01.02.2017

Autor*in

Ulli Koch
Interview zu Crowdfunding-Kampagne #filmretten

Einen Impuls setzen, der sich dann vermehrt

Das Filmarchiv Austria hat im Dezember 2016 mit der viel beachteten Crowdfunding-Kampagne #filmretten knapp 90.000 eingenommen. Ein seltener Erfolg im Kulturbereich, denn damit Crowdfunding hier funktionieren kann, braucht es vor allem ein Gespür für die Interessen der UnterstützerInnen. Wie man den richtigen Aufhänger findet, verrät Tomá Mikeska, Marketingverantwortlicher des Filmarchiv Austria, im Interview.
Die Geschichte an sich ist ja schon bemerkenswert: Da findet jemand auf einem Flohmarkt in Frankreich zufällig Filmaufnahmen, bei denen es sich um verloren geglaubtes Material des Films Die Stadt ohne Juden handelt. Dieser Film aus dem Jahr 1924, der auf den gleichnamigen Roman von Hugo Bettauer basiert, nimmt die Gräueltaten des Nationalsozialismus vorweg und stellt damit ein wichtiges Geschichtsdokument dar.
Das Problem: Der Film ist auf Nitromaterial festgehalten, das äußerst sensibel auf Umwelteinwirkungen reagiert und einen sehr geringen Brennpunkt hat. Es gilt also zu handeln. Und zwar schnell. Doch weil Förderanträge und Sponsoreneinwerbung von Seiten der Politik nicht zugesichert werden konnten, griff das Filmarchiv Austria in dessen Besitz sich der Film befindet zu Crowdfunding, um die notwendigen Gelder für die Restaurierung aufzustellen.

Ulli Koch: Warum Crowdfunding?

Tomá Mikeska: Diese Frage habe ich schon sehr oft gehört. (lacht) Das Filmarchiv Austria hatte für dieses Sonderprojekt keine Gelder im laufenden Budget und konnte auch nicht die notwendigen Förderungen im Nachhinein aufstellen. Uns war aber klar, dass wir dieses wichtige Kulturerbe retten müssen, da das Material empfindlich ist und langsam anfängt sich zu zersetzen. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit ist von Seiten des Bundes sowie der Stadt Wien zwar da, jedoch fehlten auch hier die budgetären Mittel. Deswegen wurde an mich herangetragen einen alternativen Weg der Finanzierung zu versuchen, in diesem Fall eben auf die Zivilgesellschaft zu setzen.

UK: Warum glauben Sie war dieses Projekt so erfolgreich?

TM: Es waren mehrere Aspekte, die im Voraus gut überlegt wurden. Auch die Zeit war die richtige. Es wurde uns zwar davon abgeraten, die Kampagne politisch zu spielen, wir haben aber trotzdem den zu diesem Zeitpunkt laufenden Bundespräsidenten-Wahlkampf zwischen dem grünen Alexander van der Bellen und dem rechtspopulistischen Norbert Hofer genutzt. Unser Aufhänger war, dass der Film die Themen Migration und Vertreibung aufgreift und letzteres darf einfach nicht mehr passieren. Diese Vorgehensweise wurde zwar kritisiert, jedoch glaube ich, dass es die richtige Entscheidung war, da es den Geist der Zeit anspricht. Aber es war ein Risiko, ein Grenzgang. Aber Kunst und Kultur müssen und dürfen Grenzen ansprechen, auf diese hinweisen und sie auch überschreiten, wenn es der Gesellschaft dienlich ist. Ich glaube, dass Kultur durch Vermittlungsarbeit, durch Präsentation inklusive kontextualisierendem Begleitprogramm, einiges bewirken kann. Ein weiterer Aspekt hinter dem Erfolg ist die Verdrossenheit mit der derzeitigen Kulturpolitik, die wir offen ansprechen konnten, da das Projekt nicht von Bund und/oder Stadt gefördert wurde. Und als dritter Aspekt: das Storytelling. In diesem Fall war es wichtig, nicht nur die Geschichte des Films zu erzählen, sondern auch, was damit zusammenhängt, die gesellschaftspolitische Dimension.

UK: Auf welche Kommunikationsstrategie haben Sie gesetzt?

TM: Wir haben von Anfang an auf MultiplikatorInnen gesetzt. Das Zielpublikum des Filmarchivs ist nicht so aufgestellt, dass es die Kampagne alleine hätte tragen können. Wir mussten gezielt eine breitere Masse erreichen. Deswegen auch die Entscheidung, politisch, kulturpolitisch und auf einer Storytelling-Ebene zu agieren. Wir hatten das Glück, dass uns sehr viele PartnerInnen aus dem Kultur-, Bildungs- und politischen Bereich von Anfang an ihre Unterstützung in der Kommunikation zugesichert haben. Die Grundstrategie war: Wir brauchen eine regelmäßige Berichterstattung in den gängigen Medien, im Social Web, und MultiplikatorInnen, die in unserem Sinne Kanäle bespielen, die wir nicht bedienen. Wir haben bereits in der Vorlaufzeit eine sehr lange Liste an relevanten Personen und Institutionen erstellt, die wir um finanzielle oder kommunikative Unterstützung angefragt haben. Beispielsweise die Viennale, das Vienna Shorts Festival und hier insbesondere Alexandra Valent, eine von mir geschätzte Kollegin im Marketing-Bereich, oder auch die Grünen auf Bezirksebene, die sich sehr für uns eingesetzt haben. Runtergebrochen war es unser Ziel, immer wieder einen Impuls zu setzen, der sich dann vermehrt. Zu diesem Zweck habe ich auch Anne Aschenbrenner von den Kulturfritzen ins Team geholt, die eine rege und große FollowerInnenschaft auf Twitter hat ein Kanal, den das Filmarchiv selbst nicht bespielt. Das Filmarchiv Austria ist aber stark auf Facebook vertreten und konnte mit den Beiträgen zu #filmretten die Reichweite sogar fast verzehnfachen. Das liegt natürlich auch an den MultiplikatorInnen, die unsere Beiträge geliked und geteilt haben und ein unverzichtbarer Teil der Grundstrategie waren.

