08.06.2007
Rückblick Musikschulkongress 2007

Die Musikschule von morgen

Ein Rückblick auf den Musikschulkongress 2007.
Es war kein Vertreter der Kultur, sondern ein Kriminologe, der beim Musikschulkongress 2007 in Mannheim den stärksten Akzent setzte. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) machte deutlich, dass das Thema Musikalische Bildung in der Tagespolitik angekommen ist und präsentierte mit Ausschnitten aus sog. Killerspielen echtes Schockmaterial. Doch der Reihe nach. Der Kongress begann am 11. Mai mit der Eröffnungsrede von Dr. Winfried Richter, dem Präsident des Verbands deutscher Musikschulen (VdM), die erstaunlich unsicher und wenig überzeugend wirkte. Die Losungen, dass Musikschulen den Zugang zur Musik nachhaltig eröffnen und Musikschularbeit immer zukunftsgerichtet sei, bleiben so zwangsläufig inhaltsleer.
 
Ganz anders Mannheims Kulturbürgermeister Peter Kurz, der - mitten im Wahlkampf um den Oberbürgermeisterposten - betonte, dass Mannheim beim 400-jährigen Stadtjubiläum eine starke Identität über die Musiktradition erlangt hat. Nach seiner Meinung finde derzeit bei der Öffentlichkeit ein Wandel in der Wahrnehmung der Musikschulen statt. Nach Jahren in der Defensive, wird sich zeigen, ob die Musikschulen im Allgemeinen und der VdM im Besonderen Triebkraft dieses neuen Bewusstseins ist oder lediglich kurzfristiger Profiteur, so Peter Kurz. Die Mannheimer Musikschule habe innerhalb weniger Jahre mehr als 1000 Schüler hinzugewonnen.
 
Prof. Hans Bäßler, Vizepräsident des Deutschen Musikrats, zeigte im Anschluss eher die Schattenseiten auf. Er sprach von einer langsamen Erosion der musikalischen Breitenbildung. Seiner Meinung nach leiden noch viele Musikschulen unter einer lausigen Finanzierung. Der Beifall der über 1500 Teilnehmer war ihm sicher. Notwendig sei aber auch eine neue Didaktik mit Verweis auf das geringe Interesse von Musikstudenten nach musikalischem Unterricht im frühkindlichen und Erwachsenenbereich. Um hier weiterzukommen, bot er eine weitere Intensivierung der Partnerschaft zwischen ihm als Vertreter des Dachverbands und dem VdM an.
 
Leider war Ursula von der Leyen trotz geäußertem großem Interesse aufgrund der Tagespolitik in Berlin nicht nach Mannheim gekommen, was immer dazu führt, dass das Presseecho auf einen solchen Kongress nicht so hoch wie verdient ausfällt. Rund eine Million Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden Woche für Woche an den öffentlichen Musikschulen unterrichtet. Sie besuchen damit die Bildungsinstitution, die die weitestgehende musikalische Breiten- und Spitzenförderung in ganz Deutschland im Sinne einer musikalischen Grundversorgung bewirkt, sagte Ingrid-Barbara Simon vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die das Grußwort der Ministerin verlas.
 
Prof. Dr. Christian Pfeiffer war aus Hannover gekommen, um nach den Begrüßungsreden mit den Ergebnissen aus der jüngsten Studie seines Instituts zu alarmieren. Die empirische Basis seiner Aussagen sind Repräsentativbefragungen von 9.500 Schülerinnen und Schülern vierter Klassen und 27.000 aus neunten Klassen, die vom KFN in den Jahren 2005 und 2006 in sechs Bundesländern durchgeführt wurden. Seit Mitte der 80er Jahre besteht demnach ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen bei den Leistungen, den Abschlüssen und bei den Chancen des Aufstiegs zwischen den Schulsystemen fest. Die Jungen sind lediglich beim Thema Gewalt führend. Was zum Teil schon 10-jährige Jungen konsumieren, zeigte Prof. Pfeiffer dann mit so nie gesehenen Ausschnitten aus in dieser Zielgruppe leider populären Computerspielen. Das Publikum verfolgte die Bilder in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Beklommenheit, sodass man annehmen kann, dass die Zahl von 95 % der Eltern realistisch ist, die nicht wissen, was ihre Kinder an Gewalt am Computer erleben und virtuell selbst praktizieren. Wie krank muss eine Gesellschaft sein, dass sie ein solches Spiel überhaupt auf den Markt bringt?, klagte Prof. Pfeiffer nach diesen erschütternden Bildern an. Seiner Meinung nach bedarf es für diese Zustände nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern kulturelle Antworten auf diesen Zustand. Wie als Beleg für die Wichtigkeit seiner Studie sah man noch am gleichen Abend in der ARD-Tagesschau Prof. Pfeiffer zusammen mit Vertretern der deutschen Innenpolitik, sodass zumindest auf dieser Ebene erste Maßnahmen zu erwarten sind.
 
