19.06.2023

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Andreas Wagener
ist Professor für Digitales Marketing an der Hochschule Hof. Als Keynote-Speaker sowie in seinem Blog nerdwärts.de beschäftigt er sich mit dem Digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Er berät Unternehmen zur Digitalen Transformation in den Bereichen Business Development, Marketing und Vertrieb.
Sofia Unger
absolvierte ein Studium der europäischen Kunstgeschichte und studiert aktuell in Düsseldorf den Master Kunstvermittlung und Kulturmanagement, in welchem sie auch wissenschaftliche Hilfskraft war. Bis 2023 unterstützte sie den Landschaftsverband Rheinland in der Öffentlichkeitsarbeit für Kultur und sammelte praktische Erfahrungen in unterschiedlichen Kulturinstitutionen.
Künstliche Intelligenz im Kulturmarketing

Es geht ums Ausprobieren

Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) findet auch im Kulturmarketing immer mehr Anwendung und bietet dabei vielfältige Optimierungsmöglichkeiten. Welche Chancen und Herausforderungen damit für die operativen Aufgaben, Prozesse und notwendigen Kompetenzen im Kulturmarketing einhergehen, erklärt uns Andreas Wagener, Professor für E-Commerce und Social Media an der Hochschule Hof.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Sofia Unger: Lieber Herr Wagener, wo stehen wir allgemein in Sachen KI im Bereich Marketing und welche operativen Anwendungsmöglichkeiten gibt es hier bereits?
 
Andreas Wagener: Künstliche Intelligenz wird absehbar alle Bereiche des Marketings betreffen. Marketing meint ja nicht nur Kommunikation, sondern auch die Produkterstellung, die Preisfindung und den Vertrieb. Wenn wir beispielsweise über die Festlegung von Preisen sprechen, können wir von KI-Systemen Preise dynamisch an den aktuellen Marktbedarf anpassen, sogar in Echtzeit. Man kann in diesem Kontext auch von Next-best-offer-Marketing sprechen, in der die KI uns unterstützt, das richtige Angebot zum richtigen Preis anzubieten. Aber das kennen wir schon länger, denn den Begriff und die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz gibt es nicht erst seit ChatGPT und anderen generative KIs, sondern bereits sehr lange. Im Bereich der Kommunikation ist es so, dass ich mittels KI nicht nur (Werbe-)Texte erstellen kann und dazu die Creatives, also die Bildformate, sondern ich kann diese auch in Echtzeit testen, beispielsweise mithilfe von A/B-Tests. Ich kann zum Beispiel die Texte auf verschiedenen Kanälen an verschiedene Zielgruppen ausspielen und darüber bestimmen, wann und wo und zu welchem Werbepreis diese ausgespielt werden. Das kann eine KI entscheiden, die dann völlig eigenverantwortlich handelt und eine Conversion-Optimierung betreibt, also die Werbung dort ausspielt, wo sie am meisten Resonanz erfährt. Neben der Kommunikation ist es auch spannend, die Strategie anzuschauen. KI kann uns hier zum Beispiel in der Mustererkennung bei Kund*innen unterstützen, indem sie ähnliche Muster und andere Merkmale bei Kund*innen herausfindet und wie wir diese ähnlich bedienen können.
 
SU: Was kann KI im Marketing noch nicht?
 
AW: Von der Theorie her kann sie eigentlich fast alles. Ich müsste jetzt lange darüber nachdenken, um etwas zu finden, wo man Künstliche Intelligenz (perspektivisch) nicht einsetzen kann. Trotzdem, jede*r, der*die sich schon mal mit Tools wie ChatGPT und Midjourney auseinandergesetzt hat, weiß, dass das Ergebnis selten perfekt ist - zumindest nicht im ersten Versuch. Anders formuliert: Ich würde aktuell ungern einer KI meine Textfindung überlassen oder die Generierung eines Bild für eine Werbebroschüre. Und genau das ist auch die Chance für den Menschen, denn wir müssen an die Ergebnisse immer nochmal ran, sie überprüfen und nachjustieren. Die KI muss man also als Partnerin begreifen.
 
SU: Im Kulturmarketing geht stark um die Ansprache von Besucher*innen aus. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier konkret, um Künstliche Intelligenz anzuwenden?
 
AW: Die Frage ist immer, wie weit man Künstliche Intelligenz fasst. KI lernt nicht nur und erkennt Muster, sondern hat auch viel mit Planen und Rechnen zu tun. Das heißt, dass man für bestimmte Dinge optimale Lösungen finden kann. Und wenn ich sage, man kann KI in allen Lebenslagen anwenden, gilt das natürlich auch für jede Form des Kulturmanagements und des Kulturmarketings. Ich würde zum Beispiel bei der Planung einer Veranstaltung mit der Frage starten "Wann mache ich die Veranstaltung am besten?" Da kann man KI bereits einsetzen, indem man sie alle möglichen Termine abgleichen und suchen lässt, ob es parallel stattfindende Termine gibt. Zusätzlich kann man nach den Wetterbedingungen fragen, wenn es sich beispielsweise um eine Open-Air-Veranstaltung handelt. Das ist vielleicht komplex, weil es viele Informationen umfasst, aber so etwas umzusetzen ist nicht besonders kompliziert. 
 
