24.01.2022

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Sebastian Brünger
st wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kulturstiftung des Bundes mit dem Schwerpunkt "Nachhaltigkeit und Klima". Er entwickelt neue Förderansätze wie zuletzt ein Pilotprojekt zur CO2-Bilanzierung und das Programm "Zero - klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte".
Pilotprojekt „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“

What you measure you will manage

Die Klimawirkung der Kunst ist in Deutschland bislang ein blinder Fleck, den zunehmend mehr Akteur*innen in den Blick nehmen wollen. Aber wie beginnen? Die Kulturstiftung des Bundes hat zusammen mit 19 Kulturinstitutionen modellhaft die Klimabilanzerstellung erprobt und erste Erkenntnisse zusammengefasst.

Themenreihe klimafreundlich

Überschwemmungen, Hitzeperioden, Dürren, Brände machen die unmittelbaren Auswirkungen der Klimakrise bereits vielerorts sichtbar. Mit dem Pariser Abkommen von 2015 haben sich fast 200 Staaten verpflichtet, die Erderwärmung auf einen Wert von maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Auch in den Kunst- und Kulturszenen mehren sich seit Jahren die Stimmen von Künstler*innen, die in ihren Projekten energisch auf die Gefahren der Klimaerwärmung hinweisen. Kulturinstitutionen wie Museen und Theater verstehen sich dabei als Orte der gesellschaftlichen Selbstverständigung und Bewusstseinsschärfung, die mittels künstlerischer Auseinandersetzung auch die dramatischen Veränderungen des Klimawandels erzählbar und erfahrbar machen wollen. Aber ist damit die Rolle der Kunst und Kultur schon erschöpft? 
 
Man muss der Kunst angesichts von Blockbuster-Ausstellungen oder dem internationalen Festivalbetrieb nicht gleich eine eklatante "Kunst der Scheinheiligkeit"[1] vorwerfen, um dennoch festzustellen: Wenn die großen Klima-Ziele nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben sollen, dann können sie nur erreicht werden, wenn sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Ein umfassender Transformationsprozess muss demnach auch im Kulturbereich stattfinden. 
 
Die Kunst kann diesen Transformationsprozess einerseits kreativ mitgestalten. Es geht andererseits aber auch um die betriebsökologischen Produktionsbedingungen von Kunst, konkret: ihren CO2-Fußabdruck. Und zumindest in Deutschland fehlen bislang Basisdaten, Wissen und Erfahrungen. So ist die Klimawirkung des Kultursektors in Deutschland bislang weitgehend ein blinder Fleck, den nun zunehmend mehr Akteur*innen in den Blick nehmen wollen. Aber wie beginnen? Wo stehen wir? Was sind die entscheidenden Hebel, die es zu bewegen gilt?
 
Klimabilanzen im Kulturbetrieb
 
Die Kulturstiftung des Bundes hat vor dem Hintergrund dieser Fragen im Jahr 2020 erstmals selbst eine Klimabilanz erstellt und das bundesweite Pilotprojekt "Klimabilanzen im Kulturinstitutionen" initiiert, an dem 19 Kultureinrichtungen teilgenommen haben. Ziel war es, innerhalb von vier Monaten modellhaft den Prozess der Klimabilanzerstellung zu erproben und den eigenen CO2-Fußabdruck zu ermitteln. Die teilnehmenden Kultureinrichtungen sollten auf diese Weise ein Instrument zur Erreichung von Klimaneutralität an die Hand bekommen. Eine Umweltmanagementagentur hat sie dabei professionell unterstützt, die relevanten Daten zu ermitteln und den Wissenstransfer im Haus über ein verbessertes Umwelthandeln zu gestalten. 
 
Das Pilotprojekt wurde im Verbund umgesetzt. Ein solches "Konvoi-Verfahren" ist eine effektive Methode dafür, dass verschiedene Organisationen gemeinsam und in Begleitung durch erfahrene Beraterinnen und Berater Erfahrungen teilen und so voneinander und miteinander lernen. Die Pilotgruppe deckte verschiedene Sparten ab - Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Literatur, Musik, Erinnerungskultur - und repräsentierte ein breites Spektrum an Vorkenntnissen, Größen und Standortbedingungen (vgl. Abbildung 1).
 
