15.02.2021

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Raphaela Henze
ist Professorin für Kulturmanagement an der Hochschule Heilbronn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das internationale und transkulturelle Kulturmanagement. Sie ist Gründerin des vom Arts & Humanities Research Council geförderten internationalen Kulturmanagement-Netzwerks Brokering Intercultural Exchange.
Studie zur Rezeption digitaler Kulturformate

Junges Publikum ist nicht begeistert

Die Idee hält sich hartnäckig, dass Kultureinrichtungen mit digitalen Angeboten vor allem jüngere Menschen erreichen würden. Doch einer Prüfung hält das nur bedingt stand, wie eine Studie der Hochschule Heilbronn zu den digitalen Formaten der letzten Monate zeigt.

Themenreihe Digitale Formate

Viel wurde geschrieben über die Schwierigkeiten, denen Kulturschaffende derzeit ausgesetzt sind; etwas weniger darüber, mit welchem Eifer und welcher Kreativität innovative Formate geschaffen werden. Und erstaunlich wenig Aufmerksamkeit wurde in diesem Kontext den Kulturnutzer*innen gewidmet, insbesondere den jüngeren unter ihnen. Bachelorstudierende des Studiengangs Kultur-, Freizeit- und Sportmanagement an der Hochschule Heilbronn haben mit einem kleinen quantitativen Forschungsprojekt im November 2020 wichtige erste Erkenntnisse gewonnen und eine Grundlage für weitere Forschung gelegt.
 
151 Personen aus elf Bundesländern mit einem recht jungen Durchschnittsalter von 31,1 Jahren (Spanne zwischen 17 und 76 Jahren) und überwiegend noch im Studium beantworteten dabei die Online-Befragung zur digitalen Kulturnutzung und zur Unterstützung des Kreativsektors in Corona-Zeiten. 
 
Langfristige Ergänzung oder kurzfristiger Ersatz?
 
Mit 52,2% hat etwas mehr als die Hälfte der Befragten bereits digitale Kulturangebote genutzt. Für die hier beschriebene Befragtengruppe eine durchaus beachtliche Zahl, werden gerade Jüngere gemeinhin nicht zu der Gruppe der sogenannten Intensivnutzer*innen von Hochkultur gezählt. Es steht mithin sogar die Hypothese im Raum, dass sie erst durch die Digitalisierung des Angebots auf das jeweilige Kulturformat aufmerksam werden bzw. dass es so an Attraktivität für sie gewinnt. Zumindest der zweite Teil der Hypothese lässt sich allerdings durch die Untersuchung nicht belegen. Im Gegenteil, die Antworten zeigen deutlich, dass die digitalen Angebote nur als temporärer und pandemie-geschuldeter Ersatz für die bekannten, analogen Formate gesehen werden, zu denen man auch zurückkehren möchte, sobald dies wieder gefahrlos möglich ist. Dennoch haben die digitalen Formate der letzten Monate durchaus neue Nutzer*innen angesprochen bzw. haben sich viele von ihnen nun das erste Mal wirklich auf solche Angebote eingelassen. 
 
Häufig wurde zudem erwähnt, dass das Pandemiegeschehen genau beobachtet wird und diesbezügliche Risiken nicht eingegangen werden. Die Teilnehmer*innen würden daher vermutlich Angebote vor Ort aktuell auch dann nicht wahrnehmen, wenn die Kultureinrichtungen wieder geöffnet wären.
 
Formate und Zufriedenheit
 
Mit 78,3% sind es insbesondere digitale Konzerte, die von der in dieser Befragung repräsentierten, jüngeren Zielgruppe angenommen werden. Jedoch waren von ihnen knapp zwei Drittel der Befragten mit den Veranstaltungen nur mittelmäßig bis gar nicht zufrieden und nur 15,3% wollen digitale Formate auch dann noch nutzen, wenn analoge wieder möglich sind. Das muss der gesamten Konzertbrache zu denken geben. Warum sind die Teilnehmer*innen digitaler Musikveranstaltungen mit dem Format derart unzufrieden?
 
