29.05.2013

Autor*in

Diana Betzler
forscht und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in den Bereichen Kulturmanagement, Kulturpolitik und Philanthropie. Regelmäßig ist sie als Gutachterin und Evaluatorin von kulturellen Programmen und Kulturpolitiken tätig. 
Leticia Labaronne
ist Professorin für Kulturmanagement und leitet das Zentrum für Kulturmanagement der ZHAW sowie das Masterprogram Arts Management. Sie engagiert sich in verschiedenen Fachgremien, beispielsweise als Advisory Board bei ENCATC, das von der UNESCO mitbegründete European Network on Cultural Management and Policy. 
 
Rückblick 13. Forum Kultur und Ökonomie 2013

Was ist öffentlicher Raum heute?

Diana Betzler und Leticia Labaronne von der ZHAW Winterthur berichten exklusiv von der 13. Tagung des Forums Kultur und Ökonomie, die am 21./22. März 2013 am Kunstmuseum Basel stattfand.
Seit 2001 lädt das Forum Kultur und Ökonomie (FKÖ) die öffentlichen und privaten Kulturfinanzierenden ein, das Wissen über die Wechselwirkungen zwischen der wirtschaftlichen und politischen Dimension in der Kulturförderung zu vertiefen. Rund 130 Teilnehmende aus der gesamten Schweiz sowie Referierende aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich trafen sich dieses Jahr, um die künftige Rolle der Kunst und damit jener der Kulturfinanzierer im öffentlichen Raum zu diskutieren. Hintergrund der Diskussion sind vielfältige Herausforderungen, die sich aus Spannungen zwischen lokaler Planung und Partizipation sowie Forderungen unterschiedlichster öffentlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Instanzen ergeben.
 
Nach der kollegialen Begrüssung durch Andrew Holland, der als neuer Direktor der Pro Helvetia erstmalig die Aufgabe übernimmt, das Forum offiziell zu eröffnen, folgt der künstlerische Auftakt "Parade" von Mark Leckey; denn vor allem die Kunst dürfe im öffentlichen Raum nicht fehlen- so Holland.
 
 
Einstiegsreferent war Prof. Dr. Walter Grasskamp, Kunstkritiker und -soziologe an der Akademie der Bildenden Künste in München, der über die Spielregeln des öffentlichen Raums und die Dimensionen, in denen er entsteht, reflektierte. Öffentlicher Raum wird ständig neu geschaffen: rituell oder alltäglich, zeremoniell oder beiläufig, kommerziell oder politisch, kollektiv oder individuell. Vor dem Hintergrund der Entwicklung des Graffiti führt Grasskamp den "doppelten symbolischen Charakter" der Kunst im öffentlichen Raum aus, die diesen zur Kampfzone macht.
 
Markus Bader und Andrea Hofmann von raumlaborberlin verstehen (öffentlichen) Raum als ein Produkt sozialen Handelns, Urbanität als die Gleichzeitigkeit von Widersprüchlichem und Öffentlichkeit als den Ort, wo sich Menschen treffen und austauschen. Mit ihrer Arbeit schaffen sie urbane Situationen, die neue Erzählungen und Vorstellungen in die Stadt bringen, die Menschen mit Orten, Möglichkeiten und Imaginationen verbinden und Kunst, Architektur und Stadtplanung langfristig integrieren.
 
 
Christian Bernard, Direktor des mamco, Musée dart moderne et contemporain in Genf, illustrierte anhand zahlreicher Praxisbeispiele das Zusammenspiel von Kunstwerk und öffentlichem Raum.
 
