18.03.2020

Themenreihe Corona

Autor*in

Frank Romeike
ist geschäftsführender Gesellschafter bei RiskNET GmbH - The Risk Management Network sowie Mitglied des Vorstands der "Association for Risk Management and Regulation". Er hält regelmäßig Vorträge auf nationalen und internationalen Konferenzen rund um die Themen Risikomanagement, wert- und risikoorientierte Steuerung, Szenarioanalyse und Unternehmensbewertung. 
Risiko- und Krisenmanagement im Kulturbetrieb

Bühne frei für Risiken und Chancen

Risikomanagement ist vielschichtig und bekommt aktuell eine völlig neue Bedeutung. Zwar sind manche Krisensituationen, wie aktuell aufgrund von Corona, kaum vorherzusehen, andere hingegen schon. Deshalb sollte jede Kultureinrichtung über Risiko- und Krisenpläne verfügen und dabei verschiedenste Ebenen - Finanzierung, Nachhaltigkeit, Zugang, aber etwa auch Evakuierung - berücksichtigen.

Themenreihe Corona

"Eine zeitgemäße Kulturpolitik sollte von einem Begriffsverständnis der Kultur im weiteren Sinne geprägt sein, das von Kultur als einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen und von gesellschaftlichen Wirkungen kultureller Gestaltung ausgeht." Das schrieb Oliver Scheytt schon 2008 in seinem Buch "Kulturstaat Deutschland". Doch wie viel Zeitgemäßes können sich die Kommunen heute noch leisten - in Zeiten leerer Kassen, der Klimakrise, von Corona, Digitalisierung, Globalisierung & Co.? In dieses Bild passt die vom "Deutschen Kulturrat" veröffentlichte "Rote Liste Kultur", in der bedrohte Kultureinrichtungen aufgeführt werden. Ein Blick auf die Listen der letzten Jahre verheißt nichts Gutes. Und doch zeigt sich auch eine Kehrseite der Medaille, nämlich wenn es um "Leuchtturmprojekte" im kulturellen Bereich geht. Plötzlich spielen Kosten keine Rolle, üben Politiker, Planer und Kulturvertreter den Schulterschluss im "Durchdrücken" des Großprojekts - koste es was es wolle. Die Elbphilharmonie in Hamburg oder auch die Staatsoper Unter den Linden sind nur zwei Beispiel die Bände sprechen. 
 
Die Risiken dieser Entwicklung liegen auf der Hand und werden seit vielen Jahren im Kulturbetrieb diskutiert: Zunehmende Kommerzialisierung und Kürzungen von Kulturetats. Dies birgt die Gefahr, dass die kulturelle Vielfalt in Deutschland auf der Strecke bleibt. 
 
Von der Finanzierung der "Ware Kultur" 
 
Und doch müssen Kulturbetriebe wirtschaftlich denken und handeln. Gerade in diesem Punkt klemmt es in vielen Bereichen der Kulturarbeit. Hintergrund ist der permanente Widerspruch und das Spannungsfeld zwischen Sach- und Formalziel öffentlicher Organisationen. Öffentlich-rechtliche Institutionen verfolgen primär andere Aufgaben und Ziele als die Gewinnmaximierung. Sie müssen vielfältige politische und wirtschaftliche Ziele unter einen oftmals zu kleinen Hut zu bekommen - bei gleichzeitig diversen Interessengruppen und Zielsetzungen. 
 
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) schrieb schon 2010 in dem Beitrag zu "Querschnittsaufgabe mit Lücken - Zur Finanzierung kultureller Bildung": "Wesentliches Kriterium einer sinnvollen Förderung muss sein, dass die Projekte nachhaltig wirken und möglichst viele Menschen erreichen. (...) Wer sich am Leitbild einer kulturellen Grundversorgung orientiert (leicht zu begründen, jedoch schwer umzusetzen), wird letztlich dazu tendieren, kulturelle Bildung als Element der (durch die allgemeine Schulpflicht geregelten) Allgemeinbildung zu fordern." In diesem Sinne liegt in einer fundierten Betrachtung von Finanzierungs- und anderen Risiken und in einem proaktiven Risikomanagement ein wesentliches Element zukunftsorientierter, tragfähiger Kultureinrichtungen. 
 
Der Blick nach vorne als Chance für den Kulturbetrieb 
 
Die Broschüren, Werbeauftritte, Vermittlungsprogramme und Inszenierungen von Kultureinrichtungen zeugen von der Innovationskraft, die Kunst und Kultur innewohnt. Mutig wird Neues probiert, Altes neu interpretiert, werden alle nur erdenklichen Formen und Orte "bespielt" und für den Gedankenaustausch von und mit Künstlern genutzt. Darin stecken viel Engagement, Kreativität und Risikobereitschaft, denn in den Experimentierfeldern der Kunst ist der Ausgang offen. Im Umkehrschluss heißt das: Kunst ist per se Risiko und Chance zugleich. 
 
Über Erfolg oder Misserfolg entscheiden die Hände und Füße der Besucher durch ihren Beifall, durch ihren Besuch oder Nicht-Besuch. Kunst folgt Impulsen, in denen das Neue, Außergewöhnliche gewagt wird. Im Gegensatz zu dieser oft zukunftsweisenden Sichtweise der Künstler mangelt es im Gesamtrisikomanagement an klaren Strukturen - nicht nur im Finanzierungsumfeld. Weitere Felder, wie beispielsweise Projekt- und Veranstaltungsrisiken und denen sich daraus ergebenden Notfall- und Reputationsrisiken, erfordern ein strukturiertes Vorgehen. Gerade die künstlerische Auseinandersetzung mit politischen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen erfordert zudem eine solide und vorausschauende Planung. Den Herausforderungen muss sich dringend gestellt werden, wenn der Kulturbetrieb möglichst frei im Gedanken und Handeln bleiben möchte. Das dahinterliegende Stichwort lautet: Governance. 
 
Selten findet man in der Praxis eine Governance-Struktur, die sich an den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung und -überwachung orientiert. Hinzu kommt, dass der öffentliche Bereich häufig reaktiv - anstatt präventiv und proaktiv - arbeitet. Im Umkehrschluss heißt das für Kulturbetriebe, funktionierende Risikomanagementprozesse zu etablieren und diese regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen. Ein Blick über den eigenen Tellerrand in die Privatwirtschaft würde hier helfen. Erfolgreiche Unternehmen haben nämlich erkannt, dass ein professioneller Umgang mit dem Faktor Risiko (und damit auch der Chance) aus existenziellen Gründen unumgänglich ist. Ohne Risiken gäbe es auch keinerlei Chancen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Risiken stellt deshalb einen wesentlichen Werttreiber für das Unternehmen und damit auch für alle Stakeholder dar. Chancen und Wagnisse sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Erfolg eines Unternehmens (und auch eines Kulturbetriebs) ist also maßgeblich dadurch bestimmt, dass die "richtigen" Risiken eingegangen werden. 
 
Zu einem proaktiven Chancen- und Risikomanagement gehören vor allem die Identifikation, Bewertung, Aggregation und Überwachung von Risiken sowie die Risikobewältigung. Das ist in privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht anders als in Kulturbetrieben. Und das war in der Antike auch nicht anders als in der heutigen Zeit. Ein gutes Beispiel liefert uns hier Odysseus, König von Ithaka und Held der griechischen Mythologie, als er seine Fahrt vorbei an den liebreizenden aber zugleich gefährlichen Sirenen plante. Er befolgte den Rat der Zauberin Kirke. Die schlug ihm und seinen Männern eine Art "Verhaltenskodex" vor, um mit seinem Schiff die gefürchteten Sirenen zu passieren. 
 
Im Grunde handelt es sich bei dem von Homer beschriebenen Abenteuer des Odysseus um ein praxisnahes, präventives und effektives Risikomanagement par excellence: Die beste Route wählen. Chancen und Risiken im Vorfeld abwägen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und vorausschauend zu agieren. Der eine oder andere Kulturbetrieb könnte aus dieser scheinbar simplen Geschichte für das hier und jetzt lernen. 
 
Und eines haben die stürmischen Zeiten der vergangenen Jahre deutlich gemacht: Rettungsboote werden nicht erst im Sturm gebaut. Laozi hatte die Grundregeln eines wirksamen Risiko- und Krisenmanagement bereits sehr früh erkannt: "Befasse dich mit den Dingen, bevor sie geschehen; bringe sie in Ordnung, bevor sie durcheinander sind. Denn die schwierigen Dinge auf der Welt fangen stets einfach an, und die großen Dinge fangen stets klein an."
 
Zum Weiterlesen
 
  • Erben, Roland F. / Romeike, Frank (2016): Allein auf stürmischer See - Risikomanagement für Einsteiger, 3. komplett überarbeitete Auflage, Wiley Verlag, Weinheim 2016. 
  • Romeike, Frank / Hager, Peter (2013): Erfolgsfaktor Risikomanagement 3.0: Lessons learned, Methoden, Checklisten und Implementierung, 3. komplett überarbeitete Auflage, Springer Verlag, Wiesbaden 2013. 
 
Dieser Beitrag ist leicht abgewandelt. Er erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Risiko".

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