30.08.2023

Buchdetails

Commoning Art - Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst
von Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen, Silke Helfrich
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 124
 

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Autor*in

Theresa Schütz
ist promovierte Theaterwissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf Theorie und Ästhetik zeitgenössischer performativer Künste, Theaterkritikerin und Kulturjournalistin sowie Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich "Affective Societies" an der Freien Universität Berlin. Sie forscht u.a. zu Dynamiken aktueller Transformationsprozesse institutionellen Wandels in Theater- und Kulturbetrieben.
Buchrezension

Commoning Art. Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst

Geht es um Kunst als Gemeingut, stellen sich viele Fragen: Wem gehört Kunst? Wer produziert sie für wen und mit wessen Mitteln? (Wie) Können Kunst und Kultur Gemeingut werden? Und was bedeutet das für die zukunftsfähige Transformation von Kulturinstitutionen? Einige Antworten liefert die Publikation "Commoning Art".
 
Im Umfeld jüngster Debatten um eine nachhaltige Transformation von Kulturbetrieben - im sozialen, ökonomischen wie auch ökologischen Sinn - bilden commonsorientierte Perspektiven einen eigenen Schwerpunktbereich. Damit gemeint ist die Idee von Kunst und Kultur als rechtefreie, gemeinschaftlich geschaffene und nutzbare Güter. Diese Perspektiven verorten sich in der Regel explizit im Umfeld von Postwachstumsdebatten. Mit ihnen teilen sie sich ein Interesse an ressourcenschonenden Formen des Zusammenlebens auf der Basis von Gemeingütern. Einige konkrete Ansätze dieser commonsbasierten Re-/Produktionsverhältnisse sind Modelle solidarischer Landwirtschaft, Gemeinwohlökonomie (ein am Wohl von Mensch und Umwelt orientiertes Wirtschaftsmodell) oder bedingungslose Grundeinkommen ebenso wie digitale Wissensallmenden (z.B. Linux oder Wikipedia). Das Buch "Commoning Art. Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst", 2022 von Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen und Silke Helfrich im transcript Verlag veröffentlicht, beschäftigt sich nun dezidiert mit dem Transfer commonsorientierter Perspektiven auf das Feld der Künste und Kulturbetriebe. Wie lassen sich Produktionsprozesse im Theater- und Kulturbetrieb durch die Brille von Commons anders betrachten? Und welche Transformationspotenziale bergen commonsbasierte Strategien für Kunstinstitutionen? Was die Autor*innen vorschlagen, ist eine Einladung zu einem Wechsel im Denken - weg von den materiellen Gütern und Ressourcen sowie ihrer Re-/Produktion hin zu sozialen, zuweilen auch immateriellen Prozessen des sogenannten Commonings. 
 
Aufbau & zentrale Inhalte  
 
Commoning wird von den Autor*innen als "Gemeinschaffen" übersetzt und sowohl als konkrete soziale Praxisform als auch als Methodologie verstanden. Den Begriff leiten sie zunächst aus zeitgenössischen philosophischen wie kunsttheoretischen Diskursen her. Indem sie an internationale Genres sozial engagierter Kunst (socially engaged art) sowie an partizipative Formate der relational und community art anschließen, verorten sie Commoning als ästhetische, institutionskritische Strategie, die - im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs - in der Lage sei, mittels Kunst soziale Begegnungen und gemeinschaftsstiftende Zusammenkünfte zu ermöglichen. Darüber hinaus situieren sie Commoning mit Rekurs auf queere und posthumanistische Debatten im Kontext eines Seinsverständnisses, das die grundlegende Relationalität von allen und allem hervorhebt. Hierbei geht es verkürzt gesagt um "Pädagogiken des Verlernens", also darum, traditionelle Vorstellungen von Identität, Wissen und Macht sowie das Verständnis vom autonomen, sich über andere Spezies erhebenden Menschen in Frage zu stellen. Da diese fundamentale Relationalität im Alltag schnell aus dem Blick gerät, bergen Praktiken des Commonings das Versprechen, diese wieder ins Zentrum zu rücken, um gesellschaftliche Beziehungsstrukturen nachhaltig - eben im Sinne eines gestärkten Bewusstseins für das Gemeinsame - zu stärken. 
 
Die Autor*innen identifizieren und differenzieren drei Dimensionen von Kunst und Commons: "Kunst für Commons", d.h. Kunst, die konkrete Gemeingüter zum inhaltlichen Gegenstand macht; "Kunst als Commons", d.h. Kunst, die ihrerseits als Commons bereitgestellt werden kann; sowie "Kunst durch Commoning", also konkrete Praktiken einer ‚commonistischen‘ Kunstproduktion zwischen Markt und Staat sowie die Bildung entsprechender Netzwerke und kollaborativer Plattformen. Der Schwerpunkt des Buches liegt dabei auf der dritten Dimension, für die der Band eine Vielzahl konkreter Vorschläge beispielgebend versammelt. So werden z.B. vorgestellt: die commonsorientierte Arbeit von Kurator*innenkollektiven wie ruangrupa, von Initiativen wie der Zeitschrift "Arts of the Working Class", von community-basierten Kulturinstitutionen wie dem Schwulen Museum in Berlin sowie von gemeinwohlorientierten Produktionshäusern wie dem Casco Art Institute in Utrecht oder L’asilo in Neapel ebenso vorgestellt wie Finanzierungsprojekte wie GrundausCommons oder das türkische Solidarnetzwerk Omuz. Bei der Zeitschrift "Arts of the Working Class" handelt es sich beispielsweise um eine seit 2018 international vertriebene, mehrsprachige Straßenzeitung, die als Alternative zu kostspieligen Kunstmagazinen auf Klassenunterschiede im Kunstbetrieb aufmerksam macht. Die Beiträge von wechselnden Künstler*innen richten sich potenziell an alle. Obdachlose Menschen können Exemplare kostenlos bekommen, verkaufen und den Erlös der verkauften Hefte behalten. So werden über, mit und als Kunst neue Beziehungen gestiftet und kleine finanzielle Sicherheiten geschaffen. Die vorgestellten Kultureinrichtungen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie communitybasiert sind, also von spezifischen Communities getragen und geführt werden, und/oder ihre kulturellen Aktivitäten speziell auf gesellschaftliche Ziele und Gruppen ausrichten. 
 
