09.09.2019

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Birgit Schneider-Bönninger
studierte Geschichte und Publizistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und promovierte an der Uni Dortmund mit einem kommunalwissenschaftlichen Thema. Sie gestaltete 14 Jahre lang städtische Kulturarbeit in Wolfsburg, war Direktorin des Stuttgarter Kulturamts und hat dort das "Zukunftslabor Kultur" gegründet. Seit dem 1. März 2019 ist sie Sport- und Kulturdezernentin der Bundesstadt Bonn.  
Zukünfte visionieren geht vor Kultur verwalten

Agiles Experimentieren bei der Kulturverwaltung der Stadt Bonn

Kulturverwaltungen verfügen über große Potentiale, um den Möglichkeitssinn zu schärfen, transformatives Wissen zu generieren und einen erkennbaren Beitrag zur Lösung aktueller Herausforderungen zu leisten. Doch dafür braucht es entsprechende Strukturen. Das Sport- und Kulturdezernat der Stadt Bonn zeigt, wie diese umgesetzt werden können.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

In einigen Kommunen agieren Kulturverwaltungen bereits erfolgreich als agile "Zukunftslabore", die Zukünfte experimentieren und in die Stadtgesellschaft ausschwärmen. Mit dem "Zukunftslabor Kultur" in Stuttgart wurde beispielsweise erstmalig eine systematische und interdisziplinäre Zukunftsforschung im kulturellen Sektor etabliert, die sämtliche Kultursparten durchleuchtet und Zukunftsplanung als gesamtstädtische Gestaltungsaufgabe praktiziert (vgl. Schneider-Bönninger, 2017). Weitere Beispiele für Innovation-Labs im öffentlichen Sektor finden sich bei Hermann Hill (2016). 
 
Die A.K.T.E Zukunft: Agilität, Kollaboration, Transformation, Experiment
 
Um den aktuellen Transformationen unserer Gegenwart zu begegnen, benötigt das "Neue Steuerungsmodell" für moderne Strukturen und Arbeitsweisen in der kommunalen Verwaltung eine Lab-Architektur als beweglichen Unterbau. Eine agile Kulturverwaltung betreibt aktives Community Building, eruiert neue Akteure, Schnittstellen und Allianzen, überwindet Silostrukturen und integriert Künstler*innen, Bürger*innen und Wissenschaftler*innen in Planungen und Prozesse. In der Praxis wird in Inhalten statt in Zuständigkeiten gedacht, Grenzen werden gezielt überschritten und das non-lineare, perspektivenübergreifende Denken stiftet zu Diskursen und Utopien an. Eine agile Kulturverwaltung ist eine "Unperfekt-Verwaltung", die das Scheitern als positive Erfahrung zulässt und überkommene Handlungs- und Ablauflogiken gegen den Strich bürstet. 
 
Kulturverwaltungen des 21. Jahrhundert taugen dabei besonders gut als Trainingsfeld für agiles Arbeiten: das kreative Milieu, die seismographischen Qualitäten und das visionäre Primat (Visionieren geht vor Verwalten) lassen das produktive Nebeneinander von Regelwerken und Freiräumen zu. Im besten Fall fördert das agile Arbeiten permanente "Probierbewegungen" (Karl Popper) und eine experimentelle Wandelkultur. 
 
Um das umzusetzen, habe ich für das Zukunftsprogramm der öffentlichen Verwaltung den Begriff der A.K.T.E mit den Attributen "Agilität, Kollaboration, Transformation, Experiment" geprägt, die für ein Innovationsmanagement stehen, das Zukünfte proaktiv und holistisch gestaltet.
 
Agiles Arbeiten in der Wandelstadt - eine Bonner Versuchsanordnung
 
Die Bundesstadt Bonn geht im Kontext ihrer Smart City-Strategie neue Wege, die für die gesamte Stadtverwaltung agile Arbeitsstrukturen etablieren. Auslöser dafür war ein Mangel "an interoperablen Lösungen, an vernetztem, prozesshaften und interdisziplinärem Arbeiten", wie in der Bewerbungsschrift Bonns für den BMI-Wettbewerb "Modellprojekte Smart Cities" zu lesen ist. Künftig sollen interdisziplinäre Teams losgelöst von formalen Hierarchien in die Lage versetzt werden, Herausforderungen bürger- bzw. zielgruppenorientiert zu bewerten. Die dazu notwendige "try-and-error"-Mentalität resp. aktive Fehlerkultur wird durch gezielte Change-Management-Prozesse unterstützt. 
 
Ziel ist ein Mindset, das für Verwaltungen noch relativ neu, aber befreiend und motivierend ist: Verwaltung entwickelt eine Haltung der Offenheit, der Eigenverantwortung, des produktiven, übergreifenden Zusammenarbeitens und selbstbewussten Verfolgens gemeinsamer Ziele. Damit wird eine kollektive Zukunftsverantwortung mobilisiert. Kern der Strategie ist eine lösungsorientierte Arbeitsweise mit "Fokus auf Qualifikation, Beteiligung und Transfer", ebenfalls formuliert in der Bewerbungsschrift. 
 