Der erste Tag schliesst mit einer von Markus Baumer moderierten Diskussion über die Legitimation der Kunst im öffentlichen Raum und ihre zunehmend partizipative Natur: Müssen Städte als Museen gebaut werden, oder ist Kunst im öffentlichen Raum nur ein Zeichen dafür, dass eine Stadt über keine eigenen Symbole verfügt? Während Grasskamp das Letztere unterstützt, plädiert Bernard dafür, Kunst im öffentlichen Raum auch als Bildungsaufgabe zu verstehen. Daraus stellt sich die Frage, in wie weit diese Aufgabe einem Bottom-up-Ansatz folgen soll. Grasskamp hinterfragt das "Schneemann"-Prinzip, an dem sich alle beteiligen. Der schmelzende "Schnee-Mann" verkörpere jedoch den aktionären und ephemerischen Charakter der Kunst sowie den heutigen Geist der Menschen, die ihn im öffentlichen Raum geschaffen haben, so Baumer. Im Einklang mit der Ausführung von raumlaborberlin gehe es bei Kunst im öffentlichen Raum nicht um das statische Objekt, sondern um die fluide Bedeutung.
 
Prof. Dr. Klaus Brake vom Center for Metropolitan Studies unternimmt in dem Referat mit dem Titel "Öffentlicher? Raum - in neuer Aufstellung!" eine feinsinnige Analyse über Ursachen, Erscheinungsformen von und Umgang mit den sogenannten «neuen» Räumen. Brake begreift deren Entstehung als historisches Phänomen einer nachindustriellen, post-fordistischen, wissensbasierten Ökonomie. Diese ist geprägt von flexiblen und ökonomisierten Handlungsformen im Grossstadtmilieu: Stadtaffinität und Interaktion, Kreativität und Urbanität, Arbeiten und Wohnen, Selbständigkeit und Wettbewerb. Das Quartier, der öffentliche Raum, entwickelt sich als räumlich-erweiterte Werkstatt, als eine neue Art Infrastruktur für Entrepreneurship. Gemeint sind «Co-Working Spaces» wie beispielsweise das Betahaus in Berlin: Grossraumbüros, die der Kreativszene flexible Arbeitsplätze anbieten und als Lern- und soziale Integrationsorte fungieren. Zu den «neuen» Räumen gehören auch die «Urban-Knowledge Campuses», Projekte wie der Campus Westend der Universität Frankfurt oder der Novartis-Campus in Basel, in denen sich Forschungseinrichtungen öffnen und mit neuen Akteuren kooperieren, um Wissen zu urbanisieren und um Transdisziplinarität zu fördern. Die Projekte sind oftmals privatrechtlich organisiert, und geben den Anschein einer Quasi-Öffentlichkeit, womit wir bei den negativen Effekten angekommen wären. Die Aneignung des öffentlichen Innenstadtraumes schliesst Ältere, Nicht-Junge, Nicht-Gebildete aus den Zentren aus, die Innenstädte verteuern sich, werden gentrifiziert. Es stellt sich neu die Frage: Wem gehört die Innenstadt?
 
Xavier Douroux, Vizedirektor des Zentrums für zeitgenössische Kunst «Le Consortium» in Dijon, stellt in seinem Referat «Für eine ökonomische Vergesellschaftung der Kunst» das internationale Förderprogramm «Nouveaux Commanditaires» vor, welches von der Bundeszentrale für politische Bildung (D), der Fondazione Adriano Olivetti, und der Fondation de France unterstützt wird. Das Programm überlässt die Definition der Nachfrage nach Kunst den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen, ihrem Bildungsgrad oder ihrem sozialen Status können sie eine Künstlerin oder einen Künstler im Interesse der Öffentlichkeit mit der Schaffung eines Kunstwerks beauftragen. Ein mit allen Parteien festgelegtes Protokoll regelt die Akteursrollen und schafft Vertrauen und Transparenz: Der Bürger ist Auftraggeber, die Kunstvermittlung steuert den Dialog mit allen Beteiligten. Die so entstandenen künstlerischen Produkte gehören vollumfänglich der Gemeinschaft und können nicht durch profitorientierte Firmen instrumentalisiert werden.
 
