21.10.2020

Autor*in

Christian Horn
ist forschender Kulturmanager für Formate der Erinnerungskultur, Museumskonzepte und Ökosysteme für kreatives Tun. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaft sowie nach Berufsstationen bei Kulturbetrieben im In- und Ausland ist er seit 2022 Kulturdirektor der Landeshauptstadt Erfurt.
Museum Out of the Box

Museumsarbeit in die Gegenwart holen

Museen sind in der Krise, nicht nur aufgrund von Corona. Das wollen Kulturschaffende in Altenburg ändern. Dafür gilt es, die Ursachen des Problems zu analysieren, bevor der zweite Teil dieses Beitrags beschreibt, was genau in Altenburg passiert.
Die Erkenntnis ist trivial: Habe ich Rücken, muss ich den vollständigen Bewegungsapparat meines Körpers einer Betrachtung und Diagnose unterziehen. Gleichwohl mag die Versuchung groß sein, das Problem auf den Rücken zu reduzieren. Indes: Der Schmerz ist Folge eines umfassenderen "Schiefstandes", zum Beispiel eines Haltungsfehlers.
 
Ähnlich ist es mit der Analyse, warum Museen derart ins Trudeln geraten sind. Viel zu lange schon und noch immer wird an vermeintlichen Einzelsymptomen herumgedoktert. Verantwortliche wollen nicht sehen und akzeptieren, dass die Apparate in die Jahre gekommen sind. 
 
In Altenburg haben wir uns stattdessen auf den Weg gemacht, Governancestrukturen musealen Arbeitens neu zu denken, zu erproben und zu leben: zum einen mit dem Projekt "Stadtmensch" im Handlungsfeld der Stadtentwicklung, zum anderen mit der "Spielewelt" als einer institutionelle Museumsneugründung. 
 
Eine historische Krise?
 
Die Welt verändert sich, darin sind sich wohl alle einig. Doch die Reaktionen auf diese Veränderungen sind im Kulturbereich behäbig, mitunter auch nicht gewollt. Wo es in den vergangenen Jahren durchsetzungsstarke Kulturmanager gab, die Kultureinrichtungen zeitgemäß "neu erfunden" haben, wurden sie mitunter vom Hof gejagt, siehe die Direktoren des Militärhistorischen Museums Dresden, der Oper Halle, der Münchner Kammerspiele oder der Historischen Museen und der Kunsthalle Hamburg, die alle ihr Glück andernorts suchten. Dies ist umso bemerkenswerter, als viele dieser Experten mit großem und messbarem Erfolg ihre Häuser neu aufgestellt hatten. Die Besuchszahlen sind signifikant gestiegen, das Feuilleton zeigte sich begeistert, sie wurden mit renommierten Auszeichnungen und Preisen für ihre Arbeit geehrt. Und dennoch gehen gelassen.
 
Folgen wir jüngsten kulturpolitischen Diskussionen, so scheint die Frage inzwischen an Dringlichkeit nochmals zu gewinnen: Wie ist es um den (selbsternannten) Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland bestellt, wenn institutionelle Krisen von Museen und ihren Trägern inzwischen immer größere Kreise ziehen? Der politische Härtegrad der gegenwärtigen Auseinandersetzungen nimmt zu und hat inzwischen auch die Trägerstrukturen, politische Entscheider*innenkreise und Verbände durchdrungen, siehe Mitteldeutsche Schlösserstiftung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Literaturarchiv Marbach oder auf Verbandsebene ICOM. Es scheint nicht mehr abwegig, den Vergleich mit der Repräsentationskrise im frühen 20. Jahrhundert zu suchen. Damals transformierten sich kulturelles Selbstverständnis und Ästhetiken radikal. Die Forschung hat das damalige Wirken der historischen Avantgarde als eine Reaktion auf existenzielle Umbrüche eines Gesellschaftsgefüges dargelegt. Im Fokus stand dabei die Brüchigkeit überkommener Zeichensysteme - alte Gewissheiten lösten sich auf, neue Symbolträger, wie z.B. im Kollektivkörper von Masseninszenierungen des frühen 20. Jahrhunderts, wurden gesucht.
 
Natürlich haben wir in der Museumsarbeit weder die Zeit noch den Auftrag, eine systemische Erforschung der Gegenwart vorzunehmen. Doch das heißt im Umkehrschluss nicht, dass wir uns vor den zentralen Themen der Zeit und der Geschichte wegducken dürften. Ganz im Gegenteil. Es ist unser Auftrag, mit dem musealen Methodenwissen und Gestaltungsmöglichkeiten Tiefenbohrungen zur Verfasstheit von Gegenwart und Geschichte vorzunehmen, Fragen zu stellen, Probleme und Widersprüche aufzuzeigen und mögliche Antworten zu präsentieren. 
 
In Altenburg haben wir uns mit diversen Einzelprojekten (Ausstellungen, Hörspiele, Cabarets etc.), vor allem aber auch mit den beiden Großprojekten "Stadtmensch" und "Spielewelt" zu dem derzeit tiefen gesellschaftlichen Wandel zu verhalten versucht. Beide Projekte kennzeichnet, dass sie nicht bloß innovative Themensetzungen vornehmen, sondern vor allem die Strukturen, in denen traditionelle, in die Krise geratene Museumsarbeit erfolgt, praktisch in Frage stellen und neue Arbeitsformen erproben.
 