Im GovLab zur Erprobung neuer Verwaltungsdienste sollen neue Services agil und partizipativ geschaffen, aber auch gegebenenfalls wieder verworfen werden. "Einfach.Machen" steht für die Mission des Labors, in dem die Öffentlichkeit die Entstehung der Experimente mitverfolgen und sich aktiv einbringen kann. Neben dem GovLab operieren visionäre Stadtlabore, in denen belastbare, langfristige und verantwortungsvolle Perspektiven für die Stadtentwicklung entwickelt werden.
 
Zukunfts-Synergie: Sport und Kultur 
 
Das Bonner Sport- und Kulturdezernat geht die Idee der agilen Verwaltung mit einem synergetischen Ansatz an: Sport und Kultur werden für die Transformation im Sinne einer lebenswerten, nachhaltigen und für die Zukunft gerüsteten Stadt zusammengedacht und zusammengebracht. Mit dieser Haltung ist ein Paradigmenwechsel verbunden: Das Sport- und Bäderamt, das Kulturamt und die zum Dezernat gehörigen Kultureinrichtungen (Stadtmuseum, Stadtarchiv, Kunstmuseum, Volkshochschule, Stadtbibliothek, Musikschule, Theater, Beethoven Orchester Bonn) arbeiten interdisziplinär und cross-sektoral zusammen und schlagen Brücken zwischen den Zielgruppen und Kulturen. Entstanden ist ein kommunaler "Dritter Ort", der eine Vielfalt von Akteuren und deren Perspektiven zusammenbringt und zu neuen Standortbestimmungen sowie Formen der Zusammenarbeit führt. Dazu wurden verschiedene Dialogformate eingeführt:
 
BarCamps und Utopie-Werkstätten bringen Akteure aus Sport und Kultur zusammen und entwickeln gemeinsame Zukunftsbilder.
 
Beim Meeting Sport und Kultur treffen sich Köpfe aus der Sport- und Kulturwelt. Bei jedem Meeting geben externe Gäste Impulse. An die Impulsphase schließt eine Freiraum-Phase an, in der Ideen generiert und zusammengetragen werden. Das Augenmerk liegt auf neuen Allianzen für gemeinschaftliche Projekte zwischen Sport und Kultur.  
 
Die dezernatsinterne AG Sport und Kultur eruiert Schnittmengen und gemeinsame Aktivitäten. Sie setzt sich aktuell aus rund 30 Kolleg*innen aus allen Bereichen des Dezernats zusammen - vom Bademeister bis zum Museumsdirektor. Die Einladung zur Mitarbeit ging an alle 1100 Mitarbeiter*innen. Die AG arbeitet hierarchiefrei, alle sind gleich, einzig die schöpferische Idee zählt. Aus der Leichtigkeit und der informellen Zusammenarbeit entwickeln sich spontane Ideen und Lösungen. Das Team erarbeitet auf diese Weise Cross-Projekte und entwickelt eine gemeinsame Vision für die "sportlichste Kulturstadt 2027" zum 200. Todestag Ludwig von Beethovens. Beim zweiten Treffen der AG im April 2019 im SkatePark Bonn, der als Teil der Subkulturszene selbst für die Synthese von Sport und Kultur steht, entstanden Projekte, die interne und externe Zielgruppen mischen und die Bedeutung beider Bereiche für das "WIR" in der Stadtgesellschaft und die Umsetzung der drei T´s "Teilhabe, Toleranz, Talente" betonen, beispielsweise gemeinsame Team-Building- oder Marketing-Aktivitäten, ein Klassik-Run mit Kammer-Musik-Ensembles des Beethoven-Orchesters oder Kulturveranstaltungen in den Sportstätten. Bereits realisiert wurde ein musikalisch-sportliches Happening, für das die Deutsch-Israelische Gesellschaft Künstler und Sportler beider Länder zusammenbrachte, und ein Flashmob des Opernchors des Theaters Bonn beim Einlauf der Telekom Baskets. In weiteren Schritten wird die AG Akteure außerhalb der Verwaltung integrieren. 
 
Die AG ist ein gelungenes Beispiel für agile Innovationsentwicklung, weil sie zeigt, wie das neue Zusammengehörigkeitsgefühl eine eigene Team-Dynamik entwickelt ("Verbündete für Ideen") und Verwaltung als Experimentierraum und kreative Brutstätte erfahrbar wird. Agilität wird als unbekümmert-positive Machbarkeitshaltung gelebt.   
 
 
Gemeinschaft als Prinzip
 
"The times, they are a-changing." Wie wirkt sich die neue Freiheit einer "losgelassenen" Verwaltung im täglichen Miteinander aus? Wie ergeht es den Mitarbeiter*innen mit ihrer Selbstorganisation bzw. im hierarchiefreien Teamgefüge? Mein Eindruck ist, dass das kollaborative und experimentelle Arbeiten einen durchweg positiven Einfluss auf die Organisationskultur ausübt und sich selbst anfängliche Bedenkenträger*innen durch das Netzwerk der Willigen mitreißen lassen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Mehrwert persönlich erfahrbar wird und Arbeitsvorgänge optimiert werden (etwa durch digitale Tools). Die Mitarbeiter*innen haben mannigfache Möglichkeiten, an Diskussionen teilzunehmen und eigene Ideen einzubringen. "Everyone is a host!" Jeder denkt für den anderen mit, stellt neue Verbindungen her. Das Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit mit der Organisation wächst, jeder trägt das Ergebnis mit, das er oder sie selbst erarbeitet hat. Agiles Arbeiten ist super sozial. 
 
