23.03.2020

Themenreihe Corona

Autor*in

Kerstin Heydecke
absolvierte ein Lehramtsstudium der Fachkombination Englisch/ Russisch für Gymnasien an der Universität Leipzig. Bereits vor dem 2. Staatsexamen arbeitete sie als Honorardozentin für Englisch in der freien Wirtschaft, 2007 übernahm sie die Leitung des Fach- und Berufsfachschulzentrums des Europäischen Bildungswerks für Beruf und Gesellschaft (EGB). Nach einem Wechsel als Leiterin Bildungsmanagement bei der Rahn Education Gruppe kam sie 2019 zur Leipziger Buchmesse, wo sie seitdem die Leitung des Messemanagements innehat. 
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Nach der Absage der Leipziger Buchmesse 2020

„Wir merken gerade, wie professionell wir in dieser Situation handeln können.“

Die Leipziger Buchmesse gehörte zu den ersten Kulturgroßveranstaltungen, die aufgrund des Coronavirus abgesagt werden mussten. Doch aus dem ersten Schock entwickelte das Team schnell professionelle Prozess und blickt optimistisch auf das nächste Jahr, berichtet die Teamleiterin Messemanagement im Interview mit uns.

Themenreihe Corona

KMN: Liebe Frau Heydecke, relativ kurzfristig wurde die diesjährige Leipziger Buchmesse abgesagt. Was war das für ein Gefühl für Sie? 
 
Kerstin Heydecke: Genau, die Absage erfolgte am 3. März. Da befanden wir uns gut eine Woche vor Eröffnung der Leipziger Buchmesse. Wir saßen in den Startlöchern, demnächst hätten unsere Standbauer begonnen, alles aufzubauen. Wir waren also wirklich in der letzten Vorbereitungsphase, in der das ganze Team mit Hochdruck an den finalen Aufgaben sitzt. Mit der Absage, die getroffen werden musste und auch absolut richtig war, mussten wir eine komplette Vollbremsung einlegen, den Prozess umkehren und sehr schnell auf Rückabwicklung umschalten. Dafür gab es keine Erfahrung im Haus. So etwas hatte es noch nie gegeben. In der ganzen 75-jährigen Geschichte der Leipziger Buchmesse musste keine Messe abgesagt werden. Das hieß für uns, dass die jetzt notwendigen Prozesse nicht vorhanden waren und in möglichst kurzer Zeit erarbeitet werden mussten. 
 
KMN: Wie können wir uns den aktuellen Arbeitsalltag Ihres Teams vorstellen?
 
KH: Momentan laufen zwei parallele Prozesse. Zum einen versuchen wir, und uns gelingt das hoffentlich sehr professionell, die Rückabwicklung zu stemmen. Das machen wir mit einem eigenen Team aus Mitgliedern unseres Teams, aber auch aus den anderen Fachabteilungen der Leipziger Messe GmbH, wie der IT, dem Kundenservice usw. - also alle, die einen Anteil daran haben, diesen Rückabwicklungsprozess technisch zu bauen, administrativ vorzudenken und durchzuführen. Und zum anderen ist heute der erste Tag nach der nicht stattgefundenen Messe. Das heißt, dass wir ab heute für 2021 planen und uns mental der nächsten Messe zuwenden. 
 
Das ist natürlich psychologisch etwas schwierig. Gleichzeitig merken wir aber auch, wie professionell wir in dieser aktuellen Situation handeln. Ganz konkret: Wir gehen schrittweise vor, denn wir haben keine sofortigen Lösungen für alles, sondern schauen uns die Prozesse an und fragen uns: Was können wir in welcher Zeitschiene als erstes und dann als nächstes erledigen? Wir haben uns zuerst mit den Besuchertickets befasst. Es war ein relativ schnell zu bauender Prozess, die Tickets zurückzuerstatten, die bereits erworben wurden. Dieser Prozess ist so gut wie abgeschlossen, sodass alle, die ihr Ticket im Vorverkauf erstanden haben, den Preis dafür erstattet bekommen haben. Schwieriger ist der Prozess der Rückabwicklung der Aussteller. Daran arbeiten wir zurzeit mit Hochdruck. 
 
KMN: Verfügt die Leipziger Messe über einen Krisenplan mit vordefinierten Prozessen, nach denen Sie aktuell handeln?
 
KH: Die Situation ist wirklich einmalig und umfangreich. Bei der Buchmesse sprechen wir von 2500 Ausstellern mit ganz unterschiedlichen Verträgen und Dienstleistungen sowie Projektpartnerverträgen. Dafür gab es dafür keinen Plan. Es gibt im Haus diverse Krisenpläne, aber dafür nicht. Wir sind also jetzt dabei, Mechanismen zu entwickeln und zugleich auszuprobieren. Dann hätten wir einen Plan für ähnliche Krisen, was wir aber natürlich alle nicht hoffen. 
 
