15.11.2023

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick KulturMut Convention 2023

Faire Kulturarbeit für morgen – schon heute

Nachhaltigkeit hat im Kulturbetrieb rasant an Bedeutung gewonnen. Sehr oft geht es dabei um die ökologische Komponente, während soziale Nachhaltigkeit bislang nur wenig Beachtung findet, die jedoch eine ebenso wichtige Facette des Themas ist. Deshalb war es umso erfreulicher, dass die KulturMut Convention sich Mitte September genau damit auseinandersetzte.
Soziale Missstände gibt es im Kulturbetrieb viele: Da wäre etwa die ungleiche Verteilung von Macht, Teilhabe- und Mitentscheidungsmöglichkeiten - sowohl innerhalb der Personalstrukturen von Kultureinrichtungen als auch für das Publikum. Hinzu kommen enorme Gehaltsunterschiede, prekäre Arbeitsbedingungen und mangelnde Absicherungsmöglichkeiten gerade freiberuflicher Kulturarbeiter*innen. Vom Gender-Pay-Gap, einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie und kaum aufgearbeiteten rassistischen und diskriminierende Strukturen ganz zu schweigen.
 
Solche Missstände werden glücklicherweise immer öfter mutig von all jenen Kulturakteur*innen öffentlich angeprangert und besprochen, für die der Faktor Mensch eine unverzichtbare Rolle für die Gegenwart und Zukunft des Kulturbetriebs spielt. Einige davon folgten der Einladung des KUMBIG e.V. zur KulturMut Convention vom 14. bis 16. September in Köln. Das Ziel der Veranstalter*innen: Die soziale Komponente der Nachhaltigkeit in den Fokus rücken, um gemeinsam Lösungsansätze für eine gerechtere Kultur für morgen zu finden, die sich alle leisten können. Dazu beleuchtete die Veranstaltung die Kulturarbeit hinsichtlich Chancengleichheit und Zugänglichkeit, Solidarisierung und Geschlechtergleichstellung, Mutterschaft und Familienvereinbarkeit, Arbeitsklima und Anerkennung sowie Ehrenamt und Ressourcenschonung.
 
Durch einen Open Call vor und während der Veranstaltung konnten die Teilnehmenden zu diesen Themen ihre Erfahrungen teilen in Form von (anonymen) Antworten auf Fragen wie: Wie sieht eine gerechte Kulturarbeit aus? Und was läuft da noch alles falsch? Oder: Was denken deine Eltern, was du beruflich machst? Solche Mitmach-Möglichkeiten sind sehr lobenswert, um während der Veranstaltung mit realen Problemen zu arbeiten und für diese Lösungen zu finden. Gleichzeitig bekommen so alle die Chance, auch außerhalb des Konferenzprogramms gehört zu werden sowie zu merken, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein sind.
 
Mehr Mut, um…
 
… Konflikte auszutragen und Risiken einzugehen
Um zu Beginn der Convention ordentlich Mut zu tanken, war mit Nanette Snoep (Direktorin des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM)) eine sehr passende Referentin gewählt: Sie schaffte es trotz des schwierigen Themas ihrer Keynote zur postkolonialen Transformation von Kultureinrichtungen, die Zuhörenden empowert und motiviert zu stimmen. Das gelang ihr, indem sie die Missstände klar benannte: Dass wir nach wie vor weit weg von gerechter und rassismusfreier Kulturarbeit sind, liegt unter anderem an den kolonialen Mustern, in denen wir noch immer denken. So ernüchternd diese Erkenntnis auch ist, ist das damit verbundene Problembewusstsein ein notwendiger Schritt, um etwas zu verändern. Dafür ist es für Snoep unerlässlich, die Reibungen auszuhalten, die durch damit verbundene Konflikte entstehen, beispielsweise durch Fragen wie diese, die Snoep während ihrer Keynote stellte: "Warum haben wir so viele Schwierigkeiten damit, Dinge zurückzugeben, die uns nicht gehören?" Oder die Frage nach der Notwendigkeit der Umbenennung von Institutionen, die im anschließenden Publikumsgespräch diskutiert wurde.
 