UK: Crowdfunding ist eine große Ressourcenfrage. Wie sind Sie auf finanzieller, personeller und zeitlicher Ebene damit umgegangen?

TM: Finanziell gab es keine Mittel. Wir mussten wirklich effizient planen. Die Idee für das Crowdfunding kam von der Direktion. Ich habe es mir dann näher angesehen und erkannt, dass wir das ressourcentechnisch nicht machen können, weswegen ich zunächst Agenturen angefragt habe. Da kamen auch einige gute Angebote zurück, die aber unser Budget immer noch stark überschritten haben. Ich habe schließlich versucht, einen effizienten und umsetzbaren Alternativplan auszuarbeiten, der u.a. eine geringfügige Teamerweiterung von zwei bis drei Personen vorsah. Diese Unterstützung habe ich dann auch bekommen. Ich konnte mir mein Team selbst zusammenstellen, was sehr hilfreich war, da Vertrauen bei diesem Projekt eine wichtige Rolle spielte. Anne Aschenbrenner kenne ich schon lange. Michaela Moitzi, die ihre Bachelorarbeit über Crowdfunding verfasst hat und wie Christina Reithofer bereits davor geringfügig im Filmarchiv angestellt war, wechselten zu mir ins Projektteam, in dem es klare Aufgabenteilung gab. Ergänzend leistete meine Kollegin Larissa Bainschab noch großartige Pressearbeit.

UK: Zusammengefasst: Es braucht den Willen der Geschäftsführung und ein gutes Team?


TM: Genau. Ich glaube das wichtigste ist, dass die Geschäftsführung die Leitung des Projekts der verantwortlichen Person überlässt. Sobald jede Entscheidung und Reaktion vor allem im schnelllebigen Social Media-Bereich abgeglichen und bewilligt werden muss, funktioniert es nicht. Es war demnach wichtig, im Voraus abzuklären, ob die Direktion des Filmarchiv Austria hinter der Strategie und dem Projektplan steht und uns frei kommunizieren und (re)agieren lässt. Bei uns gab es nur wenige Schleifen und Rückfragen mit der Geschäftsführung, daher konnte das Team gut selbstständig arbeiten und im Rahmen von regelmäßigen Teammeetings in kleiner Runde Strategien, Vorgehensweisen und Ziele für die kommenden Wochen besprechen.

UK: Rückblickend betrachtet: Was war Ihr größtes Aha-Erlebnis und Ihr größtes Learning?

TM: Das Learning hat noch nicht aufgehört. Das geht jeden Tag weiter. (lacht) Die Kampagne ist zwar von der Finanzierung her abgeschlossen, aber wir sind dabei, die weiteren Schritte zu planen und vorzubereiten. Der größte Aha-Effekt war die Zusammensetzung der UnterstützerInnen, die nicht meinen Erwartungen entsprochen hat. Indirekt waren das über 800 Personen und Einrichtungen, die uns unterstützt haben, jedoch nicht alle über die Crowdfunding-Plattform, weil das nicht alle tun wollten.

UK: Was sind deine Tipps für Crowdfunding-Kampagnen im Kulturbereich?

TM: Auf jeden Fall eine gute Vorplanung leisten und die Strategie immer im Blick haben. Dann muss stets klar sein, inwiefern das Projekt einen finanziellen und einen Marketing-Zweck erfüllen kann und soll. Es ist wichtig, ein gutes, aktives Team hinter sich zu haben, denn allein ist ein Projekt wie dieses nicht zu schaffen. Das beinhaltet auch Familie und FreundInnen, denn schafft man es nicht, bereits diese vom Projekt zu überzeugen, so klappt das auch bei der Crowd da draußen nicht.

Für (Kultur-)Institutionen gilt: Unbedingt vorher mit der Geschäftsführung oder der Direktion abklären, dass die oder der Projektverantwortliche selbstständig handeln kann. Dann: Innovative Ideen entwickeln, wie in unserem Fall auf der Ebene des Storytellings, aber auch der Finanzierungsmotivation. Wir sind auf die inhaltlichen Aspekte eingegangen, die Geschichte des Films, die tragische Geschichte der Personen aber auch auf den Geist der heutigen Zeit. Matching-Fund, also die Ko-Finanzierung durch andere Mittel, einzusetzen war ebenfalls eine solche innovative Idee. Wir haben hierfür mit einer anonymen Filmretterin kooperiert, die das Projekt mit maximal 20.000 unterstützen wollte, jedoch nur, wenn wir nachweislich und weiterhin möglichst viele Menschen erreichen und die Masse so zu einer aktiven Unterstützung durch Verbreitung oder Finanzierung motivieren. Im Gespräch mit der anonymen Filmretterin haben wir uns überlegt, dass in regelmäßigen Abständen jede Unterstützung von ihr verdoppelt werden könnte als Belohnung für jede neue Unterstützung. Ab da waren unsere FilmretterInnen noch motivierter, das Projekt zu unterstützen, weil sie gewusst haben, dass ihr Beitrag doppelt zählt. Und als letzteres: Einfach tun und alles geben, es ist eine dankbare und sehr persönliche Form des Fundings genießt es.
 

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