Methodischer Ansatz
 
Im Zentrum dieser Projekte steht die Überlegung, dass kulturelles und historisches Selbstverständnis heute von mehr Shareholdern ausgehandelt wird als noch vor wenigen Jahrzehnten oder gar im 19. Jahrhundert. Museen wurden im bürgerlichen und heutigen institutionellen Sinne damals eigentlich erst erfunden. Ihre Merkmale waren zum einen ihre hierarchische Struktur als Verwaltungseinheit und zum anderen die zeitgenössische Ausstellungsästhetik. Museales Arbeiten äußerte sich in der Vermittlung vor allem in Texten und der Präsentation von Exponaten. Ausstellungen präsentierten sich mit Texttafeln und Vitrinen. 
 
Diese verwaltungstechnischen und ästhetischen Voraussetzungen wirken bis heute nach: in der Arbeitskultur, in der Architektur - und damit in allem, wie und was Museen sind. Weil sich die Krise der Museen und ihrer Trägerstrukturen nur vor diesem Hintergrund verstehen lässt und der Hund hier - und nicht bei einzelnen Ausstellungs- oder Veranstaltungsformaten oder zum Beispiel einer optimierten Museumspädagogik - begraben liegt, gilt es, systemische Neuansätze zu schaffen. 
 
Im weitesten Sinne geht es dabei um New Governance. Durch das Internet und die Social Media sind neue Akteur*innen, Shareholder*innen und Meinungsführer*innen Teil von Geschichts- und Kulturdiskursen geworden. Sie wollen Verantwortung übernehmen, fordern diese schlicht durch ihr Tun oder auch explizit ein! Die traditionellen Governancestrukturen, die durch Verwaltungen verkörpert sind, sind in Frage gestellt.
 
Und auch erkenntnistheoretisch sortieren sich die Dinge neu: Der Dialog und Bilder als Kommunikationsmedium in den sozialen Medien sowie ein dynamisiertes Verständnis von Wissen laufen der vermeintlich immerwährenden Erkenntnis den Rang ab. All das hat tiefe Auswirkungen auf Themenfindung, Gestus und Dramaturgie von Ausstellungen, auf Organisationsstrukturen von Museen, auf ihre baulichen Voraussetzungen und Architekturen.
 
Es griffe zu kurz, die beiden hier vorzustellenden Altenburger Projekte, mit denen wir neue Wege gehen, nun auf Partizipation und auf Bürgerdialog zu reduzieren. Sie tun es, klar! Doch im Grunde sind sie umfassender angelegt. Es geht nicht um "Outreach", weil dieser ja weiterhin voraussetzen würde, dass von etwas aus, also einem Museum, zu etwas anderem, den vielbesungenen "neuen Zielgruppen", hinübergereicht werden würde. Doch in diesem Denkmodell blieben beides separierte Entitäten! Den Akteur*innen geht es vielmehr darum, gemeinsame neue Räume zu schaffen, in denen sich Shareholder*innen der Museums- und Erinnerungsarbeit möglichst frei, wirksam und mit transparenten Informationsständen zusammen bewegen. Zu dieser Gruppe der Shareholder gehören die Museumsmitarbeiter*innen, Bürger*innen, Medienvertreter*innen, Social Media-Akteur*innen, Politiker*innen, dazu gehören auch neugierige Zuhörer*innen, die zunächst noch gar nicht wissen oder sich unsicher sind, ob sie überhaupt mitmachen möchten.
 
New Governance ist indes nicht bereits hergestellt, nur weil der Kreis der Shareholder erweitert ist. Auch die Arbeitsweise ist eine andere: Akteur*innen sollen sich in ihren Räumen mit den dort entwickelten Formaten selber organisieren und autorisieren. Das heißt aus Sicht von uns Museumsmitarbeiter*innen: Wir müssen zur Schaffung und Begleitung dieser Räume Ressourcen eines Museumsbetriebes zur Verfügung stellen, uns mit Haut und Haar in neue Dialogsituationen begeben, um Geschichte und Kultur neu zu beschreiben, zu entwickeln, zu entdecken. Vor allem aber muss die institutionelle Kontrolle über das, was Museum ist, was es sein darf, was es nicht sein darf, aufgegeben werden.  
 
Damit ist, lange bevor einzelne Formate entwickelt werden, vor allem ein Haltungswechsel verbunden. Uns Museumsmitarbeiter*innen und insbesondere uns Leitungskräften in Museen kann ein solcher Arbeitsansatz gewaltig unter Stress setzen: In Netzwerktreffen können wie unsere eigenen Perspektiven nicht in den gewohnten Top-Down-Mechanismen durchsetzen. Wir sind hier nicht das Alpha-Tier. Direktor*innen, die auf Vernissagen, in Pressekonferenzen, in Ausschusssitzungen oder in der Beiratsarbeit mitunter wie "Sonnengötter", zumindest aber mit einem gewissen erhabenen Habitus agieren, werden in diesen neuen Räumen auf einmal von rechts oder links auf für sie ungewohnte Weise angeredet, stehen nicht mehr im Mittelpunkt, haben keine finale Meinungs- und Handlungshoheit. In Workshops, die auf Spieltechniken aufbauen, müssen sie womöglich mit "herumalbern". Da hilft kein Professorentitel, da greift keine Weisungsbefugnis!
 
Und es kommt noch krasser: Wir müssen, wenn wir als Museumsmitarbeiter*innen solche neuen Räume und Arbeitsprozesse etablieren wollen, gegenüber dem Arbeitgeber, der Politik und Kontrollgremien dies auch im Falle eines Scheiterns verteidigen. On top begegnen wir gegebenenfalls dem Problem, dass es uns nicht einmal gelingt, den methodischen Ansatz, die Gründe und Potenziale der Art und Weise dieses neuen Arbeitens zu vermitteln. Der Einsatz ist also hoch und - was das berufliche und persönliche Selbstverständnis von Museumsmitarbeiter*innen angeht - existenziell. 

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB