25.06.2011

Autor*in

Benedikt Matthias Reimann
Untergang des physischen Tonträgers

Das 360 Grad Modell in der Musikindustrie

Die Tonträgerindustrie, die bis in das Jahr 2000 hinein von starkem Wachstum geprägt war (1), verzeichnet seit Beginn des 21. Jahrhunderts kontinuierliche Umsatzrückgänge im Absatz von physischen Tonträgern. (2)
 
Das heute auf nur noch vier Unternehmen zurückgegangene Oligopol der Plattenfirmen (Universal Music Group, Sony Music Entertainment, EMI Group, Warner Music Group), die zur Hälfte wiederum ein Teil von internationalen Medienkonglomeraten sind (3), hat es im Verständnis eines reinen CD-Dienstleisters versäumt, das Internet nachhaltig als neuen Vertriebskanal in ihren Distributionsmix aufzunehmen, um als Entertainment Dienstleister die Konsumentenpräferenzen im Download-Markt nicht zu ignorieren. (4)
 
Vielmehr versuchten die großen Akteure der Tonträgerindustrie der Internet- und der Musikpiraterie (5) im Allgemeinen auf juristischem und technischem Wege beizukommen, deren Erfolg bis heute allerdings ausblieb. (6) So konnte sich über die im Jahre 1998 aufkommenden7 Musiktauschbörsen (Peer-to-Peer-Netzwerke) ein Schattenmarkt etablieren, in dem sich die Nutzer auf Plattformen ein eigenes Angebot für meist illegalen und weltweiten Austausch von Musik schafften und so den hohen Nachfrageüberhang gegenüber dem beschränktem Angebot der Plattenfirmen bedienten. (8)
 
Durch den Markteintritt branchenfremder Wettbewerber in die online Musikdistribution, allen voran der Endgerätehersteller Apple, der mit seinem im Jahre 2003 ins Leben gerufenen iTunes Store in einem First Mover Advantage zum Marktführer aufgestiegen ist, bis hin zu weiteren Endgeräteherstellern, Kommunikationsanbietern, Medien-, Handelsunternehmen und Konsumgüterherstellern wie Microsoft, Vodafone, T-Online, Amazon, Coca Cola oder Starbucks (9), gewann der Download-Markt eine legale Dimension, an der nun auch die Tonträgerindustrie mit starkem Wachstum im Bereich des Musikdownloads finanziell partizipiert. (10) Dennoch sind die digitalen Vertriebswege als Hoffnungsträger (11) mit einem Umsatzanteil von weltweit mittlerweile knapp unter 30 Prozent (12) am Gesamtmarkt bis heute noch nicht in der Lage, die Verluste im traditionellen Markt auszugleichen (13), zumal die Peer-to-Peer Netzwerke als Pioniere14 nur sukzessive von kostenpflichtigen Plattformen verdrängt werden (15) und immer noch deutlich höhere Downloads generieren als ihre Wettbewerber (16).
 
Die Veranstaltungswirtschaft, die über die Jahre stetig gewachsen ist und in ihrer finanziellen Bedeutung den Tonträgermarkt überholt hat (17), zeichnet hingegen ein ganz anderes Bild. War die Durchführung von Live-Veranstaltungen früher Teil der Vermarktungsstrategie von Tonträgern, wird sie heute von Tonträgerfirmen als potenzielle zusätzliche Einnahmequelle begriffen. (18) So werden die meisten Umsätze in der Musikindustrie (19) heute über den Verkauf von Tickets für Live-Veranstaltungen erwirtschaftet.(20) Folglich drängte es die Plattenfirmen immer mehr auf den Veranstaltungsmarkt, um auch selbst an der größten Einnahmequelle des Künstlers mitzuverdienen, anstatt die Aufbaukosten zu tragen und die Abschöpfung der Einnahmen aus Ticketverkäufen, Merchandising und Sponsoring anderen zu überlassen. (21) Veranstalter sahen auf der anderen Seite die Chance, sich ihrerseits auf dem Tonträgermarkt sei es als Wettbewerber oder Partner zu etablieren, um zusätzlich an den Erträgen in der Tonträgerindustrie zu verdienen. (22)
 
