20.09.2009

Autor*in

Martin Lücke
Martin Lücke ist Professor für Musik- und Kulturmanagement an der Hochschule Macromedia in Berlin. Zudem veröffentlicht er regelmäßig Fachpublikation und texte mit Schwerpunkten im Bereich der akademischen Ausbildung und der Erforschung von (Populärer) Musik und Musikwirtschaft sowie neuen Formen der (Kultur-)Finanzierung.
Rückblick 2. Symposium Beethovenfest Bonn 2009

SymDie Zukunft des Konzerts - das Konzert der Zukunft

Bereits zum zweiten Mal veranstaltete das traditionsreiche Bonner Beethovenfest ein eintägiges, hochkarätig besetztes Symposium, um über spannende und bewegende Themen der Musik mit Fachleuten und Laien zu diskutieren. Stand das letztjährige Symposium unter dem Thema Macht und Musik, ging es in diesem Jahr um nichts Geringeres als die Zukunft des klassischen Konzertes. Denn wie war im Veranstaltungsflyer zu lesen: Auf der hell erleuchteten Bühne: der Künstler allein, mit wenigen anderen oder im großen Ensemble. Davor oder rundherum, in meist ansteigenden Sitzreihen: das aufmerksame Publikum. Und alles umschließend: der Konzertsaal, mal in lamentablem Zustand, mal gelungen restauriert, mal innovativ und prachtvoll. So stellt sich seit Jahrzehnten die Institution des klassischen Konzerts dar.
Ein jeder, der mehr oder weniger regelmäßig klassische Konzerte besucht, wird dieses anschauliche Bild kennen. Der oder die Musiker auf dem Podium, meist im Frack, der Zuschauer andächtig sitzend im abgedunkelten Saal. Aber ist diese Form des Konzerts im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß? Was sollte geschehen, um das Konzertleben auch für jüngere Zielgruppen attraktiver zu gestalten? Genau diesem wichtigen Spannungsfeld widmete sich das Symposium Die Zukunft des Konzerts das Konzert der Zukunft, das die momentane Konzertsituation (vor allem in Deutschland) detailliert unter die Lupe nahm, die allgegenwärtige finanzielle Lage für Orchester, Künstler und Manager beleuchtete, althergebrachte und neuartige Organisationsformen von Ensembles gegenüberstellte und Wechselwirkungen zwischen etablierten Kulturinstitutionen und der sogenannten freien Wirtschaft vorstellte.

Namhafte Referenten konnten gewonnen werden, um kenntnisreich und kontrovers die verschiedensten Themen anzusprechen. Durch das Programm führte Andrea Thilo, Journalistin und Produzentin, die immer wieder versuchte, durch kritische Fragestellungen, die Teilnehmer der verschiedenen Podiumsdiskussionen zu neuen oder unerwarteten Aussagen zu bewegen. Leider hatte dies nicht immer Erfolg, was zum Teil auch am extremen Themenhopping der Moderatorin lag, dem weder die zahlreich erschienenen Besucher noch die Diskutanten folgen konnten. Aber der Reihe nach.

Das erste Podium hatte den Titel Pluralisierung im Orchesterwesen und Konzertmanagement, zu dem Albert Schmitt, Managing Director der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (DKPh), Tatjana Erler, Kontrabassistin der DKPh, Siegwald Bütow, Manager des WDR Sinfonieorchesters Köln (WSO), Susanne Eychmüller, stellvertretende Solocellistin des WSO und Gerald Mertens, Geschäftsführer Deutsche Orchestervereinigung eingeladen waren. Besonders die unterschiedlichen wirtschaftlichen Konzepte der DKPH und des WSO standen im Zentrum der Diskussion, denn die DKPH ist als Unternehmen organisiert, in dem die Musiker die alleinigen Gesellschafter sind. Nur 40 Prozent des Budgets werden über Sponsoren gedeckt, 60 Prozent müssen durch Konzerte und andere Tätigkeiten selbst erwirtschaftet werden. Das WDR Sinfonieorchester hingegen wird durch Rundfunkgebühren finanziert. Wie Konzerte ansprechend veranstaltet werden können, dazu äußerte sich Susanne Eychmüller anschließend im Deutschlandfunk Interview:

Es sollte andere Formen geben, ich finde es vielleicht auch wichtig, dass die Leute vielleicht auch näher kommen können, auch beim großen Sinfonieorchester. Wir haben das neulich so gemacht, dass Kinder dazwischen sitzen können, das ist wichtig. Oder dass auch Erwachsene, die Lust haben, sich auch mal direkt nach einem Konzert ins Orchester setzen können, mal gucken, wie machen die das. Natürlich nicht ein ganzes Konzert lang. Aber das es einfach unterschiedliche Methoden gibt, die Musik weiterzubringen, dass es nicht dieser starre Konzertort nur ist.

