14.10.2019

Buchdetails

Kulturelle Bildung als politisches Programm: Zur Entstehung eines Trends in der Kulturförderung (Edition Politik)
von Claudia Steigerwald
Verlag: transcript Verlag
Seiten: 332
 

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Autor*in

Anne Segbers
ist wissenschaftliche Referentin für Bildung und Vermittlung am LVR-LandesMuseum Bonn und beschäftigt sich besonders mit Partizipation und Inklusion im Museum. Sie studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie in Bonn und Rom.
Buchrezension

Kulturelle Bildung als politisches Programm. Zur Entstehung eines Trends in der Kulturförderung

Kulturelle Bildung hat Konjunktur, aus der Kulturpolitik und der Kulturförderung ist der Begriff heute schon nicht mehr wegzudenken. Doch die vielseitige Verwendung des Begriffes bringt auch eine immer größere Unschärfe mit sich. Das Buch "Kulturelle Bildung als politisches Programm" untersucht dieses Phänomen aus diskursanalytischer Perspektive.
 
Ziele und Methodik
 
Die Kernthese, die die Autorin Claudia Steigerwald im vorliegenden Buch, erschienen 2019 im transcript Verlag, überprüfen möchte, lautet: "Kulturpolitische Förderentscheidungen werden nicht mehr gemäß dem Willen einer staatlichen Obrigkeit gesetzt, sondern orientieren sich an aktuellen Diskursen der Kulturförderung, die im Zusammenspiel heterogener Akteurstypen ausgehandelt werden." Ziel der Arbeit soll es entsprechend sein herauszufinden, wie und von wem diese Diskurse geführt werden. Dabei konzentriert sich Steigerwald auf das Feld der kulturellen Bildung, für das sie Argumente und Akteure seit den 70er Jahren analysiert sowie die Diskurse und ihre Wirkmacht aufzeigt.
 
Nach einem kurzen Stand der Forschung erläutert sie ihre Methodik, die Diskursanalyse. Diese beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Sprache, Handlungen und Strukturen. Um dies auf den Bereich Kulturelle Bildung anzuwenden, hat Steigerwald verschiedenste Dokumente untersucht: öffentlich zugängliche Papiere von Verbänden, Parteien und Gremien, wissenschaftliche Publikationen, Medienberichte und Begleitungen von Konferenzen. Zudem interviewte sie Schlüsselakteure der kulturellen Bildung in Deutschland. 
 
Diskurs, Argumente und Akteure
 
Der anschließende Ergebnisteil gliedert sich in vier Teile, in denen Steigerwald herausarbeitet, wie Förderschwerpunkte in der Kulturpolitik entstehen. 
 
Zunächst betrachtet sie die Entstehungsgeschichte des Diskurses zur kulturellen Bildung. Diese zeigt, dass sich in der Kulturpolitik seit den 70er Jahren eine soziale Linie herausbildete. Sie führte zu einem verstärkten Zusammenspiel mit Bildungs-, Sozial- und Jugendpolitik. Zum anderen gab es gleichzeitig einen Diskurs in der pädagogischen Fachwelt, der zur sog. Neuen Kulturpädagogik führte. Das Kapitel macht damit deutlich, dass der Begriff Kulturelle Bildung in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Bedeutungen innehatte und noch bis heute hat. Eine Vereinheitlichung hat nicht stattgefunden, was Anknüpfungsmöglichkeiten an viele Politikfelder ermöglicht und mehr Förderoptionen eröffnet. 
 
Im Anschluss analysiert Steigerwald die Argumente des Diskurses seit den 70er Jahren. Hier sind eine starke Verschiebung der Argumente und eine veränderte Betrachtungsweise auf die (potenziellen) Teilnehmenden kultureller Bildung zu beobachten. Während in den 70ern der unmündige Bürger gesehen wurde, der dank kultureller Bildung das politische System verstehen und sich dagegen zur Wehr setzen kann, werden später individuelle und ökonomische Argumente wichtiger. Der Mensch soll sich entfalten und seine Potentiale entdecken. Zudem wird Kultur zu einem wirtschaftlichen Standortvorteil für Kommunen. Zunehmend sollen gesellschaftliche Herausforderungen, wie Migration oder Arbeitslosigkeit, mit Hilfe kultureller Bildung gelöst werden. 
 