Diskurseinordnung  
 
Die Publikation stellt eine Einführung in das Feld von Commons und/als Kunstproduktion dar. Dabei schließt sie an aktuelle Diskurse des Kulturmanagements zu institutionellem Wandel und Modellen von Change Management oder Cultural Leadership an, um (Hoch-)Kulturbegriffe und -einrichtungen zu öffnen und stärker auf gesellschaftliche Ziele auszurichten. Das gilt insbesondere, insofern Commoning ein produktives Querschnittsthema bildet, das sowohl Bereiche der Programm- und Vermittlungsarbeit als auch der Organisationsentwicklung oder Finanzierung betreffen kann. Gleichzeitig steht der Band in seinem starken kapitalismus- und managementkritischen Grundgestus aber in sympathischer Weise auch quer zu diesen Diskursen. Dies hängt sicherlich mit der von den Autor*innen transparent gemachten Position ihres situierten Wissens aus aktivistischer und subkultureller Institutionslogik zusammen. Viele ihrer Ideen und Konzepte lassen sich nämlich gerade nicht im Sinne eines "commons washings" in das bestehende kapitalistische System implementieren, in das auch öffentlich finanzierte Kulturbetriebe verstrickt sind, sondern erfordern eine grundlegende gesellschaftliche wie ökonomische "große Transformation" (vgl. Schneidewind 2018). Wenn also Stadttheater z.B. ab und zu ihre Gäste mitentscheiden lassen, welche Stücke auf den Spielplan kommen, stellt dies noch keine transformative Commoning-Strategie dar.
 
Gerade mit diesen Forderungen ist das Buch dicht am Puls der Zeit, an Themen, die den deutschsprachigen Kulturbetrieb umtreiben. Denn die Commons-Debatte ist auch hierzulande angekommen - ob als Tagungsthema der Dramaturgischen Gesellschaft 2020 oder als Programmschwerpunkte in Institutionen der freien darstellenden Künste wie im Literaturzentrum Burg Hülshoff, beim Impulse-Festival oder in künstlerischen Arbeiten wie "Transit" von Mona el Gammal (Futurium 2021). Nicht zu vergessen: die Initiative "Neue Auftraggeber", die sich auf commonsorientierte Kunst im Auftrag von Bürger*innen spezialisiert. Dabei entwickeln Bürger*innen Ideen für ihre jeweilige Region, die im Austausch mit Künstler*innen umgesetzt werden, z. B. eine von der französischen Turner-Prize-Gewinnerin Laure Prouvost entworfene Installation im Brandenburgischen Viertel in Eberswalde ("We will shine"). Die Umsetzungspraktiken der Initiative der "Neuen Auftraggeber" sind nicht zuletzt der Beratungstätigkeit durch das Commons Institut zu verdanken, dem drei der vier Autor*innen des Bandes angehören. Das Buch fungiert damit auch als Aufmerksamkeitskatalysator und diskursive Begleitbroschüre für aktuelle Initiativen wie diese. 
 
Kritik und Fazit 
 
Tatsächlich kann der Band auf seinen 121 Seiten nicht wesentlich mehr als eine Einführung und gut informierte Übersicht über die ersten Entwicklungen sein, die es an den Schnittstellen von Commons und Kunst gibt. Wer einige der aufgeführten Einrichtungen und Initiativen bereits kennt, wird durch die Lektüre des Buches kaum mehr über sie erfahren. Hier bietet sich eher die Publikation "farsi comune" von Theaterwissenschaftlerin Laura Strack an. Denn auf dem begrenzten Raum sind insbesondere die transformativen Potenziale der Initiativen der den Autor*innen im Grunde mehr inspirierene Andeutung als eine konkrete Ausarbeitung. Wer sich theoretisch vertiefend für Commons und Kunsttheorie interessiert, sollte auf die im Band kursorisch referenzierten Studien von Nora Sternfeld, Fred Moten oder Pascal Gielen zurückgreifen. Oder auf die umfassenden Ergebnisse des Zürcher Forschungsprojekts "Creating Commons", das zwischen 2017 und 2020 u.a. von Cornelia Sollfrank durchgeführt wurde, auf das die Autor*innen allerdings zu verweisen versäumt haben. Des Weiteren besteht eine große Anschlussfähigkeit an Theorien und Praktiken aktueller künstlerischer Forschung, ohne dass darauf von den Autor*innen verwiesen werden würde.
 
Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine sehr gut lesbare und empfehlenswerte buchgewordene Einladung zur Beschäftigung mit commonsbasierten Strategien im Kulturbereich. Sie wurde von ausgewiesenen Expert*innen ihres Bereichs vorgelegt, deren Engagement und Leidenschaft sich durch die Lektüre in aller Dringlichkeit und Überzeugungskraft vermittelt. Insbesondere die 2021 tödlich verunglückte Silke Helfrich hat als Forscherin, Aktivistin, Mitbegründerin des Commons-Instituts und der Commons Strategies Group sowie als Übersetzerin der Werke der Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom über diesen Band hinaus zahlreiche Bücher verfasst oder herausgegeben, die sich für Weiterbeschäftigungen mehr als anbieten.  

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