28.08.2013

Autor*in

Tobias J. Knoblich
ist Dezernent für Kultur und Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Erfurt und Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Nach einer Ausbildung zum Verkehrskaufmanns studierte er Kulturwissenschaft, Kulturelle Arbeit/ Kulturpolitik und Europäische Ethnologie. Seine Dissertation widmete sich der kulturellen Demokratisierung und der Soziokultur. Er ist Lehrbeauftragter für Kulturmanagement und Kulturpolitik an verschiedenen deutschen Hochschulen.
Kulturpolitischer Bundeskongress 2013 II

Kreativität ist nicht nur irgendeine Errungenschaft

Das Hauptthema des 7. Kulturpolitischen Bundeskongresses 2013 lautete "Kultur nach Plan - Strategien konzeptbasierter Kulturpolitik", das wieder in den Fokus der Kulturpolitik rückt. Wir sprachen mit Tobias J. Knoblich, dem Kulturdirekter der Landeshauptstadt Erfurt, darüber, warum das Thema wieder einen aktuellen Bezug gewonnen hat und über die Möglichkeiten und Probleme einer Kultur nach Plan.
Das gesamte Interview erscheint in zwei Teilen. Teil I finden Sie hier. In Teil II stehen die an Kulturplanung geknüpften Aufgaben von Kulturmanagern und Kulturpolitikern sowie aktuelle Tendenzen und zukünftige Erfordernisse des Kulturbereiches im Mittelpunkt.
 
KMN: Ich höre aus dem bisher Gesagten ein paar Qualitäten heraus, die ich auch Kulturmanagern zuschreiben würde: unternehmerisches Denken, Verkäufertalent, strategische Planung, auf unterschiedlichen Ebenen spielen zu können. Was ich auch heraus höre, ist die Lust, sich mit solchen Sachen auseinanderzusetzen und sie nicht als Hindernis, sondern als Herausforderung zu sehen, die man aktiv angehen muss. Die Frage ist, sind Kulturpolitiker die besseren Kulturmanager oder sind Kulturmanager eher die besseren Kulturpolitiker? Man sieht sehr viele Kulturmanager, die auch in die Politik gehen, zum Beispiel in Hamburg, Mühlheim, Würzburg, Erfurt. Für ein Fach wie Kulturmanagement ist das ein interessantes Aufgabenfeld.

Tobias J. Knoblich: Auf jeden Fall. Bei der Fragestellung würde ich sagen: sowohl als auch. Wichtig ist mir immer die Verschränkung. Die Kulturmanager alten Typs, die irgendwas reparieren wollen, sind heute mit jenen konfrontiert, die auch dezidiert kulturpolitisch denken und etwa von aktivierendem Kulturmanagment reden. Ich bin dafür, dass es eine Mischung aus allem gibt, aus geisteswissenschaftlicher Orientierung, Kulturpraxis und betriebswirtschaftlicher Expertise. Die Kulturpolitik bestand lange im Wesentlichen aus der Geschichte der Kulturpolitik und der Kulturpflege. Da fehlte neben den neuen Ideen das Praktische, das Manageriale. Mir ist es eigentlich sekundär, aus welcher Richtung jemand kommt, ob stärker aus der Kulturwissenschaft oder stärker aus dem Kulturmanagement. Er muss ein komplementäres Wissen haben, egal ob Kulturmanager, Museumsdirektor oder jemand im Bereich Ausstellungspolitik. Aber ich will als Verwaltungsspitze im Kulturbereich auch Akzeptanz und wissenschaftliche Qualität haben und nicht nur derjenige sein, der die Haushaltsmittel zuweist und ein bisschen mitredet, aber ansonsten eher der Technokrat ist. Im Kulturbereich ist es sehr wichtig, mit den geistigen Prozessen und der Geschichte auf Tuchfühlung zu gehen, die hinter dem Einrichtungstyp, der Ausstellungslogik, überhaupt hinter der Funktionslogik der Bereiche stehen. Auf der anderen Seite muss man auch immer ein Stück weiter sein, wenn es darum geht, das in Verwaltungsdenken zu übersetzen, in eine Verkaufsstrategie gegenüber Entscheidungsträgern, gegenüber Dritten wie dem Land, Touristikern oder der Wirtschaft. Man braucht dort überall Leute und dann nützt es nichts mehr, der bessere Kunsthistoriker sein zu wollen. Der Kulturmanager muss jemand sein, der während seiner praktischen Arbeit auch weiter studiert, und zwar sowohl das, was im Kulturmanagement publiziert und gemacht wird, als auch das, was in der Kulturpolitik und im Feuilleton im weiteren Sinne passiert, damit man diese Vereinzelungsprozesse auffangen kann. Bei Ausstellungsvorhaben und Projekten muss man mitdiskutieren können und auch gelegentlich eine Richtung setzen.