 
Tools for Action
 
Klimabilanzen sind ein konkretes Instrument, um eine Statusanalyse vorzunehmen: Wie groß ist der CO2-Fußabdruck einer Organisation, auf welche Aktivitätsfelder verteilen sich die Emissionen und wo können wesentliche Verbesserungen erzielt werden? Der CO2-Fußabdruck erfasst dabei die für den Treibhauseffekt relevanten Emissionen, die durch eine Organisation und deren Aktivitäten freigesetzt werden. Weitverbreitete Grundlage für die Erstellung von Klimabilanzen ist der Standard des "Greenhouse Gas Protocol" und die Einteilung der Emissionen in direkte, indirekte und vor- bzw. nachgelagerte Emissionen (vgl. Abbildung 2).[2] Im Fall einer Organisation zählen zu Scope 1 alle direkten Emissionen aus Verbrennungsprozessen in stationären und mobilen Anlagen direkt am Standort. Scope 2 umfasst die indirekten Emissionen aus dem Bezug leitungsgebundener Energie, die durch Bereitstellung von Energie für eine Organisation anfallen. Zu Scope 3 werden alle übrigen indirekten Treibhausgasemissionen gerechnet, die durch vorgelagerte oder nachgelagerte Tätigkeiten einer Organisation verursacht werden.  
 
 
Im Pilotprojekt sahen die konkreten Arbeitsschritte wie folgt aus (vgl. Abbildung 3): Zunächst bestimmten die 19 Kultureinrichtungen eine Person oder ein abteilungsübergreifendes Team, das die Klimabilanzierung durchführte. Dabei war das Projekt jeweils in unterschiedlichen Abteilungen verortet, etwa in der Geschäftsführung, der Technischen Direktion oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Als nächstes legten die Kulturinstitutionen die zu untersuchenden Organisationsteile bzw. Liegenschaften fest. Dann erfolgte die Datenerhebung durch die beteiligten Häuser selbst, was insbesondere die folgenden Emissionsquellen umfasste: 
 
1. Infrastruktur: Strom, Wärme/Kälte, Müll, Wasser 
2. Mobilität: Mitarbeiter*innen, Besucher*innen, Künstler*innen, Gegenstände/Transporte 
3. Beschaffung: Verwaltung, Werkstätten, Gastronomie
 
 
Die gesammelten Daten wurden von der begleitenden Agentur mittels spezifischer Emissionsfaktoren umgerechnet (g CO2 / km, g CO2 / kWh, etc.) und grafisch aufbereitet. Auf der Basis dieser Zahlen konnten in einem letzten Schritt relevante Handlungsfelder und Einsparpotentiale identifiziert, erste Klimaziele gesetzt und entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. 
Erkenntnisse und Ergebnisse 
 
Das abschließende Feedback der beteiligten Kulturinstitutionen war überwiegend positiv. Ja, die Datenerhebung sei aufwendiger als gedacht gewesen und man sei letztlich unterschiedlich tief in der Datenerhebung vorgedrungen. Aber die meisten Häuser stuften die konkreten Ergebnisse der Klimabilanzierung als hilfreiche Statusanalyse ein und konnten erste Maßnahmen einer Klimastrategie entwickeln. Der Großteil der Häuser hat angekündigt, die Klimabilanzierung fortzusetzen; einige haben darüber hinaus begonnen, gegenüber ihren Trägern ein ambitioniertes Engagement gegen die Klimakrise einzufordern und - damit verbunden - ein verbindlich wirksames Regelwerk für ökologisches Wirtschaften in der Kultur zu fordern.  
 
