12.08.2020

Themenreihe Besucherforschung

Autor*in

Betina-Ulrike Thamm
ist Referentin für Kommunikation am Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTF) in Berlin. Nach ihrem Studium (Theaterwissenschaften und Kulturmanagement in München und Berlin) war sie als Kommunikatorin in Kultureinrichtungen und Unternehmen sowie im Bildungs- und Wissenschaftsbereich tätig. 
Workshop-Rückblick: Trends der empirischen Besucher*innenforschung

Publikum, wer bist Du?

Regelmäßige Besucher*innenbefragungen gehören zu den Marketingmaßnahmen vieler Kultureinrichtungen. Neue Instrumente und aktuelle Trends im Bereich der Datenerhebung und Auswertung zu diesem Thema diskutierte der 3. Workshop der Arbeitsgemeinschaft Methoden der empirischen (Kulturnutzer*innen-)Forschung des Fachverbands Kulturmanagement.

Themenreihe Besucherforschung

Wer wissen möchte, wer sein Publikum ist und wie es tickt, fragt es am besten direkt. Wie aber wertet man die Antworten am sinnvollsten aus und was sagen die gesammelten Daten aus, wenn man sie unter demografischen, soziologischen oder psychologischen Gesichtspunkten beleuchtet und zueinander in Beziehung setzt? Hier kommt die Publikumsforschung ins Spiel, die den Besucher*innenbefragungen zunehmend ein wissenschaftliches Fundament mit entsprechendem Mehrwert verschafft. 
 
Kunstwahrnehmung erforschen anhand von Go-Alongs
 
Den Auftakt des Workshops, der im neu gegründeten Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTF) in Berlin stattfand, bildete die Frage, wie die Go-Along-Methode (Methode des "Mitgehens") in Ausstellungsbesuche integriert werden kann und welche Möglichkeiten sie eröffnet, mehr über die individuelle, sinnliche Kunstwahrnehmung des Ausstellungsbesuchers herauszufinden. Nina Tessa Zahner von der Kunstakademie Düsseldorf beschrieb, wie mehrere Go-Alongs im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts in verschiedenen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst durchgeführt wurden. 
 
Idee dahinter war es, dass sich ausgewählte Besucher*innen während eines Ausstellungsbesuchs gemeinsam mit einer ihnen nahestehenden Bezugspersonen über ihre Eindrücke unterhalten. Bei der Auswahl der Teilnehmenden war vor allem wichtig, asymmetrische Beziehungen zwischen den beiden Betrachter*innen zu vermeiden. Denn viele Ausstellungsbesucher*innen scheuen die Konversation über Kunst, wenn sie ihr Gegenüber kunstaffiner als sich selbst einschätzen. 
 
Für die Aufzeichnung der Gespräche im Rahmen der Go-Alongs wurden Aufnahmegeräte oder Mobiltelefone verwendet. Die Teilnehmer*innen bestimmten die Wege durch die Ausstellungsräume selbst und verbrachten zwischen 45 und 105 Minuten in der Ausstellung. In den transkribierten Aufzeichnungen wurde deutlich, dass die Besucher*innen die Ausstellung je nach ihrem Hintergrund sehr unterschiedlich besuchten und betrachteten und dass dabei längst nicht immer die kunsthistorische Bedeutung oder Qualität ausschlaggebend war.
 
Das "Mitgehen" als Methode ermöglicht also einen Raum, in dem die vom jeweiligen Wissen und Lebenshintergrund geprägte, individuelle Kunstbetrachtung eingefangen und untersucht werden kann - unbeeinflusst von Vermittlungskonzepten, die wie ein Wahrnehmungsfilter auf das Rezeptionsverhalten der Besucher*innen einwirken. Die Methode ist für eine empirische Untersuchung des Wahrnehmens von Kunst - und darauf aufbauend für die Entwicklung neuer Formen der Kunstpräsentation und -vermittlung - äußerst gewinnbringend. Als wesentliches Ergebnis zeigte das Forschungsprojekt auf, wie sehr die Kunstrezeption durch soziale Faktoren und individuelles Wissen der Besucher*innen geprägt wird und dass also die Perspektive der Kurator*innen deren Vorwissen und den Wissenswünschen auch entgegenstehen kann. 
 