Um Antworten auf solche Fragen zu finden, ist ein wichtiges Credo ihrer Arbeit beim RJM "Konversieren statt konservieren". In der Praxis bedeutet das etwa, über die Ausstellungsstücke und die Stücke in den Depots ins Gespräch zu kommen - mit den Besuchenden, aber auch mit ausstellenden Künstler*innen und anderen Beteiligten. Zudem plädierte sie für mehr Gastfreundschaft in den Museen (in Form von mehr Offenheit den Besucher*innen und Künstler*innen gegenüber) sowie Gestaltungsmöglichkeiten durch Besucher*innen, beispielsweise durch Räume für Diskussionen, Vernetzung und Teilhabe an der Sammlung. Im RJM werden dafür zum einen Menschen aus der Stadtgesellschaft aktiv einbezogen. Zum anderen berichtete Snoep von der Ausstellung "Resist! Die Kunst des Widerstands", die von Nachfahren der Herero und Nama kuratiert wurde, denn: "It cannot be about us without us!" Dabei überließ ihnen das RJM eine "Carte blanche", also uneingeschränkte Vollmacht und Handlungsfreiheit. So viel Macht abzugeben, ist mit einem gewissen Risiko verbunden - aber wenn Kultureinrichtungen Demokratie leben wollen, müssen sie genau dazu bereit sein, wofür es mitunter eine ordentliche Portion Mut braucht, althergebrachte Denk- und Handlungsmuster zu überwinden.
 
… klassistische Strukturen aufzubrechen
Klassismus ist ein weiteres unbequemes Thema, dessen Tragweite innerhalb der Kulturarbeit mehr Aufmerksamkeit braucht, um soziale Ungleichheiten stärker ins Bewusstsein zu rücken und abzubauen. Klassismus meint hier, dass Menschen aufgrund ihres vermuteten oder wirklichen sozialen Status mit Vorurteilen begegnet wird und dass sie strukturell vom Kulturbetrieb diskriminiert werden. "Klasse und Klassismus sind eine Form von (sozialer) Gewalt", so Georg Blokus (Direktor des Berliner Büros von European Alternatives) am 2. Tag der KulturMut Convention. Damit verbunden ist auch die Frage: "Wer kann sich Kulturarbeit eigentlich leisten?" (Weitere Antworten darauf gab uns Georg Blokus auch in einem Interview, das in der Oktober-Ausgabe zu "Leistung" unseres KMN Magazins erschien sowie in der 2. Folge unseres Podcasts "Dienstags im Koi" nachzuhören ist.)
 
Blokus betrachtete zunächst die Probleme der Arbeitsbedingungen innerhalb der Kultur: Es fehlt an attraktiven Arbeitsplätzen für viele qualifizierte Menschen. Niedrige Löhne, Scheinselbstständigkeit und unregelmäßige Arbeitszeiten sind ernstzunehmende Probleme sind, die sich nur schwer mit dem Privatleben oder gar einer Familie vereinbaren, zumal ohne anderweitige finanzielle Unterstützung. Prinzipiell sind diese Bedingungen und ihre Auswirkungen sehr unterschiedlich - und längst bekannt. Das Argument gegen Verbesserungen ist aber immer: "Dafür gibt es leider kein Geld (mehr)." Laut Blokus ist der Kampf gegen Klassismus aber keine Frage von zu wenig Geld, sondern der Umverteilung. Um dieses Thema auch in der Praxis mutig(er) anzugehen, braucht es zunächst Mut, überhaupt darüber zu sprechen. Dafür war der Workshop von Blokus mit den KulturMut-Teilnehmenden ein wichtiger Schritt, um Berührungsängste abzubauen und über "Klasse" und die eigenen Klassismus-Erfahrungen zu sprechen. Weiterhin machte einer der Leitgedanken von Georg Blokus während und über die Session hinaus Mut, klassistische Strukturen aufzubrechen: "Wenn wir es schaffen als Kulturarbeiter*innen unsere eigenen Bedingungen zu verbessern, dann verbessert das auch die Bedingungen unserer Communities."
… gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen
Nachdem die ersten beiden Tage von jeweils einer referierenden Person angeleitet wurden, gab es am 3. und letzten Tag gleich drei Speakerinnen, die weiteren wichtigen Input für einen faireren Kulturbetrieb lieferten (an dieser Stelle ganz lieben Dank an meine Kollegin Sofia Unger für die inhaltliche Zuarbeit, da ich an Tag 3 nicht mehr dabei sein konnte!): 
 
