21.02.2022

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Wally Schmidt
ist Mitbegründerin des Theaters und dort Theaterleitung, Regisseurin und Spielerin. Die Welt des Figurentheaters ist für sie eine grenzenlose Spielwiese; der Blick der Puppe eröffnet ihr stets einen neuen Blick auf unser menschliches Zusammenleben. Die "Fridays für Future" brachten sie auf "Puppets for Future": Ein Theaterbetrieb, der unter Sparzwang nicht nachhaltig produziert und arbeitet, erschien ihr plötzlich nicht mehr stimmig. So begann der Weg des kleinen Theaterhauses zur eigenen Gemeinwohl-Bilanz …
Rebecca Gonter
kam 2019 zum Theater Salz+Pfeffer, zunächst als Technikerin. Seit 2021 steht sie selbst auf der Bühne. Mit dem Erstellen der GWÖ-Bilanz öffnete sich 2021 eine Tür, durch die sie nur zu gerne trat - und sie als Nachhaltigkeitsbeauftragte des Hauses wieder verließ. Aktuell absolviert sie die Weiterbildung als Transformationsmanagerin Nachhaltige Kultur des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit in Kultur und Medien.
Nora Vogt
studierte Theaterwissenschaft und Anglistik in Erlangen und Kopenhagen sowie Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg. Engagiert war sie am Staatstheater Nürnberg und den Städtischen Bühnen Osnabrück als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Seit 2017 verantwortet sie den Bereich Kommunikation und Marketing am Theater Salz+Pfeffer.
Nürnberger Theater Salz+Pfeffer erstellt seine eigene Gemeinwohl-Bilanz

Wenn die Wirtschaft dem Gemeinwohl dient

Auf der Suche nach einem passenden Nachhaltigkeits-Label für den eigenen Betrieb stieß das Nürnberger Theater Salz+Pfeffer auf die Gemeinwohl-Ökonomie und hat sich nach deren Standards zertifizieren lassen - als erstes Theater weltweit. Wie das Fazit zu dieser Bilanz ausfällt und ob sie diese Art der Zertifizierung anderen Kulturinstitutionen empfehlen würden, haben die Verantwortlichen hier skizziert.

Themenreihe klimafreundlich

Das Theater Salz+Pfeffer ist ein freies Figurentheater (seit 1983) mit festem Haus (seit 1997) in Herzen Nürnbergs. Es verfügt über 120 Sitzplätze und spielt pro (coronafreier) Spielzeit ca. 130 Vorstellungen im eigenen Haus und 25 auf Tour. Zu sehen ist Figurentheater für Erwachsene und Kindertheater mit je einer Neuproduktion pro Zielgruppe und Spielzeit. Die Theaterleitung, bestehend aus Wally Schmidt und Paul Schmidt, verantwortet das Haus als GbR und erhält Zuwendungen von der Stadt Nürnberg, dem Bezirk Mittelfranken und dem Freistaat Bayern. Am Haus beschäftigt sind fünf weitere Menschen (mit 20 bis 35 h pro Woche), hinzu kommen aktuell zwei Minijobber sowie Aushilfen für Kassen- und Thekendienste.
 
Dass wir mit dem Erstellen einer Gemeinwohlbilanz für unser Theaterhaus Pionier*innenarbeit leisten würden, hatten wir erwartet, aber so viel Speerspitze hat uns dann doch selbst erstmal umgehauen. Das Deutsche Theater Göttingen wird bald folgen - und hoffentlich viele weitere mehr. Denn Theater und Gemeinwohlökonomie passen für uns einfach zusammen!
 
Die besondere Verantwortung der Kultur - und ihrer Förderer
 
Als Theater sind gesellschaftliche Themen und zwischenmenschliche Belange stets die Grundlage für unser künstlerisches Arbeiten. Und so waren unser Klima und dessen Schutz hier schon lange Thema, bald auch inhaltlich auf der Bühne. Allerdings stellten wir uns die Frage, wie wir das auch in der künstlerischen Praxis beziehungsweise der Organisation unseres Theaters verankert bekommen. Denn wie soll das gehen, wenn wir unseren Subventionsgebern gegenüber dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit verpflichtet sind? Aber wie sollte die Dringlichkeit, endlich ins Handeln zu kommen, anders deutlich werden? Können und müssen Kultureinrichtungen nicht Treiber für gesellschaftliche Veränderungen sein? Und Institutionen, die sich im besonderen Maße dem Prinzip der Nachhaltigkeit verschreiben, nicht auch besonders gefördert werden?
 