KNM: In dem Zusammenhang ist für mich interessant, zu schauen, wer auf dem Bundeskulturkongress Vorträge hielt und dort war: sehr viele kulturpolitisch Arbeitende, ob von EU-Ebene, Bundesebene, Landesebene oder kommunaler Ebene, aber nur sehr wenige Leute, die ich unter die Rubriken Kulturmanager, Kulturpraktiker oder die Betroffenen von Kulturpolitik zählen würde. Ich fände es spannend und fördernd für den Dialog, dass gerade solche Leute auch in den Panels sitzen und mitdiskutieren müssen. Ist das bewusst so gemacht, dass die Menschen aus der Kulturpolitik in ihrem eigenen Rahmen diskutieren?

Tobias J. Knoblich: So ein Programm unterliegt vielen Friktionen, das ist nicht ganz einfach. Wir haben auch Partner, mit denen wir das gemeinsam machen. Und da braucht man die großen Köpfe. Man ist freilich auch schnell bei den politischen Akteuren, die man einbinden muss und sollte. Und dann ist man auch bei der Verwaltungsebene, also bei denjenigen, die die Konzepte entwickeln. Es gibt sicherlich auch Kulturmanager, die als Kulturpolitiker gesehen werden. Das sind häufig Leute, die selbst Konzepterfahrung haben und an der Umsetzung beteiligt sind, die auch Themen setzen und diskursive Kraft entfalten. Was freilich fehlt, sind die "Betroffenen", also vielleicht allgemeine Vertreter aus Stadträten, aus Kulturausschüssen, auch aus dem Publikumsbereich. Das ist ein sehr weites Feld. Und man darf auch nicht verkennen, dass das, bei aller im besten Falle praktischen Wirksamkeit, ein Thema ist, das einen hohen Abstraktionsgrad aufweist und die professionelle Verhandlungsebene anspricht.

KMN: Warum ist das Thema Kulturpolitik und Kulturplanung für Kulturmanager wichtig?

Tobias J. Knoblich: Alle Kongresse und Kolloquien der KuPoGe oder anderer kulturpolitischer Plattformen sind für Kulturmanager relevant, weil auch die Kongresse für Kulturmanager für Kulturpolitiker relevant sind. Aber dieser Kongress ist, denke ich, für Kulturmanager deshalb besonders interessant, weil sie hier beobachten können, wie kulturpolitische Prozesse, Leitbilder, Programmformeln ob in Gesetzen oder in der Rhetorik von Kulturkonzepten verhandelt und im Sinne einer Konzeptionalisierung in konkrete praktische Umsetzungen getrieben oder gedrängt werden. Wie das funktioniert, von dieser abstrakten Flughöhe, die immer am Anfang steht, darüber hat auch der Präsident bei der Eröffnung gesprochen, auch der Staatsminister sagte etwas über die Verbindlichkeit kulturpolitischer Ziele und wie sie in konkrete Konzepte auf allen Ebenen münden. In meinem Panel, "Vom Osten lernen", konnte man erkennen, wie hehre Ziele, die zum Beispiel im Einigungsvertrag abgebildet sind, in ganz konkrete, praktisch anwendbare Konzepte münden und dass das eine ohne das andere nicht möglich ist, also kein Kulturrahmengesetz ohne ein Bewusstsein oder eine Reflexion darüber, was eigentlich kulturelle Substanz, was kulturelle Vielfalt bedeutet, die heute völkerrechtlich verbrieft ist, ohne die Debatte Was heißt kulturelle Demokratie? und die Programmformeln, von denen jede ihre historische Konjunktur hatte und die heute mehr oder minder parallel nebeneinander funktionieren. Ohne ein Verständnis darüber kann man nicht konzeptionell arbeiten, sonst ist man ein Technokrat und tut so, als sei der Kulturbetrieb ein Betrieb wie jeder andere auch. Man muss von der Programmformel bis in die praktische Umsetzung hinein den großen Bogen schlagen. Und wenn uns das in diesem Bundeskongress gelang, ist das glaube ich für Kulturmanager sehr erhellend. Sie sehen, welche intellektuelle Flughöhe die Kulturpolitik immer noch hat manchmal ist es nur eine Attitüde, auch das muss man erkennen, stärker als in anderen Politikfeldern und wie viel man tatsächlich wissen muss, um als Kulturmanager praktischer Unterstützer und vielleicht auch Kulturpolitiker sein zu können.

KNM: Was sind aus Ihrer Sicht, als Abschluss, die drängendsten Fragen, die Kulturpolitik heute beantworten muss? Ist das wirklich ein Sammelsurium aus den ganzen Paradigmen, die über die Jahre immer mal auf dem Tisch waren?

