24.11.2022

Autor*in

Christine Bachmann
Chefredaktorin von Miss Moneypenny, der Business-Plattform für Assistenzberufe in der Schweiz. Sie besitzt einen Bachelor of Arts ZFH in Kommunikation der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und einen MAS Arts Management von der ZHAW School of Management and Law. 
Rückblick Schweizer Kulturfundraising-Tagung 2022

Nachhaltigkeit in der Kulturförderung und im Kulturfundraising

Kulturinstitutionen stossen mit den Anforderungen an ein ökonomisch und ökologisch nachhaltiges Betriebskonzept oft an ihre Grenzen. Deshalb waren Nachhaltigkeit und ihre Umsetzbarkeit das Schwerpunkt-Thema der Kulturfundraising-Tagung am 3. November 2022 in der Tonhalle in Zürich. Die Lösung liegt wohl am Ende am ehesten in einem typischen "schweizerischen" Kompromiss zwischen Ökologie und Kunstschaffen, waren sich die rund 80 Tagungsteilnehmenden einig.
Im Saal der Tonhalle Zürich fand der Auftakt der Kulturfundraising-Tagung 2022 statt, die organisiert wurde von Swissfundraising und dem ZHAW Zentrum für Kulturmanagement. "Ein einmaliger Tagungsort", waren sich die rund 80 Tagungsteilnehmenden einig. Und einer, der Geschichten erzählen kann, wie Gastgeberin und Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich Ilona Schmiel einleitete. "Eine solche Substanz können wir im Fundraising gut gebrauchen, denn dieses ist nichts anderes als Geschichten zu erzählen, die unsere Geldgebenden faszinieren, motivieren und letztlich an unser Haus binden."
 
Neustrukturierung von Mitgliedschaften
 
Dass die Tonhalle-Gesellschaft Zürich seit ihrer Rückkehr an den alten, neu renovierten Standort am Zürcher Seebecken dieses Handwerk versteht, verdeutlichte Florence Siebert, die Leiterin Fundraising des Hauses, im ersten Best Practice-Beispiel an diesem Nachmittag. Mit Blick zur Saaldecke zeigte sie auf den "Komponisten-Himmel", in dem sich unter anderem Grössen wie Johann Sebastian Bach, Richard Wagner und Georg Friedrich Händel tummeln. "Dieses Deckenfresko nutzten wir bei der Rückkehr in die neu renovierte Tonhalle für die Neustrukturierung unserer Mitgliedschaften und schufen damit für unsere Unterstützerinnen und Unterstützer einen direkten Bezug zum Tonhalle-Saal." Die Mitgliedschaften tragen nun die Namen eben jener Komponisten - natürlich ohne Wertung. Wer beispielsweise die günstigste "Händel"-Mitgliedschaft (Einzelmitglied 220 Franken pro Saison) abschliesst, kann an einer Generalprobe teilnehmen, an einem Konzert des Freundeskreises und hat ein Ticket-Vorverkaufsrecht. Bei der teuersten hingegen, der "Brahms"-Mitgliedschaft (100.000 Franken pro Saison), reichen die "Goodies" von der Teilnahme an der Generalprobe über private Führungen bis hin zum Besuch von Meisterkursen. "Das neue Konzept geht bisher gut auf." 
 
Daneben erhielt auch der Club für die jungen Besucherinnen und Besucher der Tonhalle, der "Toz Zukunft", mit "klubZ" einen neuen Namen und eine neue Ausrichtung. "Wir bemerkten, dass es vor allem schwierig ist, die Zielgruppe der 30- bis 40-Jährigen zu erreichen. Das Ziel war deshalb, diese Zielgruppe, inklusive der jüngeren, 18- bis 29-Jährigen, mit attraktiven Events und Angeboten ins Boot zu holen." Im Wissen, dass man diese Zielgruppen nicht via klassische Werbung ansprechen kann, investierten Siebert und ihr Team in Social-Media-Aktivitäten sowie eigens erstellte GIFs. Damit konnte die Tonhalle-Gesellschaft Zürich beim Freundeskreis eine Beitragssteigerung der Einnahmen von rund 40 Prozent erreichen sowie beim neuen "klubZ" eine Beitragssteigerung von 49 Prozent. Abschliessend gab Siebert noch ein paar Tipps. Unter anderem, dass das Timing einer Fundraising-Kampagne eine wichtige Rolle spiele, dass man die Vorlieben der Zielgruppe kennen sollte und die Angebote diversifizieren müsse. Zudem rät sie, Live-Fundraising-Metrics auf der Webseite zu installierten, sowie die Nutzung von Zahl-Apps wie dem Schweizer Twint auszubauen und YouTube-Kollaborationen einzugehen. So wichtig diese Ansätze im digitalen Zeitalter sind, so schwierig sind sie aber für kleinere Häuser als die Tonhalle Zürich umzusetzen. Hier braucht es preisgünstige, kleinere Lösungen und Unterstützung der Trägerinnen und Träger. 
 