Die Entwicklung der Musikindustrie, das Geschäftssystem durch horizontale oder vertikale Integration der Wertschöpfungsstufen auf weitere Einnahmequellen auszuweiten, um sich von einem Einprodukt- und Einkanalunternehmen zu einem Mehrproduktunternehmen mit einem integrierten Multikanalvertrieb zu entwickeln und damit auch verstärkt als Rechtemanager zu fungieren, begründet in ihrer Bedeutung das sogenannte 360 Grad Modell. (23) Bei dieser Komplettvermarktung des Künstlers mit deren sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärkenden (24) Wertschöpfungskomponenten (Tonträger/DVD Produktion, Künstler/Tour Management und Merchandising) (25) empfiehlt sich in der Literatur ein Vorgehen in Partnerschaften, Joint Ventures oder Netzwerken (26), da es fraglich ist, ob Plattenfirmen und Veranstalter das jeweils erforderliche Know-How des Anderen selbst aufbringen können. (27)
 
So verfügen Tournee Veranstalter in der Regel über bessere Kontakte zu einzelnen örtlichen Veranstaltern oder Betreibern von Konzerthallen. (28) Gleichzeitig besitzen Plattenfirmen Kompetenzen im medialen Aufbau der Künstler.(29) Dass aber auch eine alleinige Vermarktung insbesondere bei bereits weltweit erfolgreichen Stars möglich ist, zeigen prominente Beispiele wie Madonna u.v.a.m. (30) Unabhängig von der Frage, in welcher Form das kontrovers diskutierte 360 Grad Modell umgesetzt wird, scheint es den Akteuren der von starkem Verdrängungswettbewerb geprägten Musikindustrie (31) die Möglichkeit und Hoffnung zu eröffnen, an der ganzen Wertschöpfungskette eines Künstlers zu partizipieren, die Musik bei gegebenem Wettbewerb um die Freizeitbudgets der Kunden durch eine Produktpolitik des Aufbaus langfristiger Karrieren gegenüber Substitutionsprodukten wettbewerbsfähig zu halten (32) und damit trotz vorhandener Musikpiraterie weiterhin in einem komplexen Wertschöpfungsnetz (33) überlebensfähig zu bleiben. (34)
 
1 Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate betrug von 1969 bis 2000 rund 10 Prozent. Wachstumstreiber waren die großen Erfolge der Schallplatte, später der Musik-CD und das relativ stabile und stetig prosperierende wirtschaftliche Umfeld. vgl. Briegmann/Jakob (2008), S. 87.
 
2 Vgl. ebd. S. 87; Jakob (2008), S. 77; Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 27; Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3; Deutsche Bank Research (2008), S. 2; detaillierter siehe Altig/Clement/Papies (2008), S. 18 ff; vgl. auch Waldhausen/Hann, KSzW (2010), S. 284.
 
3 Vgl. Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 31.
 
4 Vgl. ebd., S. 43; Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3, 12; vgl auch Altig/Clement/Papies (2008).
 
5 Zur Musikpiraterie siehe Briegmann/Jakob (2008), S. 89; siehe auch Deutsche Bank Research (2008), S. 2.
 
6 Vgl. ebd., S. 1, 3 f.; vgl. hierzu auch Altig/Clement/Papies (2008), S. 21; Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 38.
 
7 Vgl. Deutsche Bank Research (2008), S. 2.
 
8 Vgl. Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3.
 
9 Vgl. Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 27, 38 ff.; Altig/Clement/Papies (2008), S. 25; Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3.
 
10 Vgl. Altig/Clement/Papies (2008), S. 22 f.; Briegmann/Jakob (2008), S. 92 ff.; Deutsche Bank Research (2008), S. 4 f.; vgl. auch Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3.
 
11 Vgl. Altig/Clement/Papies (2008), S. 22, 25 f.
 
12 Im Jahr 2007 betrug der Anteil am Umsatz des gesamten Marktes in Deutschland 6, weltweit 15 Prozent. Vgl. Altig/Clement/Papies (2008), S. 22; Deutsche Bank Research (2008), S. 4. Im Jahre 2009 lag der Umsatzanteil in Deutschland bei 8 und weltweit bei 27 Prozent. Vgl. http://www.musikindustrie.de/gfkprognose00/, (Stand: 15.12.2010); http://www.ifpi.org/content/section_resources/dmr2010.html, (Stand: 15.12.2010).
 