Es ziehen viele Kollegen und Abteilungen sehr konzentriert an einem Strang, um das Prozedere erst einmal darzulegen, Aufgaben zu definieren, zu priorisieren und dann zu schauen: Was brauchen wir im Hintergrund dafür, welche Datenbanken, welche Formulare müssen angelegt werden? Was bedeutet das eine, wenn wir das andere tun? Wir denken also Dinge vom Ende her. Das ist gar nicht so einfach. Es gibt morgendliche Runden unseres Teams mit der Geschäftsführung und der Rechtsabteilung des Hauses, in denen wir uns zu neuesten Erkenntnissen abstimmen. Außerdem haben wir umgehend eine Rückabwicklungs-Taskforce gebildet. Und ich muss sagen, wir sind schon ganz schön weit gekommen. 
 
KMN: Welche rechtlichen Aspekte hängen an so einer Entscheidung? Gibt es überhaupt rechtliche Regelungen oder basiert vieles auf einzelnen Absprachen und Kompromissen?
 
KH: Also einfach und rechtlich klar ist aktuell fast nichts, das bedingt schon die Fülle an Ausstellern und Partnern. Mit jedem davon haben wir im Vorfeld Verträge geschlossen, die jetzt rückabgewickelt und fürs nächste Jahr wieder neu erstellt werden müssen. Und je komplexer die einzelnen Verträge sind, desto mehr Aspekte spielen da hinein. So einfach, wie es bei der Rückerstattung der Besuchertickets war, ist es bei den Ausstellern nicht. Da warten wir noch auf die letzten Informationen unserer Rechtsabteilung, um dann zu entscheiden, wie wir uns das konkret vorstellen, und uns an die Aussteller zu wenden. Wir sind bemüht, gute Lösungen für alle zu finden, auch im Sinne der bisherigen vertrauensvollen Zusammenarbeit, auf die wir natürlich auch für 2021 bauen. Insofern müssen wir mit jedem Partner und Aussteller schauen, was das aktuell bedeutet, und alles genau abwägen. 
 
KMN: Welche finanziellen Auswirkungen bringt die Absage für Sie als Veranstalter mit sich?
 
KH: Die Ereignisse überschlagen sich täglich. Wir reden mittlerweile nicht mehr nur von der Absage und den Verlusten der Leipziger Buchmesse, sondern unser ganzes Haus Leipziger Messe ist betroffen von der Entscheidung, keine Veranstaltung mehr mit über 1000 Menschen durchzuführen. Das heißt, derzeit liegen alle Geschäfte brach. Auch unsere Aussteller sind alle betroffen. Ich würde nicht mal sagen, die Kleineren mehr als die großen. Alle haben auf diese Messe gehofft und wollten sich hier präsentieren. Da hängen Autoren dran, die ihre Bücher verkaufen möchten, Marketingaktivitäten und natürlich die Standgebühren. Das ist definitiv ein Schaden für die ganze Branche, dessen ganze Dimensionen an dieser Stelle niemand abschätzen kann. 
 
KMN: Ein großer Punkt ist natürlich die Krisenkommunikation. Brach die Welt über Sie herein?
 
KH: Unsere Prämisse war von Anfang an, soweit wir konnten auf Transparenz zu setzen und so schnell wie möglich, nachdem eine Entscheidung gefallen war, die Öffentlichkeit, unsere Aussteller, unsere Partner usw. zu informieren. Unsere Maßgabe ist auch hier, dass wir schrittweise vorgehen. Immer wenn eine Frage gelöst werden konnte, sind wir damit in die Kommunikation gegangen, sei es die Rückabwicklung der Tickets oder wie wir die Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse gestalten. Da haben wir einen sehr schönen Weg gefunden mit dem Partner Deutschlandfunk Kultur. Und ich denke, das war in der Kürze der Zeit wirklich ein guter Weg, um die Autoren zu würdigen und den Preis, wenn auch nicht vor Publikum, aber doch vergeben zu können. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass niemandem geholfen ist, wenn wir vorschnell Dinge verlautbaren, die einer juristischen Bewertung eventuell nicht standhalten. 
 
Wir haben mehrheitlich wirklich große Unterstützung erfahren von unseren Partnern und Ausstellern, die durchaus verstehen, was landesweit passiert. Wir waren mit die ersten nach der ITB und der Hannover-Messe und mittlerweile wissen wir, dass man keine andere Entscheidung hätte treffen können. Das Gros der Aussteller zeigt Verständnis dafür, stärkt uns den Rücken, freut sich auf das nächste Jahr und möchte, dass wir sie wie in diesem Jahr einplanen. Natürlich gibt es auch negative Stimmen, die wenig Verständnis dafür haben, dass die Rückabwicklung jetzt länger dauert. Aber das müssen wir jetzt auch aushalten. 
 
