch notwendig, doch damit schließt man oftmals automatisch konstruktive Opposition aus, weil diese tendenziell nicht Bestandteil der Kultur eines hierarchischen Unternehmens ist. Wenn Sie die Chance nutzen, sich kulturell, d.h. mit Künstlern auseinander zu setzen, sind Sie wahrscheinlich offener. Vermutlich haben Sie frühzeitig innovative Ideen oder nehmen Ideen auf und lassen diese mit in das Geschäft einfliessen.

Eine gewagte Frage zum Abschluss: Könnten Sie sich vorstellen, hier am Wolfsberg auch einmal eine/n Kulturmanager/in einzustellen, die/der viele Eigenschaften einer Führungskraft wie Kommunikation- und Dialogfähigkeit, Sensitivität und Offenheit für Neues quasi von Haus aus mitbringt?

TS: Auf jeden Fall. Wenn jemand schon die Erfahrung im kulturellen Bereich hat und wenn diese Person offen genug ist, sich auch in einem größeren Unternehmen einzubringen, dann ist das sicher eine Bereicherung für beide Seiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass gewisse Funktionen im Dienstleistungssektor sehr gut von Kulturmanagern ausgefüllt werden könnten, z.B. in Marketingabteilungen (Brandmanagement, Sponsoring) oder HR- Abteilungen (Stichwort: Diversity Management). Aber auch Business Development Abteilungen könnten interessante Tätigkeitsfelder für Kulturmanager darstellen, zumal diese bewusst Trends aufspüren und sich damit beschäftigen, in welche Richtung die gesellschaftliche Entwicklung geht.
 
Das Interview führte Birgitta Borghoff.
 

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