Sie war zudem der Auffassung, dass Orchester, egal welcher Organisationsform sie unterliegen, einen großen personellen Apparat aus Fachleuten im Bereich Dramaturgie und Werbung bzw. Marketing aufbauen müssen, um für zukünftige Entwicklungen ausreichend gewappnet zu sein, denn ein wichtiger Punkt aller Ensembles ist die nachhaltige Heranführung neuer Zielgruppen an klassische Musik.

Albert Schmitt verwies im Gespräch darauf, dass sich die Orchester in den achtziger Jahren verstärkt von ihrem Publikum entfernt hatten. Genau in dieser Zeit ist es zur Gründung von erstklassigen Spezialensembles für Alte und Neue Musik gekommen, die teilweise bis heute das internationale Konzertprogramm mitbestimmen und nicht nur neue Konzertformen propagierten, sondern auch organisatorisch und finanziell neue Wege beschritten.

In dieser Diskussion wurden natürlich auch die Gehälter der Musiker angeschnitten, leider zu kurz, denn dieser Aspekt interessiert bestimmt viele ausführlicher. Gerald Mertens gab letztlich auch zu, dass die derzeitige Bezahlung von Orchestermusikern absurd sei, da die tarifliche Einordnung auf der Größe des Ensembles, nicht dessen Qualität beruht. Obwohl sich die Mehrzahl der Orchester in den Strukturen des öffentlichen Dienstes befindet, ist auch dort das nachhaltige wirtschaftliche Denken gestiegen.

Um Vermarktung und Selbstbestimmtheit der Instrumental- und Vokalsolisten ging es im anschließenden Podium mit Jasper Parrott, Chairman und Joint Managing Director der Londoner Konzertagentur Harrison Parrott und Dr. Elmar Weingarten, Intendant des Tonhalle-Orchesters Zürich. Das Thema Geld stand natürlich im Zentrum der Diskussion, denn für viele international agierende Künstler werden inzwischen horrende Gagen verlangt, die von den Konzerthäusern oder Orchestern aufgebracht werden müssen. Einen interessanten Ansatz zur Kostenkontrolle zeigte Weingarten auf, der auf Künstler, die gehypt und damit unbezahlbar werden, für sein Orchester verzichtet. Jedoch musste er zugeben, dass Stars normalerweise das beste Mittel für ausverkaufte Häuser sind: Die teuersten Künstler sind die billigsten, weil der Saal gefüllt ist. Weitere Themen wurden schnell abgehandelt, so zum Beispiel die Überforderung von Künstlern, denn allen ist noch das Beispiel Rolando Villazón im Gedächtnis. Doch Manager Parrott war der Meinung, dass ein Künstler schon seine eigene Grenze kennen müsse, wenn er im internationalen Geschäft erfolgreich sein wolle. Abschließend wurde noch über die Attraktivität von Künstlern gesprochen, denn auch in der Klassik gilt seit langem das altbekannte Werbemotto Sex sells, wie an Ann-Sophie Mutter, Natascha Netrebko, Hélène Grimaud oder Rolando Villazón deutlich wird. Weingards Vorstellung zum Konzert sah er wie folgt:

Es wird sehr viel mehr kleine Konzerte geben, kleinere Ensembles, mittlere Ensembles, die anders organisiert sind als die städtischen Musikorchester, und es wird wahrscheinlich eine größere Vielfalt geben."