Eine wichtige Erkenntnis ergab der abschließende Blick auf die Gesamtdaten: Im Durchschnitt bilanzierte eine Institution rund 1.100 Tonnen CO2-Äquivalente für das Jahr 2019. Die Datengrundlage und die Erhebungstiefe war bei den Institutionen jedoch sehr unterschiedlich, so dass ein Vergleich zwischen den Häusern vorerst kaum Sinn ergibt - selbst wenn mittels sogenannter key performance indicators (t CO2 pro Zuschauer*in, pro Mitarbeiter*in oder pro m² Fläche) die unterschiedliche Ausgangslage der Häuser je nach Größe oder Gebäudeart berücksichtigt wird. Bei allem berechtigten Interesse an einem Vergleich der Institutionen untereinander, sollten die absoluten Zahlen daher mit Bedacht behandelt und kontextualisiert werden.
 
Stattdessen erscheint der Vergleich eines Hauses mit sich selbst sinvoller - im zeitlichen Verlauf über mehrere Klimabilanzen hinweg, um zu überprüfen, ob Ziele erreicht wurden und Maßnahmen gegriffen haben. Unabhängig von der schwierig zu vergleichenden Datengrundlage der Häuser ließ sich aber die häuserübergreifende Tendenz in den jeweiligen Klimabilanzen erkennen: Die wesentlichen Faktoren der meisten Klimabilanzen sind die Klimatisierung der Gebäude und die Mobilität rund um den Betrieb - hier insbesondere Publikumsanreise, Dienstreisen und Transportlogistik wie der Leihverkehr in der Museumspraxis.
 
Wo stehen wir jetzt? 
 
Im Pilotprojekt der Kulturstiftung des Bundes ist deutlich geworden, dass Klimabilanzierung im besten Fall ein kontinuierlicher, iterativer Lernprozess ist, so dass in Folgezeiträumen weitere Bilanzen erstellt werden, um den Erfolg oder Misserfolg von Maßnahmen zu überprüfen. Klimabilanzen sind somit die Grundlage eines erfolgreichen Umwelt- bzw. Klimamanagements, das das Ziel einer stetigen Reduktion der CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität verfolgt. 
 
Für die Kulturstiftung des Bundes ging es bei dem Pilotprojekt auch um die Frage, wie ökologische Nachhaltigkeit in einem größeren Maßstab in ihrem eigenen Fördersystem implementiert werden kann. Immer mehr Förderinstitutionen und Träger*innen von Kultureinrichtungen beschäftigen sich mit dieser Frage, denn auch Bundesländer und Kommunen haben sich Klimaziele gesetzt, die früher oder später in der Kulturförderung greifen werden. So wird über neue Kennzahlen jenseits von Auslastung und Einspielquoten nachgedacht; über alternative Berichtsstandards, Klimabilanzen und Instrumente der ökologischen Erfolgskontrolle. Kurzum: über die Verknüpfung der Fördermittelvergabe mit Aspekten der ökologischen Nachhaltigkeit.
 
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass Künstler*innen bzw. Kulturinstitutionen sich mit dem eigenen Klimamanagement auseinandersetzen und mit Kulturpolitik bzw. Kulturverwaltung verstärkt in den Dialog treten. Die ökologischen Herausforderungen der Gegenwart werden zu großen Veränderungen führen - im Grunde bleiben uns nur zwei Optionen: change by design oder change by desaster. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, die Bedingungen künstlerischer Arbeit in Zeiten der Klimakrise gemeinsam zu diskutieren und zu gestalten - bevor Sachzwänge oder Marktpreise (etwa durch einen steil steigenden CO2-Preis) uns die Entscheidungen abnehmen. Diese Chance gilt es zu nutzen!
 
Die ausführliche Dokumentation des Projektes mit Erfahrungsberichten, Tipps und Arbeitsmaterialien finden Sie in deutscher und englischer Sprache auf der Website der Kulturstiftung des Bundes unter www.kulturstiftung-bund.de.
 
Fußnoten
 
[1] Rauterberg, Hanno. "Die Kunst der Scheinheiligkeit." Die Zeit, 2.8.2019.
[2] Zum GHG Protocol und den Scopes siehe https://ghgprotocol.org/.

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