Von der Hutsammlung zum professionellen Fundraising
 
Im Anschluss berichteten Gesamtleiter Stefano Mengarelli und Fundraiserin Stella Vondra aus dem Alltag des Kinderzirkus Robinson. Seit 1992 besitzt der Zirkus eine Vereinsstruktur und ist enorm gewachsen. So nehmen heute durchschnittlich pro Jahr 1600 Kinder und Jugendliche an Kursen, Workshops und Angeboten teil und der Zirkus beschäftigt zwischenzeitlich neun Festangestellte - wobei ein grosser Teil der Arbeit nach wie vor von Freiwilligen geleistet wird. Doch das genügt nicht, um den Kulturbetrieb zu tragen. Deshalb stellte man 2018 gemeinsam mit Stella Vondra ein professionelles Fundraising auf. "Wir hatten zwar seit jeher Spenderinnen und Spender, doch nicht die Garantie, dass diese ewig dabei sind." Vondras Ziel war deshalb, die Spendenherkunft zu diversifizieren.
 
Dass ein vergleichsweise kleiner Kulturbetrieb in eine eigene Fundraiserin auf Mandats-Basis investiert, hat funktioniert, wie die Zahlen zeigen. So konnte nicht nur das Budgetziel von 100.000 Franken überstiegen, sondern 2021 ein erstes Legat (Vermächtnis aus einer Erbschaft) entgegengenommen werden. Doch die Herausforderungen bleiben, denn die Inhalte des Zirkus ändern sich jährlich. Dass vor allem Stiftungen klarzumachen, sei nicht immer einfach. "Zumal die Anforderungen nicht nur auf unserer Seite professioneller werden, sondern auch auf Stiftungsseite." Das, was sie heute den Stiftungen bereitstellen müsse, brauche Zeit und Geld und reduziere damit jeden Spendenfranken. Deshalb: Hätte Vondra einen Wunsch frei, wäre das, dass Stiftungen einfachere Prozesse etablieren würden und die Stiftungslandschaft an sich transparenter wäre. "Ja, und ein bisschen mehr Kontinuität, damit wir eine gewisse Planungssicherheit haben." Geht die Kosten-Nutzen-Rechnung auf, wie beim Kinderzirkus Robinson, könnten sich auch kleinere Häuser eine eigene niedrigprozentige Fundraising-Stelle leisten.
 
Vom alten Geld
 
Im letzten Case der Tagung sprach Simone Staehelin, Leiterin Fundraising vom Theater Basel, über die Nachhaltigkeit im Major-Donar-Fundraising. Gerade in Regionen wie dem Kanton Basel-Stadt, wo viel "altes Geld" zu finden ist, notabene von kulturaffinen Persönlichkeiten, kann das eine lukrative Geschichte sein. "Doch gerade im Major-Donar-Bereich sei die Ansprache heikel und verlange äusserste Diskretion bezüglich der Spenderinnen und Spender. Wie geht man ein erfolgreiches Major-Donar-Fundraising an? "Zuerst analysierten wir die bestehenden Gefässe und fragten uns: Welche neuen brauchen wir, um nicht nur der Motivation der Spendenden gerecht zu werden, sondern auch eine Langfristigkeit der Spendenfreudigkeit zu garantieren?" Bei der Analyse stellten sie fest, dass sie ein neues Gefäss brauchen, und gründeten einen exklusiven Kreis von Gönnerinnen und Gönnern.
 
"Damit wollten wir die Mitglieder möglichst lange und nachhaltig binden." Durch die Verknappung der Mitgliedschaft - "es sind immer nur 20 Personen Teil des Kreises" - generierte das Team zusätzliches Interesse, "weil jeder dabei sein wollte". Die Exklusivität sieht Staehelin somit als einen Schlüssel für das Major-Donar-Fundraising. Wichtig sei zudem, in der Stiftung in die offiziellen Positionen Schlüsselpersonen zu wählen, aber auch im Sinne der Nachhaltigkeit eine Datenbank zu kreieren, damit bei Wechseln nichts verloren gehe. "Denn obwohl es ein personenbezogenes Business ist, sollte es möglichst personenunabhängig gestalten sein." Die grösste Herausforderung für Staehelin war bei der Umsetzung die interne Kommunikation. "Das Verständnis im Haus dafür zu schaffen, dass die Gönnerinnen und Gönner eine Gegenleistung wollen, gleichzeitig aber auch die Grenzen zu ziehen bei der künstlerischen Mitsprache sowie die persönliche Abgrenzung." Das Thema Major-Donar-Fundraising bleibt aber wohl den grossen kulturellen Institutionen vorbehalten, denn der Zeitaufwand und die intensive Betreuung sprengen die Ressourcen kleinerer Betriebe - die den Grossspenderinnen und -spendern häufig wohl auch nicht die Gegenleistungen bieten können, die diese erwarten. 
 
