09.01.2017

Autor*in

Leonie Krutzinna
studierte Skandinavistik und Literaturwissenschaft an der Georg August-Universität Göttingen.
Interview mit dem Generalintendanten der Elbphilharmonie

Der Bildungskanon bröckelt

Diesen Mittwoch wird die Elbphilharmonie nach 13 Jahren Bauzeit feierlich eröffnet. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter erklärt, wie sie die negative Kritik der Bauzeit in einen Ruf als Konzerthaus der Superlative mit Strahlkraft für Kulturmarketing, -vermittlung und natürlich für Hamburg werden will.
KM: Herr Lieben-Seutter, wie steht es um die Musikbegeisterung in unserer Gesellschaft?
 
Christoph Lieben-Seutter: Klassische Musik wird geschätzt, aber wenig nachgefragt das hat die von der Körber-Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage gezeigt. Sie ist eine gute Bestätigung unserer Einschätzung der momentanen Situation. Die dort angesprochenen Themen sind uns bekannt, d.h. relativ viele Leute sind interessiert, wenn es allerdings, wie die Umfrage aufzeigte, tatsächlich 20 % wären, die in Konzerte gingen, wäre ich gar nicht so unglücklich. Ich glaube, einige der Befragten schummeln bei ihren Antworten, da sie sich nicht ganz eingestehen wollen, dass sie schon sehr lange nicht mehr im Konzert waren. Alarmierend sind natürlich der Rückgang der Besuche und die Frage nach der Durchdringung von klassischer Musik in der nächsten Generation. Aber das ist ein großes gesellschaftspolitisches Thema, das ja Kunst, Literatur, Wissenschaft, Philosophie und andere Bereiche mit einschließt, die vom Arbeitsmarkt nicht total nachgefragt werden. Der Bildungskanon bröckelt.
 
KM: Sie zeigen mit dem Musikvermittlungsprogramm der Elbphilharmonie, wie sich ein bröckelnder Bildungskanon kitten lässt. Es reicht von Babykonzerten bis zur Konzerteinführung. Was muss die Musikvermittlung leisten, um das Publikum zu gewinnen und zu halten?
 
CLS: Wir stehen als Musikvermittler in einer immer größeren Verantwortung. Es geht nicht nur darum, mehr Leute ins Konzert zu bekommen, sondern uns auch der immer größeren gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu werden, die auf uns und auch auf allen anderen Kulturinstitutionen, Orchestern, Stiftungen etc. lastet. Wir müssen für den Staat, die Erziehung, die Elternhäuser usw. einspringen und diese Aufgabe aktiv annehmen.
 
KM: Wie sieht eine erfolgreiche Vermittlungsarbeit im Detail aus, v.a. in einem Haus, das in der öffentlichen Wahrnehmung schon vor seiner Eröffnung auch negativ konnotiert war?
 
CLS: Die Elbphilharmonie ist tatsächlich ein sehr überlagertes Thema. Die negative Konnotation entsteht natürlich durch die Probleme auf der Baustelle, die totale Kostenüberschreitung, die Verzögerungen, und führt häufig zu einer unglücklichen Verknüpfung von Baugeschichte und Bestimmungszweck. Viele sagen sich Oh Gott, das ist ja so teuer, das werde ich mir nie leisten können oder Mit meinen Steuergeldern finanziere ich jetzt ein Konzerthaus für die Reichen. Die Elbphilharmonie soll und will ein Haus für alle sein. Mit der Eröffnung können wir das beweisen, denn die Karten sind günstig und die Inhalte trotzdem hochkarätig, es kommen zigtausende Hamburger Kinder in die Elbphilharmonie und die Programme sind so spannend und zeitgemäß, dass die Leute gerne wiederkommen.
 
KM: Warum brauchte Hamburg denn neben der Laeiszhalle überhaupt ein neues Konzerthaus? Und schürt so ein pompös angelegtes Baukonzept wie das der Elbphilharmonie nicht gerade Schwellenängste?
 
CLS: Die Elbphilharmonie ist ja viel mehr als nur ein Konzerthaus, sondern ein spektakuläres architektonisches Wahrzeichen, das bereits jetzt weltweit bekannt ist und begeistert. Dass es sich dabei nicht um einen Büroturm oder ein Shoppingcenter, sondern um ein Haus für klassische Musik handelt, ist doch toll. Das wird ein Leuchtturm, der vermittelt, dass dieses unser kulturelles Erbe noch immer ganz heißer Stoff ist. Deshalb ist dieses Konzept mit einmaliger Akustik, der Ausstrahlung, der ganzen Sensation das richtige Vehikel, um der klassischen Musik eine neue Plattform zu geben. Für die Musikfreunde, denen die Elbphilharmonie zu pompös ist, gibt es ja weiterhin die wunderbare Laeiszhalle. Nur neues Feuer lässt sich in den ehrwürdigen Mauern nur schwer entfachen. Die Elbphilharmonie wird viel leichter neues Publikum für die Klassik gewinnen.
 
KM: Ist die Förderung der zeitgenössischen Musikkultur eine adäquate Antwort auf die Krise der Konzerthäuser?
 
CLS: Musikförderung ist immer gut und bezogen auf Hamburg ist es ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Elbphilharmonie allein noch keine Musikstadt macht. Es geht eben nicht nur um die teuren Institutionen, obwohl die das größte Problem haben, denn ein Orchester muss nun mal 100 Mann haben, ohne die kann man die Mahler-Sinfonie nicht spielen. Es fängt ja schon bei den Clubs auf dem Kiez an, die dort weggentrifiziert werden, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Zwischen den Polen der Clubkultur und der Elbphilharmonie lässt sich wunderbar ein Bogen spannen, wir sind uns nämlich inhaltlich viel näher als man meinen würde, wenn man noch diese althergebrachte Unterteilung von Hochund Unterhaltungskultur vertritt. Wir sind schon aktiv aufeinander zugegangen. Die Clubszene ist mir lebenswichtig, sie muss weiter leben und weiter wachsen.
 
Christoph Lieben-Seutter ist seit 2007 und noch bis 2018 als Generalintendant der Laeiszhalle und der Elbphilharmonie in Hamburg verpflichtet. Zuvor war er am Wiener Konzerthaus und am Opernhaus Zürich tätig. Als Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft verantwortete er die künstlerische und kaufmännische Leitung des Festival Wien Modern und die Generalsanierung des Konzerthauses. Lieben-Seutter ist Präsident der European Concert Hall Organisation (ECHO) und Vorstandsmitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters.
 
Dieses Interview erschien zuerst im KM Magazin.
 

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