KMN: Und wie läuft gerade die Kommunikation im Team? Hat sich hier etwas verändert? 
 
KH: Trotz aller Traurigkeit und Missstimmung sind wir definitiv auch zusammengewachsen. Wir haben festgestellt, dass wir ein gutes Team sind. Und ein gutes Team beweist sich vor allem in schlechten Zeiten. Natürlich sind wir zunächst in ein Loch gefallen. Wir konnten lange nicht glauben, dass es so ist, dass ein Jahr Arbeit umsonst gewesen sein soll. Wobei man, wenn man ein bisschen Abstand hat, auch erkennt, dass nicht alles umsonst war. Wir werden versuchen, vieles für das nächste Jahr zu retten, und die Arbeit, die man reingesteckt hat, ist nicht komplett verloren. Aber das Erlebnis der Buchmesse bleibt uns versagt und das ist wirklich bitter.
 
Zugleich sind jetzt ein paar Tage vergangen und wir wollen alle wieder nach vorn blicken. Wir merken, wie professionell wir hier im Team und im ganzen Haus gerade mit der Sache umgehen und dass wir uns auf uns verlassen können. Es wurde in kürzester Zeit eine Hilfscommunity gebildet, es melden sich Mitarbeiter aus anderen Abteilungen und fragen, wie sie uns mit ihren Kenntnissen unterstützen können. Manchmal bringen sie auch nur Schokolade vorbei, aber das sind alles wunderbare Gesten. Wir schieben nun erst einmal den Prozess der Rückabwicklung an - abschließen kann man den nicht gleich nach einer Woche - und werden parallel schauen, wie wir uns fürs nächste Jahr aufstellen. Welche Projekte machen wir? Was bleibt, was wird neu? Nächstes Jahr soll ein ganz besonderes Buchmessejahr werden, wir feiern mit 30 Jahren "Leipzig liest" ein Jubiläum und werden uns hoffentlich neu und schön präsentieren können. 
 
KMN: Relativ schnell wurden Ideen entwickelt, um die Messe ins Digitale zu übertragen. So veranstalten MDR und Deutschlandfunk Kultur eine virtuelle Buchmesse, es gibt Buchverlosungen, Livestream-Lesungen usw. Wie stark waren Sie daran beteiligt?
 
KH: Da muss man unterscheiden: Wir haben die ganze Messe abgesagt inklusive Manga-Comic-Con und auch Leipzig liest. Dennoch haben sich erfreulicherweise manche Formate gehalten oder neue Formen angenommen, ganz unabhängig von uns. Es haben Lesungen stattgefunden - nicht mehr unter unserem Label, aber die Autoren waren da und die Verlage waren da. Also haben wir das gesammelt, was trotzdem passiert, und auf unserer Homepage veröffentlicht. Und die vielen Online-Aktionen wie Hashtag-Aktionen usw. sind wirklich in großer Geschwindigkeit entstanden, ohne dass wir Einfluss darauf haben und die auch nicht von uns gesteuert sind. Dennoch freuen wir uns sehr darüber. 
 
Zu sehen, dass mit Absage der Buchmesse das Thema nicht abreißt und nicht alles verschwindet, sondern sich die Community zusammentut und uns unterstützt, ist sehr schön. Viele nutzen auch den Hashtag Buchmesse und versuchen, die Idee und das Gefühl der Buchmesse weiterzutragen. Und wir werden natürlich alles tun, um am Ball zu bleiben und das Thema weiter zu befeuern über das Jahr hinweg. Wir überlegen uns jetzt Methoden, wie wir das machen können. Denn auch wenn natürlich all diese Aktionen wirklich toll sind, ersetzen sie doch keine stattgefundene Buchmesse. 
 
KMN: Hat Sie das denn inspiriert? Treibt die Absage damit die Digitalisierung der Buchmesse voran?  
 
KH: So weit sind wir aktuell noch nicht in unserer Planung. Zwei Wochen nach der Absage haben wir momentan alle Hände voll zu tun, erstmal den Prozess der Rückabwicklung voranzutreiben, bevor wir in gedankliche Klausur gehen und überlegen: Was heißt das jetzt? Welche Lehren ziehen wir daraus? Welche Prozesse schauen wir uns neu an? Dabei wird das Thema Digitalisierung auch eine Rolle spielen. Diesen inhaltlichen Austausch konnten wir aufgrund der fehlenden Zeit noch nicht führen. Aber wir freuen uns darauf, mit neuen Ideen nach vorn zu blicken und den Optimismus, den wir jetzt schon spüren, sowohl im Team als auch von außen, weiter zu nutzen.
 
 

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