15.12.2006

Autor*in

Uta Petersen
Rückblick Berliner Konferenz 2006

Europa eine Seele geben. Die Berliner Konferenz 2006

Das erste Treffen der zivilgesellschaftlichen Initiative Berliner Konferenz - Europa eine Seele geben* fand im November 2004 in Berlin statt. Jetzt trafen sich die Global Player der europäischen Kulturpolitik vom 17. bis 19. November 2006 zum zweiten Mal, um über den Nutzen der Kraft der Kultur als Voraussetzung für den weiteren erfolgreichen Einigungsprozess zu diskutieren. Der Bestand der Initiative ist durch vier große Stiftungen bis zum nächsten Treffen im November 2008 gesichert.
Kultur ist da, wo man Zuhause ist

Gastgeber in diesem Jahr ist erneut die Dresdner Bank direkt am symbolträchtigen Brandenburger Tor. Ich stehe unweit des Tagungsforums in der Warteschlange zur Damentoilette. Sie ist lang, die Schlange. Es entsteht ausreichend Zeit und Gelegenheit für Gespräche. Ich möchte unbedingt rechtzeitig im Saal sein, wenn José Manuel Barroso spricht die junge Ungarin drängelt etwas vor. Zu spät. Während die Wasserspülungen rauschen, klingt durch den Lautsprecher Lasst uns die Freiheit verteidigen, indem wir unser Recht geltend machen, von einem demokratischen, toleranten und in Frieden vereinten Europa zu träumen an unser Ohr. EU-Präsident Barroso hat auch dieses Mal den richtigen Ton getroffen und reißt die 500 Teilnehmer mit, wir hören es am frenetischen Applaus. Schon bei der ersten Konferenz im November 2004 erfasste uns Teilnehmer eine enorme Europa-Euphorie, die sich bei der blonden Dame vor mir in diesem Jahr offenbar noch nicht wieder eingestellt hat. Sicher hat es daran gelegen, dass damals der Beitritt von zehn neuen EU-Ländern noch so frisch war, erinnert sie. Stimmt. Inzwischen ist anscheinend eine Art europäischer Alltag eingekehrt und die Erkenntnis, dass die politische und wirtschaftliche Entwicklung aller Länder Europas unmittelbar von der Fähigkeit der Regierungen abhängt, die kulturellen Potenziale ihrer Bürger aktiv einzubeziehen. Die Bürger aktiv einbeziehen? Das ist das Stichwort. Ein Stimmengewirr in der Schlange entsteht. Vereinzelt sind Begriffe herauszuhören wie Städtepartnerschaften weiter ausbauen, Zwillingsprojekte anschieben, herausragend das Meine-Strasse- in-meiner-Stadt-Projekt es ist deutlich zu spüren, dass es sich hier um eine kompetente, engagierte europäische Schlange handelt.

Die Berliner Konferenz möchte als internationales Netzwerk um aktive Unterstützung für die Ziele der Initiative bei Städten und Regionen, in den Mitgliedsstaaten der EU, in der Welt der Kultur, der Wirtschaft und in der europäischen Politik werben lese ich in dem Konferenz-Handout und rücke weiter auf. Ich zähle durch: fast 100 Referenten! Puhh! Möglicherweise wird es wieder ein ziemlicher Hörmarathon. Klar, die illustren Redner wie Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, werden aufs Neue ebenso große wie kluge Worte, Zitate und Erkenntnisse finden. Wir brauchen ein Europa der Europäer und nicht der Regierungen die Stimme aus dem Lautsprecher gehört jetzt Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, dem Fraktionsvorsitzenden der EVP-ED-Fraktion** im Europäischen Parlament. Wie darf man sich das genau vorstellen? Es müssen die Visa- Bestimmungen und die Bildungspolitik der EU reformiert werden, reagiert eine Spanierin, während sie sich ihre langen Haare kämmt, nur so wird es den nachwachsenden Generationen ermöglicht, das Freiheitsversprechen Europas auch wirklich zu nutzen. Allgemein zustimmendes Nicken.