Es schließt sich die Untersuchung der am Diskurs beteiligten Akteure an. Im Laufe der Jahrzehnte kamen immer mehr relevante Gruppen zum Diskurs um kulturelle Bildung hinzu. Seit der Jahrtausendwende lassen sich fünf wichtige Akteursgruppen feststellen. Die erste sind Vereine und Verbände, die sich als demokratisch legimitierte Sprecher der kulturellen Bildung sehen. Eine weitere Gruppe sind Fortbildungsinstitutionen, die nur am Rande politisch agieren, jedoch publizieren und forschen. Die dritte Gruppe stellen die staatlichen und privaten Stiftungen dar, die häufig von den anderen Gruppen als "neue Freunde" betitelt und kritisch gesehen werden. Akteur Nr. 4 sind Wissenschaftler*innen, die damit umgehen müssen, dass der wissenschaftliche Diskurs um kulturelle Bildung noch recht jung und entsprechend wenig umfangreich ist. Die fünfte Gruppe sind die politischen Vertreter*innen auf Bundesebene, die aufgrund der Gesetzeslage keinen Einfluss auf die Länder und Kommunen nehmen können. Zwischen diesen Akteuren sind explizite und implizite Koalitionen und Verbindungen zu beobachten, die sich zum Teil über die gleichen Argumentationsmuster ergeben, zum Teil aber auch historisch gewachsen sind. 
 
Zuletzt untersucht Steigerwald die Wirkmacht dieses Diskurses seit der Jahrtausendwende. Dieser zeigt sich beispielsweise an der Diskussion nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studien und der Erkenntnis, dass die Bildungs- und Aufstiegschancen für "Außerseiten*innen" in nur wenigen europäischen Ländern so schlecht sind wie in Deutschland. Den Akteuren gelang es in der Folge gut, kulturelle Bildung als Lösungsansatz für diese Probleme zu platzieren und so entstanden aufgrund der Verbindung unterschiedlicher Institutionen und Schulen neue Gesamtkonzepte. Ein anderes Beispiel für die Wirkmacht des Diskurses ist Audience Development durch kulturelle Bildung, mit dem Kulturinstitutionen auf ein schwindendes Publikum reagieren wollen. 
 
Ergebnisse
 
In Conclusio und Resümée stellt Steigerwald fest, dass kulturelle Bildung auch deshalb Konjunktur hat, weil die verwendeten Argumente viele politische Richtungen ansprechen. Die Akteure bringen ihre Argumente koordiniert vor, um ihre Ziele zu erreichen. Traditionelle und politische Aspekte treten dabei in den Hintergrund, jeder bedient sich der Argumente, die die Notwendigkeit kultureller Bildung aus seiner Sicht begründen.
 
Kulturelle Bildung wird jedoch zusehends als günstiges Mittel zur Behebung großer Probleme wie Arbeitslosigkeit und Chancenungleicheit gesehen. Gleichzeitig werden Projekte viel zu kurzfristig gefördert gemessen an den großen Zielen, die sie erfüllen sollen.
 
Die Konjunktur kultureller Bildung lässt sich an den Ausgaben der öffentlichen Hand zugleich nicht empirisch belegen. Entsprechend ist es nur schwer nachvollziehbar, wie viel für diesen Bereich ausgegeben wird, da es keine eigenen Posten dafür in den Kultur-, Bildungs- und Jugendetats gibt. Kulturelle Bildung ist dem gegenüber vor allem aufgrund starker Lobbyarbeit der Verbände und Engagement der Stiftungen ein so dominierendes Thema geworden und die Konjunktur also vor allem auf diskursiver Ebene sichtbar.
 
Fazit
 
Das Buch beschäftigt sich mit einem der am häufigsten verwendeten Begriffe der aktuellen Kulturpolitik und greift damit ein Thema auf, das allen unter den Nägeln brennt, die Förderanträge im Bereich der Kultur stellen. Gerade die Unschärfe des Begriffs Kulturelle Bildung führt dazu, dass er häufig benutzt wird, ohne genauer darüber nachzudenken. So wird er sowohl für Bildung verwendet, die bereits bestehende kulturelle Inhalte verstehen lässt, als auch für solche, die eigene Kunst hervorbringt. Dank Steigerwalds Erkenntnissen lässt sich die Genese der kulturellen Bildung nachzuvollziehen und ihre vielfältigen Bedeutungen besser verstehen. Sie gibt zudem einen guten Überblick über die Argumente für Bildung durch Kultur bzw. kulturelle Bildung in Deutschland seit den 1970er Jahren und beleuchtet die beteiligten Gruppen. Interessant sind hier vor allem die Wandlung der Argumente im Laufe der Zeit sowie die zunehmende Vielfalt der Akteure. 
 
Empfehlenswert ist das Buch daher für Kulturschaffende und Kulturmanager*innen, die kulturelle Bildung als Teil von Kulturpolitik verstehen und selbst Förderanträge stellen wollen. Sie haben so die Möglichkeit, ihre Argumente mit dem aktuellen Diskurs abzugleichen und festzustellen, zu welchen Akteuren die Argumente passen. 
 
Das Buch setzt jedoch bereits eine einigermaßen gute Kenntnis des Sachverhaltes sowie der beteiligten Akteure voraus. Auch die Methoden und die Quellen sind einfacher zu durchschauen, wenn man die Arbeitsweise der politischen Wissenschaften kennt. So ist das Buch für eine Außenstehende wie mich, die bisher mit Kulturpolitik recht wenig zu tun hatte, zum Teil schwer zu verstehen.

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