Tobias J. Knoblich: Diese Frage kann man auch wieder in zwei Ebenen beantworten. Man kann es herunterbrechen auf die Alltagsreflexionsebene oder das, was der vermeintliche Mainstream im Diskurs ist: demografischer Wandel, öffentliche Finanzierung, Erschließung oder Erhaltung von Kulturpublikum, neue Nutzergruppen und Audience Development, all diese Debatten, die eine Rolle spielen. Wie kann ich Institutionen so verändern, dass sie den Erlebniserwartungen des heutigen Publikums entsprechen, und wie kann ich generell Kultur-Bildung-Jugend besser amalgamieren? Das ist die ganz allgemeine Ebene.
Aber auf einer Metaebene bin ich bei Reckwitz und der Erfindung der Kreativität. Er hat die These aufgestellt, dass Kreativität nicht nur irgendeine Errungenschaft ist, dass dahinter nicht nur der Wunsch steckt, kreativ zu sein, sondern die Erwartungen der Gesellschaft. Kreativität ist zu einer Form der sozialen Steuerung, zu einem Druck geworden. Er spricht, in Anlehnung an Foucault, von einem Kreativitätsdispositiv, das ein Stück weit Kreativität entgrenzt und in einen ästhetischen Kapitalismus ummünzt. Das ist eine Ästhetisierung, die das ganze System der exklusiven Kunst in Frage stellt. Dieser Wahn der Überformung, des ständigen Hervorbringens von Neuem, diese Spirale von Rationalisierung, Medialisierung und Ästhetisierung entfacht eine Dynamik und im Grunde genommen verschwindet damit unser klassischer Zugriffsbereich Kulturpolitik. Ästhetisierung wird damit nicht mehr als Errungenschaft lesbar, sondern ist eigentlich ein Fluch. Und dann frage ich mich, was noch die Aufgaben von Kulturpolitik sind. Dann ist es nicht mehr Ästhetisierung für alle, denn die haben wir ja schon, aber immer mit einem kapitalistischen oder einem produktionsorientierten Impetus. Kapitalismuskritik ist wieder Thema. Herbert Marcuse hat sie an den Idealismus rückgebunden und daran, dass man bei der Kulturwelt immer in eine Welt des schönen Scheins aus dem Alltag hinaustritt und eigentlich betrogen wird. Affirmative Kultur bestätigt das Hier und Jetzt und sucht Freiheit in einem Nebenraum. Heute ist die affirmative Kultur eigentlich die, die mit dieser Kapitalisierung und Ästhetisierung stattfindet. Und was ist dann die Ausflucht, was das emanzipative Element? Bei Marcuse konnte ich immer noch sagen, wir müssen die Kultur in die Gegenwart holen, wir müssen Leben, Gesellschaft und Kultur verbinden. Soziokultur war damals der Kampfbegriff dafür, Gesellschaftskultur. Heute muss ich eher sagen, man müsste die Kultur da eigentlich wieder herausholen und eine neue Zone der Aufmerksamkeit errichten, aber dann bin ich wieder bei Marcuse. Das ist wie ein Teufelskreis. Der alte Begriff der Kulturindustrie wirkt fast lächerlich vor diesem Hintergrund des umfassenden Kreativitätsdispositivs. Aber es ist ja zunächst eine Diskursfigur, die man näher beleuchten und auch relativieren kann.
Jetzt habe ich weit ausgeholt, aber die Herausforderung auf dieser Ebene des Denkens ist: Wohin steuert die Gesellschaft, wohin steuert der schöne Schein heute und wie kann Kulturpolitik damit umgehen? Reckwitz hat das wirklich auf den Punkt gebracht. Er ist jemand, der das von der Genie-Ästhetik im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart durchdekliniert und gleichsam einen Schleier vor den Augen wegnimmt. Jetzt sehen wir, dass das, was wir als Emanzipation feiern, Autonomieästhetik und Soziokultur, als Bestandteile eines Prozesses lesbar sind, der darauf hinausläuft, die Kunst als spezielle soziale Form, als etwas exklusives und schönes, in die Breite zu walzen und eigentlich nur zu benutzen, um den Menschen noch subjektzentrierter zu machen. Es findet eine Subjektveränderung statt, der Einzelne wird immer wichtiger, immer unverwechselbarer. Was verschwindet, sind homogene gesellschaftliche Kreise, die sich für das, was unsere Institutionen anbieten, interessieren. Es entsteht eine neue Affektkultur des Publikums. Wir atomisieren uns ästhetisch immer weiter. Wir brauchen aber Zielgruppen, Gemeinschaften, soziale Formate, das Gefühl, dass Kulturpolitik etwas in der Gesellschaft gestalten kann. Und diesen Gestaltungsanspruch sehe ich schwinden. Man muss viel intellektuelle Kraft investieren, um sich auf dieser Metaebene mit der Gesellschaftsdiagnostik zu beschäftigen, denn ohne diese Analysen sind wir kulturpolitisch blind und hängen Gesellschaftsbildern nach, die nicht mehr relevant sind. Wie oft höre ich Floskeln des gut Gemeinten, mit denen Kulturpolitik untersetzt wird. Das ist der falsche Weg, wir brauchen ernsthaftes Bemühen, Einblicke und Kritikfähigkeit, um kulturelle Bildung weiter gut betreiben können und nicht nur auf einem niedrigen Niveau.

 

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