Den eigenen Nutzen für das Gemeinwohl messen
 
Da ein Leben in Konjunktiven unsere Sache nicht ist, wollten wir das Feld von hinten aufrollen und mit einer entsprechenden Zertifizierung Aufmerksamkeit und Rechtfertigungsgrundlage schaffen - bei Geldgeber*innen und Publikum gleichermaßen. Durch den Dschungel der green labels, die oft auf spezielle Produktionsbereiche ausgerichtet sind, rückte die Gemeinwohl-Ökonomie in unser Blickfeld. Die Gemeinwohlökonomie (kurz: GWÖ) ist eine Wirtschaftsform, die den Nutzen eines Unternehmens für das Gemeinwohl misst. Anhand der Berührungsgruppen Lieferant*innen, Finanzpartner*innen und Eigentümer*innen, Mitarbeitende, Kund*innen und Mitunternehmen und gesellschaftliches Umfeld werden Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologie und Transparenz und Mitentscheidung geprüft. Daraus ergeben sich 20 Themenfelder, die von intern und extern bewertet werden, die sogenannte "Gemeinwohl-Matrix".
 
 
Die Bilanzerstellung: ein intensiver Prozess
 
Als kleines Unternehmen kann man bei der Erstbilanzierung eine Kompaktbilanz erstellen, gemeinsam mit anderen Bilanzierenden als Peergroup, die die einzelnen Themenfelder in gemeinsamen Arbeitstreffen beleuchtet. Dabei wird die Gruppe von einem*einer GWÖ-Berater*in betreut. Ob nun Vollbilanz oder Kompaktbilanz in der Gruppe:  Die Prozesse sind vergleichbar. Allein in der Peergroup steht man im Austausch mit Betrieben aus völlig anderen Branchen (in unserem Fall u. a. Lebensmittel, Haushaltsführende Dienstleistungen, Fair Fashion Retail) - eine Horizonterweiterung, die wir nicht hätten missen wollen.
 
Als freies Theater mit akuter Ressourcenknappheit stand aber zu Beginn erstmal die Frage: Können wir uns das leisten? Und wer macht’s? Die Kosten selbst hängen von der Unternehmensgröße ab, der Gruppen-Prozess ist günstiger als die Vollbilanz. Bei uns fielen für Bilanzerstellung und Testat 2.500 Euro an (Arbeitszeit ist hier nicht einberechnet). Unterstützt wurden wir hierbei von der Nürnberger Stiftung "Innovation und Zukunft". Die zu investierende Zeit und damit Arbeitskraft, die von anderen Projekten abgezogen werden musste, bereitete uns mehr Kopfzerbrechen. Nachdem die erste Corona-Welle den Start der Bilanzierung erst völlig ausbremste, war die Pandemie im Prozessverlauf Hauptmotivator, um die Frage nach dem "Warum Theater?" bei einem halben Jahr Theaterschließung weiterhin für uns selbst zufriedenstellend beantworten zu können.
 
Wer sich für eine Kompaktbilanz in der Gruppe entscheidet, muss im Monat ein gemeinsames Workshoptreffen von ca. vier Stunden Dauer einplanen; davon gibt es im ganzen Prozess insgesamt fünf Stück (eines pro Themenbereich). Wir haben die Bilanzierung im Team durchgeführt, 1-2 Menschen haben sich also eines Teilbereichs angenommen. So waren alle eingebunden und die anfallenden Arbeitsstunden auf mehrere Schultern verteilt.
 
Die inhaltliche Vorbereitung der Workshops passiert anhand der Berichtsvorlage, die nach dem Workshop nochmals angepasst und ggf. verändert wird. Hierfür können pro Teilbereich 5-8 Stunden eingeplant werden. Ganz am Ende stehen dann noch Ausformulierung (ca. 10-15 Stunden), Lektorat (ca. 10 Stunden) und Formatierung (ca. 5 Stunden) der Gesamtbilanz. 
 
Für die Bearbeitung des Berichts hat man ca. ein halbes Jahr Zeit. Da neigt man zum Aufschieben, daher sollte man vor allem am Ende mehr Zeit zum Ausformulieren einplanen. Mitarbeiter*innen müssen also unbedingt entsprechende zeitliche Freiräume gewährt werden: Nebenbei ist es nicht zu machen!
Die ökologische Nachhaltigkeit ist nur ein Aspekt
 
Wir sind glücklich über unseren erfolgreichen Abschluss des Berichts. Ob wir nach zwei Jahren re-bilanzieren, werden wir dann sehen. Für uns war die GWÖ-Bilanz in jedem Fall das passende "Umweltmanagementsystem": Wir wissen nun, was Stand der Dinge ist, da wir unser Unternehmen anhand der Werte-Matrix der GWÖ bewertet sehen - und wo unsere größten Potenziale liegen. Zum einen ist die Mobilität ein riesen Faktor: Als Ensemble, das auch auf Tournee geht, können wir unseren Transporter noch nicht abschaffen. Was wir aber machen können, ist eine CO2-Abgabe bei den Fahrtkosten aufzuschlagen - bei Veranstalter*innen, aber auch bei uns selbst, z. B. bei Fahrten zu unserem Lager. Die Kompensationsabgaben investieren wir in Projekte zu Natur- und Artenschutz. Und was uns selbst überrascht hat: Bisher hat sich noch kein*e Veranstalter*in über die 25 Cent mehr pro zurückgelegtem Kilometer beschwert.
 