Digitalisierung als Lösung?
 
Einige Kultureinrichtungen versuchen sich daran, ihre Besucher*innenbefragungen mit Hilfe digitaler Geräte durchzuführen. Solche Befragungen bietet gegenüber Papier-Fragebögen einige Vorteile, stellen die Auswertung der Daten aber auch vor gewisse Herausforderungen. Von ihren praktischen Erfahrungen mit den drei Erhebungsarten Papier und Stift, betreuter und unbetreuter Tabletbefragung berichteten Simone Mergen und Julia Schuppe vom Haus der Geschichte Bonn sowie Jutta und Peter Schmidt vom Institut markt.forschung.kultur Bremen: Die betreute Tabletbefragung hat sich dabei als methodisch saubere und gut handhabbare Methode erwiesen: Die eingegebenen Daten können, im Gegensatz zur Paper-Pencil-Variante, schnell und ohne großen Aufwand weiterverarbeitet und ausgewertet werden. Diese Befragungsform ist demnach sinnvoll, wenn eine mittelgroße, empirisch belastbare Stichprobe gewährleistet werden soll.
 
Mit unbetreuten Tabletbefragungen kann hingegen ein umfangreiches und schnell verwertbares Datenmaterial generiert werden, beispielsweise zur Zufriedenheit der Besucher*innen mit dem Service und der Orientierung vor Ort. Weitere Vorteile sind geringe Kosten und Ressourcenschonung (auch bei betreuter Tabletbefragung) sowie die Vermeidung einer möglichen Beeinflussung der Besucher*innen durch persönliche Interviews. Für eine empirisch belastbare Erhebung der Besucherstruktur eignet sich die unbetreute Tabletbefragung allerdings nicht, denn hierbei findet eine starke Selbstselektion durch die Besucher*innen statt, beispielsweise "wagen" sich tendenziell eher Jüngere an die digitalen Geräte, sodass der Altersdurchschnitt verzerrt wird. Außerdem sind die Aufbereitung der brauchbaren und der Ausschluss unbrauchbarer Daten sehr aufwändig.
 
Die betreute Tabletbefragung ist demnach eine adäquate Ergänzung bzw. ein zeitgemäßer Ersatz für die klassische Papiervariante. Unbetreute Tabletbefragungen können hingegen gut als Feedbacktool, nicht jedoch für Besucherstrukturanalysen eingesetzt werden.
 
Besucher*innentypen nach Lebensstilen
 
Die Lebensstil-Typologie von Gunnar Otte und ihren Stellenwert für die Publikumsforschung stellte Vera Allmanritter vom Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTF) vor. Üblicherweise werden in der Besucher*innenforschung soziodemografische Informationen wie Alter, Bildung oder Geschlecht abgefragt. Zielgruppenspezifische Angebote von Kultureinrichtungen sind deshalb ebenfalls oft vor allem an diesen Merkmalen ausgerichtet. Ausgeblendet wird dabei, dass auch innerhalb identischer Gruppen große Unterschiede bestehen können, bedingt etwa durch verschiedene Bildungshintergründe oder persönliche Interessen. 
 
In Soziologie gibt es deshalb verschiedene Modelle, die gesellschaftliche Gruppen mit ähnlichen Werthaltungen, Lebensauffassungen und Lebensweisen in sozialen Milieus - oder auch Lebensstilen - zusammenfassen. Der Ansatz, Besucher*innen anhand ihrer individuellen Lebensführung zu typologisieren, ermöglicht im Vergleich viel präzisere Rückschlüsse auf ihr Besuchsverhalten in Museen, Theatern oder Konzerthäusern. Leider werden die meisten dieser Modelle von Kultureinrichtungen bislang kaum genutzt, da sie eine große Menge an Befragten und umfangreiche Fragenkataloge erfordern und die Auswertung komplex sowie mit tiefergehenden statistischen Kenntnissen verbunden ist. Die Lebensstil-Typologie von Gunnar Otte ist dagegen deutlich kompakter und praktikabler: Mit der ursprünglichen Version seiner Typologie lässt sich eine Person auf Basis von nur zehn Fragen einem von neun Lebensführungstypen zuordnen, wie beispielsweise den Konventionalisten, den Heimzentrierten oder den Unterhaltungssuchenden (weitere Informationen: Studie "Lebensstile, Besuchermotivationen und eine erfolgreiche kollektive Besucheransprache von Kultureinrichtungen" von Vera Allmannritter 2019).
 