Nachhaltigkeit nicht um jeden Preis
 
In der abschliessenden Podiumsdiskussion zum Thema "Nachhaltigkeit in Kulturförderung und Kulturfundraising" diskutierten unter der Leitung von Prof. Dr. Leticia Labaronne, Leiterin Zentrum für Kulturmanagement der ZHAW, Hedy Graber, Leiterin Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschaftsbund (MGB), Ilona Schmiel, Intendantin Tonhalle-Gesellschaft Zürich, und Raphaël Brunschwig, Managing Director Locarno Filmfestival. 
 
Raphaël Brunschwig berichtete, inwiefern er von den Sponsorinnen und Sponsoren, aber auch von den Mitarbeitenden Druck bezüglich Nachhaltigkeit bekomme. Auch in der Tonhalle ist der Anspruch bezüglich Nachhaltigkeit gestiegen. Wobei Ilona Schmiel äusserte, dass das gar nicht so einfach sei. "Wir können beispielsweise auf Konzertreisen nicht alle Destinationen mit dem Zug bereisen. Da müssen wir ab und an auf ein Flugzeug zurückgreifen. Und wenn jemand mit Streaming kommt: Das ist auch nicht ökologischer, da produzieren wir nur den nächsten Waste." Massnahmen, welche die Tonhalle im Sinne der Nachhaltigkeit dennoch bereits umgesetzt hätten, seien: Programmhefte digitalisiert, die Raumtemperaturen heruntergekühlt sowie die Konzertbesuchenden für das ÖV-Angebot sensibilisiert.
 
Business Nachhaltigkeit
 
Hedy Graber, die auch Präsidentin des Forums Kultur und Ökonomie ist, dem Zusammenschluss der wichtigen öffentlichen und privaten Kulturförderer der Schweiz, setzte beim Punkt der Kosten an: "Wenn wir wirklich nachhaltig sein wollen, kostet das wahnsinnig viel Geld." Geld, das die meisten Kulturbetriebe nicht vorrätig hätten. "Alle wollen Nachhaltigkeit, aber wenigen ist es bewusst, dass es etwas kostet." Hinzu komme, dass man nur um Nachhaltigkeit zu erreichen, nicht in das künstlerische Programm eingreifen dürfe. "Wir fragen deshalb bei Geldvergaben meist nicht: "Was machen sie alles für die Nachhaltigkeit?", sondern: "Kennen Sie Tools, mit denen sie einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können und interessieren sie sich dafür?" Nicht vergessen werden dürfe zudem, dass Nachhaltigkeit ein lukratives Business geworden sei.
 
Raphaël Brunschwig ging auf das Thema künstlerische Freiheit und Daseinsberechtigung ein: "Wir können unser Business Modell nicht komplett verändern. Wir sind am Ende ein physisches und auch internationales Festival, darauf ist unser Sinn und Zweck aufgebaut." Doch nicht nur die Rechtfertigung im nachhaltigen Bereich seien gestiegen, auch die Anforderungen der Geldgebenden. "Wir müssen immer mehr rechtfertigen, wieso ein Investment ein Wert hat." Beim Stichwort Geldgebende stellte Hedy Graber die provokante Frage: Welches Geld darf man durch die Nachhaltigkeits-Brille überhaupt noch annehmen? 
 
Deshalb hat das Locarno Filmfestival das Green Project lanciert. "Dieses soll das Umweltbewusstsein mithilfe des Kinos und seiner Erzählungen weiter schärfen." Zu den ersten Initiativen gehöre der Pardo Verde WWF. Dieser Preis werde für ein Filmwerk vergeben, das ein Umweltthema am besten widerspiegelt und dem Publikum neue, herausfordernde Interpretationen biete, die zu Veränderungen anrege. "Dazu wurde der Green Film Fund gegründet. Wobei wir nicht auf alle unsere Sponsoren und Sponsorinnen zurückgreifen konnten, weil diese dem WWF teils nicht nachhaltig genug sind. Aber da haben wir uns arrangiert."
 
Nachhaltigkeit wird also nicht nur in Kulturbetrieben, sondern auch in der Kulturförderung immer wichtiger. Dabei braucht es Raum für Kompromisse und Experimente sowie Geld für Investitionen, damit Kulturschaffen unter nachhaltigen Gesichtspunkten möglich bleibt.
 

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