Zudem kann man danach schauen, was die richtige Preissetzung ist, beispielsweise für eine Theaterveranstaltung. Man kann auch darüber nachdenken, welche Aktionen unternommen werden können, wenn eine Veranstaltung nicht ausverkauft ist. Das hat früher der Mensch gemacht, aber das kann man auch mittels Mustererkennung versuchen. Bleiben wir beim Beispiel Theaterbesuch. Da können wir durch die KI beispielsweise feststellen, aus welchem (sozialen) Umfeld bereits Besucher*innen kommen und aus welchem Menschen fehlen. Dadurch kann man gezielt Werbung schalten. Das ist nicht so einfach und man muss die KI an die Hand nehmen, aber der Autonomiegrad in diesem Kontext ist schon relativ groß. 
 
SU: Gibt es Hinderungsgründe für den Einsatz von Marketing-KI in öffentlichen Verwaltungen?
 
AW: Ich arbeite selbst an einer öffentlichen Institution und weiß natürlich, dass das Thema Daten und Datenschutz immer sehr speziell ist und Digitalisierung da immer ein bisschen zäher voran geht. Meiner Meinung nach ist das Verwenden von generativer KI eigentlich kein Problem des Datenschutzes. Natürlich kann ich da Fehler machen, wenn ich Interna in den Suchschlitz bei ChatGPT eingebe und damit sensible Daten an das Unternehmen dahinter weitergebe. Das ist problematisch, weil ChatGPT diese Daten mitnimmt und damit weiter lernt. Aber ich glaube, dass wir grundsätzlich keinen ängstlichen Umgang pflegen sollten. Trotz Diskussionen geht der Konsens langsam dahin, dass man mit KI umgehen und sie integrieren muss. Das Verbieten wird langfristig nicht funktionieren. 
 
Eine andere zentrale Frage ist, ob ChatGPT oder andere generative KI als Hilfsmittel angegeben werden müssen. Aber wenn ich etwas zusammenrechne, dann schreibe ich auch nicht, dass ich einen Taschenrechner verwendet habe. Ich glaube, dass diese generativen KI-Werkzeuge im Prinzip auf Dauer nichts anderes sein werden als ein weiterer Taschenrechner. Und auch eine öffentliche Institution wird sich dem nicht verschließen können. Es wäre fahrlässig, wenn öffentliche Institutionen nicht Schritt halten würden. 
 
SU: Stellt aus Ihrer Sicht in kleineren Häusern die Finanzierung von KI-Tools eine Hürde dar?
 
AW: Die Diskussionen um Künstliche Intelligenz gehen gerade wieder richtig los. Dabei haben sich in den letzten Jahren nur zwei Dinge bei der generativen KI verändert: Die Systeme sind technisch leistungsfähiger geworden, also haben mehr Rechenpower, und sie sind leichter zugänglich. Die Interfaces kann jede*r benutzen. Die Gebühren bewegen sich dabei zwischen 10€ und 20€ pro Monat. Das ist keine Rieseninvestition, die sich auch öffentliche Einrichtungen mit schmaler Kasse leisten können. Die KI kann gerade hier aber zur Zeit- und Ressourcenersparnis beitragen. Das ist im Moment genau das Besondere und auch der Gamechanger.
 
Anders sieht das bei der Schnittstelle aus, mit denen Softwareanbieter ChatGPT oder ähnliches in ihre bestehende Software integrieren. Was ich dann bezahle, ist nicht ChatGPT oder die generative KI, sondern die Software-Suite, die es zuvor auch schon gab und die auch schon Geld gekostet hat. Die Kosten hängen stark vom Anwendungskontext ab. Im E-Mail-Marketing können wir beispielsweise eine Automatisierungssoftware anwenden, die die Texte für eine E-Mail schreibt, überprüft, welcher generierte Text besser funktioniert und anschließend den Text optimiert und versendet. Die Software kann auch über einen Managementansatz verfügen und entscheiden, was man mit den Leuten macht, die die Mails geöffnet, nicht geöffnet oder geklickt haben. Diese Tools gibt es aber schon länger. Neu ist, dass die Entscheidungen autonom von der KI getroffen und vom Menschen an die KI delegiert werden. Das darf man aber nicht mit der generativen, preisgünstigen KI vermischen, wo es darum geht, dass Bild, visuelle Reize und Texte generiert werden. 
 