  • Laura Oetzel von ver.di sprach über die prekären Arbeitsbedingungen, die insbesondere freischaffende Musiker*innen betreffen - während festangestellte Orchestermusiker*innen zu sehr guten und auskömmlichen Konditionen arbeiten. Oetzel sieht dabei den (gewerkschaftlichen) Zusammenschluss von sowie Solidarität mit Betroffenen als wichtigen Lösungsansatz.
  • Maxa Zoller vom Internationalen Frauen Film Fest sprach sich für familienfreundlichere Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb aus. Dafür erachtet sie die Entprivatisierung von Eltern-und insbesondere Mutterschaft als wichtigen Schritt - auch, damit die Familiengründung insbesondere für Frauen nicht mehr ein Karriereende bedeutet. Als Best-Practice-Beispiele nannte sie u.a. 
    • eine Kindertagespflege für Eltern, deren Arbeitszeiten außerhalb der Kitaöffnungszeiten liegen, 
    • Co-Working Spaces mit Kinderbetreuung für freiberufliche Eltern sowie 
    • eine Kinderbetreuung bei Veranstaltungen. Letzteres boten die Macher*innen der KulturMut Convention an und bilden damit bislang die absolute Ausnahme unter den Tagungen (die wir bisher besucht haben).
  • Elizaveta Khan (Geschäftsführerin In-Haus e.V.) sprach in ihrem lebhaften und mitreißenden Vortrag darüber, warum Ehrenamt im Kulturbereich (mehr) Anerkennung verdient und wie Kulturarbeiter*innen dies praktisch umsetzen können. Sie hob hervor, dass die aktuellen Strukturen aufgrund von zu vielen Aufgaben bei zu wenigen Stellen unfreiwillige Freiwilligenarbeit begünstigt, was sich dringend ändern muss. Nicht zuletzt, damit ein Hauptamt nicht (durch Kürzungen und Co.) zu einem Ehrenamt wird. Kulturarbeiter*innen, die mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten, ermutigte sie zu einem Perspektivwechsel: Diese sollten sich selbst fragen, was sie als Ehrenämtler*innen brauchen würden, um sich wertgeschätzt zu fühlen. Denn Wertschätzung und Anerkennung sind für ehrenamtliche Tätigkeiten ebenso wichtig wie ein konkreter Rahmen, verlässliche Strukturen, Sichtbarkeit, Vernetzung und Wissenstransfer.
Von diesen Inputs weiter empowert, konnten die Teilnehmenden am Ende der KulturMut Convention ihre eigenen (kulturpolitischen) Forderungen für eine fiktive Demonstration gegenüber der Kulturpolitik NRWs zu formulieren. Dafür konnten Transparente gestaltet und andere Handlungsaufforderungen kreativ umgesetzt werden (einige der Ergebnisse und konkrete Forderungen sehen Sie in der Bildergalerie am Ende dieses Beitrags). Und wer weiß - vielleicht findet sich das ein oder andere Ergebnis dieses Workshops sogar auf der nächsten Demo für bessere Arbeitsbedingungen oder mehr kulturelle Teilhabe?
 
Mit viel Mut gemeinsam in die praktische Umsetzung
 
All diese Expert*innen-Inputs und Austauschmöglichkeiten während der KulturMut Covention hallen auch Wochen später noch nach. Und das ist wohl die größte Auszeichnung für die Veranstaltung und das dahinter stehende Team: Ihnen ist es gelungen, die Teilnehmenden für soziale Nachhaltigkeit im Kulturbereich zu sensibilisieren und zu empowern. Hilfreich dafür waren zum einen die familiäre Atmosphäre, die den offenen Austausch über eigene Erfahrungen im Kulturbetrieb möglich machte, sowie die interaktiven Formate  während der Pausen, um sich besser kennenzulernen. Zum anderen waren die kurzlebigen und dynamischen Vorträge sowie die daraus entstandenen lockeren Diskussionen sehr lobenswert. Dadurch wurde zwar der Zeitplan nicht eingehalten, aber alle Teilnehmenden konnten zu Wort kommen. Das wiederum war sehr wertvoll und wichtig, um allen angesprochenen Problematiken genügend Platz einzuräumen.
 
Schließlich ist die KulturMut Convention ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich das Besprochene direkt während einer Veranstaltung umsetzen lässt: So gab es während der kompletten Tagung eine Kinderbetreuung, eine Awareness-Person, einen barrierefreien Zugang, kostenfreie Tickets, eine Kommunikation in einfacher Sprache und Drinks auf Spendenbasis. All das ist bei Veranstaltungen im Kulturbereich keine Selbstverständlichkeit, würde aber auch bei anderen Konferenzen helfen, um mehr Teilnehmenden Zugangsmöglichkeiten zu bieten. Dazu gehört auch, solche Angebote im Vorfeld und während der Tagung zu kommunizieren - was die KulturMut-Veranstalter*innen ebenfalls hervorragend umgesetzt haben.
 
Wünschenswert wäre für weitere Veranstaltungen dieser Art, dass noch mehr Menschen aus Kulturpolitik und Führungspositionen teilnehmen und nicht nur all jene, die das Thema bereits auf dem Schirm haben oder die selbst von sozialen Ungerechtigkeiten im Kulturbetrieb betroffen sind. So kämen all die besprochenen Inhalte auch auf der Entscheider*innenebene an, die dringend dabei sein muss, wenn es darum geht, strukturelle Missstände abzubauen. 
 
Impressionen der KulturMut Convention 2023
 
 
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