Zum einen basiert diese Unzufriedenheit auf der nicht wirklich neuen Erkenntnis, dass Kultur von Unmittelbarkeit und der Gemeinschaft mit anderen lebt, wie mehrere Befragungsteilnehmer*innnen betonten:
 
"Mir fehlt das unmittelbare Erlebnis mit all den Eindrücken, wie Atmosphäre, Stimmung, Kontakt, Beziehung, Spontanität, etc."
 
"Musik von Orchestern wirkt live ganz anders. Der Sound vom Orchester und die Akustik der Konzertsäle kann daheim nicht reproduziert werden."
 
Zum anderen wurde mehrfach auf die noch optimierbare Qualität der Übertragung hingewiesen. Darüber hinaus darf ein digitales Kulturangebot nicht einfach das Stiefkind des analogen Formats sein, sondern muss einen zusätzlichen Mehrwert bieten, wie auch die Teilnehmer*innen betonten. 
 
"Wenn die analoge Veranstaltung einfach nur 1:1 in den digitalen Raum übertragen wird - dann würde ich mich häufig doch eher für die analoge Veranstaltung vor Ort entscheiden. Andererseits kann "das Digitale" auch viele zusätzliche Elemente / Mehrwert bieten und mir auch Zugang zu Veranstaltungen geben, die ich sonst aus zeitlichen oder örtlichen Gründen vielleicht nicht besuchen könnte. Beides sollte als Ergänzung zueinander verstanden und genutzt werden."
 
"Habe wenig Zeit, deshalb ist digital praktisch, aber es ist nicht dasselbe Flair, und die Technik ist oft schwierig."
 
Damit wurden auch bereits einige der Gründe genannt, warum gute digitale Angebote auch zukünftig weiter wahrgenommen werden. Bei kulturellen Ereignissen, an denen bspw. aufgrund von Entfernung oder zu großer Nachfrage nicht in Person teilgenommen werden kann, bieten sie einen entsprechenden Ersatz und Mehrwert. Die seit vielen Jahren existente ‚digital concert hall‘ der Berliner Philharmoniker mit einer großen Abonnent*innenschaft in Asien hat dies bereits lange vor der Pandemie bewiesen. 
 
Es soll auch einmal mehr erwähnt werden, dass digitale Angebote gerade ältere Personen vor Herausforderungen stellen. Die mit 76 Jahren älteste Befragungsteilnehmerin schrieb: 
 
"In meinem Alter bin ich ausgebremst."
 
Bezahlbereitschaft
 
Trotz der eher verhaltenen Resonanz der jüngeren Zielgruppe auf die Kulturangebote in Zeiten der Pandemie und des Lockdowns zeigt sich die Bedeutung, die der Kultur beigemessen wird, an der Bereitschaft, Kulturschaffende zu unterstützen. 86% aller Befragungsteilnehmer können sich vorstellen, dies zu tun. Vor dem Hintergrund, dass die überwiegende Mehrheit der Befragungsteilnehmer*innen noch im Studium ist und mithin nicht über allzu große finanzielle Mittel verfügen dürfte, ist dies ein beachtliches Commitment.  2/3 der Befragungsteilnehmer*innen haben nach eigner Aussage auch schon einen entsprechenden Beitrag geleistet, wobei insbesondere Benefizprodukte hoch im Kurs stehen. 
 
 
Ein der mit 53 Jahren etwas ältere Befragungsteilnehmerin machte den Vorschlag:
 
"Ich wäre bereit, finanziell durch z.B. eine Extrasteuer (ähnlich Solidarsteuer) diese Branche zu unterstützen."
 