Ist Ihnen auch aufgefallen, dass deutlich mehr junge Menschen an der Konferenz teilnehmen? Die Beobachtung der fülligen Dame lässt einige von uns im Ablaufplan blättern. Tatsächlich! Viele Teilnehmer sind von EUSTORY, Young Europeans und People Network. Da kommt die Ankündigung des Sprechers der Berliner Konferenz, Dr. Volker Hassemer, gerade recht: Wir werden die Ämter der Initiative nach und nach in jüngere Hände übergeben und damit die Ausgestaltung der europäischen Idee denen überlassen, die dieses gemeinsame Haus Europa bewohnen werden. Gute Idee, Herr Hassemer!
Wieder sind die Männer in der Überzahl im Saal, stellt eine Französin fest, obwohl schon sehr viele Frauen in kulturellen Ämtern tätig sind, werden die meisten Positionen anscheinend immer noch von Männern dominiert.
Das ist bei uns in Bulgarien genau umgekehrt
die Gegenstimme ist die von Dessislava Gavrilova, Mitbegründerin und Leiterin von The Red House im bulgarischen Sofia, einem Zentrum für Kultur und Debatte. Bei uns sind es die Männer, die sich emanzipieren müssen, um in der Kulturszene besser repräsentiert zu sein. Dieses Thema geht Rose Fenton offensichtlich gegen den Strich. Sie ist Produzentin, Gründerin und Direktorin des Internationalen Londoner Theaterfestivals, wie wir erfahren. Das finde ich überhaupt nicht relevant. Ich war sehr geschockt, als ich das Forum voll mit ausschließlich weißen Europäern vorfand. Wessen Europa ist es denn!? Viele, die ihre Wurzel außerhalb Europas haben, leben schon in der zweiten und dritten Generation hier. Ich arbeite in London, es gibt Berechnungen, dass dort und anderen englischen Städten im Jahr 2030 die weiße Bevölkerung in der Minderzahl sein wird. Nachdenkliche Blicke unter den Wartenden.

Das Motto lautet doch Europa eine Seele geben. Gerade wurde gesagt, die Betonung liegt weniger auf SEELE, denn eine Seele haben die einzelnen 25 europäischen Staaten bereits sondern auf EINE. Eine junge Polin holt aus ihrer Handtasche einen Zettel, auf dem sie sich das Zitat notiert hat. Damit ist von dem Redner offenbar ein Anspruch in den Raum gestellt worden, der unter uns europäischen Frauen die Frage aufwirft, ob er von den Europäern überhaupt eingelöst werden will. EINE Seele für ein Europa mit 25 und bald 27 Ländern? Nicht nötig, meldet sich hinter mir noch einmal Rose Fenton. Europas Verschiedenheit, seine vielen Kulturen und Ideen tragen zu seiner komplexen und reichen Seele bei. Es wäre gefährlich zu erklären, es gebe EINE Seele. Wichtig ist vielmehr zu behaupten, dass KULTUR die Seele Europas ist. Wie wahr! Dem kann nicht widersprochen werden. Die EU ist nicht Europa. Die EU ist ein Wirtschaftsraum und kein Kulturprojekt, die Globalisierung zieht doch nicht zwangsweise eine gemeinsame Kultur nach sich, oder doch? überlege ich. Als hätte man meine Gedanken draußen im Saal vernommen, klingt durch den Lautsprecher die Stimme von Norbert Lammert: Europa müsse als Idee verstanden werden und nicht als Markt oder Behörde, betont er. Und irgend jemand zitiert Jean Monnet (1888-1979, französischer Wirtschaftspolitiker), der gesagt haben soll: Wenn ich das Ganze der europäischen Einigung noch einmal zu machen hätte, würde ich nicht bei der Wirtschaft anfangen, sondern bei der Kultur. Bei der Kultur anfangen! Ein wunderschöner Gedanke.

Es geht voran, mittlerweile haben wir den Vorraum der Waschräume erreicht. Es herrscht doch unter allen Teilnehmern Einigkeit, die Vielfalt der europäischen Kulturen wahrzunehmen, zu respektieren und zu erhalten. Kulturelle Vielfalt wird gar nicht mehr als Hindernis, sondern als Vorteil empfunden. Das Statement einer Schwedin zwischen Nasepudern und Händewaschen ermuntert eine andere Dame: Am 1. Januar 2007 werden Rumänien und Bulgarien neue Mitglieder der EU, dann entstehen zusätzliche sprachliche Hindernisse, das wird nicht einfacher, bemerkt sie.
Die Sprachenvielfalt ist durchaus noch ein Hindernis, erklärt eine Dame mit griechischem Akzent. Da kann noch viel getan werden. Autoren und Übersetzer zu fördern zum Beispiel. Oder die frühe Förderung von Mehrsprachigkeit eines jeden Einzelnen. Ich denke, es müsste mehr Geld investiert werden in Buch-Übersetzungen und Zeitungsartikel.
Es gibt doch auch Projekte, die keine Übersetzungen brauchen, wirft eine junge Slowakin ein, Musik zum Beispiel, Plakate, Fotografie oder Architektur. Ihr Wort wird übertönt durch Türenklappen. Wäre es nicht auch sinnvoll, Journalisten darin auszubilden und zu bestärken, mehr europäische Themen aufzugreifen? Die Frage kommt von einer dunkelhaarigen Belgierin, vorhin wurde doch von Wolfgang Thierse festgestellt, dass Europa im Fernsehen außer auf dem Sender arte tv kaum stattfindet. Er plädiert für mehr Übernahmen und Übersetzungen aus den Nachbarländern.
Dessislava Gavrilova stammt aus einem Nachbarland aus Bulgarien. Die Vorbereitungen auf den EU-Beitritt haben sich in Bulgarien leider gar nicht auf den Kulturbereich ausgewirkt, bedauert sie. Es ist sogar zu befürchten, dass durch den Beitritt die eigene kulturelle Identität der Bulgaren mit der Zeit verloren gehen könnte.
Diese Beobachtung kann ich bestätigen, sagt die junge Rumänin Rarita Szakats. Sie ist Executive Director der Alt Art Foundation und Mitglied von Young Europeans: Kultur war in der gemeinsamen kommunistischen Vergangenheit eine Möglichkeit der Flucht. Die Politiker denken beim Beitritt Rumäniens nur an die wirtschaftliche Anpassung. Nun ja, auch in Westeuropa ist die kulturelle Zusammenarbeit noch lange nicht so wie sie sein könnte Fanny Bouquerel aus Palermo meldet sich zu Wort. Sie ist Generalkoordinatorin von AMUNI People Network und vermisst die Zusammenarbeit der Länder im Mittelmeerraum. Es entstehen beispielsweise kaum gemeinnützige Organisationen, einzig, weil kein finanzieller Gewinn zu erwarten ist, berichtet sie, für diesen geografischen und kulturellen Raum sehe ich die Einberufung von Kulturmanagern als eine dringende Notwendigkeit. Mit der gemeinsamen europäischen Seele, für die im Saal so leidenschaftlich diskutiert und debattiert wird, scheint es tatsächlich nicht so einfach zu sein. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit schlägt draußen im Forum gerade befremdliche Blüten, berichtet eine rothaarige Dame. Sie ist kurz in den Waschraum zurückgekommen, weil sie ihren Ring vergessen hat. Man glaubt es kaum: Führende Persönlichkeiten des kulturellen Lebens sprechen permanent von fehlendem Sex-Appeal in der kulturellen Medienberichterstattung. Wo bin ich hier eigentlich!? Ist den Diskutanten eigentlich klar, auf welches Niveau sie sich damit begeben?

