26.07.2013

Autor*in

Anka Suckow
Kommentar

Rifkin in Thüringen

Schick, sagt mein ehemaliger Strategen-Kollege in Berlin. Leider schafft er es dann doch nicht, zu kommen. Dafür nehme ich eine Freundin und Beratungsklientin mit, eine echte Thüringer Kreative.
Zusammen mit 200 Besuchern des diesjährigen Creative Innovation Summit staunen wir, als der kleine, charismatische Amerikaner mit Schnurrbart auf Pult, Präsentation und Sitzgruppe verzichtet und mit seinem Mikro mitten ins Publikum auf Augenhöhe geht. Das muss er auch, denn er will uns nachdrücklich die Augen öffnen. In 30 Jahren sei es vorbei mit den fossilen Energien, sagt er. Bis dahin müssten wir sie uns vollkommen abgewöhnt haben. Sonst ist Schluss mit der Menschheit.
Jetzt sind wir alle wach. Nach (und vor, aber das wissen wir jetzt noch nicht) fröhlichem Optimismus aus der Wirtschaft und bunten Erfolgsgeschichten schockiert Jeremy Rifkin uns mit Zahlen, die allesamt gen null gehen, und einem düsteren Ausblick, wenn wir so weitermachen wie bisher. This is the end game. Wir sind im Endspiel. Und hier geht's nicht um Fußball, sondern um einen Krieg ums Überleben. Nicht heute, aber sehr bald. Sogar das Wetter ist auf seiner Seite: bittere, lange Winter und zunehmende Überflutungen im Frühling der Beweis für den selbstverschuldeten Klimawandel schwimmt quasi draußen an den Fenstern der Weimarhalle vorbei.

Zum Glück ist der Mann kein russischer Dichter, sondern US-amerikanischer Ökonom und Soziologe, und außerdem Berater diverser Regierungen und der EU-Kommission. Jeremy Rifkin hat einen Plan. Und eine Theorie. Alles, was wir zur Rettung der Welt brauchen, sagt er, ist die geballte kreative Energie der Menschheit. Das sagt er den Richtigen.
Seine Theorie lautet, dass jede industrielle Revolution aus einer parallelen Veränderung von Kommunikation und Energie entstanden ist. Die erste brachte uns im 19. Jahrhundert den dampfbetriebenen Buchdruck und dadurch das öffentliche Schulwesen. Wir sind am Ende der 2. industriellen Revolution und merken, dass Massenproduktion, standardisierte Prozesse und eine Kommunikation von denen da oben zu denen da unten mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Mit dem Internet gibt es nun zum ersten Mal für alle Menschen die Möglichkeit, sich miteinander in Echtzeit auszutauschen egal, wo sie sich gerade befinden. Außerdem fangen Kooperativen an, mit alternativen Energien maßgeblich zur Energieproduktion beizutragen.
Rifkins Vision lautet: Stellen Sie sich 8 Milliarden Menschen vor, die ihre eigene Energie produzieren und weltweit Energie und Information mit anderen teilen bei null Nebenkosten. Denn Sonne, Wind und Informationen sind umsonst.
Die neue Energie ist distributiv, kollaborativ und lateral sie wird direkt zwischen Menschen ausgetauscht. Während Öl und Gas einer Elite gehören und zentral vertrieben werden, hat jeder Mensch Zugriff auf Sonne, Wind und andere natürliche Energiequellen. Rifkin nennt dieses neue wirtschaftliche Prinzip peer to peer lateral power. Einfach gesagt, ist es eine Art hochintelligentes Energie-Internet, das jedem erlaubt seine Energie-Überproduktion dahin zu lenken, wo sie in diesem Moment gebraucht wird (z.B. aus einer Tag-Zone in eine Nacht-Zone).

Was es dafür braucht? Vor allem eine Bewusstseinsveränderung eine Ausweitung der Empathie. Vom Steinzeitmenschen, der nur sich und seine Familie annimmt, und den Rest bekämpft, über Stammes-Verbände, Religionen, Länder, bis zu einer landesübergreifenden Empathie mit Gleichgesinnten, die wir heute haben. Der nächste Schritt heißt Biosphären-Bewusstsein. Das bedeutet: jedem ist bewusst, dass alles, was er/sie tut, einen Einfluss auf jemand anderen oder etwas anderes auf diesem Planeten hat.
Kurz: Nie wieder Hamburger. Oder Billigklamotten. Oder stinkende Rostlauben. Denn die Kosten in diesem Fall der ökologische Fußabdruck sind nicht zu rechtfertigen.
Wir müssen uns also verändern. Lernen, zu teilen, statt zu gewinnen. Zu kooperieren statt miteinander in Wettbewerb zu gehen. Transparent statt undurchschaubar zu handeln. Fürs große Ganze zu denken, statt für den persönlichen Profit.
Oder, wie Jeremy Rifkin es sagt: Bewusst, präsent, den anderen zu erleben wie uns selbst.

Tosender Applaus. Aber meine Nachbarin findet das gar nicht komisch. Das, wofür sie seit Jahren kämpft, als Kreative, als Frau, als Mutter dreier Söhne, wollte bisher nämlich keiner haben. Schon gar nicht die erfolgreichen Unternehmer, die hier um uns herum im Publikum sitzen und einem amerikanischen Ökonom für all das zujubeln, was sie eh schon immer sagt.
Also, meine Empathie hat sie. Und wer weiß wenn einem Rifkin geglaubt wird (und das tut ja sogar unsere Bundeskanzlerin), dann hat diese 3. industrielle Revolution ja vielleicht eine Chance.

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