26.03.2009

Autor*in

Moritz Eggert
Musikvermittlung

Man sollte das Publikum nie unterschätzen

Im Interview mit Dirk Schütz spricht der Komponist und Pianist Moritz Eggert über Energie, Enthusiasmus, Spielfreude und Humor, die notwendig ist, um einem jungen, unerfahrenen und vielleicht auch etwas ängstlichen Publikum Neue Musik näher bringen und dieses dafür begeistern kann.
Und so konnte man mit dem spielenden, singenden, parodierenden, auf der Bühne umher rennenden und das Klavier bis an seine physischen Grenzen ausreizenden Moritz Eggert in einer Musikperformance sehen und im besten Sinne des Wortes "Musik erleben".
 
Das Gespräch führte Dirk Schütz.
 
KM Magazin: Herr Eggert, Sie tragen Musik mit einer ausgesprochenen Leidenschaft und Dynamik auf der Bühne vor, ist das nötig um eine junge Zielgruppe anzusprechen? Ist das ebenso für ein älteres Klientel nutzbar?
 
Moritz Eggert: Ich habe nie darüber nachgedacht, welche Zielgruppe ich ansprechen möchte. Gedanken habe ich mir darüber gemacht, wie ich als Musiker für ein Publikum agieren möchte und was mich bei Auftritten anderer Musiker begeistert. Man spricht gerne vom Entertainer, wobei dieser Begriff bei der klassischen Musik nun etwas Fehl am Platz ist. Aber ich finde es sehr interessant, wie sich historisch das Konzertleben verändert hat, zum Beispiel zu Zeiten von Franz Liszt. Es existierte eine ganz andere Beziehung zwischen Publikum und Interpreten, die heute verloren gegangen ist. Liszt hat auf Zuruf andere Stücke gespielt oder abgebrochen, weil das Publikum etwas anderes hören wollte und er war nicht etwa beleidigt, wie das ganz sicher Musiker heute wären. Liszt hat für und mit dem Publikum gespielt und dieses Verhältnis ist das eines Entertainers. Genau diese Art und Weise, Kommunikation mit dem Zuhörer zu suchen, ist es, die eine Gabriele Montero so erfolgreich werden lässt. Das Publikum ist ihr dafür dankbar und der Bedarf ist in diesem Bereich enorm. Ich versuche mit meinen bescheidenen Mitteln dem Zuhörer das Gefühl zu geben, dass er nicht nur belehrt, sondern auch einbezogen und auf irgendeine Weise unterhalten wird. Aber das richtet sich jetzt nicht an die Jugend speziell, sondern an ein Publikum generell.
 
KM: Musikvermittlung ist ein Thema, das viele Theater- und Konzerthäuser umtreibt. Es existieren umfassende Programme. Heißt es aber, dass man gar nichts Neuartiges entwickeln, sondern nur einen Blick in die Vergangenheit richten muss?
 
ME: Ich bin überzeugt, dass jede Zeit eine andere Konzertform braucht. Allerdings, wenn man die Zeit vom 19. bis ins 20. Jahrhundert betrachtet, hat sich 150 Jahre nichts verändert! Vorher war alles im Fluss: Das Konzertleben des 17. Jahrhunderts war gänzlich anders als das im nachfolgenden. Man kann genau verfolgen, in welcher Epoche Musik welche - auch gesellschaftliche - Rolle gespielt hat. Kirchenmusik wurde völlig anders wahrgenommen, Tafel- und Hausmusik hatte eine ganz andere Funktion als heute. Aber seit ca. 1850 hat sich eben nichts wesentlich verändert. Außer dass die Konzerte etwas kürzer geworden sind. Darüber müssen wir nachdenken: Was ist in Zeiten des perfekten Home-Entertainments überhaupt noch möglich? Das Erlebnis Konzert und Kino kann in nahezu perfekter Form nach Hause geholt werden, ein Prozess, der sich noch verstärken wird. Selbst eine Berliner Philharmonie macht ihre Konzerte bald virtuell verfügbar. Umso bedeutender ist es zu formulieren, was an einem Live-Konzert das Besondere ist. Das ist natürlich die Person live zu erleben ähnliches erleben wir bei einem Besuch im Fußballstadion. Vom Spiel selbst kann man mehr am Fernseher sehen, inklusive der fachlichen Kommentare und Analysen. Dennoch ist es im Stadion ein anderes Erlebnis. Im klassischen Konzertleben hat sich dagegen sehr wenig getan. Wir haben immer noch dieselben Rituale, immer noch herrscht eine gewisse Steifheit. Es ist immer noch sehr selten, dass Interpreten eines gewissen Ranges in irgendeiner Form mit dem Publikum kommunizieren. Bei diesem Punkt machen sich Konzertveranstalter zu wenige Gedanken. Anderes findet man im Bereich Rock & Pop. Hier wurde in den letzten Jahrzehnten sehr vieles entwickelt und verändert. Also bei der klassischen Musik gab es 150 Jahre keine Veränderung und ich denke, es gibt sehr viele Wege dies endlich anzugehen. Beispielsweise die Intimität von Kammermusik wieder aufleben zu lassen. Eine Atmosphäre die immer wieder Freude beim Publikum erzeugt und das wissen viel zu wenige Menschen.
 