Hingegen gaben mehrere Befragungsteilnehmer*innen an, dass sie für digitale Angebote nur geringere Preise zahlen würden als für analoge Formate. Der attraktivere Preis sei dann ausschlagend für die Nutzung. Hier machen die Befragten scheinbar einen Unterschied zwischen Spenden und dem tatsächlichen finanziellen Wert, den digitale kulturelle Angebote für sie haben, bzw. bringen sie notwendige Einnahmen für Kulturschaffende und die Bezahlung digitaler Angebote nicht zwingend miteinander in Verbindung.
 
Ein guter Ansatz kann hier "Pay what you want" sein. So bietet das Erlanger Musikinstitut (EMI) virtuelle Klavierkonzerte an und lässt die Zuschauer*innen zahlen, was diesen die Veranstaltung Wert ist bzw. je nachdem, was sie sich leisten können.
 
Ausblick
 
Die Ergebnisse dieser Umfrage sollten nicht dahingehend missverstanden werden, dass Digitalisierung kein richtiger Weg für Kulturveranstaltungen sein kann. Viele Befragungsteilnehmer*innen bemängelten nicht die digitalen Formate an sich, sondern die Qualität der Angebote. Dieser Umstand ist unter anderem dem Fakt geschuldet, das viele ad hoc etabliert wurden und Erfahrungswerte sowie technische Ausstattung noch fehlten. Dies wird sich hoffentlich zunehmend ändern. 
 
Auch sollten Anbieter*innen deutlich machen, dass es sich bei den digitalen Angeboten nicht um einen temporären Ersatz oder gar ein "Besser als Nichts" handelt. Dieses Kleinmachen ist völlig unnötig und wenig zielführend. Vielmehr sollte in der Kommunikation deutlich werden, dass es sich um ein besonderes Angebot handelt - und zwar nicht nur für eine kulturausgehungerte Zielgruppe, die derzeit nimmt, was sie kriegen kann, sondern insbesondere auch für Personen etwa mit eingeschränkter Mobilität. Hierrunter sind insbesondere diejenigen zu subsumieren, die aufgrund ihrer Lebensumstände (Familie, Beruf, geografische Gegebenheiten) nicht in der Lage sind, zu bestimmten Zeiten an vorgegebenen Orten an Kunst und Kultur zu partizipieren. Den vermeintlichen Mangel an Atmosphäre werden diese Personen - und es steht zu vermuten, dass es sich um keine kleine Gruppe handelt - in Kauf nehmen, zumal auch etwas für die Nachhaltigkeit etwas getan wird, wenn teilweise lange Anreisen zu Veranstaltungen wegfallen. 
 
Selbstverständlich funktionieren einige Formate besser digital als andere. Insbesondere im Filmsektor wurden die Entwicklungen, die sich schon vor der Pandemie abzeichneten, noch beschleunigt und die Angst um Arthouse Kinos ist mithin nicht unberechtigt. Dennoch wird das Interesse an der Kunstform Film bestehen bleiben, wie die Verlagerung einiger Kinofilme zu den Streaminganbietern oder die digitale Version des DOK.fests 2020 zeigten. Seit drei Jahren veranstaltet der Studiengang Kultur-Freizeit- und Sportmanagement an der Hochschule Heilbronn zudem ein kurz.film.fest, das sich in der Branche aufgrund der exzellenten Filmauswahl und der Atmosphäre im Künzelsauer Kino etabliert hat. Dennoch hatte die erste digitale Ausgabe dieser Veranstaltung im Januar 2021 mehr Besucher*innen als ihre analogen Vorgänger. Der geografische Radius der Teilnehmer*innen hat sich erheblich erweitert, weshalb die Entscheidung gefallen ist, die Veranstaltung auch zukünftig zu streamen und mit einer Q & A Session, bei der Filmemacher*innen aus ganz Deutschland anwesend sein können, zu beenden. 
 
Es gilt also: Ausprobieren, nachjustieren und das Erreichte nicht aufgeben. Denn die Studie der Hochschule Heilbronn hat eines sicher gezeigt: Das Interesse an digitalen Formaten ist da, aber sie müssen die Erwartungen des Publikums treffen.

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