09.05.2022

Buchdetails

Digitale Elemente in der Kunst- und Kulturvermittlung für Senioren in Museen: Der „Medientisch" im Museum Ratingen
von Elke Kralle-Calenberg
Verlag: Tectum Verlag
Seiten: 126
 

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Autor*in

Aileen J. Becker
promoviert am Max-Weber Kolleg in Erfurt über christliche Gemeinschaftsbildung. Zuvor leitete sie das Projekt "Provenienzforschung" für die Städtischen Sammlungen der Universitätsstadt Tübingen und absolvierte ein Volontariat im Bereich Sammlungsmanagement und Ausstellungen bei der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem Historischen Museum der Pfalz Speyer. Sie studierte Archäologie, Geschichte und Altphilologie in Konstanz und Freiburg und ist im Kulturmanagement und der Provenienzforschung zertifiziert.
Rezension

Digitale Elemente in der Kunst- und Kulturvermittlung für Senioren in Museen

Digitale Elemente in der Kunst- und Kulturvermittlung finden sich häufig in Angeboten für jüngere Zielgruppen, weniger jedoch für Senior*innen. Inwiefern diese Altersgruppe mit digitalen Medien im Museum interagieren wollen und können, hat Elke Kralle-Calenberg im Rahmen einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit am Beispiel eines Medientisches untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, wie man solche Angebote gestalten sollte, damit sie gut angenommen werden.
 
Kralle-Calenbergs Publikation ist 2021 als Teil der Reihe Sozialwissenschaften im Tectum-Verlag erschienen. Ihre Abschlussarbeit aus dem Bereich der Gerontologie ist eine empirische Studie zum Thema Mediennutzung durch Senior*innen am Beispiel eines neuen Angebots im stadtgeschichtlichen Museum Ratingen. Dieses steht repräsentativ für die digitalen Angebote in mittelgroßen Museen deutschlandweit, die ein generationsübergreifendes Angebot entwickeln wollen.
 
Elke Kralle-Calenberg ist Gerontologin und stammt aus der Mittelstadt Ratingen, die nördlich von Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen gelegen, auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Das Stadtmuseum Ratingen ist eine kommunale Einrichtung mit langer Tradition. Es wurde bereits 1926 als Heimatmuseum gegründet und befindet sich heute in einem zwei Mal erweiterten, durch seine Architektur auffallenden, großen Gebäude, das zeitgenössischer nicht sein könnte. Mit einer Ausstellungsfläche von über 1500 Quadratmetern und Wechselausstellungen zu Kunst- und Kulturgeschichte lockt es Besucher*innen aus der Region und darüber hinaus an. Mit der Neugestaltung der Dauerausstellung 2016, die sich im ersten Obergeschoss über mehrere Räume erstreckt, wurde auch ein Medientisch installiert, der zusätzliche Informationen zur Stadtgeschichte bieten soll. Finanziert wurde er gemeinsam von der Sparkasse und dem Landschaftsverband Rheinland. Er informiert die Besucher*innen im Foyer des Obergeschosses interaktiv über die Epochen der Stadtgeschichte. Die Autorin beschreibt den Medientisch als "ideales Präsentationsmedium", weil es keine Vorkenntnisse oder besonderen körperlichen Einsatz erfordert.
 
Ideal und Wirklichkeit
 
Im dritten Kapitel geht die Autorin auf die digitale Installation des Medientisches ein. Hier liefert sie zunächst die für die Studie erforderlichen technischen Details, wobei sie die verwendete Software und Arbeit an der Erstellung der Präsentation weglässt. Es handelt sich um einen schlichten aber großen Tisch von 160x100cm Größe. Er ist niedrig und mit Hockern ausgestattet, sodass man gemütlich wie um einen Esstisch daran sitzen kann. Ein Umstand, den man beim Gesamterlebnis nicht unterschätzen sollte, da es sich um eine für Senior*innen komfortable Situation handelt, die sie nicht über ihre Kräfte fordert. Ebenso ist der Tisch zentral im Raum mit viel Platz und offen aufgestellt, sodass Rollstühle bequem an das Angebot kommen. Wie sinnlich eingeschränkte Personen sich das Angebot zumindest teilweise erschließen können, bleibt allerdings unbeantwortet. Es ist anzunehmen, dass Begleitpersonen oder Aufsichtspersonal hier Unterstützung leisten kann.
 
Die weiße Oberfläche des Tischs wird über einen Projektor an der Decke mit dem digitalen Angebot angestrahlt. Die Bedienung erfolgt über Berührung (Touch). Bei Berührung der auf dem projizierten Kartenmaterial befindlichen Menüpunkte, die chronologische Angaben enthalten, kann man Inhalte über aufpoppende kleine Fenster erhalten, die Bilder und Erklärungen in Form von Text, Zeittafeln, Video und Audio zeigen bzw. abspielen. 
 
Das Highlight ist ein animierter 3D-Rundflug über Ratingen, der über das Umland bis zum Zentrum der Stadt führt. Damit bietet der Tisch einen unterhaltsamen und multimedialen Zugang zur Geschichte des Ortes. Hier werden "verschiedene Sinnesebenen" (S.31) der Besucher*innen angesprochen, um die Wissensvermittlung möglichst immersiv und umfassend zu gestalten.
 