Die Lebensstil-Typologie wurde in den vergangenen Jahren in mehreren Bevölkerungsbefragungen eingesetzt. 2018 wurde sie methodisch aktualisiert und ist seit 2019 Bestandteil aller Befragungen im Berliner Besucher*innenforschungssystem KulturMonitoring (KulMon). 
 
Qualitative Forschungsmethoden versus Zahlenlogik
 
Ein Plädoyer für einen intensiveren Austausch über qualitative Methoden innerhalb der empirischen Kulturmanagementforschung hielt Thomas Renz vom Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTF). Er skizzierte bisherige Kombinationen aus offenen und statistischen Herangehensweisen, kritisierte die häufig fehlende Offenlegung der methodischen Aspekte insbesondere qualitativer Forschungsprojekte in Publikationen und hinterfragte externe Einflussfaktoren auf die Methodenwahl. Empirische Forschung ist im Kulturmanagement stark von der Betriebswirtschaftslehre beeinflusst. So basiert beispielsweise das Grundverständnis des Controllings maßgeblich auf der Logik der Zählbarkeit. Damit eine kritische Weiterentwicklung im akademischen Diskurs und der betrieblichen Forschungspraxis stattfinden kann, müsste vor allem der Einsatz qualitativer Auswertungsmethoden besser dokumentiert werden. Hierfür braucht es einen intensiven Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren, die sich mit diesen Methoden auseinandersetzen und sie anwenden - darunter Vertreter*innen von Kultureinrichtungen, Forschungseinrichtungen und Besucher*innenforschungsagenturen.
 
Personalbefragungen im eigenen Haus
 
Über die Datenqualität quantitativer Umfragen wurde zum Abschluss des Workshoptages diskutiert. Berend Barkela von der Universität Koblenz-Landau brachte ein praktisches Problem aus der Kulturorganisationsforschung mit: Innerhalb von Theatern oder Museen werden immer wieder Erhebungen durchgeführt, die vor allem das Personal im Verhältnis zur Organisation ihrer Kultureinrichtung beleuchten. Zu beobachten ist dabei, dass das Antwortverhalten je nach dem beruflichen Hintergrund sehr unterschiedlich sein kann. unterschiedlich sein kann. Künstlerische Mitarbeiter*innen brechen Befragungen beispielsweise eher ab, wenn viele stereotype, standardisierte Fragen beantwortet werden müssen. Insbesondere in Kulturbetrieben sind demnach durch Fragebögen ausgelöste Ermüdungseffekte unter Umständen wahrscheinlicher als in anderen Organisationen. Deshalb sollte bei der Konzeption von Befragungen und Studien der berufliche Hintergrund berücksichtigt werden. Grundsätzlich zu empfehlen sind außerdem übersichtliche Fragebögen mit kurzen Antwortskalen sowie verständlich und transparent formulierten Instruktionen.  
 
Fazit 
 
Die zahlreichen Einblicke in Beforschung und Praxis des Kulturbetriebs machten am Ende des Tages deutlich: Die datenbasierten Forschungsmethoden, die die Besucher*innen und das Publikum von Kultureinrichtungen in den Blick nehmen, haben sich in den letzten Jahren quantitativ und qualitativ zuverlässig weiterentwickelt. Befruchtet wird dies vor allem durch eine Kultur des regen Austauschs und gegenseitigen Feedbacks, die unter anderem der Fachverband Kulturmanagement innerhalb der Arbeitsgemeinschaft "Methoden der empirischen (Kulturnutzer*innen-) Forschung" erfolgreich pflegt. 
 
Eine weitere Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft mit ähnlichem Format und Themenstellung ist für 2021/2022 geplant. Sprecher*innen der Arbeitsgemeinschaft sind Dr. Vera Allmanritter und Dr. Thomas Renz.

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