Ich kann diese berechtigte Frage nicht beantworten. Nur noch zwei Damen vor mir. Auf die Diskussion am Sonntag in der Freien Akademie der Künste bin ich sehr gespannt. Christlich-jüdisch-islamische Dimension im offenen Europa wird sicher interessant, freut sich eine Engländerin und lenkt mich von meinen Grübeleien ab. Das ist ohne Zweifel ein wichtiges Thema, meldet sich eine Studentin aus Lettland vor dem Spiegel. Die Podiumsdiskussion wird wie die ganze Konferenz hochkarätig besetzt sein, ich glaube unter anderem mit dem deutschen Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble, mit dem Islamforscher Navid Kermani und Almut Bruckstein. Sie ist Professorin für jüdische Philosophie.
Noch eine Podiumsdiskussion? Ich frage mich, warum die Veranstalter nicht etwas lebendigere Arbeitsformen für die Berliner Konferenz wählen. Workshops zum Beispiel. Oder Filmeinspielungen, abwechslungsreiche Projektvorstellungen mit DVDs, neue Redeformen, Streitgespräche, Satiren Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob uns eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema wirklich weiter bringt, gibt eine Münchener Projektleiterin zu Bedenken. Haben Sie die Installation des Künstlers Hans Haacke an der Glasfassade der Akademie gesehen? 45 weiße Plakate, eines für jeden, der in Deutschland aus rassistischen Gründen zu Tode gekommenen Ausländer mit Namen, Geburts- und Todesdatum sowie Todesursache. Titel: Weil sie nicht deutsch aussahen. Diese Installation könnte die Konferenzteilnehmer durchaus in eine spannende Diskussion verwickeln.

Betretenes Schweigen. Der Handtuchhalter klemmt. Während des gemeinsamen Reparaturversuches werden wir aufgerüttelt durch ein flammendes Plädoyer von Jacques Toubon, Mitglied des Europäischen Parlaments und früherer Kulturminister Frankreichs. Die Etats im Kulturbereich müssen von 2008 an deutlich erhöht werden. Europa muss verstärkt in seine Mobilität investieren, damit Reformen erfolgreich umgesetzt werden können. Die neu gewonnene Finanzkraft soll in Netzwerke, Übersetzungen, Jugendprogramme, gemeinsame Medienprojekte und den Austausch Kulturschaffender investiert werden.

Mehr Geld für Kultur! Wo habe ich Derartiges nur schon mal gehört!? Endlich! Ich bin an der Reihe. Der Weg ist frei in Kürze werde ich mich im Forum wieder entspannt dem gemeinsamen europäischen Traum hingeben.

* Zitat von Jacques Delors, (geb.1925), Politiker der Sozialistischen Partei Frankreichs
**EVP-ED-Fraktion: Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering ist u.a. Vorsitzender der Fraktion der Europäischen
Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten im Europäischen Parlament

 
UTA PETERSEN ist Journalistin, Kulturmanagerin und Projektleiterin in Hamburg. Zu ihren Schwerpunkten gehören aktuell internationale Künstlerinterviews sowie PR- und Konzeptentwicklung für Kulturprojekte
 

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