Auch bei unseren Zuschauer*innen ist der Weg zum und vom Theater der größte Klima-Faktor: Unsere Eintrittskarten gelten als Fahrscheine für die Hin- und Rückfahrt im gesamten Verkehrsverbund des Großraums Nürnberg. Wir haben keine eigenen Parkplätze am Theater, dafür aber einen ÖPNV-Knotenpunkt direkt vor Tür - und neuerdings vier zusätzliche Fahrradständer, um das Radeln ins Theater attraktiver zu machen. Diese beiden Alternativen zum Auto wollen wir noch offensiver kommunizieren und haben dank einer mehrmonatigen Mobilitätsumfrage bei unseren Zuschauer*innen bald auch belastbare Zahlen, um unsere Strategie festzulegen.
 
Der nächste Haupthebel ist sicherlich die Materialbeschaffung: Was schaffen wir für eine Produktion neu an? Wo und wie wird es produziert und auf welchen Wegen kommt es zu uns? In den letzten Jahren sind wir vermehrt dazu übergegangen, aus dem eigenen Fundus heraus zu produzieren, aber auch der kommt irgendwann an seine Grenzen. Daher ist das Ziel eine Fundusdatenbank, die nicht nur die Theater in der Region, sondern Häuser deutschlandweit vernetzt.
 
Von unserem ursprünglichen Fokus "Klimaschutz" brachte uns die GWÖ außerdem zu den Bereichen Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit und Transparenz - und damit zu einem sehr viel ganzheitlicheren Denken: Mögliche Lieferant*innen werden intensiver beleuchtet und hinterfragt. Produktrecherchen nehmen mehr Zeit in Anspruch, teilweise wird im Vorfeld Kontakt aufgenommen und nachgehakt.
 
Wir wissen auch, dass wir jemandem im Haus ein Mandat für entsprechende Entscheidungen erteilen mussten. Deshalb haben wir seit Februar 2021 eine Kollegin als neue Nachhaltigkeitsbeauftragte mit zehn zusätzlichen Stunden ausgestattet, die aktuell die Weiterbildung als Transformationsmanagerin Nachhaltige Kultur des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit in Kultur und Medien absolviert.
 
Es geht nur gemeinsam!
 
Was wir vor dem GWÖ-Prozess bereits wussten, aber jetzt nochmal doppelt unterstreichen: Es geht nur gemeinsam! Weder nur die Mitarbeiter*innenschaft noch die Geschäftsführung allein kann und soll eine Bilanzierung durchführen. Die einzelnen Teilbereiche können am besten von unterschiedlichen Mitarbeitenden/Abteilungen bearbeitet werden, die in diesem Bereich dann Expert*innen sind - oder es eben werden.
 
Der nächste logische Schritt nach der Bilanzierung war für uns die Netzwerkarbeit: Um andere mit an Bord zu holen und den Druck auf Politik und damit Geldgeber*innen zu erhöhen. Wer für eine Sache brennt, sollte andere anstecken! Daraus erwachsen ist ein Nachhaltigkeitsstammtisch mit Kulturschaffenden der Metropolregion Nürnberg. Gemeinsam mit der Schaubude Berlin haben wir außerdem den Arbeitskreis "Puppets for Future" inklusive Online-Stammtisch speziell für Puppenspieler*innen und Figurentheaterhäuser gegründet. Einmal im Monat tauschen wir uns zu verschieden Themenschwerpunkten aus und bilden uns durch Expert*innenbeiträge weiter.
 
Nicht länger warten, sondern starten
 
Der richtige Zeitpunkt, um mit der Bilanzierung zu beginnen, ist immer genau jetzt! Die GWÖ organisiert sich in den einzelnen Bundesländern in Regionalgruppen, demnach werden die Peergroups ebenfalls regional zusammengestellt. Die Regionalgruppen veranstalten außerdem regelmäßig Informationsveranstaltungen und auch für eine individuelle Information vorab stehen die Berater*innen immer zur Verfügung. Mit unserem GWÖ-Berater sind wir auch heute zu den unterschiedlichsten Themen in Kontakt und haben - gefühlt - einen Bund fürs Leben geschlossen.
 
Ganz gleich, für welche Form des Nachhaltigkeitschecks man sich entscheidet: den Status Quo herauszufinden, um die wichtigsten Hebel zu identifizieren, ist unabdingbar auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Die Zeit des Zögerns ist vorbei - jetzt ist Handeln gefragt!
 
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