Prof. Dr. Helga de la Motte-Haber, emeritierte Professorin für Systematische Musikwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, hielt anschließend einen Impulsvortrag über Profile heutiger Konzertprogramm, in dem sie einige Gedanken zum Werkekanon im klassischen Konzert referierte. Insbesondere der (in ihren Augen zu geringe) Stellenwert der Neuen Musik in aktuellen Konzertprogrammen wurde von ihr ausführlich und kritisch hinterfragt. Zugleich äußerte sie sich aber durchaus negativ zum stilistischen Cross-over von E- und U-Musik, um dadurch neue Zielgruppen zu gewinnen. Statt Beethoven mit den Künsten eines DJs zu kombinieren schlug de la Motte-Haber eher die Verbindung mit einem Werk Mauricio Kagels vor. Ob damit die Jugend ins Konzert gelockt werden kann, ist jedoch mehr als fraglich.

Weitere Diskussionspodien gab es zum Thema Im Spannungsfeld zwischen autarker Programmplanung und dem Terminkalender der Stars mit Folkert Uhde, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter von Radialsystem V in Berlin und Dr. Nikos Tsuchlos, künstlerischer Leiter des Megaron in Athen. Folkert Uhde äußerte sich zum Aspekt Zukunft des Konzerts im Interview im Deutschlandfunk:

In den traditionellen Konzerthäusern kommen 100 Leute auf die Bühne durch zwei kleine Löcher und wenn der Beifall verklungen ist, verschwinden sie wieder durch die gleichen kleinen Löchern und es gibt überhaupt nicht die Möglichkeit, dass irgendjemand aus dem Publikum mit irgendeinem Musiker in Kontakt kommt, es sei denn, das Publikum ist so gewieft und findet den Weg in die Kantine.

Dabei brauche, so Uhde weiter, jeder Konzertabend seine eigene Struktur, sein eigenes Konzept und in diesem Sinne solle der Raum gestaltet und das Publikum einbezogen werden. Doch aller Kontakt zwischen Bühne und Zuschauerraum vor, während oder nach dem Konzert bleibe Makulatur, wenn nicht auch das vertraute Repertoire einer gründlichen Revision unterzogen und in neue Bezüge gesetzt werde. Zum künstlerischen Ansatz von Radialsystem V sagte er:

Wir versuchen, Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, zusammenzubringen, etwas zeitgenössische Musik und Tanz. Oder wir haben eine sehr schöne Reihe, die wir Barock- Longe genannt haben, wo es darum geht, das Musiker aus dem Elektronikbereich/ DJs zusammenkommen mit Barockmusikern und die nicht nur abwechseln spielen im Sinne von das erst die Barockmusiker ein Stück Musik spielen und dann der DJ seinen Remix macht, sondern die können mittlerweile zusammen improvisieren und es entsteht wirklich ein Dialog und das ist total faszinierend.

In An der Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft diskutierten Alexander Farenholtz von der Kulturstiftung des Bundes und Prof. Dr. Gustavo Möller-Hergt, Geschäftsführer der Düsseldorfer Droege Capital GmbH über die Möglichkeiten der Kulturfinanzierung durch Sponsoren aus der freien Wirtschaft.

Zum Ende des Symposiums blieb man dann thematisch in Bonn, denn das letzte Podium handelte vom derzeit geplanten Festspielhaus in der ehemaligen Bundeshauptstadt am Rhein. Noch ist nicht entschieden, wer das Haus bauen soll und ob die Gelder für dieses Projekt überhaupt reichen, obwohl die drei Großsponsoren Telekom, Post und Postbank 75 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Ob für diesen (hohen) Betrag eines der beiden zur Entscheidung stehenden Architekturmodelle gebaut werden kann, blieb auch bei der Diskussion offen, die zwischen den Architekten François J. V. Valentiny und Patrik Schumacher (Zaha Hadid Architects) sowie Dr. Hans-Dieter Petram, Projektleiter der Deutschen Post geführt wurde. Im ersten Quartal 2010, so Petram, werde die Entscheidung getroffen, ob das Modell Diamant (Zaha Hadid Architects) oder Welle (Hermann & Valentiny and Partners) realisiert werde.

Am Ende des langen Tages wurde viel diskutiert und interessante Ansätze und Konzepte vorgestellt. Ob sich das Konzert der Zukunft in den kommenden Jahrzehnten jedoch von der heutigen Form radikal unterscheiden werde, muss letztlich unbeantwortet bleiben. Zu hoffen wäre es, denn sonst werden in wenigen Jahrzehnten talentierte und motivierte Musiker fast allein im Konzertsaal sitzen, wenn es nicht gelingen sollte, neue Zielgruppen an das klassische Konzert heranzuführen.
 
 

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