Beobachtungen und Ergebnisse
Der Studie der Autorin gingen wesentliche Grundüberlegungen und Forschungen voraus. Diese erklärt sie vor allem im ersten Teil der Studie und paraphrasiert Auszüge aus relevanten Digitalisierungs- und Forschungsaktivitäten. So klärt sie grundsätzliche Fragen nach der Nutzung des Internets, Social Media oder Messenger-Dienste durch Senior*innen. [1] In Ratingen liegt der Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen bei einem Viertel (Stand 2018). Die Feldstudie war so angelegt, dass die Autorin sich während der Explorationsphase zu unterschiedlichen Zeiten im Museum Ratingen aufhielt, um dort qualitative Interviews mit Senior*innen ab 60 Jahre aufwärts durchzuführen (anonymisiert). Ihre Untersuchung zur Annahme des Medientisches folgten dabei diesen Kategorien:
  • Wahrnehmung des digitalen Elements Medientisch
  • Interaktion und Nutzerverhalten
  • Digitale Medienkompetenz
  • Beitrag zur Kunst- und Kulturvermittlung für Senior*innen
  • Wahrnehmung der Besucher*innen aus Expert*innensicht
Die Rahmenbedingungen der Untersuchungserhebung werden von der Autorin präzise geschildert und als einheitlich wahrgenommen (Interviews anhand leitfadengestützter Fragebögen), sodass die Bewertung des Medienangebots durch die Senior*innen vergleichbar war. Zugleich war sie bemüht, ihre Feldforschung so realistisch am Museumserlebnis zu halten wie möglich. Die Anzahl von 20 befragten Personen ist allerdings sehr überschaubar. Trotzdem lesen sich die Bewertungen der Senior*innen, die Kralle-Calenberg in Auszügen wiedergibt, wie eine repräsentative Auswahl. Man findet die befürchteten Ängste vor der "modernen Technik" als Unbekanntes genauso wie die Neugier, sich das Angebot voll zu erschließen und es Freund*innen und Bekannten zu zeigen. Der Einstieg ist etwas holprig, da der Medientisch nicht direkt wahrgenommen wird, sondern die Senior*innen erst darauf aufmerksam gemacht werden müssen oder per Zufall zu der schlichten Installation kommen, weil sie sich eigentlich nur hinsetzen wollen und dann vom ästhetischen Angebot überrascht werden. Das Ergebnis ist überwiegend positiv. Die Senior*innen berichten von Spaß und Inspiration, Bequemlichkeit, da sitzend zu erschließen, und auch, wie sie der Tisch aktiviere, sich der Geschichte der Stadt zu widmen. Gerade der interaktive Teil der Selbstaneignung und die Auswahl der Informationen wurde als besonders angenehm empfunden. Kritik, die umsetzbar wäre, ist etwa eine Größeneinstellung bezüglich Schrift und Bildmaterial einzubauen - manches war schlicht zu klein dargestellt. 

Die Ergänzungen der Autorin im Anschluss enthalten Expert*innenaussagen und sollen mit Vorurteilen aufräumen. Die Annahme, dass ältere Besucher*innen nicht mit digitalen Medien umgehen wollen und können, man ihnen dieses Angebot also gar nicht zu machen brauche, ist genauso fehl am Platz wie die, dass man Ihnen ein seniorengerechtes Programm anbieten müsse. Die Äußerungen der Senior*innen legen nahe, dass sie die Kunst- und Kulturvermittlung bezogen auf das digitale Element Medientisch unterstützt sehen: "Damit wird das Spektrum der Ausstellung vergrößert.", heißt es in einem Kommentar. Ein anderer konstatiert, die "Kombination von bewegten Bildern und Text, anschauliche Darstellungen von Geschichte, lässt besser verstehen und behalten".[2] Hier spielt die gesellschaftliche Teilhabe eine nicht unwesentliche Rolle. Dem entspricht auch die Studie mit ihren, wenn auch wenigen, Aussagen der teilnehmenden Senior*innen, die die digitale Vermittlung als bereichernd und stimulierend schildern.

Fazit
Die Kernaufgaben der Museen Sammeln, Ausstellen, Bewahren, Forschen und Vermitteln scheinen der Autorin nicht in Gänze vertraut, was Insider verwirren kann, wenn man annimmt, hier schreibe eine Museumsschaffende aus ihrem Alltag in einer Kulturinstitution. Jedoch beschreibt sie die Digitalisierung richtigerweise als Querschnittsaufgabe. Bei dieser sollten die musealen Einrichtungen nicht nur die jüngere Generation mit medialen Angeboten zu erreichen wünschen, sondern sich auch Gedanken darüber machen müssen, wie sie digitale Formate für ein älteres Publikum entwickeln können. 
 
Frau Kralle-Calenbergs Expertise im Bereich der Gerontologie macht das Buch bzw. Ihre Studie zu einem wertvollen Instrument, das Museumsschaffenden Einblick in eine Wissenschaft gewährt, die in den Häusern bislang kaum Nachhall gefunden hat. Zum Schluss bleibt der Autorin nur zu danken, dass Sie sich mit ihrem Wissen um die Senior*innen ins Museum gewagt hat, um hier eine empirische Studie durchzuführen, die den Medientisch als digitales Angebot positionieren kann, das generationsübergreifend attraktiv und zugänglich ist.
 
[1] Hierunter fällt der D21-Digital-Index als Instrument zur Erhebung des Digitalisierungsgrades der deutschen Bevölkerung, der große Zuwächse bei der Internetnutzung durch ältere Personen verzeichnet und auch andere Angebote betrifft. So wird Whatsapp bereits von 29% der über 65-Jährigen genutzt.
[2] Die Aussagen sind allesamt anonymisiert, auch die der sog. Experten, was Kulturvermittler*innen betrifft.

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