Anschliessend erfolgte eine Diskussion unter der Leitung von Marianne Burki, Verantwortliche Visuelle Künste der Pro Helvetia: Hedwig Fijen, Direktorin der Manifesta, The European Biennial of Contemporary Art, Amsterdam, stellte die Wanderbiennale Manifesta vor, die sich immer wieder neuen öffentlichen Räumen stellen muss. Durch die Manifesta wird eine Aussensicht auf eine Stadt, auf einen Ort, ermöglicht, manchmal distanziert-analysierend, aber zuweilen auch in "parasitärer Verschlingung". Die Manifesta ist mal Katalysator, zuweilen wird sie auch missbraucht. Ohne die Menschen, die den öffentlichen Raum beleben und die mit den Ausstellungsmachern das Projekt mitgestalten und nach aussen tragen, kann eine Manifesta nicht funktionieren. Wichtig ist, zu evaluieren, welche Spuren die Manifesta hinterlässt. An Orten wie in Griechenland oder Algerien können künstlerische Interventionen oder virtuelle Medienkunst helfen, politische Barrieren zu umgehen.
 
Domagoj Smoljo und Carmen Weisskop von der Mediangruppe !MediengruppeBitnik interessieren sich vor allem für die Schnittstelle zwischen online und offline, virtuell und real. Diese Grenzen müssten ausgelotet werden. Auch in Europa gibt es keine absolute Freiheit im Netz (Stichwort: NATO Cyber Warfare). Der virtuelle Raum wird heute kontrolliert und ist heiss umkämpft, die "Hacktivisten" sind die "Terroristen des Internets". Die Künstlergruppe arbeitet häufig interventionistisch: kurz, aber mit grossem Nachhall. Also doch: der öffentliche Raum als Kampfzone? Zumindest der Kampfstil ist geprägt durch Humor und die Schaffung "sympathischer Synergien".
 
Christoph Doswald, Präsident der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum, Zürich, und Projektleiter von Art and the City, Zürich, sieht den Raum Zürich als exemplarischen Standort für Transformation. Die Arbeitsgruppe versucht, ein Bewusstsein für den öffentlichen Raum zu schaffen. Kunst kann dabei Wege aufzeigen, wie mit Situationen wie Verdichtung oder Aussenwerbung umgegangen werden kann. Auch in Zürich wird es immer schwieriger, für langfristige Grossprojekte Akzeptanz zu finden. Bewilligungen werden zunehmend auf zehn Jahre beschränkt und es werden verstärkt temporäre Projekte gefördert. Durch die virtuellen Beteiligungsstrukturen haben sich Meinungsbildungsprozesse von den geografischen Grenzen entkoppelt, zum Beispiel partizipieren Menschen von ausserhalb via Internet am Diskurs über den stadtzürcher Raum.
 
Am Nachmittag besuchten die Tagungsteilnehmenden fünf aktuelle Entwicklungsprojekte der Stadt Basel: Die Hafenentwicklung, das Dreispitzareal, Erlenmatt/Badischer Bahnhof, Kasernenareal/Messe sowie Badischer Bahnhof und Messeneubau. Die fachkundige Leitung des Kulturamtes Basel-Stadt sorgte neben der frischen Luft und neuen Ideen für begeisterte Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
 
Zum Abschluss stellt Projektleiterin Eva-Christina Kraus das Münchener Grossprojekt space called public | hoffentlich öffentlich vor. Auf Einladung der Stadt München kuratiert das weltweit bekannte Künstlerduo Elmgreen & Dragset ein umfangreiches temporäres Kunstprojekt, das sich zwischen Januar und September 2013 im Innenstadtraum Münchens präsentiert. Es wurden internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die sich mit der Frage "Was ist öffentlicher Raum heute?" auseinandersetzen.
 
Die Tagung hat aufgrund ihres konstanten Teilnehmerkreises mittlerweile beinahe den Charakter eines "Klassentreffens", jedoch sorgten das anspruchsvolle Programm sowie die hochkarätigen Referierenden für viele neue Ideen, Inspirationen und Diskussionen. Gesamtbewertung: Sehr gelungen!
 

Diana Betzler
, Dipl Verw. Wiss. (M.A. Politic and Management), ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin für Forschung und Dienstleistung am Zentrum für Kulturmanagement (ZKM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Dozentin im Masterprogramm Arts Management sowie an anderen Hochschulen.
 
Leticia Labaronne
, MSc Business Administration with a Major in Public and Nonprofit Management, ist Studienleiterin für die Programme Fundraising, Sponsoring und Arts Management am Zentrum für Kulturmanagement (ZKM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
 

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