Voraussetzung ist ein schöpferischer Führungsstil, der Empowerment lebt. In einem agilen Arbeitsumfeld ist eine Führungskraft in erster Linie Visionär*in und Mentor*in, der/ die das Team begeistern und inspirieren will. Im Fachjargon spricht man von supportiver Führung. "Zeit für Zuwendung" ist dabei eine Grundbedingung. Die starke Vertrauenskultur schließt auch flexible Arbeitszeiten und Zeit für kreative "Auszeiten" mit ein (Concept Time). Wir haben in unserem vierköpfigen Dezernatsteam feste Rituale eingeführt (kurze tägliche Status-Meetings, Breaking News, Team-Board, Themen-Speicher, Strategie-Sprint), die eine gleichberechtigte Teilnahme an Prozessen ermöglichen und den Informationsfluss gewährleisten. Darüber hinaus gibt es häufig Aktionen wie gemeinsames Frühstücken, Mittagessen sowie Workshops. Mit den anderen Ämtern und Instituten findet ein kontinuierlicher Austausch statt - sowohl in klassischen "Dezernatsrunden" als auch in Innovationszirkeln. Auch die Ämter und Kultureinrichtungen arbeiten mit Methoden des agilen Projektmanagements (Scrum, Design Thinking u.a.) und verstehen sich als Change-Agenten für den Wandel. Um Kolleg*innen fit zu machen für Teamprozesse und Selbstmanagement bietet die Bundesstadt Bonn ein fachübergreifendes Fortbildungsprogramm an, das gut angenommen wird. 
 
Widerstände gegen diese Matrix des Neuen kann ich bislang nicht ausmachen. Ganz im Gegenteil: Wo am Anfang noch Skepsis war, wurde mit der agilen Arbeitshaltung die Entdeckungslust geweckt und die Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert. Und das hybride System, das Neben- und Miteinander von Regelraum und Freiraum funktioniert. Die stärkste Säule des Systems ist die interne Community - ein Tatort für Austausch und Dialog (Mitdenken bringt Mitmacher!) und ein Motor für Start-Up-Feeling und Gründerstimmung im Kosmos der öffentlichen Verwaltung. 
 
Fazit: "Flipp ein wenig aus!"
 
In Bonn wurden erste Meilensteine für ein agiles Zukunftsmanagement gesetzt. Der gemeinsame Austausch jenseits des Dienstweges eröffnet wertvolle Imaginationsräume, um Stadt gemeinsam zu gestalten und neu zu verhandeln. Leitend ist die Metapher von einer "Stadt der Improvisation" (Walter Benjamin), die das Unfertige als Qualität hervorhebt. Die Kulturverwaltung kann dabei Rahmenbedingungen für neue Möglichkeitsräume sowohl für die Stadtentwicklung als auch für die eigenen Mitarbeiter*innen schaffen. Die Umstellung auf ein Labor-Prinzip bildet den Nährboden für Innovationen, fördert Toleranz, Partizipation und Integration und stärkt das demokratische Gefüge. Für ihre kreative Neuerfindung kann sich Verwaltung Anleihen aus der Kunst holen, Werkstätten, Machbarkeitsstudios und Probebühnen schaffen, in denen die Welt von morgen skizziert, verworfen und verbessert wird. 
 
Als zentrale Erkenntnis der von mir initiierten und umgesetzten "Verwaltungsverwandlungen" lässt sich festhalten: Agiles Arbeiten beflügelt eine "Kultur des Experimentierens", eine Maker- und Creator-Kultur, und stellt die erforderlichen Gestaltungskompetenzen für die Herausforderungen der "Großen Transformation" bereit. Was wir brauchen, ist ein flächendeckender Paradigmenwechsel, der Organisationen in Bewegung setzt und eine breite und positive "Zukunfts-Gestaltungs-Lust" entfacht. Wollen wir menschlichere Lebensumstände schaffen, ist das Erfinden, Durchdenken und Durchspielen möglicher Zukünfte von zentraler Bedeutung, ebenso wie die Fähigkeit zur imaginären Weltveränderung - ganz im Sinne des US-amerikanischen Medienkünstlers Aaron Koblin: "Sei neugierig. Komm aus der Defensive. Flipp ein wenig aus!". 
 
Literatur
 
  • Birgit Schneider-Bönninger (2017): Zukunftslabor Kulturamt. Forschen, Planen, Gestalten, Stuttgarter Texte zur Zukunftsforschung, Heft 1/2017.
  • Hermann Hill (2016): Innovation Labs-Wege zur Innovation im öffentlichen Sektor, in: Die öffentliche Verwaltung, Heft 12/2016, S. 493-501.

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