KM: Es hört sich so an, dass die Lösung eigentlich ganz einfach ist und man lediglich das Publikum vergessen hat?
 
ME: Bei Neuer Musik war das ohnehin schon immer der Fall gewesen. Aber eben auch im Konzertbetrieb. Man sollte das Publikum nie unterschätzen, vor allem welche Eigendynamik es entwickeln kann. Man spricht im ausgehenden 20. Jahrhundert immer wieder gerne von "Event". Ich habe selber erlebt, wie Menschen beispielsweise zu Konzerten an außergewöhnlichen Orten strömten, was vorher nicht zu erwarten war. Theater und Konzerthäuser sind in Städte eingebettet und die Bevölkerung ist meist sehr stolz darauf. Und diese Beziehungen zu pflegen, darf man nicht vernachlässigen.
 
KM: Viele Kritiker würden jetzt sagen, man konzentriere sich zu viel auf das, was nebenher passiert und nicht auf die Musik.
 
ME: Für die Inhalte müssen wir Künstler sorgen. Gute Inhalte begeistern und faszinieren auch auf längere Sicht gesehen, als nur für die Dauer eines Konzertes. Aktuell finden sehr viele von diesen Konzeptkonzerten statt, bei denen sich die Organisatoren die irrsten Dinge ausdenken und letztlich sind danach 99 Prozent wieder vergessen. Das liegt nicht an der Form dieser Konzerte, sondern an den fehlenden Inhalten. Aber die Konzertformen sind letztlich diejenigen, die den Betrieb am Laufen halten. Wenn dieser allerdings zugrunde geht, fehlt die Plattform und die Möglichkeit Inhalte zu vermitteln. Daher sind auch halb ausgegorene Konzeptkonzerte zu akzeptieren, denn schließlich halten sie das ganze System am Leben. Das Event bzw. Happening ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Auch das normale Konzert kann den besonderen Moment bieten, nur muss man an der Situation etwas ändern. Man sollte beachten, mit welcher Einstellung das Publikum teilnimmt: Möchten sie lediglich zu hören und nebenbei im Programmheft blättern, oder möchten sie vom Interpreten die Musik auf eine ganz neue Weise näher gebracht bekommen, das er mit ihnen darüber spricht? Ich habe damit noch nie negative Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil, man erfährt eine wahnsinnige Dankbarkeit, wenn Musiker bereit sind in irgendeiner Form mit dem Publikum zu reden. Zudem ist es ein Manko, dass dieses Thema in der Ausbildung überhaupt keine Beachtung erfährt. Stichwort wäre hier die Bühnenpräsenz: Wie komme ich auf die Bühne, wie verhalte ich mich dort, wie spreche ich zum Publikum, das sind alles Dinge, bei denen angehende Musiker eigentlich pädagogisch begleitet werden sollten.
 
KM: Es gibt sehr viele Organisationen, Verbände und Vereine, die sich mit Musikvermittlung beschäftigen. Was würden Sie sich von deren Arbeit wünschen?
 
ME: Wir müssen wieder Situationen schaffen, in denen ein großes Publikum mit wirklich guter Musik konfrontiert wird. Das war früher im öffentlichrechtlichen Fernsehen noch der Fall - was aber völlig abhanden gekommen ist. Jemand der keinen Bezug zur klassischen Musik hat, wird gar nicht mehr damit in Kontakt gebracht. Selbst in der Kirche findet dergleichen nicht mehr oft statt. Wenn ich dann an die von Ihnen genannten Organisationen einen Rat geben soll, dann diesen, dass in jeder Stadt, an jedem kulturellen Standort Situationen zu schaffen sind, wo regelmäßig kostenlose Konzerte statt finden z.B. Openairs, die selten Kritik erfahren. Also raus aus den Löchern kommen, an die Öffentlichkeit gehen, ohne einen finanziellen Rückfluss. Dann ist auch ein Zugang zur Musik möglich. Die Bereitschaft ist größer sich auf etwas einzulassen und somit kann überhaupt erst etwas entdeckt werden. Klassische Musik muss präsent gemacht werden. Die Barriere, die vom nicht vorgebildeten Publikum zu überwinden ist, um klassische Musik schätzen zu können, ist in den letzten Jahrzehnten immer höher geworden. Es muss das Ziel sein, diese Schwellenängste zu überwinden.
 
KM: Ist das auch so etwas wie ein Aufruf an den Betrieb der klassischen Musik, sich zusammen zu setzen? Oder passiert das bereits?
 
ME: Ich denke schon, dass gerade im Bereich der Neuen Musik eine gewisse Sehnsucht vorherrscht wieder mehr miteinander zu reden. Viele kleine Gruppen haben sich separiert. Es geht ihnen im Kulturraum Deutschland auch noch relativ gut. Aber der größere Kontext ist schon ein spürbarer Wunsch. Zudem hat sich die Klassik von der Neuen Musik gänzlich abgetrennt. Es gibt Komponisten der Neuen Musik, die eine Nähe zur Klassik völlig ablehnen und das halte ich für einen sehr großen Fehler. Denn um Neue Musik als Musiker begreifen zu können, muss man durch die klassische Musik geschult sein.
 
KM: Herr Eggert, ich bedanke mich für das Gespräch!
 

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB