17.11.2008

Autor*in

Claudia Brinker
Rückblick Deutscher Orchestertag 2008

Deutscher Orchestertag in Berlin

Zum sechsten Mal tagte der Deutsche Orchestertag am 2. und 3. November in Berlin. Der Branchentreff deutscher Orchestermanager hat sich in den letzten Jahren zu einer festen Institution entwickelt, und so waren neben den Vertretern fast aller deutschen Kulturorchester auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Agenturen und Verlage angereist, die die Möglichkeit nutzen, mit den Orchestermanagern ins Gespräch zu kommen.
Seit Beginn gestalten die Veranstalter des Orchestertags das Programm des zweitägigen Fachkongresses unter der Prämisse "Diskurs und Weiterbildung". Das diesjährige Motto "Zeit für Musik. Zeit für Management" setzte einem Schwerpunkt im Bereich "Zeitmanagement". Als Gast referierte der Personalcoach Martin Kimmich und bot anschließend einen Workshop zum Thema an. Weitere Workshops über "Rechtsfragen" und "Gehörprävention im Orchester" informierten die Manager über aktuelle Themen ihrer Branche.
 
Ein weiterer großer Themenblock widmete sich gleich zu Beginn des Kongresses einer der Kernfragen des Veranstaltungsmanagements, nämlich der schwer zu beantwortenden Frage: "Was ist ein gutes Programm?"
Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Schleunig eröffnete die Diskussion mit einem Vortrag über die "Historische Entwicklung der Konzertprogramme". Er konstatierte die "Begriffslosigkeit von symphonischer Musik" und die Unmöglichkeit ihrer Beschreibung ohne Fachterminologie und der Zuhilfenahme von Notenbeispielen und zog daraus die Konsequenz, den Zugang zu klassisch-symphonischer Musik durch die Wiederholung der Werke und die Einführung eines "Systems von Bildungskursen" zu erleichtern. Ein Vorschlag, den die meisten deutschen Orchester bereits seit Jahren mit Konzerteinführungen und moderierten Konzerten in ihren Spielplan aufgenommen haben.
Die anschließende Diskussion, die mit Bastian Schmalisch (Klassik Radio), Dr. Christian Kuhnt (ProArte Hamburg), Michael Hermann (Rheingau Musikfestival), Claus Spahn (Die ZEIT), Daniel Kajner (Dirigent) und Prof. Dr. Schleunig prominent besetzt war, zeigte das ganze Dilemma guter Programmplanung auf. Je nach Perspektive und Umfeld wird der Akzent auf die gute Verkäuflichkeit oder eine anspruchsvolle Dramaturgie der Konzertprogramme gelegt. So kritisierte Claus Spahn die Eintönigkeit und Langweile vieler Orchesterprogramme, während der Dirigent Daniel Klajner zu bedenken gab, dass den Künstlern vielfach gar keine Zeit mehr bliebe, ihre Repertoirekenntnisse zu erweitern. Während Spahn die Einführung gattungsübergreifender Konzertprogramme nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts vorschlug, bekannte sich der Konzertveranstalter Kuhnt zur Aufführung bekannter Werke, denn "Rubens wird immer noch an die Wand gehängt" Ich bin der mit der Goldkante." Der Dirigent Daniel Klajner fasste schließlich seine Vorstellung von einem guten Programm folgendermaßen zusammen: "Ein gutes Programm ist auf Künstler und Publikum zugeschnitten."
Als kleines Bonmot hatten die Veranstalter die Teilnehmer anonym um ihre besten Konzertprogrammvorschläge gebeten. Wie aufgeladen das Thema Programmplanung ist, zeigte sich an der gereizten Reaktion einiger Zuhörer, nachdem einige Programmvorschläge Belustigung innerhalb der Diskussionsrunde hervorgerufen hatten. So blieb die Frage nach einem guten oder schlechten Programm schließlich unbeantwortet.
Fester Bestandteil des Orchestertags ist die Vorstellung der Orchesterszene eines anderen Landes. In diesem Jahr waren Niederlande eingeladen, die mit 10 Orchestern kleiner sind als Nordrhein- Westfalen (14 Orchester). Jaap Jong, Direktor des niederländischen Orchesterverbands, zeigte in einem interessanten Vortrag viele Problemfelder auf, die mit der deutschen Situation durchaus vergleichbar sind: Überalterung und Rückgang des Publikums, Reduzierung des Repertoires, wirtschaftliche Veränderungen wie rückläufige öffentliche Finanzierung, die nicht mehr die Löhne und Gehälter der Musiker deckt. Gleichzeitig stellte Jong einen Katalog von Aktionen vor, mit der die niederländische Orchestervereinigung die Probleme ihrer Mitglieder angeht.
Zum Orchestertag gehört auch die Information der Orchestermanager über den aktuellen Stand und die Entwicklung der Tarifverhandlungen. Rolf Bolwin, der geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenverbands, berichtete über den aktuellen Verhandlungsstand mit der Gewerkschaft DOV. Die breite Öffentlichkeit hat den Konflikt der Tarifparteien in den letzten Wochen durch Wahnstreiks der Orchestermusiker wahrgenommen.
Seit mehr als drei Jahren verhandelt der Bühnenverein als Arbeitgebervertretung mit der Orchestergewerkschaft über eine Reform des Tarifvertrags (TVK Tarifvertrag für deutsche Kulturorchester). Der Bühnenverein hatte einzelne Paragrafen des Tarifvertrags, die u. a. die Arbeitszeit und die Vergütungsordnung der Orchestermusiker regeln, gekündigt. Obwohl während des Orchestertags 2006 bereits der Eindruck entstand, der Tarifvertrag würde für die kommende Saison in Kraft treten, ruhen die Verhandlungen der beiden Tarifparteien derzeit. Knackpunkt in den Verhandlungen ist laut Bolwin die so genannte "Anpassungsklausel", die die Ankopplung der Musikergehälter an die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst regelt. Um die Verhandlungen wieder aufzunehmen, hat der Bühnenverein die Orchestergewerkschaft unter Druck gesetzt und droht mit der Kündigung des gesamten TVKs, sollte keine Einigung bis zum 31.3. 2009 zustande kommen. Weitgehend einmalig in der deutschen Tariflandschaft ist das zweite Druckmittel des Bühnenvereins: als Arbeitgeber hat er die Erhöhung der Musikergehälter um 1,5% und eine Einmalzahlung von 50 für Musiker in kommunalen Orchestern beschlossen. Laut Bolwin hat die Orchestergewerkschaft nun wieder Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Weitere Gespräche sind im November geplant.
Sicherlich hat sich der Deutsche Orchestertag in den letzten Jahren zu einem festen Termin in der Musikwirtschaft entwickelt. Das Treffen und der Erfahrungsaustausch der Orchestermanager nehmen in diesem Rahmen einen wichtigen Stellenwert ein. Nichtsdestotrotz stellt sich im sechsten Jahr seines Bestehens die Frage nach einer generellen Überarbeitung der "Dramaturgie".
 

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