13 Vgl. Clement/Papies/Schusser (2008), S. 3; vgl. auch Altig/Clement/Papies (2008), S. 17, 25.
 
14 Vgl. ebd., S. 25.
 
15 Vgl. ebd., S. 17, 22.
 
16 Im Jahr 2007 wurden in Deutschland dreimal so viele Titel über Tauschbörsen bezogen wie über andere Quellen. Vgl. ebd., S. 21. Im Jahr 2009 war die Anzahl noch rund das Doppelte. Vgl. Bundesverband Musikindustrie (2010), S. 23.
 
17 Vgl. Deutsche Bank Research (2008), S. 1, 3; Waldhausen/Hann, KSzW (2010), S. 284.
 
18 Nedtwig (2011), S. 1.
 
19 Den Begriff der Musikindustrie versteht die Arbeit als Oberbegriff für die Tonträgerindustrie auf der einen und die Veranstaltungswirtschaft auf der anderen Seite.
 
20 In Deutschland generierte der Veranstaltungssektors trotz leicht fallender Tendenz in den letzten beiden Jahren mit 3,2 Milliarden Euro etwa den doppelten Umsatz der Tonträgerindustrie. Vgl. http://www.idkv.de/gfk, (Stand: 15.12.2010); http://www.musikindustrie.de/jwb_umsatz09/, (Stand: 15.12.2010). Im Jahr 2007 betrug der Anteil noch das 1,8 fache. Begründet wird das Wachstum mit dem Sinken an Arbeitszeit und dem unter anderem durch die Digitalisierung verursachtem Ansteigen des verfügbaren Realeinkommens. Vgl. Deutsche Bank Research (2008), S. 3, 8; In Nordamerika stieg der Umsatz von 3,9 Milliarden (2007) auf 4,6 Milliarden US-Dollar in 2009 an. Vgl. Live Nation Entertainment, Inc. (2010), S. 4.
 
21 Vgl. Altig/Clement/Papies (2008), S. 26; Deutsche Bank Research (2008), S. 5.
 
22 Vgl. ebd., S. 5.
 
23 Vgl. Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 37 f.; Briegmann /Jakob (2008), S. 98; vgl. auch Jakob (2008), S. 81.
 
24 Vgl. hierzu auch Deutsche Bank Research (2008), S. 6.
 
25 Zum Inhalt des 360 Grad Modells siehe auch Waldhausen/Hann, KSzW (2010), S. 284; Nedtwig (2011), S. 1 sowie die Quellen in Fußnote 34.
 
26 Vgl. Briegmann/Jakob (2008), S. 91, 97 f.
 
27 Vgl. Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 38.
 
28 Vgl. ebd., S. 38.
 
29 Zum medialen Aufbau siehe auch vorherige Seite.
 
30 Zu den praktischen Beispielen siehe Altig/Clement/Papies (2008), S. 17; Clement/Papies/Schusser (2008), S. 12; Deutsche Bank Research (2008), S. 5 f.; Waldhausen/Hann, KSzW (2010), S. 284 f., sowie die Presse (Fußnote 34).
 
31 Vgl. Steinkrauß/Gmelin/Günnel (2008), S. 30, 37.
 
32 Steinkrauß/Gmelin/Günnel sehen in der Fokussierung auf Kurzfristerfolge und im Substitutionswettbewerb mit anderen Entertainment- und Kommunikations-Angeboten weitere Treiber für den Umsatzrückgang der Musikindustrie. Vgl. ebd., S. 29; vgl. hierzu auch Deutsche Bank Research (2008), S. 6; Zur Produktpolitik siehe auch Steinkrauß/Gmelin/Günnel, S. 38 f.; Briegmann und Jakob betonen im Wettbewerb um Freizeitbudgets die zunehmende Bedeutung von mobiler Telefonie und Computerspielen. Vgl. Briegmann/Jakob (2008), S. 89 f.
 
33 Vgl. hierzu auch Deutsche Bank Research (2008), S. 8.
 
 

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