SU: Wie muss eine Marketingabteilung heute aufgebaut sein, um Künstliche Intelligenz erfolgreich einsetzen zu können?
 
AW: Grundsätzlich ist es schwer, aktuell mit allen Entwicklungen Schritt zu halten, denn es gibt jeden Tag eine neue Anwendung. Die Arbeit in Organisationen wird sich durch KI also verändern und diese in bestehende Abteilungen integrieren, sodass die gleichen Mitarbeitenden vor allem neue Tools lernen müssen. Ich spreche hier von lebenslangem Lernen, was Wissenschaft und Politik angesichts der Digitalisierung seit Jahren propagieren und kaum jemand strategisch umsetzt. Ich glaube, dass sich da die Spreu vom Weizen trennen wird. Das ist eine Kulturfrage, denn für alle Organisationen ist es ein Problem, mit den Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz mitzuhalten. In puncto Digitalisierung haben wir in den letzten 30 Jahren so viel über Change und Organisationskultur gesprochen und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem das ein Wettbewerbsvorteil sein wird. Wir haben alle daran zu knabbern, aber das ist nicht schlimm, es geht ums Ausprobieren. Es ist nicht so, dass man für KI tiefgehende Programmierfähigkeiten bräuchte. Ich muss mir einfach überlegen, wie ich Anweisungen, sogenannte Prompts, so schreibe, sodass ChatGPT oder Midjourney mir das ausgibt, was ich haben will. Das ist ein bisschen, wie Google richtig zu bedienen - kein Hexenwerk, aber man muss sich damit beschäftigen.
 
SU: Welche Kompetenzen brauchen Marketingexpert*innen demnach, um mit KI umgehen zu können? 
 
AW: Es gibt auf jeden Fall Kompetenzen, aber die kann man im Moment schlecht "lernen", weil es dafür bisher kaum theoretisch-strukturierte Formate gibt. Grundsätzlich muss man sich damit auseinandersetzen, wie Algorithmen und wie maschinelles Lernen funktionieren. Wenn man das Prinzip verstanden hat, versteht man auch, wie Bedienoberflächen bei KI-Anwendungen funktionieren. Das ist die erste Voraussetzung. Im nächsten Schritt kann ich dann überlegen, wie nutze ich das jetzt und wo setze ich das ein? Es gibt jede Menge Softwares, die man herunterladen kann, und die oft nicht besonders schwer zu bedienen sind. Ich muss nur wissen, was ich möchte und wie sie funktionieren. Man muss es mal gemacht haben. 
 
SU: Müssen sich Marketingexpert*innen im Kulturbereich Sorgen um ihren Job machen?
 
AW: Eigentlich halte ich gar nichts davon, zu prophezeien, was in Zukunft passieren wird. Wir sprechen von exponentiellen Entwicklungen, die ein Mensch nicht voraussagen kann. Dennoch kann man sicherlich sagen, dass wir uns alle Gedanken um unseren Job machen müssen, nicht nur als Marketingexpert*innen. Vor sieben oder acht Jahren, als diese neue Welle der KI begann, gab es Listen darüber, wie gefährdet der eigene Job ist. Oben standen meistens die Lohnbuchalter*innen und ganz unten Professor*innen und Künstler*innen. Aber mit der aktuellen Entwicklung generativer KI dreht sich die Liste zunehmend. Es darf sich also niemand richtig sicher sein. Wir müssen uns alle Gedanken machen, wo wir noch wertschöpfend tätig sein können. Gerade hochqualifizierte Menschen, die ihr Leben lang gelernt und in qualifizierten Jobs gearbeitet haben, könnten sich mit den Veränderungen schwertun. Im Marketing und verwandten Berufen kann das bedeuten, dass ich unter Umständen weniger texten und noch mehr Analytik- und Technikaffinität haben muss, um bestehen zu können. Die, die das nicht machen werden ein Problem bekommen.

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Kommentare (1)
R
Der Terminus ist einfach falsch
von rainer g., 22.06.2023 22:59
»Vielleicht sollten wir endlich mal aufhören, diese Text-, Bild-, Musik- und Sonstwie-Generatoren "künstliche Intelligenz" zu nennen. Da ist nichts intelligent, da denkt auch nichts.

"Bleiben wir beim Beispiel Theaterbesuch. Da können wir durch die KI beispielsweise feststellen, aus welchem (sozialen) Umfeld bereits Besucher*innen kommen und aus welchem Menschen fehlen. Dadurch kann man gezielt Werbung schalten. Das ist nicht so einfach und man muss die KI an die Hand nehmen, aber der Autonomiegrad in diesem Kontext ist schon relativ groß."

Davon glaube ich nichts, bis mir das jemand wiederholbar in der Praxis demonstriert. Bis dahin ist das für mich magisches Denken.«

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