Auf die Situation der Kongressteilnehmer bezogen, erwähnte Pfeiffer eine erstaunliche Diskrepanz zwischen den Bundesländern bei der Ausstattung der Kinderzimmer mit Fernsehern. In Norddeutschland gibt es durchschnittlich 42 % TV-Geräte, im Süddeutschland gerade einmal 27 %. Bedenkt man, dass der Überkonsum von Medien nach jüngsten Erkenntnissen zu weniger Intelligenz und weniger Leistung führt, sind die Folgen unabsehbar. Ein erschreckendes Süd-Nord-Gefälle gibt es auch sowohl bei der Zahl der Kinder, die ein Instrument erlernen als auch bei der Zahl der Musikschulen. Prof. Pfeiffer erwähnte hier das Beispiel Germingen bei Freiburg, wo stolze 85 % ein Musikinstrument spielen. Wussten Sie, dass Bayern und Baden-Württemberg fast 40 % der Musikschulen Deutschlands stellen? Nun, zur Beruhigung der Norddeutschen sei das Beispiel Villingen-Schwenningen genannt, wo auch im Musterländle 2005 eine Musikschule geschlossen werden sollte. Trotz aller Probleme sieht Pfeiffer kein Anlass zu Resignation. Man müsse lediglich die Chancen erkennen, junge Menschen möglichst bereits in Kindergarten und der Grundschulzeit an aktives Musizieren heranzuführen.
 
Im Foyer war eine ansehnliche Zahl von Ausstellern versammelt. Insbesondere die Verlagsbranche präsentierte ein reichhaltiges Arsenal an Musikliteratur und Noten, aber auch die Instrumentenhersteller sahen es als wichtig an, möglichst nah an den Bedürfnissen der Musikschullehrer und damit möglicherweise ihrer wichtigsten Zielgruppe zu sein.
 
Große Begeisterung löste bei den Kongressteilnehmern das gemeinsame Konzert der Söhne Mannheims und des Landesjugendorchesters Baden-Württemberg aus. Zum Abschluss des Kongresses war am 13. Mai 2007 in dem Konzert Mannheim macht Musik die große Bandbreite der Ensembles der Musikschule Mannheim mit Musik von Klassik über zeitgenössische Musik bis hin zu Jazz zu hören. Musikalisch auf höchstem Niveau präsentierte sich die Deutsche Streicherphilharmonie, die aus dem ehemaligen Deutschen Musikschulorchester hervorgegangen ist und unter der Leitung von Michael Sanderling zu Beginn des Kongresses ein orchestrales Feuerwerk zündete.
 
Positiv hervorzuheben ist darüber hinaus die aktive Beteiligung des Publikums bei den zahlreichen Workshops und Foren, deren Auswahl angesichts der Fülle an interessanten Themen manchen sicher nicht leichtgefallen sein dürfte. Bei allem Bedürfnis und berechtigtem Grund, auch die zahlreichen Probleme des Musikschulalltags anzusprechen, überwog doch eine positive, zukunftsgerichtete Stimmung unter den Teilnehmern, was dem Motto Musikschule für Morgen in besonderer Weise gerecht wurde.
 
Der Kongress wird ausführlich auf den Seiten des Verbands deutscher Musikschulen in Wort sowie durch die Kollegen von nmz media in Ton und Bild dokumentiert.
 

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